E-Book, Deutsch, Band 2, 237 Seiten
Reihe: Krimi-Klassiker
Rodrian Krimi-Klassiker - Band 2: Bis morgen, Mörder
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95520-385-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 2, 237 Seiten
Reihe: Krimi-Klassiker
ISBN: 978-3-95520-385-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Irene Rodrian, 1937 in Berlin geboren, wurde u. a. mit dem Edgar-Wallace-Preis für ihren Krimi »Tod in St. Pauli« und dem Glauser Ehrenpreis für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet. Seither hat sie sich mit zahlreichen Bestsellern in einer Gesamtauflage von über zwei Millionen und als Drehbuchautorin (»Tatort«, »Ein Fall für Zwei«) einen Namen gemacht. Irene Rodrian lebt heute in München. Bei dotbooks erschienen bereits Irene Rodrians Barcelona-Krimis über das Ermittlerinnen-Team Llimona 5 »Schöner sterben in Barcelona«, »Das dunkle Netz von Barcelona«, »Eisiges Schweigen« und »Ein letztes Lächeln« sowie die Reihe »Krimi-Klassiker«, die folgende Bände umfasst: »Tod in St. Pauli«, »Bis morgen, Mörder«, »Wer barfuß über Scherben geht«, »Finderlohn«, »Küsschen für den Totengräber«, »Die netten Mörder von Schwabing«, »Ein bisschen Föhn und du bist tot«, »Du lebst auf Zeit am Zuckerhut«, »Der Tod hat hitzefrei«, »... trägt Anstaltskleidung und ist bewaffnet«, »Das Mädchen mit dem Engelsgesicht«, »Vielliebchen«, »Handgreiflich«, »Schlagschatten«, »Über die Klippen«, »Bei geschlossenen Vorhängen«, »Strandgrab« und »Friss, Vogel, oder stirb«. Die Webseiten der Autorin: www.irenerodrian.de und www.llimona5.com Die Autorin im Internet: www.facebook.com/irene.rodrian
Autoren/Hrsg.
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1
»... 'türlich liebe ich dich!« Theo Freitag bohrte sich tiefer in das Kopfkissen. »Zieh doch endlich dieses blöde Hemd aus!« Er riß an dem Kissenbezug, bis ein Knopf abplatzte und seine Hand hineinkonnte. Glücklich lächelnd streichelte er den glatten Inlettstoff.
Der riesige Blechwecker nahm keinerlei Rücksichten auf Theos Gefühle; er tickte aufdringlich und mit ordinärer Lautstärke. Theo versuchte, sich an seinem Traum festzuklammern, aber der Wecker war stärker. Widerwillig befreite Theo seine Hand aus dem Kopfkissen, wälzte sich auf die Seite und schielte nach dem Zifferblatt. Seine Augen waren verquollen, die Sonne blendete ihn.
Es war zwanzig vor acht, dann rutschte der Zeiger mit einem boshaften Satz ein Stückchen weiter, und es war schon fast dreiviertel. Theo rülpste und stellte mit einer vorsichtigen Handbewegung das Radio an.
... nehmen wir auch gern ein paar Blättchen Thymian dazu, frohlockte eine muntere Frauenstimme. Vom Kirchturm schlug es dreimal.
Die geht vor. Theo schloß die Augen und rollte sich zusammen. Aus dem Lautsprecher kam Musik, danach die Zeitansage: sieben Uhr fünfzig.
Theo dachte an Linhard und den ganzen Saftladen und schlug wütend mit der flachen Hand gegen den Apparat, der sofort wimmernd verstummte. Aber die ungewohnte Anstrengung hatte Theos spärliche Kraftreserven wieder verbraucht, ermattet sank er zurück.
Ich schaff's nicht. Sein Schädel war eine mit Kies gefüllte Gießkanne, sein Hals ein verschrumpelter Gummischlauch, und die Zunge war aus Sandpapier und schmeckte nach Whiskybierzigaretten ... Scheißspiel. Theo gähnte und starrte nachdenklich auf den schwarzen Telefonapparat, der dicht neben seinem Kopfende auf dem Fußboden stand. Hatte da nicht irgendwas geläutet? Der blöde Wecker vermutlich. Oder Eva? Evchen! Theo grinste und tastete mit neuer Kraft nach dem Hörer.
Im gleichen Moment schrillte die Glocke.
Theos Hand zuckte zurück. Es läutete ein zweites Mal.
Theo nahm den Hörer ab. »Guten Morgen, Evchen«, krächzte er.
»Herr Freitag?« Eine Männerstimme. Knödelig, kaum verständlich und weit weg.
»Wer ist denn da?« Theo schloß die Augen und riß sie wieder auf. Er gähnte, bis ihm die Tränen kamen.
»Sie schlafen lang, Herr Freitag.« Der andere gab ein Geräusch von sich, das wie ein Lachen klang. »Wie fühlt man sich nach einem Mord?«
»Nach was?« Theo versuchte, den Mund zu schließen, mußte aber gleich wieder gähnen. »Hängt wohl davon ab, was man vorher gegessen hat, oder?«
»Ich mache keine Witze!« Die Stimme wurde scharf: »Gehen Sie reute nicht ins Büro. Tun Sie's nicht!«
»Das erste vernünftige Wort!« Theo angelte mit der freien Hand unter dem Bett nach seinem Schuh.
»Sie gehen also nicht? Sie sind krank?« Es klang lauernd.
Theo hörte kaum hin. »Eine gute Idee«, stimmte er gähnend zu.
Der andere schien etwas mit dem Telefonhörer anzustellen, dann war seine Stimme wieder da. »Wenn Sie hingehen, wird man Sie für den Mörder halten ...«
Es klickte in der Leitung.
»Witzbold!« Theo hustete, der Hörer rutschte ihm aus den Fingern und krachte auf die Gabel. Denen fällt auch nichts Neues mehr ein Theo rollte sich ächzend aus dem Bett, blieb einen Augenblick lang schwankend neben dem Telefon stehen und schlurfte dann müde ins Badezimmer.
Er hielt seinen Kopf unter die Wasserleitung, trank einen halben Liter kaltes Wasser und glotzte dann mißmutig sein Spiegelbild an. Das Haar stand nach allen Richtungen ab, in seine linke Backe waren die Kissenfalten eingedrückt, und sein Kinn schimmerte dunkel. Er kratzte mit dem Daumennagel über die Bartstoppeln. Ich laß mir jetzt einen wachsen, dachte er. Auf rote Bärte fliegen sie doch alle ... Er schleppte sich ins Zimmer zurück und ließ sich wieder auf das Bett fallen. Alles drehte sich; in der Sonne flimmerten die Staubteilchen. Hätte kein Wasser trinken sollen. Holt das Zeug wieder rauf. Whisky. Wo hab ich denn bloß ... Und wie bin ich überhaupt heimge... Sein Blick fiel auf den Wecker.
Seit 45 Minuten sollte er an seinem Schreibtisch sitzen.
Theo atmete ein paarmal aus und wieder ein, zog das Telefon zu sich heran und wählte.
»Hier Werbeagentur Friedrich März, guten Morgen!« meldete sich eine Stimme, so frisch, daß es weh tat.
»Meine geliebte Lisa!« sagte Theo.
»Weder Ihre, noch geliebte. Wieder mal verschlafen?«
»Nie!« Theo gab seiner Stimme einen gehetzten Klang. »Ich stehe hier am Justizpalast, da ist ein schauderhafter Unfall passiert. Gräßlich! Die ganzen Straßenbahnen stauen sich, ich muß zu Fuß zurück und mit dem Bus außen rum fahren.«
»Nicht möglich!«
»Ja, fürchterlich. Drei Schwerverletzte, und einer ist ... Na ja, ich wollte sogar schon ein Taxi nehmen.« Pause, dann leiser: »Chef schon da?«
»Nein. Aber Linhard kocht vor Wut wegen ...«
»Soll sich beruhigen. Ich bin ja längst unterwegs.« Theo hängte ein und begann, sich anzuziehen. Er holte gerade die Socken aus der Hosentasche, als das Telefon wieder läutete.
Diesmal ist es bestimmt Evchen. Theo lächelte, als er den Hörer abnahm. »Hallo, Schatz, auch schon auf?«
»Genauso hab ich mir diesen Unfall vorgestellt!« bellte Linhards Stimme. »Man sollte nicht so viel saufen, wenn man nichts verträgt. Wenn Sie in zehn Minuten nicht hier sind, dann fliegen Sie raus wie ein Sektkorken. Ist das klar genug?«
Es knackte in der Leitung.
Theo schüttelte sich. Alter Kriecher. Er suchte auf dem Bücherregal nach seiner Brille, setzte sie auf, zog sich fertig an und nahm die Lederjacke von der Stuhllehne.
Die Wohnungstür knarrte etwas, als er sie hinter sich zuzog. Theo wartete einen Moment, aber alles blieb still. Er sprang mit langen Sätzen die Treppe hinunter und wollte gerade durch die Haustür witschen, als er im Parterre Schritte hörte. Er blieb stehen und sah sich nach einem Fluchtweg um. Aber es war schon zu spät.
»Ah, guten Morgen, Herr Freitag! Gut, daß ich Sie treffe!« Klara Weber stand breitbeinig in der Tür, die weißen Haare zu einem straffen Knoten gedreht, die Brust unter dem geblümten Kleid kriegerisch vorgereckt. »Es ist wegen der Miete. Drei Monate sind es jetzt. Ich kann nicht länger ...«
»Halt! Bleiben Sie stehen!« Theo schirmte seine Augen ab und sah verzückt auf die Kittelschürze. »Ja, so! Bleiben Sie eine Sekunde so stehen ... Großartig!«
»Ja, aber ...«
Theo ließ sie nicht weiterkommen: »Das ist ja einmalig! Genauso hab ich mir den neuen Titel der Elektro-Bader-Hausnachrichten vorgestellt. Als Farbfoto. Vielleicht mit einem Bader-Staubsauger. Der Inbegriff der lieben Mutti.«
»Bitte, was soll ...« begann Klara Weber etwas unsicher, ohne die Stellung zu verändern.
Theo ließ sie nicht aussprechen. »Einfach großartig!« Vorsichtig schob er sich näher an die Tür heran. »Die Leser werden begeistert sein! Sie kennen doch die Bader-Hausnachrichten? Eine lustige Kundenzeitschrift. Eine richtige kleine Illustrierte. Und Sie auf dem Titelblatt – na?«
»Herr Freitag, ich ...«
»Natürlich gegen Honorar, das ist selbstverständlich. Die volle Mannequin-Gage.« Damit war er draußen und fegte über die Straße.
Es war ein strahlender Hochglanzpostkartenseptembertag. Die Fassaden der Häuser ockergelb, die ersten Blätter an den Bäumen davor rot und der Föhnhimmel darüber tiefblau mit fotogenen weißen Wattewölkchen. Und die Luft so durchsichtig, daß man fast die Bergsteiger und Gemsen in den Alpen erkennen konnte.
Theo lief bis zum Taxistand und warf sich in den ersten Wagen.
»Die Leopold- und Ludwigstraße runter und dann in die Galeriestraße. Schnell!«
»Immer mit der Ruhe«, sagte der Fahrer und reihte das Auto gemächlich in den Verkehrsstrom ein.
»Ist mir auch recht«, Theo lehnte sich zurück und brachte seinen Rollkragen in Ordnung. Richtiges Kündigungswetter, dachte er und fischte sein restliches Geld aus der Hosentasche: Drei Mark zwanzig.
Als der Taxameter bei zwei achtzig angekommen war, hob Theo die Hand: »Halt, vielen Dank, hier ist es schon richtig.«
Er bezahlte, gab dem Fahrer zwanzig Pfennig Trinkgeld und stieg aus. Er ging um eine Baugrube herum bis zur Herzog-Rudolf-Straße, sprang über den Begrenzungszaun und rannte zu dem kleinen Milchgeschäft.
Die Ladentür bimmelte.
Theo kaufte eine Dreieckstüte mit Milch, zwei Semmeln und eine Schachtel Camembert. Dann fing er an, in den Taschen zu kramen.
»Ich muß mein Geld vergessen haben«, sagte er mit verzweifeltem Gesichtsausdruck.
»Aber das macht doch nichts.« Die Milchfrau winkte ab. »Dann zahlen Sie eben morgen. Schließlich kennen wir uns ja gut, oder? Sie arbeiten sicher in dem fleißigen Haus?«
»Wo?« Theo sah verblüfft auf.
Die Milchfrau lachte. »So nennen wir es, weil auch nachts immer soviel los ist. Erst gestern, als ich noch spät beim Räumen war, habe ich Ihren großen dicken Herrn gesehen, mit diesem anderen, der so einen weißen ausländischen Wagen fährt, und da hab ich noch zu meiner Tochter gesagt, Erna, hab ich gesagt ...«
»Oh!« rief Theo. »Da habe ich ja noch zwanzig Pfennig. Dafür nehme ich so eine große Cognackirsche. Vielen Dank, Sie sind zu freundlich!« Er nahm seine Tüte und die Praline und machte, daß er hinaus kam.
Das Haus, in dem die Friedrich-März-Werbeagentur das oberste Stockwerk gemietet hatte, lag schmalbrüstig und grau zwischen zwei Neubauten mit Glasfassaden und strahlendweißem Verputz. Es sah aus wie der arme Vetter, den die anderen stützen, um nach außen hin den Eindruck einer guten Familie zu machen.
Theo stieg die fünf...