E-Book, Deutsch, Band 114, 64 Seiten
Reihe: Skull Ranch
Roberts Skull-Ranch 114
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7517-5355-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Totentanz in Golden City
E-Book, Deutsch, Band 114, 64 Seiten
Reihe: Skull Ranch
ISBN: 978-3-7517-5355-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Golden City, die kleine Goldgräberstadt im Herzen Colorados, steht Kopf. Wie ein Lauffeuer hat es sich herumgesprochen, dass ein Wanderzirkus in die Stadt gekommen ist. Schwertschlucker, Dompteure und eine Bauchtänzerin werden für ein paar Tage das Einerlei zwischen Diggercamps und Saloons ablösen. Eine Attraktion ist Mexico-Joe, der Messerwerfer.
Als John Morgan, der Boss der Skull-Ranch, bei einem Besuch des Zirkus einen Blick hinter die Kulissen wirft, macht er eine folgenschwere Entdeckung. Und schon bald ist in Golden City die Hölle los...
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Totentanz in Golden City
von Dan Roberts
Golden City, die kleine Goldgräberstadt im Herzen Colorados, steht Kopf. Wie ein Lauffeuer hat es sich herumgesprochen, dass ein Wanderzirkus in die Stadt gekommen ist. Schwertschlucker, Dompteure und eine Bauchtänzerin werden für ein paar Tage das Einerlei zwischen Diggercamps und Saloons ablösen. Eine Attraktion ist Mexico-Joe, der Messerwerfer.
Als John Morgan, der Boss der Skull-Ranch, bei einem Besuch des Zirkus einen Blick hinter die Kulissen wirft, macht er eine folgenschwere Entdeckung. Und schon bald ist in Golden City die Hölle los...
»Wohin fahren wir, Boss?«, fragt der schlanke Mann, der sein Pferd neben dem ersten Wagen zügelt.
Auf dem Kutschbock sitzt der Boss der Truppe, Oliver Bickerstaff. Er blickt Joe Pareda an und lächelt schwach.
»Nach Golden City«, antwortet der Boss. »Die Stadt liegt mitten im Goldland. Dort haben die Leute Geld, Joe.«
Joe Pareda lacht hart und humorlos auf. Er fährt sich mit dem Zeigefinger der Linken über den schmalen, schwarzen Schnurrbart.
»Hoffentlich geht es uns nicht so wie in Cripple Creek«, sagt er. »Wir bekamen kaum genug Dollars rein, um essen zu können. Mann, Boss, wir haben zwei Mavericks gestohlen, um die Tiere satt zu bekommen!«
Bickerstaff zuckt etwas zusammen. Er möchte am liebsten nicht daran erinnert werden. Denn er ist eigentlich ein anständiger Mann. Nur in höchster Not vergreift er sich am Eigentum anderer. Und das auch nur, um die Tiere satt zu bekommen.
Für sich selbst oder für seine Leute hat Oliver Bickerstaff noch niemals etwas gestohlen.
»Joe, verlass dich drauf«, sagt der Boss mit einer Zuversicht in der Stimme, die er selbst nicht fühlt, »in Golden City machen wir einen Haufen Dollars.«
Pareda blickt den Chef der Show lange an und murmelt: »Wird auch Zeit, Boss. Du schuldest mir noch über hundert Dollar für die letzten Auftritte.«
Bevor Bickerstaff antworten kann, gibt Joe seinem Pferd die Zügel frei.
Der Schimmelhengst stürmt davon. Weit vor den langsam dahinzuckelnden Zirkuswagen galoppiert der Messerwerfer.
Joe Pareda ist ein halber Mexikaner. Darum kündigt ihn Ollie, wie ihn die meisten seiner Künstler nennen, auch als Mexico-Joe an, wenn Pareda an der Reihe ist, sein Können zu zeigen.
»Verdammt, warum habe ich nicht die Finger von dem Kerl gelassen?«, fragt sich Ollie bitter.
Aber er kennt die Antwort genau. Er brauchte einfach einen neuen Messerwerfer. Denn im Norden New Mexicos trat Joes Vorgänger betrunken zu seiner Vorstellung an. Und dabei verletzte er einen Mann aus dem Publikum. Es ging alles ziemlich schnell: Ein Colt wummerte, und der betrunkene Zirkuskünstler war tot.
Ollie erwog damals, ob er den Zuschauern nicht verbieten sollte, das Zelt mit Waffen zu betreten.
Aber diese Idee ist hier im Westen nicht durchzusetzen.
Eine seltsame Melodie klingt vom dritten Wagen her auf.
Sheila übt den Text des Liedes, den sie immer noch nicht genau kennt. Sie tritt in »Ollies größter Supershow« als Bauchtänzerin auf. Roja, die Dame aus dem fernen Ägypten, nennt der Zirkusboss sie.
Aber Sheila stammt aus England. Ihre ersten Kindheitsjahre verbrachte sie in den dreckigen Kohlestädten. Aber als Roja, die Blume des Orients, macht sie sich sehr gut auf der Bühne.
Oliver Bickerstaff denkt an die anderen Mitglieder seiner Truppe.
Er weiß, dass es längst größere Zirkusunternehmen gibt. Aber die sind zu unbeweglich. Sie brauchen Unmengen von Transportraum und können nur in der Nähe der Bahnlinien auftreten.
Das ganze Land dazwischen ist für Leute wie Ollie.
Aber dieses Jahr war schlecht. Überhaupt hat sich das Geschäft mächtig verschlechtert, seit der Bürgerkrieg zu Ende ist. Im besiegten Süden haben die Leute kein Geld, sich zu amüsieren.
Es ist nicht mehr so wie früher, als die reichen Baumwollpflanzer und Rancher die ganze Truppe zu Privatvorstellungen verpflichteten.
Die guten Zeiten sind vorbei.
Aber Ollie gibt nicht auf. Er ist zäh und starrsinnig. Er nimmt Rückschläge hin, rappelt sich auf und macht weiter.
Denn er kann sich kein anderes Leben vorstellen.
»Heee, Onkel Ollie«, ruft eine Kinderstimme, »kann ich zu dir raufkommen?«
Bickerstaff lächelt. Als er an die Mengen denkt, die dieser elfjährige Junge beim Essen verdrückt, wirkt das Lächeln auf einmal etwas gezwungen.
Sim Jackson ist lang aufgeschossen, eigentlich ziemlich groß für seine elf Jahre. Aber er futtert, als wolle er die doppelte Länge erreichen.
Sim und seine Mutter pickte Ollie in Cripple Creek auf. Die beiden standen lange bei den Tieren und sahen zu, wie das Zelt aufgebaut wurde.
Doch in der Vorstellung waren sie nicht.
Später sah Ollie die schöne Frau und ihren Sohn abermals zwischen den Wagen und sprach sie an.
Sie hatten kein Geld. Mrs. Jackson verdiente mit Näharbeiten und Waschen gerade so viel, dass sie davon kärglich leben konnten. Sie und Sim schliefen in einem verlassenen Bretterhaus im ehemaligen Diggergebiet. Das kostete nichts, aber es war zugig und kalt in den Nächten.
Alles, was Bickerstaff aus der Frau herausbekam, war, dass sie jemanden suchte.
Er lud sie und ihren Jungen ein, mit dem Zirkus weiterzuziehen. Denn weiter nach Westen wollte Donna Jackson. Aber in Cripple Creek war der letzte Dollar verbraucht gewesen.
Sim schwingt sich auf den Kutschbock und setzt sich neben den Boss der Supershow.
»Na, Mr. Jackson«, sagt der Direktor, wie er sich nennen lässt, »wann hast du dir eine gute Nummer ausgedacht?«
Sim grinst, dass die Sommersprossen auf Stirn und Nase eine einzige bräunliche Fläche bilden.
»Ich bleibe erst mal bei Ma«, erwidert er. »Es ist nicht gut, wenn in diesen Zeiten 'ne Frau alleine reist.«
Ollie lächelt leicht, als er feststellt: »Das ist okay. Du wirst sie schon beschützen. Aber was ist, wenn ihr euer Ziel erreicht habt? Werdet ihr dann siedeln oder ranchen?«
Der Junge nagt an seiner Unterlippe. Er blickt auf das herrliche Land ringsherum und zieht die Schultern hoch.
»Ich weiß es nicht«, murmelt er unsicher. »Darüber haben Ma und ich noch nicht gesprochen. Aber ich würde gerne hierbleiben. Es ist schön.«
O ja, es ist wirklich schön in der Bergwildnis der Rocky Mountains. Überall gibt es Wasser genug. Douglasfichten und Drehkiefern wachsen bis zur Baumgrenze. Immer wieder leuchten sattgrüne Grasflächen zwischen den Stämmen auf. Die Blüten von Silberwurz und Gelbhonig bilden schimmernde Farbtupfer inmitten dieses Grüns.
»Das ist nichts für mich«, sagt Ollie halblaut. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, für immer an einem Ort zu bleiben. Nach einem halben Jahr würden mir die Füße so jucken, dass ich einfach davonlief.«
Sim hat eine Antwort bereit.
»Du bist ja auch ein Zirkusmann«, meint er. »Dir liegt das Wandern im Blut.«
Bickerstaff blickt den Jungen aus den Augenwinkeln an und fragt: »Und das würde dir nicht gefallen, das Umherziehen? Du siehst eine Menge von Gottes eigenem Land.«
Der Junge lässt sich Zeit mit seiner Antwort. Er überlegt sich sorgfältig, was er sagen will.
»Was kann ich bei dir machen, Onkel Ollie?«, fragt er. »Ich kann die Tiere füttern und sauber halten. Ich kann helfen, wenn das Zelt aufgebaut wird, weiter nichts. Das ist mir nicht genug, verstehst du? Ma sagt immer, ein Mann muss was aufbauen, für sich selbst sorgen.«
Bickerstaff lächelt nicht, als er die Antwort hört. Stattdessen sagt er: »Weißt du, wie ich angefangen habe? Genauso. Zuerst half ich überall. Dann beschäftigte ich mich mit den Bären und Pumas. Und eines Tages war ich so weit, dass ich die Tiere vorführen durfte. So ging es immer weiter. Und du siehst ja selbst, was ich aufgebaut habe.«
Sim weiß es. Aber er weiß auch, dass es ein hartes Leben ist, das die Gaukler führen. Oft genug haben sie zu wenig Dollars, um satt zu werden. Denn die Tiere gehen vor.
Er will das nicht so direkt sagen. Darum schweigt er lieber.
Der schnurrbärtige Messerwerfer reitet wieder heran.
Er beachtet den Jungen gar nicht. Der ist für ihn Luft. Aber Sims Mutter interessiert Joe Pareda sehr. Sie ist die einzige Frau, die nicht mit einem Mann zusammenlebt.
»Alles frei«, sagt Joe, »wann machen wir Mittag, Boss?«
»Heute überhaupt nicht«, antwortet Ollie. »Ich will so schnell wie möglich nach Golden City. Dort haben wir Zeit genug, uns auszuruhen und zu essen.«
Missmutig reißt Pareda am Zügel. Das passt dem Messerwerfer überhaupt nicht. Aber er hält den Mund. Denn wenn er mit Ollie Bickerstaff zu hart umspringt, wird ihn der Boss rauswerfen. Und das kann Joe gar nicht gebrauchen.
Denn seine Pläne haben mit dem kleinen Wanderzirkus zu tun.
Shorty stöhnt halblaut und dreht sich um. Der Kleine spürt etwas sehr Hartes im Rücken. Ächzend versucht der Cowboy, sich aufzurichten. Es geht nicht.
»O verdammt«, murmelt er,...




