E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Piper Schicksalsvoll
Röhrig Übergebt sie den Flammen!
14001. Auflage 2014
ISBN: 978-3-492-98071-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Piper Schicksalsvoll
ISBN: 978-3-492-98071-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kein Autor kombiniert pralles Sittengemälde und sorgfältig recherchierten Historienroman so glanzvoll wie Tilman Röhrig - ein historischer Roman während der Reformation Feuer! Die Schriften Luthers brennen. Für den Seminaristen Johan wird dieses Erlebnis zum Wendepunkt in seinem Leben. Aus dem braven Priesteranwärter wird ein furchtloser Anhänger Luthers, der sich von niemanden mehr etwas vorschreiben lässt. Als er Wendel begegnet, die nach dem Tod ihres Vaters mutig allein dessen Werkstatt führt, verliebt sich Johan auf der Stelle in sie. Gegen alle äußeren Widerstände heiraten sie - und müssen nach Münster flüchten, der Hochburg der Wiedertäufer. Doch auch hier droht ihnen Gefahr.
Tilman Röhrig, geboren 1945, lebt in der Nähe von Köln. Der ausgebildete Schauspieler ist seit über vier Jahrzehnten als freier Schriftsteller tätig. Die größten Erfolge brachten ihm seine historischen Romane, die allesamt Bestseller und vielfach übersetzt wurden. Für sein literarisches Werk erhielt der Autor, dessen lebendige Lesungen begeistern, zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Großen Rheinischen Kulturpreis.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Novembernebel, vermischt mit dem Gestank des Hafens, ein schwacher Südost trieb die schweren Schwaden, vollgesogen mit fauligem Fischgeruch, bis zum Domplatz hinauf. Der Holzstoß, größer als sonst, kein Pfahl in der Mitte, nichts war wie sonst. Nur die Tribüne war fest gezimmert, hoch und breit wie immer, doch sie stand am falschen Platz. Entweder an den Heumarkt, besser noch auf Melaten vor der Stadt, dorthin gehörte sie an solch einem Tag, und nicht direkt vor das Angesicht des Kölner Doms. »Bis ich das begreife!« Christoff Heftrich spuckte in den Scheiterhaufen. Früh war es noch, gerade grau, mit Nebel begann der Novembermorgen noch später als sonst. Zwei Schritte, sein rechter Stiefel traf einen Bettler in den Leib. Der Alte krümmte sich auf dem Boden, kroch erst und schlich zu der lauernden Gruppe zurück. »Bis ich einen von euch hier brate mit einem Stock im Arsch wie eine Sau!« Als Antwort feixten die Bettler, drohten mit ihren Knüppeln. Ein Holzscheit von diesem Stoß! Die Nächte waren wieder klamm bis in die Lumpen, wurden kälter. Holz vom Stoß, das müsste heizen, Höllenglut im Ofen! Das zu stehlen war eine Mutprobe, fast ein Spiel mit dem Bösen. Nie war es gelungen, bis heute nicht, vielleicht schon beim nächsten Versuch. »Nicht bei mir!« Christoff Heftrich zeigte ihnen die Fäuste. »Blutschinder! Hanss! Hanss!«, schrien sie. Ihr Spott hetzte seinen Atem, er bleckte die Zähne und biss sich auf die Knöchel. Die Lücke links neben den großen Zähnen machte aus seinem Gesicht bei jedem Wutgrinsen, auch jedem Lachen, eine Fratze. Durch diese Lücke spuckte er über die kleine Flamme des Feuertopfs zu den Bettlern hin. Kein Speichelgeschoss, die Zunge trieb einen langen Strahl, und stets führte sein Mund viel Wasser. Unter dem braunen Mantelumhang trug er das ärmellose Wams aus weißem Schafspelz, sein Winterfell, darunter Rot, vom Halsrand bis zu den Handgelenken, bis zur Hüfte, eng, nach unten im gleichen Rot die Hose, eng bis in die Stiefel. Heute sollte es nicht so heiß werden, nicht durchs Feuer und nicht von innen her. »Was soll ein Scheiterhaufen, wenn kein Mensch verbrannt wird? Bis ich das begreife!« Er solle den Haufen schichten, langes Holz und viel Stroh. Gut brennen solle es, mehr war ihm vom Greven nicht gesagt worden. Vorsorglich hatte Christoff Heftrich seinen Huren verboten, ihn heute bei der Arbeit zu beobachten, selbst denen, die im letzten Monat nicht gezahlt hatten. Sonst war es schon nützlich, den Weibern die Kraft zu zeigen. Nicht nur mit Feuer oder dem schnellen Würgegriff. Das Schwert schlägt den Kopf ab. Das macht Eindruck, wenn das Blut aus dem Rumpf schießt, der Kopf auf die Stange gespießt wird wie beim Fest des heiligen Martin eine ausgehöhlte Rübe. Das machte die Weiber still und gehorsam. Die schönste Lust pulst erst, wenn Angst das Fleisch willig macht. Seine Weiber! Schließlich war er der Henker von Köln, schließlich war er der Beschützer der Huren. Die rechte Hand glitt in den Umhang, tastete unter das Schafsfell, mit den Fingerkuppen rieb er den roten Stoff über dem Zeichen, seinem Mal. Ein Blutschwamm, der neben dem Herzen begann und zwei Handteller breit bis unter die Achseln wucherte. Das Mal des Satans. Er, der Henker von Köln, war gezeichnet. Niemand durfte es sehen, dafür sorgte er. Niemand, außer seiner Lisbeth, doch die war stumm. Heftrich zog die Hand zurück und fuhr sich über die Lippen, dicke wulstige, nicht rote, eher wie geronnen, manchmal mehr blau. Seine Nase spreizte sich breitflügelig unter den Augen, die weiß und geädert bis zu den schwarzen Punkten wie nachträglich angebracht schienen, an den Lidern verklebte Wimpern, und hätte er die rote Kappe abgezogen, wäre die Kopfhaut unbedeckt, nur Haut. Schön war er nicht. An den Henker denkt man, schaut ihm aber nicht ins Gesicht. Die Dirnen konnte er zwingen, ihn anzusehen, das bereitete ihm Lust, und für die Verurteilten, nach der Folter, auf dem Weg zur Hinrichtung, war er längst kein menschliches Wesen mehr. Er führte die Hand Gottes, und den Gepeinigten war er der Schreck vor dem Schrecken. Immer noch keiften die Bettler, wagten sich näher, sprangen zurück und bellten ihn an. Christoff ließ die gespreizte Hand wie ein Hackmesser niedersausen. »Zack!«, flüsterte er. Weit streckte er beide Arme aus, schloss Hand um Hand, führte sie langsam zurück an der rechten Schulter vorbei, drehte den Oberkörper, dehnte sich nach rechts, ohne die Füße zu bewegen, bis zum äußersten Punkt, dann gab er die Kraft frei, waagerecht zerschnitt er die Luft, den Schwung der Pirouette fing er mit einem Schritt zur Seite auf, wie es Tänzern gelingt. »Zack«, und noch leiser: »Das bin ich.« Sofort verstummten die Bettler, als wäre ihnen der Schnitt durch die Mäuler gefahren. Und als wäre der Schnitt ein Signal gewesen. Aus dem Dunst der Torbögen und Straßenlöcher kamen Menschen, unten aus der Gasse neben der Hacht, dem Gefängnis, vom Hafen und von Norden aus der Schmier, dieser langen Straße der Bettler, Wirtshäuser, Kramhändler und Studenten, aus den Ecken und Winkeln des Doms, als hätten sie dort auf das Zeichen gewartet, auch aus den Straßen der feineren Häuser kamen sie in Scharen gelaufen, von überall her. Der Nebel hatte den Domhof freigegeben. Fest vermummt in Mänteln oder Jacken näherten sich die Bürger dem riesigen Holzstoß. Ihre Stimmen blieben halblaut, wenn ein Kind lachte, dämpfte die Hand der Mutter den Lärm, fügte ihn in das gleichmäßige Raunen. Dichter rückte das Volk um den Scheiterhaufen. Christoff stellte sich vor den Feuertopf, niemand durfte ihn umstoßen, später sollte die Flamme das Holz entzünden. Durch die Menge bahnten sich Büttel und Gewaltdiener einen Weg, blieben keuchend vor dem Henker stehen. »Bis ihr zu euerm eigenen Begräbnis zu spät kommt!«, fauchte Heftrich. »Bald muss es neun Uhr sein. An die Arbeit, schafft Platz!« Grob drängten die Gewaltdiener gegen die Wartenden. Ihre zweigespitzten, zweifarbigen Hüte gaben ihnen Respekt, mit den Fäusten halfen sie nach. Schnell wichen die Gaffer zurück, ein weiter Kreis entstand, ihn spalteten die Lanzenschäfte und öffneten eine breite Gasse bis zur Tribüne hin. Der Blick war frei. Christoff lächelte. Federhüte, fremde Farben, galante Waffen an den Gürteln, Hände ruhten auf schräg gestellten Stöckchen, neben der Holztreppe warteten feine fremde Herren. Meine Gäste. Noch vor zwei Wochen waren sie in Aachen gewesen. Unser hoher Herr selbst hatte dem Kaiser die Königskrone aufgesetzt. Hoch lebe unser Erzbischof Hermann! Nach der Krönung war der Kaiser mit seinem Gefolge in Köln eingezogen. Jetzt sind sie zu mir gekommen, nicht der Kaiser, auch nicht unser Erzbischof, aber die vornehmen Hofherren, sie sind gekommen. Sie werden mich sehen, und sie werden dem Kaiser von mir erzählen. »Schad, dass ich meinen guten Schlag nicht zeigen kann.« Von allen Türmen her setzte Läuten ein, Glockensturm, und Köln wurde von vielen Kirchen beherrscht. Dem Zug vorweg trabten zwei Reiter auf den Domhof, Stadtsoldaten, Blashörner in den Händen. Mit gewichtigen Schritten erschienen die Vornehmen der Universität, alle nach ihrer Würde gekleidet, gefolgt von den Männern des Domkapitels mit wichtigen Mienen und den Ratsgesichtern der Stadt, zum Schluss die Studenten, alle unter ihren dunklen Kapuzen. Nur der Inquisitor Jakob von Hochstraten und der Kanzler der Universität, nur die Würdigsten von Kirche und Stadt stiegen auf die Tribüne, im Spalier ordneten sich unten die Dekane und Professoren, den freien Raum bis zur Volksmenge füllten die Studenten. »Das war noch nie!« Aufgerichtet stand der Henker neben seinem Holzstoß, stemmte eine Hand in die Seite, stand da. Davon hatte er geträumt, von einer Hinrichtung im Angesicht aller Herrschaften. Mit einem Seitenblick prüfte er den Feuertopf. Ruhig flackerte die Flamme, daneben lag seine Pechfackel. »Wird nicht zu feucht sein«, beruhigte er sich. Der Nebel war gestiegen, bis zu den Häusergiebeln hatte sich der Vorhang gehoben, sein loser Saum verhüllte noch die stumpfen Türme des Doms, hing dicht über dem Portal, diesem aufgesperrten Fischmaul, oben kleine gezackte Baldachine über den Aposteln, Heiligenzähne, und unten der Schlund. Die Glocken verstummten. Zwei Studenten schleppten einen Korb heran und stellten ihn, für alle sichtbar, vor die Tribüne. Angestrengt kniff Heftrich die Augen zusammen. »Bis ich das begreife!« Er wollte spucken, besann sich, doch seine Zunge war schon halb auf dem Weg, und Speichel rann ihm über das Kinn, den Hals hinunter. Der Beauftragte des Erzbischofs hob beide Hände, nicht um das Volk zu segnen, nur, bis die Menge schwieg. »Der Heilige Vater in Rom hat seinen Bann geschleudert!« Schweigen, bis der Satz in die Menschen eingedrungen war. »Die heilige Kirche gegen Martin Luther. Dieser Ketzer, Aufrührer. Thesen des Teufels. Schriften. Bann! Bann! Er hat nicht widerrufen! Verdammung. Ins Feuer mit Schriften, Büchern, Ideen. Der 12. November 1520. In Köln wird es keine Ketzer geben!« Christoff Heftrich verstand nichts, auch die Leute in seiner Nähe begriffen nicht. Weiter vorn nickten die Studenten und Professoren, vor der Tribüne stimmten alle zu, selbst die Stadträte schienen zu wissen, worum es ging. Mit den Augen kehrte Heftrich zu den Studenten zurück. Ein Gesicht fiel ihm auf, der junge Mann hielt die Lippen fest aufeinandergepresst. Erstaunt suchte der Henker, entdeckte dort wütende Augen, und da Hände, die sich in Stoff krallten. Empörung, Christoff kannte solche Gesichter. Was geht es mich an? Noch geht es mich nichts...