E-Book, Deutsch, Band 4, 280 Seiten
Reihe: Llimona 5
Rodrian Ein letztes Lächeln: Der vierte Fall für Llimona 5 - Ein Barcelona-Krimi
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-95520-092-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman - Der vierte Fall für Llimona 5
E-Book, Deutsch, Band 4, 280 Seiten
Reihe: Llimona 5
ISBN: 978-3-95520-092-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Irene Rodrian, 1937 in Berlin geboren, wurde u. a. mit dem Edgar-Wallace-Preis für ihren Krimi »Tod in St. Pauli« und dem Glauser Ehrenpreis für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet. Seither hat sie sich mit zahlreichen Bestsellern in einer Gesamtauflage von über zwei Millionen und als Drehbuchautorin (»Tatort«, »Ein Fall für Zwei«) einen Namen gemacht. Irene Rodrian lebt heute in München. Bei dotbooks erschienen bereits Irene Rodrians Barcelona-Krimis über das Ermittlerinnen-Team Llimona 5 »Schöner sterben in Barcelona«, »Das dunkle Netz von Barcelona«, »Eisiges Schweigen« und »Ein letztes Lächeln« sowie die Reihe »Krimi-Klassiker«, die folgende Bände umfasst: »Tod in St. Pauli«, »Bis morgen, Mörder«, »Wer barfuß über Scherben geht«, »Finderlohn«, »Küsschen für den Totengräber«, »Die netten Mörder von Schwabing«, »Ein bisschen Föhn und du bist tot«, »Du lebst auf Zeit am Zuckerhut«, »Der Tod hat hitzefrei«, »... trägt Anstaltskleidung und ist bewaffnet«, »Das Mädchen mit dem Engelsgesicht«, »Vielliebchen«, »Handgreiflich«, »Schlagschatten«, »Über die Klippen«, »Bei geschlossenen Vorhängen«, »Strandgrab« und »Friss, Vogel, oder stirb«. Die Webseiten der Autorin: www.irenerodrian.de und www.llimona5.com Die Autorin im Internet: www.facebook.com/irene.rodrian
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Kapitel 2
Es war heiß, aber für Juli noch erstaunlich klar. Von der Gondel aus konnten sie über die ganze Stadt sehen und weit hinaus aufs offene Meer. Dagmar stand zwischen Quim und Sara, hielt beide umarmt und an sich gedrückt. Sie entdeckte Barcelona noch einmal durch ihre Augen.
Als sie vom Montjuich herunter wieder zum Hafen zurückkamen, lagen die platanengesäumten Ramblas wie eine lange grüne Schneise im schiefergrauen Dächermeer unter ihnen, und vor ihnen das funkelnde Ultramarin des Hafens mit den hochstiebenden Bugwellen der Motorboote und den weißen Segeln der Yachten.
»Quim hat schon zwei Segelscheine«, sagte Sara stolz, und Quim ergänzte sofort:
»Sara ist Surfmeisterin in ihrer Altersklasse.«
»Würdet ihr denn gern weiter Wassersport machen? Es gibt einen Club ...«
»Nicht so dringend«, sagte Sara, Quim zuckte mit den Schultern. Sie waren sich einig, wie so oft.
Dagmar hatte ihre beiden Kinder jetzt seit ein paar Monaten wieder bei sich. Über vier Jahre lang hatten sie sich nicht gesehen, eine lange Zeit, die sie jetzt mit allen Mitteln aufzuholen versuchten.
Die Kinder hatten keine wirkliche Beziehung zu ihrem Vater, dem Münchner Staranwalt Werner Warwitz. Dazu hatten sie ihn viel zu selten gesehen. Und er hatte sich nie wirklich auf sie eingelassen. Bei ihren wenigen Besuchen in München bekamen sie ihn kaum zu Gesicht, und selbst, wenn er bei ihnen auf der Finca in Mallorca war, verbrachte er fast die ganze Zeit über seinen Akten im Arbeitszimmer und durfte nicht gestört werden. Und von seiner englischen Gespielin und ihrer Nurse Helen sprachen sie immer nur leicht verächtlich von ‘sie’ oder ‘die’.
Vier Jahre. Sarah war damals erst sechs Jahre alt gewesen, Achim schon acht. Und er war es auch, der in all den Jahren die Erinnerung an Dagmar wachgehalten hatte. Der nicht zugelassen hatte, dass sie ihr die Schuld an der Trennung gaben, oder dass sie sich zu nah an Helen anschlossen. Aber die Gefahr hatte wohl nie bestanden, Helen war kein warmherziger oder mütterlicher Typ. Für sie waren die Kinder ein Job, der alte Warwitz eine Art Lebensversicherung. Achim und Sarah waren auf sich allein gestellt, das hatte sie zusammengeschweißt.
Dagmar hatte Angst vor der ersten Begegnung gehabt, fast Panik. Aber sie hatte sich vorgenommen, von Anfang an ehrlich zu sein. Und beide Kinder zu respektieren.
Immer noch verbrachten sie soviel Zeit wie nur irgend möglich zusammen. Sie waren vertraut, sie liebten sich. Aber sie kannten sich nicht. In den ersten Tagen und Wochen hatten sie miteinander geredet. Sie hatten die Wohnung neu eingerichtet, sie hatten eine Schule gesucht, sie hatten mit den anderen vier Llimonas Feste gefeiert. Und sie hatten geredet und geredet, tagelang, nächtelang. Und doch gab es immer noch so viel, was sie nicht voneinander wussten.
»Es gibt hier in Barcelona eine Menge Aktivitäten für Schüler aller Altersklassen. Musik, Theater, Sport und Spiele, Ausflüge und und und. Habt ihr irgendwelche Ferienwünsche? Pläne?«
Die Kinder sahen sich kurz an, grinsten und schmiegten sich noch enger an Dagmar.
»Nein!«
»Wir wollen hierbleiben!«
»Mit dir!«
»Die Stadt ist toll!«
»Hier haben wir doch alles!«
»Kinos und Eiscafés, Hafen und Strand ...«
»Sogar Theater, Konzerte und Museen.«
»Und dich!«
»Aber ich werde vielleicht nicht immer soviel Zeit haben ...«
»Und Llimona 5!«
»Und die neue Fälle!«
»Genau!«
Sie lachten und knufften Dagmar. So gut kannten sie sie schon, sie wussten, was sie dachte. Die Freundschaft der anderen vier Llimonas war wichtig und wunderbar, aber eine Detektei doch eigentlich keine Umgebung für Kinder. Dagmar musste sich dann immer wieder gewaltsam in Erinnerung rufen, dass die Kinder nicht mehr klein waren, und dass es längst zu spät war, sie vor allen Realitäten des Lebens zu behüten. Außerdem war ihr jetzt von der Gondelfahrt grottenschlecht, und alle pädagogischen Überlegungen mussten dahinter zurückstehen.
Die Gondel machte ruckelnd fest, sie stiegen aus und gingen zum Fahrstuhl. Die Kinder liefen voraus und machten Witze über einen Touristen, der die Spucktüte benutzte. Die Fahrt hinunter zum Hafen war eine weitere Herausforderung. Die Sonne brannte von einem wolkenlosen Himmel, und Dieselabgase legten sich über den salzigen Geruch des Meeres. Dagmar kämpfte immer noch gegen die Übelkeit, als sich ihr Handy meldete. »Diga?«
»Hola, Dagmar? Hier spricht Mónica Vidal. Pia Cortes-Casares hat mir deine Telefonnummer gegeben. Du hast einen guten Ruf als Anwältin.«
»Danke. Müsste ich dich kennen?«
»Nein, hoffentlich nicht«, trockenes Lachen. »Ich arbeite für die Liga gegen häusliche Gewalt. Ich leite und koordiniere verschiedene Frauenhäuser und die Notrufstationen in Barcelona und Umgebung.«
Die Kinder waren vorausgelaufen, warteten und kamen langsam wieder zurück. Dagmar blieb neben der Gondelbahn stehen. »Beeindruckend. Was kann ich für Sie tun?«
»Bitte, sag Du. Und komm, so schnell du kannst zur brigada criminal ins Polizeipräsidium in der Laietana.«
»Um was geht es denn?«
»Adrián Sauro und seine Frau Elena. Er misshandelt sie seit Jahren. Heute hat sie zum ersten Mal zurückgeschlagen, weil er sich an dem Baby vergreifen wollte. Und jetzt ist sie verhaftet worden und steht unter Anklage. Schwere Körperverletzung.«
»Ich bin in zehn Minuten da.«
Dagmar schaltete ihr Handy aus und sah den Kindern entgegen. Sie wussten schon Bescheid. Sara war als erste bei ihr. »Du musst weg?«
»Ja ...«
»Können wir mitkommen?« Quim schaute hinüber zur geschwungenen Fußgängerbrücke und dem runden Dach des riesigen Mittelmeeraquariums. »Nein. Richtig?«
»Tut mir leid«, Dagmar lachte und kramte zwanzig Euro heraus. »Ich muss in die Laietana. Kommt ihr allein zurecht?«
»Claro Mama«, Sara hatte sie seit ihrer Ankunft noch nie Mama genannt. Dagmar versuchte, sich die Rührung nicht anmerken zu lassen. Quim beobachtete sie, nahm das Geld und deutete zur Brücke hinüber.
»Mach dir keine Sorgen. Wir schauen uns die Haifische an. Und kommen dann zum Pati Llimona. Richtig?«
Noch eine letzte Umarmung, dann sah Dagmar ihren beiden Kindern nach, wie sie hinübergingen, über den grünen Platz mit den bunten Skulpturen und den flanierenden Gruppen von jungen Menschen und Touristen. Weiter zu der freischwebenden Brücke zum L’aquarium.
Sie blieben immer wieder stehen und winkten.
Dagmar winkte zurück, bis die beiden in der bunten Menge verschwanden. Der sehnige Junge mit dem sonnengebleichten Stoppelhaar und das schlaksige Mädchen mit den dunklen Locken, kaum kleiner als er. Es tat weh, sie so allein zu lassen. Es kostete unglaubliche Kraft, darauf zu vertrauen, dass die beiden sich längst in Barcelona zurechtfanden. Dass ihnen nichts geschehen würde. Dass sie jetzt für immer bei ihr waren.
Dagmar wandte sich entschlossen ab, lief hinüber zum Kolumbusdenkmal und winkte sich ein Taxi. Die Strecke war kurz, aber das Taxi hatte eine Klimaanlage, und Dagmar konnte für ein paar Minuten zurücksinken und die kleinen grauen Zellen in ihrem Kopf zu Ruhe kommen lassen.
Die Prefectura Superior sah nicht gerade aus wie das Zentrum für Mord und Totschlag. Eher wie ein eleganter Stadtpalast, der zu internationalen Festen einlud. Die weißgraue Fassade und die verschnörkelten Fensterrahmen erst kürzlich renoviert, die Polizisten, die in ihren blauen Uniformen vor der Einfahrt Wache hielten, frisch gestärkt, selbst die beiden gepanzerten Mannschaftswagen, die gerade von der Laietana in den Durchgang einbogen, wirkten wie Requisiten aus einem Kriminalfilm.
Dagmar lief sofort hinauf zum Großraumbüro, in dem Pia als inspectora der Mordkommission gearbeitet hatte, bevor sie sich alle kennen gelernt, ihren ersten Mordfall gelöst und zusammen Llimona 5 gegründet hatten.
Lärm und Stimmengewirr schlugen Dagmar entgegen. Sie blieb in der Tür stehen. Auf den am Boden festgeschraubten Bänken drängten sich die Wartenden, einige standen unter den Fahndungsplakaten, alle Tische waren besetzt. Telefone läuteten, Männer brüllten sich Informationen quer durch den Raum zu, eine Frau schrie hysterisch. Zwei uniformierte Polizisten, ein Mann und eine Frau brachten einen Betrunkenen herein, der sich mit Händen und Füßen wehrte, nach seiner Mutter schrie und dem Mann auf die blank polierten Schuhe kotzte.
Der hübsche Toni verhörte eine extrem lange dünne Frau mit hochtoupierter Blondhaarperücke und winzigem Minirock, die vermutlich ein Mann war. Die kleine Silvi war hinter ihrem Computer und einem Berg von Akten kaum noch zu sehen. Das verglaste Chefbüro war leer, el jefe lochte vermutlich gerade mit einer wichtigen Persönlichkeit aus Politik oder Wirtschaft ein.
Capitán Josep Bonet hatte seinen Tisch ganz hinten beim Durchgang zu den Verhör- und Konferenzräumen. Neben ihm saß eine Frau mit einem jeansblau getönten Rasiermesserschnitt und einem leuchtend roten Poncho. Beide schauten auf, als Dagmar sich zu ihnen durchgearbeitet hatte. Josep wie immer in einem verdrückten Baumwollhemd, die graue Haarbürste noch wilder als sonst zerwühlt. »Dagmar«, sagte er.
Die Frau war um die vierzig, hatte ein schmales Gesicht mit einer sehr dominanten Nase und einen vollen Mund. Sie sprang auf und streckte Dagmar eine Hand entgegen. Kein Schmuck, kräftiger Händedruck. »Dagmar Warwitz? Ich bin Mónica Vidal. Danke, dass du so schnell gekommen bist.«
Dagmar sah sich nach einer Sitzgelegenheit um, aber erst als Mónica ihr ihren Stuhl...