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Rohrmoser »Sicherheitspolitik von unten«

Ziviler Ungehorsam gegen Nuklearrüstung in Mutlangen, 1983-1987

E-Book, Deutsch, Band 26, 460 Seiten

Reihe: Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedens- und Konfliktforschung

ISBN: 978-3-593-44954-8
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ende der 1970er Jahre spitzte sich der Kalte Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA erneut zu. 1983 ließ die NATO Nuklearraketen in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen westeuropäischen Ländern stationieren. Vor allem die schwäbische Gemeinde Mutlangen rückte damals als Standort von Pershing-II-Raketen in den Fokus der Friedensbewegung und der Öffentlichkeit. Bis 1987 fanden dort jahrelang Proteste statt, vor allem Sitzblockaden, bei denen es entgegen behördlicher Befürchtungen jedoch nie zu Gewaltausschreitungen kam. Richard Rohrmoser beschreibt die Entwicklung Mutlangens zu einem Symbolort der Friedensbewegung. Seine Studie geht zudem der Frage nach, welche Folgen die massenweise Praktizierung und der juristische Diskurs über den zivilen Ungehorsam der Friedensaktivist_innen für die bundesdeutsche Gesellschaft hatten.

Richard Rohrmoser, Dr. phil., ist Historiker.
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1.Mutlangen im Kalten Krieg vor der Pershing-II-Stationierung
1.1Das Verhältnis zwischen Lokalbevölkerung und US-Militär
Die militärische Nutzung der Mutlanger Heide reicht bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurück.77 Das Gelände diente damals der württembergischen Garnison in Schwäbisch Gmünd zu Schießübungen, Fahr- und Reitmanövern sowie dem Exerzieren.78 Als Übungsplatz für die Infanterieausbildung existierten auf der Heide bis 1935 Handgranatenwurfstände sowie Lauf- und Schützengräben.79 Im Nationalsozialismus war der Exerzierplatz ein beliebtes Ziel von Ausflügen der Hitler-Jugend (HJ) und dem Bund Deutscher Mädel (BDM).80 Als nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges US-Truppen die Kasernen und die ehemaligen Trainingsareale der Wehrmacht im Raum Schwäbisch Gmünd beanspruchten, besetzten sie 1952 auch weite Teile der Mutlanger Heide und errichteten dort einen kleinen Behelfsflugplatz (Airfield Mutlangen) für Kurierflugzeuge. Ein Jahr später baute die US-Armee auf dem Gelände eine asphaltierte Start- und Landebahn von 670 Meter Länge und 22 Meter Breite sowie einen Hangar.81 In der Stauferstadt Schwäbisch Gmünd und im Umkreis herrschte ein positives Verhältnis zu den US-Soldat*innen, die ab den 1950er Jahren ein alltäglicher Bestandteil des Stadtbildes waren. Durch die Militärpräsenz entstanden in der Region lukrative Aufträge für lokale Firmen, und die US-Soldat*innen waren regelmäßige Kund*innen in den einheimischen Geschäften.82 Das Militär bemühte sich zudem durch Öffentlichkeitsarbeit um Kontakte zur Zivilbevölkerung und übte sich bei vielen Veranstaltungen auf der Mutlanger Heide in einer »Politik der offenen Türen«.83 In den 1950er Jahren fanden sogenannte Waffenschauen und Paraden statt, zu denen jährlich ca. 2.000 bis 3.000 Menschen kamen. Ab 1956 veranstaltete die Schwäbisch Gmünder Fliegertruppe zusammen mit dem US-Militär in einem zwei- bis dreijährigen Turnus internationale Großflugtage, sodass das Gelände in dieser Zeit zum »Mekka der Luftfahrt- und Luftsportbegeisterten« avancierte.84 Ferner berichten Zeitzeug*innen wie der von 1986 bis 2016 regierende Bürgermeister Mutlangens, Peter Seyfried (CDU), dass die US-Soldat*innen neugierige Kinder an den Wochenenden oftmals bei den Hubschraubern der US-Armee auf dem Airfield spielen ließen, was das positive Verhältnis zwischen den Besatzer*innen und der Bevölkerung im Ostalbkreis weiter stärkte.85 Von einer ähnlichen Situation berichtete ebenfalls der in Mutlangen lebende Lehrer Franz Schneider. Mitte der 1960er Jahren unternahm er mit Schüler*innen der 7. und 8. Klasse aus einer benachbarten Gemeinde einen Schulausflug auf die Heide. Die Begeisterung in der Klasse war groß, und er schilderte die Exkursion folgendermaßen: »Die haben sich gefreut. Da standen Hubschrauber, diese Mannschaftshubschrauber. Da durften die Kinder ohne Weiteres reinsteigen. Die Soldaten haben sie eingeladen, haben den Sicherheitsgurt draufgemacht und haben so simuliert, als ob sie mit ihnen fliegen.«86 Mit diesem Beispiel veranschaulichte Franz Schneider, dass die Präsenz der US-Streitkräfte für die Lokalbevölkerung Normalität war: »Also, Sie merken: Wir waren gewohnt, dort hinzugehen, mit den Leuten im Kontakt zu sein.«87 In den späten 1960er Jahren fanden die Flugschauen ein abruptes Ende – allerdings nicht aus antimilitaristischen Gründen, sondern weil die Gemeinde Mutlangen ein Klinikum bauen ließ und die Lärmbelästigung durch die Flieger zu stark war.88 Die Heide blieb weiterhin ein beliebtes Ziel für Spaziergänger*innen. Absperrungen um das Areal gab es bis zur Raketenstationierung nicht. Mit Inanspruchnahme der Mutlanger Heide durch die US-Amerikaner erklärte die Rems-Zeitung am 26. April 1952 der Bevölkerung lediglich, dass Spaziergänger*innen sich selbst in Acht nehmen und auf Signale hören sollten: »Die US-Armee möchte jedoch zum Ausdruck bringen, dass ihr Zuschauer in bescheidener Zahl willkommen sind, vorausgesetzt, dass sie sich außerhalb der […] Gefahrenzone aufhalten.«89 Insbesondere die älteren Menschen, die den Zweiten Weltkrieg und die Befreiung Deutschlands von der NS-Diktatur durch die alliierten Truppen erlebt hatten, standen den Besatzungstruppen auch noch in den 1980er Jahren positiv gegenüber. Franz Schneider schildert seine Erinnerungen an diese Zeit: »Ich bin einer, der den Krieg noch erlebt hat, der das Kriegsende, den Einmarsch der Amerikaner in Mutlangen als Kleinkind erlebt hat: Bomben auf Mutlangen, Verstecken im Keller, Verstecken im Wald, Angst haben vor den US-Flugzeugen und dann der Einmarsch der Amerikaner.«90 Allerdings verlief die Invasion der US-Truppen keinesfalls so schrecklich, wie die Bevölkerung befürchtet hatte. Das Gegenteil war der Fall, wie Franz Schneider mit Blick auf das Zusammenleben mit den US-Streitkräften beschrieb: »Die amerikanischen Streitkräfte waren sehr kinderfreundlich: Den ersten Kaugummi habe ich von Amerikanern bekommen; die erste Orange ist von den Amerikanern von ihren Lastwagen runtergeworfen worden zu den Kindern am Straßenrand.«91 In Anbetracht solcher Gesten sei ein positives Verhältnis zu den US-Truppen entstanden, sodass weite Teile der lokalen Bevölkerung die US-Soldat*innen schon bald nicht mehr als »Besatzungsmacht« empfanden.92 Laut Franz Schneider setzte sich beim Großteil der Bürger*innen im Umkreis die Meinung durch, dass die US-Armee aus sehr konkreten Gründen vor Ort sei: »Die Amerikaner sind hier nicht aus Lust und Tollerei, sondern ihre Aufgabe ist es, hier den Frieden für Deutschland – nicht für Amerika, den Frieden für Deutschland – zu verteidigen.«93 Es ist demnach nicht verwunderlich, dass Franz Schneider die antiamerikanischen Einstellungen vieler Friedensaktivist*innen kaum nachvollziehen konnte. Die in Schwäbisch Gmünd geborene, aber seit 1961 in Mutlangen wohnende Gabrielle Seger vertrat eine ähnliche Ansicht: »Es war selbstverständlich: Da sind Amerikaner. Es war etwas ganz Normales. Wir sind damit aufgewachsen.«94 Des Weiteren erläuterte sie, dass die meisten Bürger*innen im Ostalbkreis die Anwesenheit der US-Truppen nicht nur akzeptierten, sondern dass sich zwischen beiden Seiten ein sehr positives menschliches Verhältnis entwickelte. Im Kontext des Zweiten Kalten Krieges habe die Weltpolitik zwar die Fronten verhärten lassen, aber ihr zufolge war der Mehrheit der lokalen Bevölkerung klar: »Die Amerikaner waren immer da. Das sind nicht die Bösen.«95 Nicht nur weite Teile der Lokalbevölkerung schätzten die US-Armee, auch US-amerikanische Soldat*innen bestätigten das positive deutsch-amerikanische Verhältnis. Der von 1976 bis 1993 als Operation-Sergeant in Schwäbisch Gmünd stationierte John Baize erklärte, dass insbesondere die alteingesessene Bevölkerung starke Sympathien für die US-Armee hatte. So bekamen die US-Soldat*innen zu Zeiten der Stationierung der Pershing-I(a)-Raketen oftmals kostenlos Bier in den Gaststätten oder einheimische Bürger*innen fuhren sie freiwillig mit dem Auto zurück in die Kaserne, wenn die GIs in ihrer Freizeit auf Partys waren.96 Ein weiteres Anzeichen für das positive Verhältnis beobachtete John Baize während der Weihnachtszeit: Die US-Armee suchte für die Feiertage jedes Jahr deutsche Familien, die für das Weihnachtsfest Soldat*innen aufnahmen. Selbst während der Stationierung der Pershing-II hätten sich im Raum Schwäbisch Gmünd stets mehr Familien als nötig angeboten, die Feiertage mit den US-Soldat*innen zu verbringen.97 Großen Anteil an dem positiven Verhältnis zwischen Bürger*innen im Ostalbkreis und den US-Streitkräften hatte laut Gabrielle Seger das Alltagsverhalten der GIs, die sehr bedacht darauf waren, nicht negativ unter den Einheimischen aufzufallen. Vor allem betonte die Zeitzeugin, dass die US-Soldat*innen angenehme Mieter*innen für ihren Vater waren, der als Immobilienmakler arbeitete und Wohnungen an die US-Armee vermietete. Dieser erklärte stets: »Es waren auch die Wohnungen bei denen Du nie nachrenovieren musstest. Die sind ausgezogen; es kam ein Trupp von den Amerikanern: Die haben gepinselt, ...


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