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E-Book, Deutsch, 600 Seiten

Rötzer Narrenträume

Historischer Roman
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8392-7392-0
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Historischer Roman

E-Book, Deutsch, 600 Seiten

ISBN: 978-3-8392-7392-0
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Michel Witz träumt von einem Leben als Hofnarr, wie es sein Vater führt. Es gelingt ihm, eine Anstellung am fürstlichen Renaissancehof Herzog Wilhelms zu erhalten. Dieser feiert erst auf Burg Trausnitz in Landshut rauschende Feste und fördert später in München Künste und Jesuiten. So kommt es unweigerlich zur finanziellen Katastrophe. Um den Bankrott zu verhindern, lässt sich Wilhelm mit dubiosen Goldmachern ein, und Michel versucht es sogar mit Magie. Am Ende landet er unter dem Vorwurf der Zauberei im Gefängnis und muss um sein Leben fürchten.

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Erstes Kapitel
Die Nacht war grauenvoll. Und genau genommen war es noch immer Nacht, denn in das finstere Loch drang von außen kein Lichtstrahl, es sei denn, die Klappe in der eisenbeschlagenen Türe wurde für einen Augenblick geöffnet, um eine dünne Brühe und trockenes Brot zu reichen. Unter der Türe fiel ein handbreiter Schimmer herein, solange die Fackel im Vorraum brannte. Und wenn in quälend langen Abständen die Türe aufgestoßen wurde, dann bedeutete dies nur, dass die Schergen einen armen Tropf in die jetzt schon überfüllte Keuche stopften oder einen der Insassen zum Verhör zerrten oder gar zur Folter. Ich hatte bereits jegliches Zeitgefühl verloren und mir taten sämtliche Glieder weh, dabei war ich nicht einmal angekettet. Das Liegen wurde zur Qual, nicht nur wegen des feuchten und kalten Bodens, sondern wegen der drangvollen Enge. Bald stieß mir der Leinweber von links das Knie in die Rippen, bald wurde die Strohschütt feucht, weil einer der Umliegenden unter sich gelassen hatte, sei es aus Angst oder Notdurft. Der einzige Luxus dieser Herberge war ein rostiger Kübel, den in der Dunkelheit zu finden und nicht umzustoßen ein Glücksspiel war. Ich kauerte an der rauen Wand in der Hocke, den Kopf auf die Arme gelegt, und versuchte, den üblen Gestank von Angstschweiß, Urin und Erbrochenem zu ignorieren und die Schreie und das Stöhnen der armen Teufel, die schon durch die Folter gegangen waren, so gut es ging auszublenden. Das Schlimmste von allem aber war die Ungewissheit. Was überhaupt würde man uns zur Last legen, und was würde die Strafe sein? Schon Fluchen konnte einem ja in diesen Tagen zum Verhängnis werden. Ich fragte mich, ob es Vor- oder Nachteil war, dass ich nicht mehr im herzoglichen Dienst stand, denn als Angehöriger des Hofs unterläge ich jetzt nicht städtischer Gerichtsbarkeit. Man hätte mich nicht hier in der Keuche unter dem Rathaus einsperren können, sondern vermutlich nur im Falkenturm nahe der herzoglichen Residenz. Doch andererseits bedeutete die Inhaftierung im Falkenturm meist die Anschuldigung des Hochverrats oder der Hexerei, und das ging in der Regel nicht gut aus. Mein Leben zog in Gedanken an mir vorbei in teils prachtvollen, teils düsteren Bildern. Ich hatte als Narr am Hof des bayerischen Herzogs viele Freiheiten gehabt, nahm Teil an rauschenden Festen, hatte zu jeder Zeit Münzen in der Tasche und fand ein gewisses Ansehen und Beachtung. Aber ich war auch beteiligt an Ränkespielen und Intrigen und jagte in eitler Selbstgefälligkeit vielen Dingen vergeblich nach. Auf der verblendeten Suche nach trügerischem Narrengold war ich augenblicklich dem Henker näher als erhofftem Ruhm und Erfolg. Sollte dies nun das schäbige Ende sein? Es war alles ganz schnell gegangen. Montags – es war ein Maientag – hatte ich noch in guter Erfüllung meiner Christenpflicht in Sankt Peter die Pfingstmesse gehört, tags darauf forderten die Schergen ungestüm Einlass in das Haus des Prokurators Alexander Secundus Freisinger … Doch gemach und alles der Reihe nach. Es ist erst wenige Monate her, da hatte ich genug von all dem Blenden mit hohlen Worten und Lügen, war meines elenden Daseins überdrüssig und dachte ans Sterben. Und das im Heiligen Jahr – welch böser Witz! Papst Clemens hatte es in Rom und aller Welt mit großem Pomp verkündet, doch es verlief genau so erbärmlich wie der Zeiten Lauf davor. Wenn einer in diesem Gnadenjahr 1600 nach Christi Geburt sein irdisches Dasein rechtschaffen beende, so war die vollmundige Verheißung, dürfe er sogleich an der ewig währenden himmlischen Jubelfeier mit Christus dem Herrn teilnehmen. Doch mir war diese Gnade offensichtlich nicht beschieden – ich bin verdammt zum Leben. Als die aufgeblasene Zeitenwende zu Ende ging, verblieb zwar in Rom die Fülle der gespendeten Dukaten, in mir dagegen nur die Leere meines unseligen Daseins. Ich will aber nicht ungerecht klagen, und keiner soll sagen, Michel Witz, Sohn des Mertl Witz und ehemals fürstlicher Narr in Ehren und Brot, könne sich wegen seines persönlichen Grams nicht mehr ergötzen an den Absonderlichkeiten menschlicher Natur im Allgemeinen und der von Gott bestellten Obrigkeiten im Besonderen. An einem schönen Februartag dieses Heiligen Jahres gaben sich beispielsweise die Römer alle Mühe, dem neuen Säkulum mit einer lebenden Fackel den rechten Glanz zu verleihen, indem sie den lästigen Mahner Giordano Bruno auf dem Campo di Fiori zu Asche verbrannten. Er mag ein trotziger Wirrkopf gewesen sein, aber ich stimme seiner Vermutung zu, dass die Welt und die Menschheit ein einmaliger Unfall sind. Untröstlich finde ich allerdings seine Vorstellung, dass das Weltall unendlich sei, weil dann ja auch der Himmel keinen gebührenden Platz darin fände, was selbst mir der Narretei zu viel erscheint. Und in der hiesigen Residenzstadt München setzte man jüngst ebenfalls ein leuchtendes Zeichen, indem der Henker und seine Knechte am Festtag der heiligen Martha die landfahrende Familie der Pappenheimer aufs Grausamste hinschlachteten, nachdem eifernde Hofräte sie unerbittlich der Hexerei beschuldigt hatten. »Seht ihr nicht die Zeichen, die sich mehren«, schallt es von den Kanzeln. »Der Allmächtige wendet sich von seiner Schöpfung ab und ihre Tage sind gezählt, denn kein Jahrhundert zuvor hat solche Fülle an Mirakeln und monströsen Abnormitäten gesehen, seien es Schweifsterne, blutiger Regen, Verfinsterung der Gestirne oder Erdbeben, Fluten und missgestaltete Homunculi.« Die Sternkundigen und Unheilspropheten hatten vor Jahren schon eine große Konjunktion der Planeten Mars, Jupiter und Saturn im feurigen Dreieck angekündigt und gedroht: »Sie wird das letzte große Feuer entzünden, mit dem der Allmächtige die Welt verbrennt.« Es muss ein elend schwaches Flämmchen gewesen sein, denn als einzig beklagenswert erinnere ich nur die maßlose Verteuerung von Brot und Bier. Überhaupt will mir scheinen, dass es mit den Weissagungen oft sehr wunderlich zugeht, denn unter einer großen Konjunktion wurde schließlich auch Christus geboren und Karl der Große gekrönt, und ein anderes Mal schwemmte die große Sintflut das Menschengeschlecht hinweg. Es ist also merkwürdig unbestimmt, ob das Wirbeln der Gestirne zum Guten oder zum Schlechten ausschlägt. Dagegen besteht kein Zweifel, dass die Schöpfung ihrem Verfall durch schleichende Altersschwäche entgegengeht, verspüre ich’s doch schmerzlich am eigenen Leib. »Seht doch«, mahnen die Sterndeuter, »die Sonne scheint oft blutrot und öfter noch ungewöhnlich trüb. Die Gestirne verlieren zusehends ihren Glanz und ihr klares Licht. Das Himmelsgewölbe ist kurz vor dem Einsturz.« Man könne die Schwäche der Schöpfung auch daran erkennen, dass im goldenen Zeitalter das Leben der Menschen noch tausend Jahre währte, was die Genesis für Adam und Methusalem bezeugt. Dagegen sei die Lebensspanne in unseren Tagen kaum noch auf fünfzig oder sechzig Winter bemessen. So sitze ich also hier an der Schwelle meines sechsten Jahrzehnts, matt in den Gliedern, müde im Geist. Ein kostbarer Ring als Erbstück meines Vaters reichte eben hin, um mich als einfachen Pfründner im Heilig-Geist-Spital einzukaufen. Während einstmals eine weitläufige Residenz mein Reich war, friste ich nun mein karges Dasein in einer winzigen Zelle und hoffe, nicht eines Tages in der Narrenkeuche zu enden, aus der die Schreie der Armen im Geiste, die elend in Ketten und auf Stroh gehalten werden, zu mir herüberdringen. Ihren Wahnsinn kann auch die Heilkraft der Nieswurz nicht mehr kurieren. Ich mühe mich deshalb, selbst in tiefster Verzweiflung nicht der lähmenden Schwermut Acedia zu verfallen, der Todsünde wider den Heiligen Geist, durch die die Mönche in ihren winzigen Zellen jegliche Lust nach Betätigung verlieren und damit auch das Verlangen nach dem Himmelreich. Aber ist es verwunderlich, dass einen inmitten all der Siechen hier Traurigkeit überfällt, wenn statt Orlando di Lassos Wohlklängen nur schauerliches Gebrüll und Wehklagen an das Ohr dringen, wenn statt erfrischender Stegreifkomödie nur noch die lahme Litanei von Furunkel und Zipperlein aufgeführt wird und wenn einen ohne die genialen Fresken von Meister Sustris die Wände nur noch kahl und grau anglotzen? Bis zum Herbst vor gut drei Jahren war ich am Hof wohlgelitten. Doch dann entsagte Herzog Wilhelm der Regierung und zog sich frömmelnd aufs Altenteil zurück. Ob ihn die erdrückende Schuldenlast, seine Schwermut oder die Einflüsterungen der Jesuiten dazu drängten – mir ist’s egal. Auf sein nobles Weihnachtsgeschenk ist jedenfalls gepfiffen, denn am 23. Dezember 1597 wurde Wilhelms Sohn Maximilian mit dem bayerischen Herzogtum belehnt, und der ist von gänzlich anderer Wesensart. Mit ihm fand die fröhliche Narretei am fürstlichen Hof ein jähes Ende. Dafür blüht sie jetzt umso üppiger im ganzen Land, freilich trist und sauertöpfisch von der Obrigkeit verordnet, denn fortan muss ein jeder beim Türkenläuten wieder niederknien zum Gebet, schon Fluchen kann ein Stelldichein mit dem Henker bewirken, und zur Fastnacht wurde jüngst selbst die lustige und unschuldige Mummerei wieder verboten. Wenn ich es recht bedenke, liegt meinem Elend und Überdruss am Leben kein körperliches Gebrechen zugrunde, und die Schwäche an Leib und Gliedern ließe sich mit etwas Speck in der Kohlsuppe und knusprig gebratenem Huhn leicht kurieren. Es scheint mir mehr ein Übermaß an schwarzer Galle, ein schädliches Ungleichgewicht meiner Körpersäfte, so verdrießlich aufs Gemüt zu schlagen. Dagegen wächst kaum...


Rötzer, Richard
Der in München geborene Richard Rötzer studierte zunächst Geschichte, nachfolgend Medizin. Bereits neben seiner klinischen Tätigkeit schrieb er historische Romane. Er lebt als freier Autor in Rosenheim.



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