Rose | Die Mildtätige | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 510 Seiten

Rose Die Mildtätige

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95530-296-2
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 510 Seiten

ISBN: 978-3-95530-296-2
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Eine Frau im Kampf gegen die Geister ihrer Vergangenheit. Ein Drama, das unter die Haut geht. Kate McKenna soll in ihrem Heimatort, den sie vor vielen Jahren verlassen hat, die Leitung einer Klinik übernehmen. Doch offensichtlich will jemand sie unter allen Umständen loswerden: Sie erhält Drohanrufe, wird immer wieder von einem Obdachlosen belästigt, und auch in der Klinik gehen seltsame Dinge vor sich. Aber Kate lässt sich nicht beirren, sie stellt sich den Schatten ihrer Vergangenheit. Erst als sie die dramatischen Ereignisse ihrer Kindheit verarbeitet hat, die zum Tod von Vater und Mutter und zum Verschwinden des Bruders führten, ist sie bereit für ein neues Leben - und für die Liebe ... 'Marcia Rose versteht es meisterhaft, ihren Figuren Leben einzuhauchen, sie zu starken Charakteren zu formen. Große Emotionen vor einem stimmungsvollen, farbenprächtigen historischen Hintergrund.' Publishers Weekly

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1


»Dr. McKenna! Wachen Sie auf! Dr. McKenna!« Die eindringliche Stimme riss Kate McKenna unsanft aus dem Schlaf. Sie blinzelte in die Dunkelheit, noch immer desorientiert, gefangen in den letzten Fetzen ihres Traums. Das hier war nicht ihr Schlafzimmer in der West 86th Street. Wo war sie? Oh, Moment. In ihrem neuen Büro. Bei ihrer neuen Arbeitsstelle. Nicht mehr in New York, sondern, so unglaublich es auch erscheinen mochte, in ihrer alten Heimatstadt. In Waterfield – einem Ort, von dem sie geschworen hätte, niemals dorthin zurückzukehren. Wie viel Uhr war es? Mit einem leisen Stöhnen schwang sie die Beine über die Sofalehne.

Langsam kehrte sie ins Hier und Jetzt zurück: Sie hatte sich auf ihrem Ledersofa in die Richtlinien für die Behandlung von Psychiatriepatienten vertieft – nicht gerade der Inbegriff spannender Lektüre – und musste darüber eingeschlafen sein. Aber woher kam dieses leise Gefühl der Angst? Ihr Traum schien ziemlich unerfreulich gewesen zu sein.

»Tut mir leid, wenn ich Sie wecke, Kate, aber –« Die von der Nachtbeleuchtung erhellte Silhouette im Türrahmen gehörte Marian Morgenstern, ihrer Oberschwester. Wie Kate blieb Marian meistens lange, um sich um den endlosen Papierkram zu kümmern. »Nelson hämmert schon seit zehn Minuten an die Eingangstür und schreit nach der Chefin. Was soll ich tun?«

Kate stand auf und blinzelte gegen den Schlaf an. »Nelson. Was will er denn um diese Uhrzeit?« Sie bückte sich, um die Unterlagen aufzuheben, die ihr im Schlaf entglitten waren.

»Da er als eine Art Orakel gilt, bringt er vielleicht Neuigkeiten über unseren neuen Boss. Vielleicht weiß er etwas, das wir nicht wissen.«

»Und wir wissen weiß Gott überhaupt nichts«, bestätigte Kate. Beim Gedanken an das Memo, das an diesem Morgen auf ihren Schreibtisch geflattert war, tauschten sie einen viel sagenden Blick und lächelten gequält. In dem Schreiben, das mit einem nicht entzifferbaren Namen unterschrieben war (wahrscheinlich dem des neuen Leiters), wurden sie aufgefordert, sämtliche Unterlagen für eine Inspektion Ende der Woche bereitzuhalten.

»Wie hat der Vorstand es nur geschafft, unseren reizenden Dr. Carlyle einfach so ... verschwinden zu lassen? Vorletzten Donnerstag war er noch der Leiter der Anstalt, am selben Abend findet eine Vorstandssitzung statt und zack ... am Freitagmorgen ist er weg, ohne sich von uns zu verabschieden.«

»Stimmt.« Kate unterdrückte ein Gähnen. »Und innerhalb kürzester Zeit gibt es einen Ersatz.«

Wieder lächelte Marian sarkastisch. »Das behaupten sie zumindest. Wieso kommt er nicht einfach vorbei, um sich persönlich vorzustellen? Wer ist er überhaupt? Ich habe nie vorher von ihm gehört. Keiner hat das. Austin Davey!« Sie spie die Worte aus wie ein Schimpfwort.

»Wie ich diese geheimen Machenschaften hasse«, erklärte Kate. »Damit sollen alle eingeschüchtert werden. Und es funktioniert auch noch!«

»Sie haben ja so Recht.« Marian lachte. Sie konnte wohl allem eine lustige Seite abgewinnen. Das war aber nur eine der Eigenschaften, die sie zu einem echten Schatz machten. Sie schien stets da zu sein, wenn man sie brauchte, so wie jetzt ... »Wie spät ist es eigentlich?«, fragte Kate gähnend. »Entschuldigen Sie.«

»Halb elf.«

»Meine Güte, was kann er nur wollen?« Nelson mochte psychotisch sein – verdammt, das war er allerdings. Aber er wusste genau, dass das Continuing Care Center um 18.30 Uhr schloss. Danach konnten sich die Patienten an die Crisis Intervention Clinic wenden, die rund um die Uhr geöffnet hatte. Was um alles in seiner chaotischen, abgedrehten Welt konnte so wichtig sein?

»Ich nehme an, Sie haben ihn hereingebeten?« Kate stand auf.

»Natürlich. Aber Sie wissen ja, dass es ein Heidenakt ist, Nelson zum Hereinkommen zu bewegen. Ich hätte ja lieber zu ihm gesagt, er soll nach Hause gehen und morgen wiederkommen, aber er ist ziemlich aufgebracht und könnte womöglich einen Grund für sein Erscheinen haben. Nelson bekommt mehr mit, als ihm die meisten zutrauen. Er ist zwar geistesgestört, aber auf seine Weise trotzdem völlig klar im Kopf.« Als sie den Korridor entlang in Richtung Eingangshalle gingen, hörten sie lautes Hämmern an der Tür, begleitet von unartikuliertem Heulen. Marian presste sich die Hände auf die Ohren. »Au. Sie sollten lieber nachsehen, was er will, bevor wir den Ausschuss am Hals haben.«

Sie tauschten einen grimmigen Blick. Seit der Eröffnung vor gerade einmal sechs Monaten wurde das Continuing Care Center vom Großteil der Bevölkerung Waterfield gehasst und gefürchtet. Trotz seiner freundlich gestrichenen Wände und der renovierten Fassade, trotz der Blumenbeete vor dem Haus und der positiven Meldungen, mit denen sie die örtliche Presse versorgt hatten ... niemand in dieser Stadt wollte ein neues Ambulanzzentrum für psychisch Kranke haben. Die Stadt hatte auch für Hillside, das eigentliche psychiatrische Krankenhaus, wenig übrig, aber da dort viele Einheimische Arbeit gefunden hatten und sich das Hospital diskret all jener Familienmitglieder annahm, für die man sich sonst vielleicht geschämt hätte, wurde es stillschweigend geduldet.

Die Anstalt war schon seit den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts Teil von Waterfield, sodass die Leute ihr gegenüber eine Art Blindheit entwickelt hatten. Die Einheimischen schienen sie auf dem Hügel, wo sie die Stadt überragte, nicht mehr zu bemerken, und alle taten so, als hätten sie keine Angst vor den Patienten, die darin untergebracht waren, auch wenn das nicht wirklich stimmte. Die wichtigsten Mitglieder der Gemeinde saßen im Kuratorium und sorgten dafür, dass jede Unannehmlichkeit im Zusammenhang mit Hillside eilig unter den Teppich gekehrt wurde und in Vergessenheit geriet. Bei der neuen Einrichtung jedoch war es ein wenig anders. Das neue Zentrum befand sich mitten in der Stadt, und hier kümmerte man sich lediglich um ambulante Patienten, die sich somit nicht in sicherer Verwahrung befanden, sondern für alle Welt sichtbar waren. Die anständigen Bürger von Waterfield waren außer sich vor Wut, weil sie sich als »Deponie für jeden Geisteskranken des Landes« vorkamen, wie es vergangene Woche in einem der vielen Leserbriefe im Waterfield Chronicle geheißen hatte.

Kate machte sich inzwischen nicht einmal mehr die Mühe, sie zu lesen. Sonya Dubroff, die Verwaltungsmanagerin-Bindestrich-Rezeptionistin-Bindestrich-Hausmutter der Klinik sammelte sämtliche Artikel und legte sie ihr jeden Tag auf den Schreibtisch. Auch ohne sie gelesen zu haben, wusste Kate, dass das Continuing Care Center unerwünscht war und dass der Bürgerausschuss, gegründet und geleitet von Gail Fortunato, der Bürgermeisterin der Stadt, wild entschlossen war, sie zu vertreiben.

Mal ehrlich, dachte Kate, kann ich irgendjemandem einen Vorwurf daraus machen, dass er Hillside und seine beiden Ableger hasst? Sie hatte beinahe ihr ganzes Leben hier verbracht. Sie wusste besser als die meisten anderen, wie gewaltig der Schatten des Hillside Mental Hospital war, den er über alles und jeden warf. Die Anstalt saß auf dem Quarry Hill wie eine riesige Festung aus dunklem Sandstein – mit ihren obligatorischen Wachtürmen, den mit Zinnen versehenen Mauern und zahlreichen kleineren Nebengebäuden. Ein Burggraben und eine Zugbrücke waren das Einzige, was dem Komplex fehlte, um ein perfektes Feudalschloss abzugeben. Mit seiner Lage auf dem Hügel und dem Fluss, der sich darum schlängelte, war Hillside ein steter Beweis für die Existenz der Irren, wie sie in der Stadt bezeichnet wurden. Aber auch die psychisch Kranken hatten Rechte. Leider! Die Tage, in denen man sie vor den Augen der Gesellschaft versteckt hatte, waren vorbei. Sie verdienten, dass man sich um sie kümmerte – sogar mitten in der Stadt, wo jeder sie sehen konnte.

Doch ein Nelson, der mitten in der Nacht vor der Haustür stand und jaulte, war in dieser Situation alles andere als hilfreich. »Ich komme ja schon!«, rief sie und fuhr sich mit den Fingern durch ihr dichtes, lockiges Haar, während sie auf die große Doppeltür zuging, aufschloss und nach draußen trat.

Nelson lebte auf der Straße – im Eingang des alten Bankgebäudes neben dem Zentrum. Schätzungsweise litt er unter paranoider Schizophrenie, benahm sich aber sehr anständig. Er sprach ... nun ja, zumindest benutzte er mehrsilbige Wörter, die manchmal sogar einen Sinn ergaben. Er konnte Gedichte rezitieren und verbreitete, er schreibe an einem Buch, das alles enthüllen würde. Und, wie sie in ihrer ersten Arbeitswoche erfahren hatte, er wurde von vielen Leuten hier als eine Art Guru betrachtet. Oder sogar als Prophet!

Sie arbeitete seit über zehn Jahren als Ärztin für Psychiatrie und fand es reichlich merkwürdig, dass die Angst der Menschen vor psychischen Erkrankungen selbst im 21. Jahrhundert noch immer so groß war, dass sie sie entweder ablehnten, leugneten oder als magisches Phänomen vergötterten. Nelsons Ruf als eine Art Seher war wahrscheinlich der Grund, weshalb seine Gegenwart hingenommen wurde – wenn auch nicht unbedingt mit Begeisterung –, zumindest verlangte niemand seine sofortige Verbannung in eine andere Stadt oder, besser noch, in einen anderen Bundesstaat. Nelson war es vermutlich nicht bewusst, aber damit hatte er all den anderen psychisch Kranken in der Gegend unglaublich viel voraus.

Kate sog die laue Mailuft ein. Das war einer der Vorzüge ihrer Heimatstadt: Der Frühling roch nach Frühling, und nachts konnte man sogar die Sterne am Himmel sehen. Aber wo steckte Nelson? Sie ging die Treppe hinunter und schaute sich auf der Straße nach ihm um. Nichts. Das machte er oft – erst aus heiterem Himmel...



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