E-Book, Deutsch, Band 1, 400 Seiten
Reihe: Die Yorkshire-Morde
Robinson Augen im Dunkeln
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-480-4
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman | Die Yorkshire-Morde 1 - Eiskalte Psychospannung von Yorkshires Master of Crime
E-Book, Deutsch, Band 1, 400 Seiten
Reihe: Die Yorkshire-Morde
ISBN: 978-3-98952-480-4
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Peter Robinson (1950-2022) wurde in Yorkshire geboren und lebte nach seinem Studium der englischen Literatur in Toronto, Kanada. Er wurde für seine Werke mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Edgar Allan Poe Award. Seine Bestseller-Reihe um Inspector Alan Banks feierte internationale Erfolge und wurde auch als Fernsehserie adaptiert. Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die »Yorkshire-Morde«-Reihe um Detective Chief Inspector Banks. Band 1 »Augen im Dunkeln« ist auch als Hörbuch bei AUDIOBUCH erhältlich.
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Kapitel 4
Schweren Herzens schaltete Banks seinen Walkman aus – mitten in Didos ergreifender Todesarie – und betrat die Polizeiwache, einen Bau mit Tudor-Fassade, zentral gelegen an der Einmündung der Market Street in den mit Kopfstein gepflasterten Marktplatz. Er begrüßte Sergeant Rowe am Empfang mit einem freundlichen »Guten Tag« und ging die Treppe hoch zu seinem Büro.
Im Gegensatz zu der historischen Fassade mit den weißgetünchten Mauern und den schwarzgebeizten Holzbalken war das Innere des Gebäudes modern und funktional gestaltet. Zum Beispiel hatte man Banks Büro mit einer bedienungsunfreundlichen Stabjalousie ausgestattet und einem grauen Stahlmöbel von Schreibtisch, dessen Schubladen bei jeder Bewegung laut ratterten. Der einzige Anflug von »human touch« bestand in einem Wandkalender mit Bildern der Umgebung. Die Illustration für den Monat Oktober zeigte einen Flußabschnitt des Wharfe, in der Nähe von Grassington, mit buntbelaubten Bäumen zu beiden Seiten des Ufers. Ein bemerkenswerter Kontrast zum wirklichen Herbst, der in diesem Oktober nur mit Regen, mit kalten Winden und einem ewig grauen Himmel aufgewartet hatte.
Auf dem Schreibtisch lag eine Notiz von Superintendent Gristhorpe: Alan – kommen Sie bitte in mein Büro, sobald Sie hier sind – G.
Nachdem er sich vorsorglich seines Walkmans entledigt und ihn in der Schreibtischschublade verstaut hatte, ging Banks über den Korridor zum Büro des Superintendent und klopfte an die Tür.
»Herein«, rief Gristhorpe, und Banks folgte seiner Aufforderung.
Gristhorpes Büro wirkte eher luxuriös – Teakholzschreibtisch, Bücherregale, gedämpftes Licht aus Schirmlampen –, doch der größte Teil der Ausstattung stammte von ihm selbst und hatte sich über die Jahre hinweg hier angesammelt.
»Ah – guten Morgen, Alan«, begrüßte ihn der Superintendent. »Darf ich Sie mit Dr. Fuller bekannt machen?« Er deutete auf die Frau, die ihm gegenübersaß und sich im gleichen Moment erhob, um Banks die Hand zu reichen. Sie hatte eine üppige Mähne roter Locken, strahlende grüne Augen, umgeben von winzigen Lachfalten, und einen vollen, sinnlichen Mund. Sie trug eine türkisfarbene Bluse – eine Kreuzung zwischen Zwangsjacke und Zahnarztkittel – zu rostfarbenen, eng zulaufenden Kordsamthosen, die kurz über ihren wohlgeformten Knöcheln endeten. Alles in allem war diese Frau Doktor eine echte Attraktion, fand Banks.
»Inspector Banks – nennen Sie mich einfach Jenny«, bat Dr. Fuller, während sie langsam seine Hand losließ.
»Jenny heißen Sie also«, lächelte Banks und fingerte nach einer Zigarette. »Nun – dann bin ich wohl Alan.«
»Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben.« Er meinte, ein spöttisches Funkeln in ihren Augen zu entdecken.
»Keineswegs – es ist mir ein Vergnügen«, erklärte er, ihren Blick erwidernd. Dann steckte er die Zigaretten wieder ein, weil ihm eingefallen war, daß Gristhorpe unlängst ein Rauchverbot in seinen Räumen verhängt hatte.
»Dr. Fuller lehrt an der Universität von York«, erläuterte Gristhorpe, »wohnt aber hier in Eastvale. Ihr Fachgebiet ist die Psychologie, und ich habe sie um ihre Unterstützung gebeten bei unserem Fall mit ›Peeping Tom‹. Dr. Fuller – vielmehr Jenny«, fuhr er mit einem charmanten Lächeln in ihre Richtung fort, »wurde mir von einem alten und sehr geschätzten Freund aus dem Ministerium empfohlen. Wir hoffen sehr, daß sie uns dabei helfen wird, ein Persönlichkeitsprofil des Täters zu erstellen.«
Banks nickte beifällig. »Das wird unsere bisherigen Informationen sicherlich bereichern. Wie kann ich dabei helfen?«
»Ich würde nur gerne mit Ihnen ein paar Details über die Vorfälle durchgehen«, sagte Jenny, von dem Notizblock in ihrem Schoß zu ihm hochblickend. »Es waren bisher drei, wenn ich richtig informiert bin?«
»Vier inzwischen, wenn wir den von letzter Nacht mitrechnen. Eine Blondine, wie gehabt.«
Jenny nickte und korrigierte ihre Aufzeichnungen.
»Vielleicht könnten Sie beide einen Termin ausmachen, an dem Sie das besprechen wollen«, schlug Gristhorpe vor.
»Wie wär’s mit gleich?« erkundigte sich Banks.
»Tut mir leid«, meinte Jenny. »Ich fürchte, das wird ein wenig länger dauern, und ich habe Vorlesung in einer Stunde. Was halten Sie von heute Abend? Ich will natürlich nicht über Ihre freie Zeit verfügen ... «
Banks überlegte rasch. Heute war Dienstag; Sandra würde in ihrem Foto-Klub sein, und die Kinder, die jetzt schon ohne Babysitter auskamen, würden zweifellos begeistert sein, einen opernfreien Abend zu haben. »In Ordnung«, stimmte er zu. »Sagen wir, um sieben im Queen's Arms hier gegenüber. Paßt Ihnen das?«
Jennys Lachfalten um die Augen kräuselten sich und gaben ihr ein höchst vergnügtes Aussehen. »Warum nicht? Schließlich handelt es sich um ein rein inoffizielles Gespräch. Ich möchte mir nur ein Bild machen können von dem psychologischen Typus.«
»Dann also bis heute Abend«, sagte Banks.
Jenny griff nach ihrer Aktentasche, und er hielt ihr die Tür auf, während Gristhorpe ihn mit einem Blick wissen ließ, daß er ihm noch etwas zu sagen hatte. Nachdem Jenny gegangen war, ließ sich Banks wieder in seinem Sessel nieder, und Gristhorpe ließ seine Sekretärin kommen, um Kaffee zu bestellen.
»Gute Frau«, meinte Gristhorpe und rieb sich das rote, pockennarbige Gesicht mit seiner dichtbehaarten Hand. »Ich habe Ted Simpson gesagt, er soll mir eine echte Klassefrau aussuchen für den Job, und ich finde, er hat seine Sache gut gemacht, oder nicht?«
»Das wird sich noch herausstellen«, erwiderte Banks. »Aber sie läßt sich in der Tat recht vielversprechend an ... Sie haben also eine Frau haben wollen. Warum? Hat Mrs. Hawkins aufgehört, Sie zu bekochen und Ihr Haus zu putzen?«
»Nein, nein«, lachte Gristhorpe. »Sie backt mir immer noch frischen Kuchen und hält alles in Ordnung. Nein – ich bin nicht hinter einer neuen Ehefrau her. Meine Motive sind rein politisch.«
Banks verstand recht gut, was Gristhorpe damit meinte, zog es aber vor, den Dummen zu spielen. »Politisch?«
»Ja – politisch, diplomatisch, taktisch, wie immer Sie wollen. Sie wissen, was das heißt. Es ist mein Job, jedenfalls der größte Teil davon. Und meine schlimmste Nervensäge. Die Feministinnen sitzen uns im Nacken und behaupten, wir kümmern uns nicht um die Sache, weil nur Frauen davon betroffen sind. Und wenn sie jetzt feststellen, daß wir mit einer offenkundig fähigen und erfolgreichen Frau zusammenarbeiten, werden ihnen wohl die Argumente ausgehen, meinen Sie nicht?«
Banks lächelte in sich hinein. »Ich verstehe, was Sie meinen. Und wie sollen die Damen erfahren, daß wir Jenny Fuller zu Rate gezogen haben? Das ist wohl kaum der richtige Stoff für Schlagzeilen.«
Gristhorpe legte den Finger an seine Hakennase. »Jenny Fuller hat Kontakte zu den hiesigen Feministinnen und wird über alles, was hier vorgeht, Bericht erstatten.«
»Ist das denn in Ordnung?« grinste Banks. »Und ich soll also mit ihr zusammenarbeiten? Dann werd’ ich wohl besser ein bißchen auf der Hut sein, wie?«
»Das dürfte Ihnen wohl nicht schwerfallen, oder?« bemerkte Gristhorpe und blickte unschuldsvoll wie ein neugeborenes Kind aus seinen blauen Augen. »Schließlich haben wir doch nichts zu verbergen, stimmt’s? Wir wissen, daß wir immer unser Bestes tun, auch in diesem Fall, und ich will nur erreichen, daß auch andere das wissen, das ist alles. Abgesehen davon können solche Persönlichkeitsprofile in Fällen wie diesen sehr nützlich sein. Sie helfen uns dabei, bestimmte Muster aufzudecken, damit wir besser wissen, wonach wir suchen müssen. Und unserer Jenny wird wohl nicht viel entgehen, wie? Ein echtes Prunkstück für die Polizei, meinen Sie nicht auch?«
»Ohne Zweifel.«
»Nun denn«, lächelte Gristhorpe und klatschte mit den Händen auf seinen Schreibtisch. »Keine Probleme also. Was tut sich eigentlich bei diesen Einbrüchen?«
»Das ist eine ziemlich merkwürdige Sache. Auch hier haben wir drei Vorfälle binnen eines Monats, allesamt bei älteren Frauen, die allein zu Hause waren. In einem Fall hat’s sogar einen gebrochenen Arm gegeben, aber wir sind bisher nicht viel weiter gekommen als bei unserem Voyeur. Immerhin müssen wir uns nicht von irgendwelchen Seniorengruppen beschimpfen lassen, daß wir angeblich nichts tun, weil nur alte Leute betroffen sind.«
»So sind nun mal die Zeiten, Alan«, meinte Gristhorpe. »Und Sie werden zugeben müssen, daß die Feministinnen durchaus Grund zur Klage haben, wenn auch nicht gerade in unserem Fall.«
»Ich weiß, aber es irritiert mich trotzdem, in aller Öffentlichkeit kritisiert zu werden, obwohl ich mein Möglichstes tue.«
»Nun, dann haben Sie ja jetzt die Möglichkeit, diesen Eindruck zu korrigieren. Was ist übrigens mit diesem Hehler aus Leeds? Meinen Sie, er könnte uns bei diesen Einbrüchen weiterhelfen?«
»Möglicherweise«, meinte Banks achselzuckend. »Kommt drauf an, wie gut Mister Crutchleys Gedächtnis ist. Das hängt von verschiedenen Voraussetzungen ab.«
»Zum Beispiel von dem Grad des Drucks, den Sie ausüben, ich verstehe. Aber ich könnte mir vorstellen, daß Joe Barnshaw da schon einige Vorarbeit geleistet hat. Er ist ein guter Mann. Warum wollen Sie die Sache nicht ihm überlassen, statt sich selbst damit zu belasten?«
»Es ist immerhin unser Fall. Ich will selbst mit Crutchley sprechen, auf diese Weise brauch’ ich niemandem Vorwürfe zu machen, wenn etwas schiefläuft. Und vielleicht klingelt’s ja irgendwo bei mir, wenn er seine Aussage macht. Ich werde Inspector Barnshaw...