E-Book, Deutsch, Band 2, 337 Seiten
Roe Der Medicus von Girona - Schleichendes Gift
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98690-269-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman: Die Chroniken von Isaac von Girona 2 | Fesselnde Mittelalter-Spannung in Spanien
E-Book, Deutsch, Band 2, 337 Seiten
Reihe: Die Chroniken von Isaac von Girona
ISBN: 978-3-98690-269-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Caroline Medora Sale Roe (1943-2021) lebte in Kanada. Sie war Doktorin der Mediävistik und als Lehrerin sowie als Übersetzerin tätig, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Unter dem Pseudonym Medora Sale schrieb sie erfolgreich zeitgenössische, und unter Caroline Roe historische Kriminalromane. Sie war verheiratet und hatte mit ihm eine Tochter. Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin »Der Medicus von Girona - Tage des Verrats«, »Der Medicus von Girona - Schleichendes Gift« und »Der Medicus von Girona - Gefährliche Reise«.
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Kapitel 1
Freitag, 18. August 1333
»Wie viel?«, murmelte der dünne, asketisch anmutende Mann so beiläufig wie jemand, dessen Gedanken höheren Dingen gelten. Er trug das nüchterne schwarze Gewand eines Gelehrten oder Priesters und wirkte in dem schäbigen Raum der abgewirtschafteten Schänke fehl am Platz. »Das haben wir doch ganz gut hinbekommen. Es ist an der Zeit, gen Süden aufzubrechen.«
Draußen lag die Stadt Girona still und schläfrig und wartete geduldig darauf, dass der Abend Abkühlung brachte. Der Schankraum war dunkel und eng; die Atmosphäre gemahnte noch immer an verschütteten Wein und die längst heimgegangenen Gäste. Nicht der kleinste Lufthauch drang durch die geöffneten Fensterläden. Fliegen summten träge umher, so als wären sie nicht richtig bei der Sache. Rodrigue, der Wirt, döste schwitzend in einer Ecke und ignorierte seine beiden einzigen Gäste.
»Das nennst du gut hinbekommen?«, erwiderte der zweite Mann verächtlich und schwenkte einen Sack mit Münzen vor dem Gesicht seines Begleiters hin und her. »Hör mal zu, Guillem, mein bescheidener, kleiner Freund. An einem guten Tag nimmst du genug für ein Zimmer und einen Teller Suppe ein.«
»So schlecht ist es nun auch wieder nicht gelaufen«, entgegnete Guillem empört.
»Ich rede von Gold, du Narr. Gold! Genug, um davon zu leben wie ein Fürst.«
»Du bist verrückt«, sagte Guillem. »Girona mag zwar voll von gut genährten Kaufleuten und ihren in Seide gehüllten Frauen sein, aber deswegen verschleudern die ihr Gold noch lange nicht für Kleinigkeiten.«
»Das ist allerdings wahr. Demnach bleibt umso mehr für uns übrig.«
Er schüttelte skeptisch den Kopf. »Nur, wie kriegen wir es in die Finger?«
»Darüber mach dir mal keine Sorgen. Ich weiß, wer es hat und wie wir es kriegen.«
Guillem beugte sich vor. »Dir scheint es ernst zu sein«, sagte er verwundert. Und noch bevor sein Gegenüber antworten konnte, fragte er: »Wie gefährlich ist das Ganze?«
Der andere warf ihm einen neugierigen Seitenblick zu. »Es ist kein Verbrechen, Gestohlenes zu stehlen«, sagte er.
Der Gelehrte biss sich auf die Lippe, eine nervöse Geste, die seinen Begleiter reizte. Schließlich fragte er: »Also, wie fangen wir es an?«
»Mama?«, fragte Miriam.
»Was willst du?«, entgegnete Judith, die Frau von Isaac, dem Arzt, barsch. Sie war von Natur aus keine sonderlich langmütige Frau, und ihre begrenzte Geduld war an diesem Morgen bereits empfindlich strapaziert worden. Der Sommer hatte sich unbarmherzig bis in den September gezogen, und ihr war heiß unter ihrem dunklen Schleier. Die schattigen Hauptstraßen und Unterführungen der Call, des prosperierenden jüdischen Viertels von Girona, muteten wie ein riesiges Bad an, das aufgeheizt wurde von der stechenden Sonne, die den feuchten, von den Flüssen aufsteigenden Dunst vertilgte. Judith ging keuchend und schwitzend die hügelige Straße hinauf.
Leah, ihr Hausmädchen, hatte sich an diesem Morgen schwindlig und von Kopfschmerz geschwächt gefühlt und war im Bett geblieben. Die Köchin Naomi hatte sich in der Küche verschanzt und hantierte wütend mit Töpfen und Geschirr, dass es nur so schepperte; Miriam schließlich war ihrer Mutter hinterhergelaufen und wollte unterhalten werden. Judiths durchorganisierter Haushalt war im Begriff, nach allen Seiten hin auseinander zu fallen.
Schuld daran war ihr Mann. Isaac, normalerweise der denkbar gütigste Gatte, hatte die ganze Nacht bei einem kranken Kind gewacht, und auch seine Geduld ging nun langsam zu Ende. Er war hungrig und durstig zum Frühstück zurückgekommen. Judith hatte eine herrliche reife Birne gepflückt und sie ihm mit einem verlockenden kleinen Brötchen auf einem Teller serviert. »Ist das alles?«, hatte er gefragt. »Soll ich wegen dem bisschen Hitze etwa fasten?«
Noch während er sprach, war Naomi in den Hof getreten, und seine Spitze prallte an der Brust ihres Adressaten, seiner Ehefrau nämlich, ab, um sich geradewegs in das verletzliche Herz der Köchin zu bohren.
»Papa«, flüsterte Raquel, »Naomi steht direkt neben uns.«
Isaac, der sich über sich selbst und seinen Schnitzer ärgerte, den er seiner Blindheit zu verdanken hatte, stand abrupt vom Tisch auf, wobei er einen Wasserkrug umstieß; er zog sich in sein Arbeitszimmer zurück. Naomi verbarrikadierte sich, dampfend vor gekränktem Stolz, in ihrer Küche und verwandelte das solide Steinhaus mit ihren Vorbereitungen in ein regelrechtes Inferno. Da Leah im Bett lag und der Küchenjunge zum Schüren der Feuer gebraucht wurde, degradierte die Köchin Ibrahim, den Hausdiener, zum Botenjungen. Doch als er von ihr den Auftrag erhielt, ein drittes Mal auf den Markt zu gehen, löste sich seine gewohnte phlegmatische Gleichgültigkeit in Luft auf. Kochend vor gerechter Wut, baute er sich vor seiner Herrin auf. Der Hof war ebenso wenig gefegt wie das Haus oder das Arbeitszimmer des Hausherrn; wann sollte er denn bitte schön ihrer Meinung nach seine eigene Arbeit erledigen? Judith unterdrückte den Wunsch, die gesamte Dienerschaft zu entlassen, mit Ausnahme vielleicht des Küchenjungen, der ja bereits unter der vollen Wucht von Naomis Wutausbrüchen zu leiden hatte, und fing an, Ordnung in das Chaos zu bringen. Sie stimmte Ibrahim versöhnlich, indem sie ihm versprach, den Gang zum Markt selber zu tätigen, trug ihrer Tochter Raquel auf, die Betten zu machen, schnappte sich dann die schmollende Miriam und verließ fluchtartig das Haus.
»Und? Was ist denn nun?«, fragte sie ihre jüngste Tochter.
»Warum kann ich denn nicht mit Nathan zur Schule gehen, Mama? Papa sagt, Mädchen sollten genauso zur Schule gehen wie Jungs. Und außerdem bin ich auch schon sieben. Mir ist langweilig, keiner ist zum Spielen da und alle sind böse auf mich.«
»Du kannst eben nicht, und jetzt basta«, erwiderte Judith. »Ich will nichts mehr davon hören. Wenn du mal mit dem Gejammer aufhören und dich etwas nützlich machen würdest, dann wäre auch niemand böse auf dich. Und jetzt komm schon.«
Sie zerrte ihre Tochter mit finsterer Miene die Hauptstraße des Viertels entlang und marschierte dann stracks mit ihr durch das Tor am nördlichen Rand. Sie kamen am Fuße des Hügels heraus, der zur Kathedrale hinaufführte, und Judith machte einen vergeblichen Versuch, sich etwas abzukühlen, indem sie eine kleine Verschnaufpause im Schatten einlegte.
»Wo gehen wir denn hin, Mama?«
»Das wirst du schon sehen, wenn wir da sind.«
Eine schwache Brise aus westlicher Richtung kam über die hohe Stadtmauer geweht und brachte den Geruch von Hefe, warmem Brot und Gewürzen mit sich. Judith zog ihren Schleier dichter vor ihr Gesicht, griff Miriam fest am Arm und bog in die Straße ein, die zur Bäckerei hinunterführte. Sie passierten die Körbe mit frischem Brot, die an der Eingangstür standen, und gingen auf eine rotgesichtige Frau zu, die hinter ihrem Arbeitstisch stand und einen stattlichen Berg frischen Teiges betrachtete. Ein stämmiges zehn- oder elfjähriges Mädchen nahm die fertigen Laibe aus dem Ofen und legte sie in ein Holzgestell im hinteren Bereich des Bäckerladens.
»Morgen, Frau Judith«, sagte die Bäckersfrau und sah überrascht auf.
»Guten Morgen, Frau Esther«, antwortete Judith, während sie sich stirnrunzelnd nach dem speziellen runden Brotlaib umsah, den Naomi für das heutige Abendessen für so unerlässlich hielt.
»Schöner Tag heute. Womit kann ich Ihnen denn dienen? Hat Ibrahim heute Morgen etwas vergessen?«, fragte Esther, um die Frau des Arztes diplomatisch daran zu erinnern, dass sie ja bereits all das nötige Brot hatte – nur für den Fall, dass Judith das Geschäft etwa aus Geistesabwesenheit noch einmal aufgesucht hatte. »Ein Gewürzbrötchen für ein hungriges kleines Mädchen vielleicht?«
Doch Miriam war schon in dem höhlenartig überwölbten hinteren Ladenbereich verschwunden und beobachtete fasziniert das Schauspiel, wie die junge Sara die abgekühlten Brote in Körbe packte, um sie dann nach vorn zu tragen.
»Ibrahim!«, sagte Judith bedeutungsschwer und begann mit der Schilderung der betrüblichen Vorfälle dieses Morgens: die Übellaunigkeit der Köchin, die Gedankenlosigkeit ihres Mannes und die allgemeine Meuterei und Bockigkeit der Hausbewohner, seien es nun die Angestellten oder die eigenen Kinder. »Und hier stehe ich nun, das Haus voller Diener, die mir die Haare vom Kopf fressen und unglaubliche Löhne einstreichen und die weniger im Haus zu tun haben, als sich irgendjemand vorstellen kann … und muss selber auf den Markt gehen! Ich weiß einfach nicht, was in die alle gefahren ist«, sagte sie. »Früher waren die Leute froh, wenn sie hart arbeiten und ein ehrbares Leben führen konnten, aber jetzt …« Sie gab sich einem viel sagenden Schweigen hin. »Und was macht denn Ihr hier eigentlich, Ihr und Sara, Backen und gleichzeitig den Laden führen? Wo sind denn bloß alle?«
Die Bäckersfrau zuckte die Achseln. »Mossé ist zur Mühle. Und Aaron ist – na ja – Ihr wisst ja, wie er in letzter Zeit ist. Der neue Lehrling ist schon wieder krank, seine Mutter kümmert sich zu Hause um ihn, sagt er, und der Junge schläft irgendwo tief und fest, schätze ich mal. Nicht, dass er eine Hilfe wäre. Unser Hausmädchen ist fortgegangen, um zu heiraten, und das neue Mädchen stümpert gerade in der Küche herum.« Während sie sprach, bestreute sie den Teig mit Mehl, strich ihn glatt und wendete ihn mit geübten Handgriffen.
Judith hatte den größten Teil dieses Klageliedes bereits gehört, doch es war offenkundig, dass ihr einige wichtige Neuigkeiten entgangen waren, die den Gesundheits- und Geisteszustand des jüngeren Bäckerssohnes betrafen. Sie vergaß also...




