E-Book, Deutsch, 202 Seiten
Rink Wenn Gott reklamiert
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7615-6758-6
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das große Schreien der Kleinen Propheten
E-Book, Deutsch, 202 Seiten
ISBN: 978-3-7615-6758-6
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fußballer tun es, wenn sie einen Elfmeter wollen, Kunden, wenn sie nicht zufrieden sind: Reklamieren. Doch nicht nur wir sind unzufrieden mit unseren Mitmenschen und der Welt. Auch Gott reklamiert. Und hat besondere Gestalten betraut, die Menschen wachzurufen: Die zwölf "Kleinen" Propheten. Sie sind die Nervensägen ihrer Zeit: Sie reizen das politische und religiöse Establishment und nerven die Zeitgenossen mit ihrer maßlosen Kritik - und mit ihrer überschwänglichen Hoffnung. Sie reißen Wunden auf, halten Spiegel vor und wischen Tränen ab. Sie reklamieren Macht, Zorn, Rache und vieles mehr - und werben zugleich für ein zutiefst menschliches Leben.
Sebastian Rink gelingt es, die Kleinen Propheten über die Jahrhunderte hinweg in unsere Zeit reden zu lassen. Jeden Propheten stellt er dabei anhand einer konkreten Fragestellung vor. Schnell wird klar: Klein sind nur ihre Bücher - ihre Botschaft ist schlichtweg großartig!
Jung, verständlich und unterhaltsam geschrieben gibt dieses Buch wichtiges Hintergrundwissen zum Lesen der biblischen Bücher und konkrete Anregungen für den heutigen Glauben an die Hand. Mit seinen inhaltlichen, historischen und bibelwissenschaftlichen Hinterfragungen spricht es dabei auch Glaubensskeptiker und Agnostiker an.
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Die Zwölf Propheten Etwas stimmt nicht mit der Welt. Das hat auch der Himmel bemerkt und besondere Gestalten damit betraut, die Menschen wachzurufen: Propheten. Sie reißen Wunden auf, halten den Spiegel vor, wischen Tränen ab und verbreiten Hoffnung. Sie richten und rütteln, schreien und flüstern, fluchen und segnen. Darin sind sie echt und ehrlich wie das Leben. Ob sie sogar über die Jahrhunderte hinweg in unsere Zeit schreien? Das will ich wissen. Sie präsentieren kritische Reden für das jeweilige Heute, aber nicht nur das. Mit ihnen passiert noch mehr, denn in ihren Worten hören Menschen seit Hunderten von Jahren die Stimmen Gottes rufen. Sie bekommen seit einer gefühlten Ewigkeit zu spüren, was es bedeutet, „wenn Gott reklamiert“. Was da reklamiert wird, werden wir in den nächsten zwölf Kapiteln mit den zwölf „kleinen“ Propheten erleben. So viel sei schon verraten: Wenn Gott reklamiert, dann ist das Leben in all seinen Facetten betroffen, dann werden die Selbstverständlichkeiten unserer Welt tief ins Mark getroffen. Denn sonst wäre es nicht Gott, der da reklamiert. In diesem fortlaufenden Schlüsselwörtchen steckt übrigens ein dreifaches Sprachspiel: Eine Sache zu reklamieren bedeutet ja erstens, sie aufgrund von Mängeln oder Nicht-Gefallen zurückgeben zu wollen. Das scheint bei den Propheten auf fast jeder Seite durch. Es hört sich gelegentlich so an, als wollte Gott eine nicht ganz funktionstüchtige Menschheit zurückgeben. Zweitens bedeutet eine „Reklamation“, einen Anspruch geltend zu machen, etwas für sich zu reklamieren. Auch das klingt in den Worten an, denn unsere Gottheit beansprucht die Menschheit für sich, obwohl etwas mit ihr so gar nicht stimmt. Drittens steckt im Wort die „Reklame“. So habe ich die Propheten durchweg erlebt: als Werbetexter. Sie bewerben eine zutiefst menschliche Welt, sie werben für ein göttliches Leben. Und so wirbt das Göttliche letztlich für sich selbst. Gott reklamiert. Nur kurz, aber nicht klein Verschaffen wir uns zunächst einen Überblick über die Texte, die uns von nun an begleiten werden. Nebenbei sei natürlich empfohlen, diese zwölf kurzen Bibelbücher aus dem Ersten Testament parallel zu lesen. Im besten Fall macht dieses Buch sogar neugierig darauf, das zu tun. Den Propheten ist in der dreiteiligen Hebräischen Bibel neben der „Tora“ (den fünf Mosebüchern) und den „Ketuvim“ (Schriften) ein eigener Teil gewidmet, die sogenannten „Nevi’im“. Aus den Anfangsbuchstaben der drei Begriffe ergibt sich der Name „Tanach“ für die Hebräische Bibel. Zu den Prophetenbüchern gehören neben den klassischen „hinteren“ Propheten übrigens auch als „vordere“ Propheten die Bücher Josua, Richter, Samuel und Könige. In der christlichen Bibel werden sie als Geschichtsbücher gehandelt. Gemeinsam folgen sie auf die Tora, die von Mose als dem größten aller Propheten erzählt (5. Mose 34,10). Uns interessiert innerhalb der Nevi’im das Zwölfprophetenbuch. Es heißt so, weil die enthaltenen Propheten der jüdischen Tradition als ein einziges Buch in zwölf Teilen gelten. Die Geschichte seiner Entstehung ist kompliziert und langwierig, sie reicht wohl vom achten Jahrhundert vor der Zeitenwende bis in die sogenannte hellenistische Zeit zum Ende des vierten Jahrhunderts vor unserer Zeit. Ein wenig genauer schauen wir uns das zu gegebener Zeit an. Übrigens: Wenn nichts anderes angegeben ist, beziehen sich alle Datierungen im Buch auf die Jahre vor unserer Zeitenwende. Bekannter als die Bezeichnung „Zwölfprophetenbuch“ ist der Name „Kleine Propheten“. Das sind die mit den teilweise recht merkwürdigen Namen: Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja und Maleachi. Sie sind aber nur deshalb „klein“, weil sie relativ wenig Text mitbringen. Was sie sagen, ist dagegen ziemlich groß und mächtig. Wir finden zum Beispiel einige der schönsten Bibelverse bei diesen Propheten: Zefanja 3,17: G*tt, dein Gott in deiner Mitte, eine mächtige Hilfe, freut sich an dir in Verzückung – mal schweigend in Liebe, mal schreiend vor Freude. Das geht doch runter wie Öl. Uns begegnen aber auch verstörende Texte, die in die tiefsten Abgründe menschlicher Gottesvorstellung schauen lassen, vielleicht sogar in die tiefsten Abgründe Gottes, wenn etwa derselbe Zefanja Gott schreien lässt: Zefanja 1,2–3: „Raffen! Ich raffe alles von der Erdoberfläche!“ Ein Spruch G*ttes. „Ich raffe Mensch und Tier, ich raffe die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, die Gottlosen mache ich zu Ruinen, den Menschen rotte ich von der Erdoberfläche aus!“ Ein Spruch G*ttes. Das ist noch nicht das Schlimmste, so viel sei schon gesagt. Es gibt Stellen, da muss ich meine Bibel beim Lesen für einen Moment beiseitelegen. Trotzdem werden wir uns ihnen stellen, nach und nach. Dabei werden wir unter anderem feststellen, dass diese zwölf Prophetenbücher Texte aus längst vergangener Zeit sind. Doch auf geheimnisvolle Weise wirken sie manchmal sehr aktuell. Wir werden gemeinsam versuchen, sie über die Jahrhunderte hinweg in unsere Zeit sprechen zu lassen. Der Name Gottes Gerade tauchte der Name Gottes zum ersten Mal auf und wird noch häufiger zu lesen sein, daher ein paar Worte dazu. Aus den meisten Übersetzungen kennen wir es, dass der Eigenname Gottes mit „Herr“ wiedergegeben wird. Gern auch als „HERR“ oder „HErr“ um anzuzeigen, dass im Hebräischen die göttlichen vier Buchstaben stehen: JHWH, der Name Gottes. Er wird in jüdischer Tradition niemals ausgesprochen. Als es noch einen Tempel gab (bis ins Jahr 70 unserer Zeitrechnung), durfte der Hohepriester ihn einmal pro Jahr am Versöhnungstag aussprechen. Sonst und seither nicht. Daher hat man sogar vergessen, wie er ausgesprochen wird, vermutlich „Jahwe“. Als Ersatzwort wird „Adonaj“ gelesen, was ungefähr „(mein) Herr“ bedeutet. Das einfach ins Deutsche zu übernehmen, ist aber schwierig, weil schon die hebräische Schreibweise die Übertragung auf den „Herrn“ etwas verfremdet. Außerdem ist Gott kein Mann, wie wir von Hosea lernen werden. Das sollte auch die Sprache berücksichtigen. Solch ein Respekt vor dem Namen Gottes ist etwas ganz Wunderbares, weil auf diese Weise deutlich wird, was den Propheten auf jeder Seite abzulesen ist: Gott ist ein Geheimnis. Man kann es nicht einfach benennen, sie nicht einfach beschreiben, ihn nicht einfach so definieren. Um beides einzufangen, habe ich mich für die Schreibweise „G*tt“ entschieden. Sie greift erstens eine Tradition aus dem deutschsprachigen Judentum auf, in welcher der Gottesname gern mit „G’tt“ umschrieben wird. Zweitens erinnert sie natürlich an das Gendersternchen und das Anliegen einer möglichst gerechten Sprache. Das ist gerade in Bezug auf das Göttliche angemessen, weil Gott und Gerechtigkeit aufs Engste zusammengehören und das Göttliche all unsere Denkmuster übersteigt – auch die Geschlechter! Einbruch der Propheten „Wenn die Propheten einbrächen / durch Türen der Nacht / und ein Ohr wie eine Heimat suchten / Ohr der Menschheit / du nesselverwachsenes, / würdest du hören?“, fragte die Literatur-Nobelpreisträgerin Nelly Sachs (1891–1970) in einem ihrer Gedichte.3 Würde ich hören? Darum geht es bei den Propheten. Gemeint ist nicht ein Hören im Sinne des Gehorsams. Die Propheten reklamieren vielmehr ein Zuhören, um die Welt in ihrem Zustand zu begreifen. Ein Aufhorchen auf das, was in der Welt vor sich geht. Ein sorgfältiges Hinhören, ob nicht irgendwo die Stimmen Gottes anklingen. Genau das tun Prophet*innen. Sie sehen, wie es ist, und rufen, wie es sein sollte. Prophet*innen zeichnen Dystopien und Utopien, mit ihnen entdecken wir Schreckens- und Sehnsuchtsorte. Wir, die wir sie im 21. Jahrhundert lesen, werden immer wieder vor der gleichen Frage stehen: Würden wir hören? Will ich hin- und zuhören? Das ist keine angenehme Frage, denn wir werden äußerst unbequemen Texten begegnen. In all dem suche ich nach der manchmal brennend heilsamen Nähe Gottes, nach der entwaffnend ehrlichen Stimme des Himmels. Ich suche in der Hoffnung, ein erneuertes Leben zu finden. Mal in kleinen Schritten, mal in waghalsigen Sprüngen. Manchmal werden wir dabei vielleicht nichts finden. Das kann passieren, denn dass Gott reklamiert, lässt sich nicht einfach hervorrufen. Die Prophetie überflogen Bevor wir richtig eintauchen, überfliegen wir unser Thema zuerst einmal, verschaffen uns einen anfänglichen Eindruck und suchen einen ersten Zugang. Dafür eignet sich zum Beispiel das Wort „Prophet*in“. Es stammt aus der griechischen Sprache, kommt in der griechischen Kultur aber nicht allzu häufig vor. Es besteht aus zwei Teilen: pro („vor“) und phemi („sagen“). Prophet*innen sind also Vorsager*innen. Das kann man im Sinne von „voraussagen“ verstehen. Doch um Missverständnisse von vornherein zu vermeiden, übersetzen wir pro sachgemäßer mit „für“ oder „anstelle von“. Sie sprechen vor, sagen aber nicht im eigentlichen Sinne voraus. Prophet*innen sind keine Wahrsager*innen, die einen Blick in die Zukunft gewähren. Diese Bedeutung hat das Wort leider unter anderem dadurch bekommen, dass die biblischen Propheten in der christlichen Variante des Ersten Testaments am Ende stehen, nicht wie in der hebräischen Version mittendrin. So erscheinen sie als Voraussager der messianischen Jesusgeschichte. Aber sie sind...