Roman
E-Book, Deutsch, 512 Seiten
ISBN: 978-3-641-15663-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die schöne Adrianne führt ein Doppelleben. Bei Tag ist sie die elegante Society-Lady, bei Nacht eine gefürchtete Juwelendiebin. Doch all ihre Einbrüche sind nur Fingerübungen für ihren größten Coup. Sie will jenen Mann bestehlen, der einst ihrer Mutter das Leben zur Hölle machte - ihren eigenen Vater, einen arabischen Scheich. Nur einer könnte ihre Pläne vereiteln: der attraktive Philip Chamberlain, Ex-Juwelendieb und Interpol-Agent. Er heftet sich an ihre Fersen und lässt sich nicht mehr abschütteln.
Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane.
Weitere Infos & Material
2. Kapitel
Jaquir, 1968
Adrianne lag zusammengerollt auf der Seite und beobachtete hellwach vor Aufregung, wie die Zeiger der Uhr auf Mitternacht zutickten. Gleich hatte sie Geburtstag. Dann würde sie fünf Jahre alt sein. Sie drehte sich auf den Rücken und umarmte sich aus lauter Vorfreude selbst. Der ganze Palast lag in tiefem Schlummer, doch in wenigen Stunden würde die Sonne aufgehen und der Muezzin die Stufen der Moschee hochsteigen, um die Gläubigen zum Gebet zu rufen. Der Tag, der wundervollste Tag ihres Lebens, würde dann endlich beginnen. Am Nachmittag würde es Musik und Geschenke für sie geben und Teller voller Schokolade. Die Frauen würden ihre schönsten Kleider tragen und tanzen. Alle würden kommen: Großmutter, um ihr Geschichten zu erzählen; Tante Latifa, die immer lächelte und niemals schimpfte, würde Duja mitbringen; Favel mit ihrem lustigen Lachen würde ihre Stute führen. Adrianne lächelte. Durch die Gemächer der Frauen würde helles, fröhliches Lachen erklingen, und jeder würde ihr sagen, wie hübsch sie sei. Mama hatte ihr versprochen, daß es ein ganz besonderer Tag sein werde. Ihr Festtag. Mit der Erlaubnis ihres Vaters würden sie nachmittags einen Ausflug zum Meer unternehmen. Sie hatte ein neues Kleid bekommen, ein wunderschönes gestreiftes Seidenkleid, das in allen Farben des Regenbogens schillerte. Die Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt, drehte sich Adrianne zu ihrer Mutter hin. Phoebe schlief, im Mondlicht schimmerte ihr Gesicht wie Marmor und sah auf einmal ganz friedlich aus. Adrianne liebte diese Tage, wenn ihre Mutter ihr erlaubte, zu ihr in dieses große, weiche Bett zu kriechen. Das war etwas ganz Besonderes. Dann kuschelte sie sich dicht an sie heran und lauschte den Geschichten, die Phoebe ihr von fremden Orten wie New York oder Paris erzählte. Manchmal kicherten sie auch wie kleine Gänschen. Ganz behutsam, um sie nicht aufzuwecken, streichelte Adrianne über das Haar ihrer Mutter. Es faszinierte sie. Wie Feuer schimmerte es auf dem weißen Kopfkissen, ein gewaltiges, glühendes Feuer. Mit ihren fünf Jahren war Adrianne bereits Frau genug, um ihre Mutter um ihr Haar zu beneiden. Ihr eigenes Haar war fest und schwarz wie das der anderen Frauen in Jaquir. Nur Phoebe hatte rotes Haar und eine weiße Haut. Nur Phoebe war Amerikanerin. Adrianne war Halbamerikanerin, doch darin erinnerte Phoebe sie nur, wenn sie allein waren. Solche Gespräche machten ihren Vater ärgerlich. Adrianne hatte ein gutes Gespür entwickelt, wenn es darum ging, Themen zu vermeiden, die ihren Vater zornig machten; obwohl sie nicht ganz verstand, warum bei der Erwähnung, daß ihre Mutter Amerikanerin ist, die Augen ihres Vaters hart und seine Lippen schmal wurden. Sie war ein Movie-Star gewesen. Dieser Ausdruck verwirrte Adrianne immer ein wenig, aber sie liebte dessen fremdartigen Klang. Movie-Star. Bei diesen Worten dachte sie an geheimnisvolle Lichter an einem schwarzen Himmel. Ihre Mutter war ein Star gewesen, und nun war sie eine Königin; die erste Frau von Abdu ibn Faisal Rahman al-Jaquir, dem Herrscher von Jaquir, dem Scheich der Scheichs. Ihre Mutter war die schönste aller Frauen, mit ihren großen blauen Augen und dem vollen, weichen Mund. Sie überragte die Frauen des Harems um Haupteslänge und ließ sie wie kleine Vögelchen erscheinen. Adrianne hatte nur einen Wunsch: ihre Mutter glücklich zu sehen. Mit ihren fünf Jahren hoffte Adrianne, nun endlich verstehen zu können, warum ihre Mutter oft so traurig war und heimlich weinte, wenn sie sich unbeobachtet fühlte. In Jaquir wurden die Frauen beschützt und behütet. Diejenigen, die im Palast von Jaquir lebten, wurden von der Außenwelt abgeschirmt, und es war ihnen nicht gestattet zu arbeiten. Sie bekamen alles, was sie brauchten – schöne Kleider und die erlesensten Parfums. Ihre Mutter besaß traumhafte Roben und Juwelen. Sie besaß das berühmte Kollier Sonne und Mond. Adrianne schloß die Augen, um das Bild dieses Kolliers am Hals ihrer Mutter herbeizuzaubern. Wie dieser große Diamant, genannt die Sonne, funkelte, und die unbezahlbare Perle, der Mond, schimmerte. Eines Tages, hatte ihr Phoebe versprochen, würde sie dieses Kollier tragen. Wenn sie erwachsen war. Wohlig und zufrieden, dem ruhigen Atem ihrer Mutter lauschend, stellte Adrianne sich die Zukunft vor. Wenn sie erwachsen war, wenn aus dem kleinen Mädchen eine Frau geworden war, würde sie einen Gesichtsschleier tragen. Dann würde man einen Ehemann für sie auswählen und sie verheiraten. An ihrem Hochzeitstag würde sie Sonne und Mond tragen und eine gute, fruchtbare Frau werden. Sie würde Feste für die anderen Frauen geben und eisgekühlte Torten und Pralinen herumreichen lassen. Ihr Ehemann würde so gutaussehend und mächtig sein wie ihr Vater. Vielleicht würde auch er ein König sein und sie auf Händen tragen. Während sie dann langsam einschlummerte, drehte sie eine Locke ihres langen Haars um den Zeigefinger. Ihr Ehemann würde sie mit derselben Innigkeit lieben, die sie sich von ihrem Vater so sehr wünschte. Sie würde ihrem Gemahl prächtige Söhne schenken, viele prächtige Söhne, so daß die anderen Frauen sie mit Neid und Respekt betrachten würden. Nicht mit Mitleid. Nicht mit dem mitleidigen Lächeln, mit dem sie ihre Mutter stets bedachten. Ein Licht weckte sie. Es fiel durch die geöffnete Tür und warf einen harten Streifen auf den Fußboden. Durch den hauchdünnen Vorhang, der das Bett einhüllte wie ein Kokon, sah sie einen Schatten. Erst stieg Freude in ihr auf, ein schmerzlicher Ausbruch, den zu verstehen sie noch zu jung war. Doch gleich darauf kam Angst, die Angst, die stets der Liebe folgte, die sie spürte, wenn sie ihren Vater sah. Er würde ärgerlich werden, wenn er sie hier entdeckte, im Bett ihrer Mutter. Das wußte sie, denn es war ein offenes Geheimnis im Harem, daß ihr Vater ihre Mutter nur selten besuchte, seit die Ärzte ihm eröffnet hatten, daß sie keine Kinder mehr bekommen könne. Adrianne glaubte, daß er Phoebe vielleicht nur betrachten wollte, weil sie so wunderschön war. Doch als er näher kam, schnürte ihr eine plötzliche Furcht die Kehle zu. Rasch schlüpfte sie aus dem Bett und verbarg sich im Schatten dahinter. Abdu, seine Augen auf Phoebe gerichtet, zog den Vorhang beiseite. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Tür zu schließen. Niemand würde es wagen, ihn zu stören. Bläuliches Mondlicht ergoß sich über Phoebes Haar und ihr schlafendes Gesicht. Sie sah aus wie eine Göttin, genau wie damals, als er sie zum erstenmal gesehen hatte. Dieses Gesicht mit seiner berauschenden Schönheit und dem erregenden Sex-Appeal hatte die ganze Leinwand ausgefüllt und zum Knistern gebracht. Phoebe Spring, die amerikanische Schauspielerin, die Frau, die die Männer wegen ihres sinnlichen Körpers und ihrer unschuldigen Augen gleichzeitig begehrten und fürchteten. Abdu war ein Mann, der nur das Beste, Größte und Teuerste gewöhnt war. Damals hatte er sie begehrt, wie er noch nie eine Frau zuvor begehrt hatte. Er hatte sie aufgespürt und ihr den Hof gemacht, wie es westliche Frauen lieben. Er hatte sie zu seiner Königin gemacht. Und sie hatte ihn verzaubert. Um ihretwegen hatte er sein Erbe verraten und mit der Tradition gebrochen. Er hatte eine westliche Frau zur Gemahlin genommen, eine Schauspielerin, eine Christin. Und er war dafür bestraft worden. Sein Samen hatte in ihr nur ein einziges Kind gezeugt – ein Mädchen. Doch sie erregte ihn noch immer. Ihr Leib war unfruchtbar, aber ihr Körper reizte ihn. Obgleich sich seine Faszination in Abscheu verwandelt hatte, begehrte er sie. Sie beschämte ihn, besudelte sein sharaf, seine Ehre, durch ihre Ignoranz gegenüber dem Islam, doch sein Körper verlangte nach ihr. Wenn er seine Männlichkeit tief in den Körper einer anderen Frau versenkte, war es Phoebe, die er liebte; Phoebe, deren Haut er roch; Phoebe, deren Schreie er hörte. Das war seine heimliche Schmach. Allein dafür hätte er sie hassen können. Doch es war vielmehr die öffentliche Schande, die Tatsache, daß sie ihm nur diese einzige Tochter geboren hatte, die ihn dazu brachte, sie zu verachten. Er wollte, daß sie litt, dafür bezahlte, genau wie er gelitten und dafür bezahlt hatte. Er griff nach dem Laken und zog es mit einem Ruck beiseite. Phoebe erwachte, noch ganz benommen, doch ihr Herz begann schon wild zu klopfen. Sie sah ihn nur als Schatten über ihr stehen. Zuerst glaubte sie sich noch in dem Traum, den sie gerade geträumt hatte, in dem er zurückgekommen war, um sie so zu lieben, wie er sie einst geliebt hatte. Aber dann sah sie seine Augen und wußte, dies war kein Traum und keine Liebe. »Abdu.« Sie dachte an das Kind und blickte rasch neben sich. Das Bett war leer. Adrianne war nicht mehr da. Phoebe schickte ein stummes Dankgebet gen Himmel. »Es ist spät«, begann sie, doch ihre Kehle war trocken und die Worte kaum hörbar. Unwillkürlich wich sie zurück; die seidenen Laken knisterten leise, als sie sich wie ein Embryo zusammenkrümmte. Er sagte kein Wort, streifte nur seine weiße throbe ab. »Bitte.« Obwohl sie wußte, daß es ihr nichts nützte, brach sie in Tränen aus. »Tu es nicht.« »Eine Frau hat kein Recht, ihrem Mann seine Wünsche zu verweigern.« Der Anblick ihres reifen Körpers, der nun vor Angst zitterte, vermittelte ihm ein Gefühl von Macht, das Gefühl, seine Geschicke in der Hand zu halten. Was immer sie sonst sein mochte, sie war sein Eigentum – sie gehörte ihm wie die Diamantringe an seinen Fingern und die Pferde in seinem Stall. Er packte sie am Träger ihres Nachthemds und...