Röhrig | Die Schatten von Sherwood | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Reihe: Piper Schicksalsvoll

Röhrig Die Schatten von Sherwood

Historischer Roman
14001. Auflage 2014
ISBN: 978-3-492-98040-1
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Historischer Roman

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Reihe: Piper Schicksalsvoll

ISBN: 978-3-492-98040-1
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als der Wilddieb John Little Zeuge wird, wie die Schergen des Sheriffs von Nottingham sein Dorf auslöschen, flieht er mit der einzigen anderen Überlebenden: seiner Adoptivtochter, der kleinen Marian. Zusammen suchen sie Schutz im Sherwood Forest, aber auch dort lauern Gefahren: Der Räuber Robin Hood greift sie auf, doch ist er nicht der schillernde Held, für den er gehalten wird ...

Tilman Röhrig, geboren 1945, lebt in der Nähe von Köln. Der ausgebildete Schauspieler ist seit über vier Jahrzehnten als freier Schriftsteller tätig. Die größten Erfolge brachten ihm seine historischen Romane, die allesamt Bestseller und vielfach übersetzt wurden. Für sein literarisches Werk erhielt der Autor, dessen lebendige Lesungen begeistern, zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Großen Rheinischen Kulturpreis.
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I

WESTFRANKREICH. SCHLOSS CHINON.

»Der König ist tot.«

Geflüster durch lange Gänge, an Zimmern und Sälen vorbei. Schon gelangte es hinunter zur Küche, von dort aus sprang es in die Kammern der Mägde, Knechte und Diener. Noch ehe die Nachricht am 6.Juli 1189 den Schlosshof verlassen hatte, fiel das Gesinde über den herrschaftlichen Hausrat her. Leuchter, Möbel, Samt, das silberne Tafelgeschirr, was sie tragen konnten, rafften die Gierigen an sich und schafften es fort. Sie drangen ins königliche Gemach ein und beraubten den Verstorbenen aller Ringe und Ketten, selbst die Kleider rissen sie ihm vom Leib.

Totenstille.

Nach Stunden endlich trafen einige der noch fürstentreuen Vasallen ein, sie stürmten durch ausgeplünderte Säle und starrten entsetzt auf das Sterbelager. Heinrich Plantagenet, König von England und Herrscher über die westlichen Länder Frankreichs, Heinrich II., der im Leben so mächtige Normannenfürst, lag, halb aus dem Bett gezerrt, nackt und reglos vor ihnen.

Die Getreuen brachten neue Gewänder, kleideten den Toten und legte seine Hände auf der Brust zueinander. Jetzt erst riefen sie laut: »Der König ist tot!«

ENGLAND. LONDON.

»Es lebe der König!«

Zwei Monate später war die große Stadt an der Themse geschmückt. Kopf an Kopf wogte die Menge auf den Straßen zwischen St.Paul’s Cathedral und Westminster. Nicht allein die Bürger Londons hatten ihre Hütten und Häuser verlassen. Aus allen Teilen Englands waren sie in den vergangenen Tagen zu Pferd, mit Kutschen, Karren oder zu Fuß gekommen, Kaufleute und Bettler, Freie und Hörige, sie alle warteten seit den frühen Morgenstunden des 13.September 1189 auf den großen Augenblick.

Die Dörfler aus der Grafschaft Nottingham standen dicht beieinander. Kaum mehr als eine Hand voll, der Kesselflicker, einige Frauen und zwei Kinder. Gestern und vorgestern hatten sie gut verkauft. Geschnitzte Kellen, Löffel, Tiegel und Wollwaren.

»Sag es: Hoch lebe der König!« Im Gedränge übte die Weberin mit ihrem kleinen Sohn. Das Kind mühte sich. Geduldig wiederholte die Mutter. Mit einem Mal unterbrach sie. Der Blick wurde streng. Schon wieder wischte sich ihre neunjährige Tochter die schmutzigen Hände am Kittel ab. »Lass das, Marian! Und stell dich gerade!« Die Weberin seufzte. »Und bitte, wenn der König kommt, dann rufst du, so laut du kannst!«

»Ich sag, was ich will.« Damit duckte sich Marian und schüttelte den Kopf, ungebändigt krausten sich die blonden Locken.

Bewaffnete in Kettenhemden bahnten eine breite Gasse durch das Volk bis hinüber zum weit geöffneten Portal von Westminster Abbey.

Fanfaren! Die festliche Zeremonie begann.

Barone, Grafen, Bischöfe, die Vornehmsten der Insel, führten den Krönungszug an. Kein Applaus begleitete sie. Schweigend reckten die Bürger den Hals. Mit verschlossenen Mienen beobachteten sie, wie auserwählte Ritter und Adlige die Insignien der Königsmacht vorbeitrugen, das Zepter, die goldenen Sporen, den purpurfarbenen Mantel, auf dem die Wappenlöwen prangten.

Unruhe. Unterdrückte Flüche. Hier und da versteckten Handwerker, Fischer und Krämer die geballte Faust im Rücken.

»Graf Johann«, zischte der Kesselflicker den Frauen aus Nottingham zu. »Das also ist er.«

Gerüchte umgaben den jüngeren Bruder des neuen Königs, furchtbare Gerüchte. Dort ging der Prinz und durfte sogar eins der drei goldenen Schwerter den langen Weg von der Kathedrale bis zur Krönungskirche in Westminster tragen.

Viele sahen ihn heute zum ersten Mal aus der Nähe und schauderten.

Das prunkvolle Gewand hing der leicht nach vorn gebeugten Gestalt von den eckigen Schultern. Der kleine Kopf fuhr nach rechts und links. Unter halb gesenkten Lidern musterten die Augen das Volk. Wen der kalte Blick traf, der wandte erschreckt das Gesicht ab.

»Beim heiligen Willick«, murmelte der Kesselflicker. »Besser, ich bleib erst mal in London. Hier hat er nichts zu sagen.«

Früher hieß der Prinz nur »Johann Ohneland«. Seit zwei Wochen war er auf der Insel, seit zwei Wochen hatten sich in den Spelunken die Leute abends um seine Dienerschaft geschart. »Erzählt!« Und für eine Kanne Bier, einen Krug Wein vergaßen Stallknechte und Pagen schnell alle Vorsicht. »Falsch und jähzornig ist er. Keiner ist vor seinem Messer sicher.« Sie zeigten ihre Narben im Gesicht, am Hals, auf den Armen.

Nicht genug. Der Prinz war rücksichtslos zu jedermann. Johann hatte in der Vergangenheit stets seinen Vorteil gesucht. Mal verriet er den Vater, mal hinterging er den Bruder, kurze Zeit später bat er kniefällig wieder um Vergebung. Er spielte Freund und Feind gegeneinander aus, und jetzt hatte er es endlich geschafft. Den Beinamen »Ohneland« konnte er ablegen. Um des Friedens willen hatte der zukünftige König dem Bruder einige Grafschaften Englands verliehen, auch die Alleinherrschaft über Burg und Stadt Nottingham, über die fruchtbaren Äcker und ausgedehnten Wälder.

Der Kesselflicker blickte dem Grafen nach. Wie dieser kleine Kopf nach rechts und links zuckte! »Nein, nein. Besser, ich geh erst mal nicht zurück.« Er kratzte das bärtige Kinn. Zu Haus, dort oben in Nottingham und höher hinauf bis nach York, gerade dort mussten von heut an die armen Leute zittern, denn Habsucht, Machtgier und ungezügelte Grausamkeit waren die einzigen Tugenden des dreiundzwanzigjährigen Prinzen.

Ohne Halt, feierlich langsam bewegte sich der Zug durch das Volk.

»Da vorn. Siehst du?« Die Weberin drehte behutsam den Kopf ihres Sohnes. »Da geht unsere alte Königin.«

»Hoch lebe …«

Sofort verschloss sie den kleinen Mund. »Noch nicht.«

Königin Eleonore, die Mutter der ungleichen Söhne, lächelte offen und herzlich den Menschen am Straßenrand zu. Mit gleicher Wärme wurde sie von den Bürgern empfangen.

Endlich. Unter einem seidenen Baldachin schritt Richard, hoch gewachsen, breitschultrig, rot das Haar, rot der Bart, die grauen Augen fest nach vorn gerichtet.

»Jetzt.« Die Weberin hob das Kind über den Kopf.

»Hoch lebe der König!«, krähte es mit heller Stimme. Marian sah den großen Mann, ihre Augen leuchteten. Aus voller Kehle unterstützte sie den kleinen Bruder.

»Hoch! Hoch!«, fielen die Umstehenden ein.

Welch eine Kraft strahlte der neue König aus. Selbst der Kesselflicker streckte ihm die Arme zu und schämte sich nicht.

Ja, auch Richard Plantagenet war Normanne wie sein Vater, ein Franzose, ein Fremder auf der Insel. Seit mehr als hundert Jahren, seit die große Schlacht bei Hastings verloren war, regierten die normannischen Könige drüben vom Festland aus über das englische Volk. Doch ihre Lehnsleute und Bischöfe kamen, nahmen sich den besten Boden, bauten Burgen und erweiterten die Macht der Klöster. »Hier leben nur Barbaren ohne höfische Sitte und Kultur.« Die herausgeputzten Edlen rümpften die Nase. Sie parlierten französisch und verachteten die Sprache der Unterdrückten. Rücksichtsloser als Raubritter pressten sie Abgaben aus den Besiegten.

Wer konnte die Willkür der allmächtigen Lord-Sheriffs, der Barone und unbarmherzigen Bischöfe brechen? Was nutzten Recht und Gesetz, wenn niemand sie für die Ärmsten durchsetzte? Bisher waren die Könige entweder zu schwach gewesen, oder sie hatten sich nur selten und viel zu kurz in England aufgehalten. So herrschte ungehindert der zügellose normannische Adel über die Angelsachsen.

Und dennoch jubelte heute das Volk. Richard I. war stark, stark genug. Sein Herz besaß die Kraft eines Löwen, und er hatte sein Wort gegeben: »Für mich und vor dem Gesetz gibt es keinen Unterschied zwischen Normannen und Angelsachsen.« Vielleicht gab es bald ein Leben ohne Angst? Vielleicht kehrten wirklich Friede und Gerechtigkeit auf der Insel ein?

»Richard Löwenherz! Hoch lebe König Richard!« Alle Hoffnung der Unterdrückten lag in diesem Namen.

Ungezählte Kerzen erhellten den Kirchenraum. Der Erzbischof von Canterbury bestrich Kopf, Brust und Arme des Zweiunddreißigjährigen mit heiligem Öl. »Gelobst du, deinen Eid unverbrüchlich zu halten?«

»Ja. Mit Gottes Hilfe.«

Richard Plantagenet kniete vor dem Altar nieder. Langsam setzte ihm der Erzbischof die edelsteinglitzernde Krone aufs Haupt.

Königin Eleonore betrachtete voll Stolz ihren geliebten Sohn. Neben ihr, den Kopf leicht abgewandt, rieb Johann die weißen Fingerknöchel an den Zähnen. Die hagere Gestalt zitterte.

»Es lebe der König!« Fanfarenklänge von allen Türmen Londons. »König Richard lädt euch ein!«

Duft nach Braten und frischem Brot zog durch die Straßen. Auf den Plätzen schäumte das Bier in übervollen Kannen. In jeder Hand hielt der Sohn der Weberin einen Honigkringel und wusste nicht, in welchen er zuerst beißen sollte. Trommelwirbel. Mit glühenden Wangen stand Marian neben ihrer Mutter, staunte und lachte. Gaukler zeigten tollkühne Kunststücke. Freudenfeuer loderten bis spät in die Nacht.

»Hoch lebe …«, murmelte der Kesselflicker trunken und rollte sich im Schutz einer Mauer zusammen.

Nichts besserte sich. Richard Löwenherz hatte keine Zeit für England, für die Not seiner Untertanen.

»Du hast dein Wort gegeben.« Königin Eleonore stellte den Sohn zur Rede. »Dein Volk wird gequält und geknechtet. Du bist seine Hoffnung. Enttäusche die Armen nicht!«

»Erst muss ich ins Heilige Land. Mein Kreuzzugsgelübde ist älter als der Eid, den ich dem englischen Volk geschworen habe.« Behutsam legte der große Mann den Arm um die Achtundsechzigjährige. »Sorg dich nicht, Mutter! In spätestens zwei Jahren haben...


Röhrig, Tilman
Tilman Röhrig, geboren 1945, lebt in der Nähe von Köln. Der ausgebildete Schauspieler ist seit über vier Jahrzehnten als freier Schriftsteller tätig. Die größten Erfolge brachten ihm seine historischen Romane, die allesamt Bestseller und vielfach übersetzt wurden. Für sein literarisches Werk erhielt der Autor, dessen lebendige Lesungen begeistern, zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Großen Rheinischen Kulturpreis.



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