E-Book, Deutsch, Band 2, 393 Seiten
Reihe: Die Yorkshire-Morde
Robinson Eine respektable Leiche
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-558-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman | Die Yorkshire-Morde 2 - Im Moor hört dich niemand schreien
E-Book, Deutsch, Band 2, 393 Seiten
Reihe: Die Yorkshire-Morde
ISBN: 978-3-98952-558-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Peter Robinson (1950-2022) wurde in Yorkshire geboren und lebte nach seinem Studium der englischen Literatur in Toronto, Kanada. Er wurde für seine Werke mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Edgar Allan Poe Award. Seine Bestseller-Reihe um Inspector Alan Banks feierte internationale Erfolge und wurde auch als Fernsehserie adaptiert. Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die »Yorkshire-Morde«-Reihe um Detective Chief Inspector Banks. Band 1 »Augen im Dunkeln« ist auch als Hörbuch bei AUDIOBUCH erhältlich.
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Kapitel 2
Fünfzehn Meilen weiter, in Eastvale, der größten Stadt in diesem Tal, stimmte sich noch jemand auf das sonntägliche Roastbeef mit Yorkshirepudding ein. Detective Inspector Banks lag im Zimmer seines Sohnes platt auf dem Bauch und beobachtete, wie die Modelleisenbahn über die kurvenreiche Strecke flitzte, vorbei an Signalmasten, über kleine Brücken und durch dunkle Tunnel aus Pappmache. Brian selbst war draußen im Park und vergnügte sich mit seinem Fahrrad, da Banks es längst aufgegeben hatte, so zu tun, als spiele er nur seinem Sohn zuliebe mit der Eisenbahn. Nach einigem Zögern hatte er schließlich zugeben müssen, sich bei dieser Art von Freizeitbeschäftigung sogar noch besser entspannen zu können als bei einem heißen Bad.
Er hörte, wie unten in der Diele das Telefon klingelte und kurz darauf seine Tochter Tracy zu ihm hochrief: »Für dich, Daddy!«
Während er die Treppe hinunterhastete, wallte ihm der Bratenduft aus der Küche entgegen und machte ihm den Mund wäßrig. Er bedankte sich bei Tracy und nahm den Hörer auf. Sergeant Rowe, der diensthabende Officer der Eastwaler Hauptwache, war am Apparat.
»Tut mir leid, Sie stören zu müssen, Sir«, meldete er sich, »aber wir hatten gerade einen Anruf von Constable Weaver, drüben aus Helmthorpe. Anscheinend hat einer der Farmer aus der Gegend heute morgen ’ne Leiche auf seinem Acker gefunden.«
»Ich höre«, drängte Banks in unvermittelt offiziellem Ton.
»Behauptet, er hat grade nach ’nem verirrten Schaf gesucht, als er über die Leiche gestolpert ist. Lag an ’ner Mauer, eingebuddelt. Weaver sagt, er hat nur ’n paar Steine hochgehoben, aber darunter issen Toter, klarer Fall. Sieht aus, als hätt ihm einer schwer eins über die Rübe gegeben.«
Banks fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog, wie immer, wenn er von einem Mord erfuhr. Vor einem Jahr hatte er sich von London hierher versetzen lassen, angewidert von der ansteigenden Spirale sinnloser Gewalt in der Hauptstadt, und das alles nur, um spätestens nach dem »Peeping Tom«-Fall feststellen zu müssen, daß die Verhältnisse hier im Norden nicht besser, sondern vielleicht schlimmer waren. Dieser letzte Fall hatte sie beide – seine Frau Sandra und ihn selbst – emotional stark mitgenommen, aber seither schienen sich die Dinge wieder etwas beruhigt zu haben. Er hatte sich lediglich mit ein paar Einbrüchen und einer Betrugsaffäre beschäftigen müssen und sich bereits im Glauben gewiegt, daß Peeping Toms und gemeingefährliche Teenager in einem Ort wie Eastvale doch eher die Ausnahme von der Regel darstellten,
»Sagen Sie Constable Weaver, er soll schnellstens wieder dorthin zurückgehen und so viele Männer mitnehmen, wie er finden kann, um das ganze Terrain abzusperren. Ich wünsche, daß sofort mit einer systematischen Durchsuchung des Geländes begonnen wird, aber ich ordne ausdrücklich an, daß sich niemand näher als höchstens zehn Meter an die Leiche heranwagt. Verstanden?« Das letzte, was er in dieser Situation brauchte, waren Dutzende von Plattfüßen, die den Boden rund um die Leiche flachtraten und alle Spuren, die man dort noch finden mochte, niederwalzten.
»Geben Sie Befehl, daß alle Fundstücke in markierten Plastikhüllen zu verstauen sind«, fuhr er fort. »Das Verfahren sollte allen bekannt sein, aber es wird sicher nicht schaden, die Leute daran zu erinnern. Und wenn ich sage alles, dann meine ich das auch! Alles, gebrauchte Gummis und was auch immer! Benachrichtigen Sie Detective Sergeant Hatchley und Dr. Glendenning. Sie sollen sich sofort auf den Weg machen. Außerdem brauche ich den Gerichtsfotografen und die Mannschaft von der Spurensicherung. Okay?«
»Jawohl, Sir«, bestätigte Sergeant Rowe, wohl wissend, daß Jim Hatchley gerade seinen sonntäglichen Frühschoppen im Oak genoß und es Banks große Genugtuung bereiten würde, ihn bei diesem Vergnügen zu stören.
»Der Super ist doch wohl informiert, wie ich annehme?«
»Genau, Sir. Er hat mir ja gesagt, daß ich Sie anrufen soll.«
»Sehr passend«, beschwerte sich Banks. »Bestimmt ist er gar nicht erst auf die Idee gekommen, daß er selbst seinen Sonntagsbraten verpassen könnte«, fügte er hinzu, allerdings mit einem humorvollen und herzlichen Unterton. In seinem neuen Kollegenkreis war es vor allem Superintendent Gristhorpe gewesen, der ihn bei dem schwierigen Wechsel von der Stadt aufs Land unterstützt und ermutigt hatte.
Banks legte auf und schlüpfte in das abgetragene braune Jackett mit den Lederflicken am Ellbogen. Er war ein mittelgroßer, dunkelhaariger Mann, dessen schlankes Erscheinungsbild eher an die keltischen Ahnen des klassischen Walisers erinnerte und jedenfalls keine Rückschlüsse auf seinen Beruf zuließ.
Während er sich anschickte, das Haus zu verlassen, trat Sandra, seine Frau, aus der Küchentür. »Was gibt’s?« erkundigte sie sich.
»Sieht nach einem Mord aus.«
Sie trocknete sich die Hände an der blaukarierten Schürze ab. »Dann wirst du also nicht mit uns essen?«
»Wohl kaum. Tut mir leid, Liebes.«
»Und es macht vermutlich auch keinen Sinn, dir was warmzuhalten?«
»Ich denke, nein. Ich werd mir irgendwo ein Sandwich besorgen.« Er gab ihr einen flüchtigen Kuß auf die Lippen. »Mach dir keine Sorgen, ich ruf dich an, sobald ich weiß, was los ist.«
Er lenkte seinen weißen Cortina nach Westen und folgte der Straße, die sich am Flußufer durch das Tal zog. Seinem Rang nach hatte er Anspruch auf einen Dienstwagen mit Chauffeur, aber er saß gerne selbst am Steuer und zog es vor, mit sich allein zu sein, wenn er zu einem Fall unterwegs war. Was die Kosten betraf, so wurden sie durch ein großzügiges Kilometergeld mehr als reichlich gedeckt.
Ein Auge auf dem Verkehr und eine Hand am Steuer, durchforstete er mit der freien Hand den wirren Haufen von Kassetten auf dem Beifahrersitz, wählte eine aus und steckte sie in den Schlitz des Tapedecks.
Obwohl er immer noch heilige Eide schwor, daß seine Vorliebe für Opern im Lauf des Winters keineswegs geschwunden war, mußte er doch zugeben, daß er mehr und mehr abschwenkte in die Welt des englischen Liedguts – eine Wandlung, die Sandra aus vollem Herzen begrüßte. Sie hatte Opern ohnehin nie gemocht, und Wagner hatte ihr den Rest gegeben. Am Ende war sie sogar so weit gegangen, sich mit einem Magneten auf eine seiner Aufzeichnungen zu stürzen – ausgerechnet auf ein Band von Siegfrieds Begräbnismarsch, wie sich Banks leidvoll erinnerte. An diesem Punkt war ihm einiges klargeworden, und nun fuhr er am Flußufer entlang unter den Klängen von Dowlands »I saw my Lady weep«, gesungen von Jan Partridge.
Ähnlich wie die größeren und bekannteren Yorkshire Dales zieht sich auch das Swainsdale mehr oder weniger gradlinig – mit einer leichten Neigung in südliche Richtung – von West nach Ost, bis sich der schmale Flußlauf endgültig im Ouse verliert. An seiner Quelle bei Swainshead, hoch oben in den Penninischen Bergen, besteht der Swain nur aus einem dünnen Rinnsal sprudelnden klaren Wassers, aber auf seinem langen Weg nach unten in die Nordsee hat er sich tiefer und tiefer durch die Gletscher und die geologischen Schichten gegraben und mit deren Hilfe ein langgestrecktes malerisches Tal entstehen lassen, das sich zum Vale of York hin immer weiter öffnet. Im Osten, am äußersten Ende, thront die Hauptstadt Eastvale mit ihrem normannischen Burgfried über dem Dale und blickt hinaus auf eine üppige, fruchtbare Ebene. Und bei klarem Wetter sind in der Ferne die Hambleton Hills und die Hochmoore von North York zu erkennen.
Am nördlichen Flußufer, in der Nähe der düsteren Ruinen der Abtei von Devraulx, tauchte Lyndgarth auf, während Banks langsam durch das friedliche Fortford fuhr, wo man auf einem Hügel jenseits der Gemeindeanlagen immer noch an der Freilegung der Überreste eines römischen Forts arbeitete. Weiter vorn zu seiner Rechten sah er bereits das helle Weiß der Kalkklippen von Crow Star aufragen, und im Näherkommen bemerkte er ein halbes Dutzend Polizisten, die ein von unregelmäßigen Steinwällen gesäumtes Feld absuchten. Das Weiß der Felswand schimmerte im Sonnenlicht, und die niedrigen Steinwälle zeichneten sich vor den satten Wiesen ab wie Perlenketten auf einem smaragdgrünen Samtkissen.
Um an den Tatort heranzukommen, mußte Banks erst den Ort Helmthorpe durchqueren – das Zentrum des Markttreibens im ganzen Tal –, an der Brücke dann nach rechts abbiegen in die Hill Road und von dort wieder nach rechts auf einen schmalen Fahrweg, der sich in zahllosen Kurven an den Hängen hoch durch das halbe Tal schlängelte. Es war ein reines Wunder, daß man diese Strecke überhaupt asphaltiert hatte. Vermutlich ein Zugeständnis an die zu erwartenden Touristenscharen, überlegte Banks, nur leider schlecht für die Suche nach Reifenspuren.
Eher an die Straßen der Großstadt als an ländliches Terrain gewöhnt, schlug er sich beim Überklettern der niedrigen Mauer das Knie auf und stolperte mühsam über die dicken Grasbuckel hügelan. Völlig außer Atem hatte er sich schließlich zu der etwa fünfzig Meter entfernten Stelle am Hang vorgearbeitet, wo ein Beamter in Uniform – vermutlich der besagte Constable Weaver – auf einen finster blickenden alten Farmer einredete.
Neben der in nordsüdlicher Richtung verlaufenden seitlichen Begrenzungsmauer lag die Leiche unter einer lockeren Schicht aus Erde und Steinen, die man unterdessen so weit abgetragen hatte, daß sich der Körper ohne weiteres als der eines Mannes identifizieren ließ.
Sein Kopf lag auf der Seite, und als sich Banks neben ihm hinkniete, stellte er fest, daß die Nackenhaare des Toten getränkt waren von Blut. Eine plötzliche Übelkeit stieg in ihm...