Roehrig | Keiner sagt die Wahrheit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Roehrig Keiner sagt die Wahrheit


Deutsche Erstausgabe
ISBN: 978-3-641-23490-4
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-641-23490-4
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sein Ex hat ihm das Herz gebrochen, seine Schwester braucht seine Hilfe und ein Mörder ist auf freiem Fuß
Rufus erlebt die schlimmste Nacht seines Lebens. Erst taucht sein Ex-Freund Sebastian auf, der ihm das Herz gebrochen hat, und will reden. Und dann ruft seine Schwester April an, dass sie seine Hilfe braucht. Sebastian und Rufus finden sie blutverschmiert mit einem Messer in der Hand, neben ihr liegt ihr toter Freund. April schwört, dass sie es nicht war, und fleht ihn an, ihr zu helfen. Rufus hat eine Nacht, ihre Unschuld zu beweisen, und gerät dabei selbst in tödliche Gefahr ...

Caleb Roehrig ist Autor und TV-Producer. An chronischem Fernweh leidend, hat er bereits in Chicago, Los Angeles und Helsinki gelebt. Er hat über dreißig Länder bereist und kann Empfehlungen abgeben, wie man trotz eines bescheidenen Budgets die schönsten Orte zu sehen bekommt. Heute lebt er mit seinem Mann in Los Angeles.
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1

DIE LEITUNG IST TOT. Die plötzliche Stille in meinem Ohr ist so absolut, so unheilvoll, dass mir ein kalter Adrenalinstoß trotz der stickigen, schwülen Nachtluft Gänsehaut verursacht. »Hallo?«, sage ich idiotischerweise und merke, wie aufgewühlt ich klinge. »Bist du noch da?« Ein kurzer, sinnloser Blick auf das Display bestätigt mir, dass die Antwort natürlich »Nein« lautet.

»Was ist?«, fragt der Junge hinter mir, er scharrt mit seinen uralten Chucks auf dem rauen Straßenpflaster. Sebastians »Glücksschuhe« sind so zerfleddert, dass sie buchstäblich auseinanderfallen, durch die ausgefransten Löcher in dem grau gewordenen Segeltuch sieht man seine dunklen Socken. Früher fand ich das süß. »Wer war das?«

Ich wedle gereizt in seine Richtung, um ihn zum Schweigen zu bringen, während ich die Nummer mit meinem Handy zurückrufe. Es klingelt mehrmals, aber niemand nimmt ab. »Komm schon«, bettle ich laut. »Geh schon ran, verdammt noch mal.«

»Rufus, wer war das?«, wiederholt Sebastian, als ich es frustriert aufgebe, das Handy wieder in meine Hosentasche stecke und mich zu ihm umdrehe. Seine weit aufgerissenen, dunklen Augen sind voller Sorge und das macht mich wütend. Er hat kein Recht, sich um mich zu sorgen – nicht jetzt, nicht nach allem, was er getan hat –, aber auf einmal bin ich zu beunruhigt und verunsichert, um, wie noch vor ein paar Minuten, berechtigten Zorn zu empfinden.

»April«, antworte ich steif und ärgere mich kurz über mich selbst, weil ich auf seine Frage reagiere. Warum antworte ich ihm eigentlich? Mein Leben geht ihn nichts an. Nicht mehr.

»Deine Schwester?« Fassungslos zieht er die Nase kraus und die Augenbrauen zusammen. Es ist ein vertrauter Anblick, und auch das fand ich früher süß an ihm – früher, bevor er mir das Herz gebrochen hat.

»Eine andere April kenne ich nicht.«

»Warum hat sie dich angerufen?« Er will keine Zusammenfassung unseres Gesprächs. Ihn verblüfft die bloße Tatsache, dass mich meine Schwester überhaupt angerufen hat – und ich bin genauso überrascht wie er.

April ist gerade mal zehn Monate jünger als ich, sie fünfzehn, ich sechzehn, trotzdem kennen wir uns kaum. Ich bin nur rein formal ihr Bruder und man kann uns nicht einmal als Freunde bezeichnen; Freundschaft ist etwas, was unser Vater Peter Covington II, ein kontrollsüchtiger, aufgeblasener Wichtigtuer, niemals zwischen uns dulden würde. Und auch wenn es mir persönlich scheißegal ist, was der heuchlerische Arsch duldet und was nicht, will ich mit keinem der Covingtons auch nur das Geringste zu tun haben.

April jedoch hat so eine Art, sich einem ins Herz zu schleichen, egal wie viele Hindernisse man ihr in den Weg legt. Sie ist geht auf andere zu, ist immer gut drauf und traut sich was, und bisher hat es noch keine Regel gegeben, bei der April Covington nicht ein Schlupfloch gefunden hätte. Sie hat etwas Liebenswertes an sich, was ihr nicht einmal ihre gefühlskalten Eltern austreiben konnten – und garantiert haben sie sich nach Kräften bemüht. Allerdings ist es Peter und seiner Frau Isabel gelungen, ihr ein paar schlechte Eigenschaften mitzugeben; und daher ist April, so liebenswert sie auch sein mag, zuweilen durchaus berechnend, manipulativ und verzogen. Mit ihr zusammen zu sein, hat meistens seinen Preis, und ich bin ziemlich sicher, dass sie gerade angerufen hat, weil ich ihr noch was schuldig bin.

»Sie ist in Schwierigkeiten«, höre ich mich zu Sebastian sagen. Es klingt absurd distanziert, meine Gedanken überschlagen sich bereits, während ich mir zu überlegen versuche, was ich jetzt tun soll. »Sie – sie braucht meine Hilfe.«

»April braucht deine Hilfe.« Er wiederholt die Worte, um sie abzuwägen, kann sich jedoch genauso wenig einen Reim darauf machen wie ich. Und dennoch hat sie das vor nicht einmal zwei Minuten zu mir gesagt.

»Hallo?« Mein Ton war verärgert, meine Geduld schon recht strapaziert, als ich den Anruf annahm. Kaum hatte ich es getan, bereute ich es bereits – wünschte mir, ich hätte einfach zu der wütenden Tirade angesetzt, mit der ich Sebastian gerade überziehen wollte.

Es folgte eine seltsam geräuschvolle Stille, ein raschelndes Nichts in der Leitung, das langsam von flachen, angestrengten Atemzügen abgelöst wurde. Schließlich, als ich das Ganze schon für einen Streich hielt: »Rufus?«

Ihre Stimme zitterte, klang wie von weit weg, mein Name rutschte in ihrem Mund herum wie ein Eiswürfel, und im Nu war mein Ärger verflogen. »Ja, ich bin dran. Was … Was ist denn?«

»Rufus«, wiederholte sie quengelig. Wieder hörte ich ihren Atem – gepresst und unnatürlich – und dann ihre wie von weit weg klingende Stimme. »Ich brauche … ich brauche Hilfe, Rufus.«

»Wovon redest du? Was ist los?«

»Ich bin … in Fox’ Cottage«, machte sie weiter, die Worte kamen unzusammenhängend, stockend heraus, als kostete es sie eine enorme Anstrengung, sie aneinanderzufügen. »Im Cottage von Fox’ Eltern. Du musst mir helfen. Bitte.«

»Was ist passiert?«, fragte ich. Mein angeborener Argwohn gegen alles, was mit den Covingtons zu tun hat, machte es mir schwer, den Anruf meiner Halbschwester für bare Münze zu nehmen. »Sag mir, was …«

»Du bist der Einzige, dem ich vertrauen kann!«, platzte sie schrill heulend heraus und wimmerte: »Du musst kommen, Rufus. Du musst! Bitte versprich es … versprich es mir.« Darauf folgte wirres Gefasel, eine Aneinanderreihung von Unsinn, als würde sie rückwärts sprechen, und schließlich: »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe solche Angst. Ich glaube, ich … HILF MIR!«

Und dann war die Leitung tot.

Ich gebe Sebastian eine grobe Zusammenfassung, eigentlich will ich es ihm nicht erzählen, bin aber zu aufgeregt, um es nicht zu tun. Wir stehen vor seinem Auto, die bernsteinfarbene Straßenlampe taucht sein unverschämt schönes Gesicht in Sepiatöne und in der schweren, stehenden Luft um uns herum riecht es nach Schwarzpulver. Einen Häuserblock weiter veranstaltet meine beste Freundin, Lucy Kim, ihre Party zum 4. Juli mit Feuerwerk und allem Drum und Dran; das ist unser jämmerlicher Versuch, all den kultigen Hollywood-Teenagerfilmen gerecht zu werden, in denen abwesende Eltern und eine Menge Bier genügen, um einer Handvoll quirliger, liebenswerter Underdogs eine unvergessliche, alles verändernde Nacht zu bescheren. Wir haben es allerdings bisher nur geschafft, eimerweise Kotze und ein paar Brandflecken auf dem Sofa zu produzieren, für die sich Lucy eine gute Erklärung überlegen muss, wenn Mr und Mrs Kim am 6. Juli aus Boston zurückkehren.

»Was willst du tun?«, fragt Sebastian besorgt. Er kommt näher, als wollte er mich berühren, und ich trete einen Schritt zurück. Er nimmt die Abfuhr zur Kenntnis und hält inne, doch seine Augen sind weiter auf meine gerichtet, und in seinem Blick liegt genug Gefühl, um etwas in meinem Innern zu wecken, dem ich eigentlich längst einen Pfahl ins Herz getrieben hatte.

»Ich weiß es nicht«, murmle ich und sehe zu Lucys Haus hinauf, um seinem Blick auszuweichen. Ich höre Rufe, Musik und Lachen, und von irgendwo am See knallen immer noch gelegentlich Feuerwerkskörper. Es ist fast zehn … Gibt es auf der Party überhaupt noch jemanden, der nüchtern ist? »Ich weiß es ni… vielleicht sollte ich Peter anrufen.«

»Euren Dad?« Dieser Vorschlag verwirrt ihn noch mehr als Aprils Hilferuf an mich. »Ist das eine gute Idee?«

»Nein«, gebe ich zu und merke, wie ich rot werde. »Aber was soll ich sonst machen? Ich habe kein Auto, alle meine Freunde sind stockbesoffen, und ich habe keinen Schimmer, wo April eigentlich ist. Dieses Cottage von Fox’ Eltern, wo zum Teufel soll das sein? Es könnte überall sein!«

»South Hero Island«, antwortet Sebastian prompt. Klar, er weiß es natürlich. »Ich war ein paarmal dort. Von hier ist es nur so eine halbe Stunde – ich fahre.«

»Nein, danke«, sage ich kühl, mit dem Rest Würde, den ich zusammenkratzen kann, auch wenn ich mir offensichtlich gerade ins eigene Fleisch schneide – ein stillschweigendes und peinliches Eingeständnis, dass es mir immer noch wehtut. Dass ich nicht darüber hinweg bin.

»Wie kommst du dann hin?«

»Ich lasse mir was einfallen.«

»Ach ja?«, fragt er herausfordernd, und endlich macht sich ein Anflug von Ärger unter seiner ewig coolen Fassade bemerkbar. »Willst du zu Fuß raus auf die Insel laufen? Und bei jedem Haus an die Tür klopfen, bis du April findest?« Er tritt einen Schritt zurück und zeigt auf seinen anderthalb Meter entfernt geparkten Jeep. »Mein Auto steht da und ich kenne den Weg. Wenn du mich anbrüllen willst, und das seh ich dir an, kannst du es unterwegs tun, dann schlägst du zwei Fliegen mit einer Klappe.«

Diesen Vorschlag unterstreicht er mit einem verwegenen Lächeln – jenem verschlagenen Wolfsgrinsen, das in allen vier Jahrgangsstufen der Ethan Allen High die Herzen zum Schmelzen bringt und für erotische Fantasien sorgt –, und ich wappne mich gegen seine beängstigende Macht, indem ich mein Herz mit einem dicken Eispanzer überziehe. Ein ängstlicher Blick auf mein Handy sagt mir jedoch, dass die Uhr bereits tickt; ich habe keine Ahnung, welche Art von Hilfe April braucht, wie ernst ihre Lage ist, und ob ich mir die Zeit nehmen kann, noch mal auf Lucys Party zu gehen und dort nach jemandem zu suchen, der nüchtern genug ist, um mit mir einen halbstündigen Ausflug zum Lake Champlain zu...


Horn, Heide
Heide Horn, geboren in Oberfranken, hat durch eine Brieffreundschaft in Australien eine zweite sprachliche Heimat gefunden. Als Mitglied im Kollektiv Druck-Reif übersetzt sie seit über fünfundzwanzig Jahren Romane und Biografien aus dem Englischen.

Roehrig, Caleb
Caleb Roehrig ist Autor und TV-Producer. An chronischem Fernweh leidend, hat er bereits in Chicago, Los Angeles und Helsinki gelebt. Er hat über dreißig Länder bereist und kann Empfehlungen abgeben, wie man trotz eines bescheidenen Budgets die schönsten Orte zu sehen bekommt. Heute lebt er mit seinem Mann in Los Angeles.

Prummer-Lehmair, Christa
Christa Prummer-Lehmair lebt in München und übersetzt seit fünfundzwanzig Jahren Belletristik, Sachbücher und Jugendliteratur aus dem Englischen. Sie liebt Literatur, Kunst, Musik und hat mit Büchern die Welt bereist.



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