E-Book, Deutsch, 342 Seiten
Ringelstein / Nabavi / Brandt Der ischämische Schlaganfall
1. Auflage 2007
ISBN: 978-3-17-027328-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine praxisorientierte Darstellung von Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie
E-Book, Deutsch, 342 Seiten
ISBN: 978-3-17-027328-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Schlaganfall stellt die dritthäufigste Todesursache in westlichen Ländern dar. Dieses praxisorientierte Werk vermittelt dem Leser in verständlicher Weise den neuesten Wissensstand im Hinblick auf Vorbeugung, Ursachen, Diagnostik und Therapie des Schlaganfalls. Durch die Fülle an Tabellen und Abbildungen ist es auch für den viel beschäftigten Leser geeignet, der sich in aller Kürze informieren möchte. Zusätzlich enthält das Buch einen Ratgeber für Nichtmediziner, der in Frage-und-Antwort-Form die entscheidenden Aspekte auch aus Sicht der Betroffenen und Angehörigen darlegt.
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2 Definition und Differentialdiagnose
2.1 Der »Schlaganfall«
Der Schlaganfall ist ein klinisch definiertes Syndrom, das durch ein plötzlich einsetzendes, fokal-neurologisches Defizit mutmaßlich vaskulärer Ursache gekennzeichnet ist. Synonym werden die Begriffe »Hirninsult« oder »Stroke« verwendet. Der veraltete Terminus »Apoplex« (= »niedergestreckt werden«) reduziert die Krankheit auf schwerste motorische Defizite und sollte heutzutage vermieden werden. Die Diagnose eines Schlaganfalls wird primär anhand des klinischen Syndroms gestellt, daraus können jedoch keine sicheren Anhaltspunkte im Hinblick auf Ätiologie und Pathogenese gewonnen werden. Vielmehr liegt dem Schlaganfall ein vielfältiges differentialdiagnostisches Spektrum zugrunde, das durch gezielte Zusatzdiagnostik aufgeschlüsselt werden muss (s. Tab. 2.1). 2.2 Klassifikation von Schlaganfallsyndromen
Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Schlaganfall zu klassifizieren. Im Wesentlichen erfolgt dies nach 1. dem Pathomechanismus des Insultes, 2. dem zeitlichen Verlauf, 3. der Schwere des Defizits, 4. der Ätiologie des Insultes, 5. dem betroffenen arteriellen Stromgebiet und 6. dem Infarktmuster in der Bildgebung. Diese wesentlichen Aspekte sollen im Folgenden kurz dargelegt werden. 1. Pathomechanismus des Insultes
Man unterscheidet nach dem zugrunde liegenden Pathomechanismus 1. ischämische Insulte von 2. hämorrhagischen Insulten (= Hirnblutungen). Dabei machen ischämische Insulte etwa 80–85 %, Hirnblutungen etwa 15 % aller Schlaganfälle aus. Es gibt keine verlässlichen Kriterien, diese beiden Insultformen klinisch zu differenzieren (Weir 1994). Dies ist nur durch eine zerebrale Bildgebung mittels CT oder MRT möglich. Vor dem Hintergrund gegensätzlicher Therapiestrategien ist diese Differenzierung höchst bedeutsam. Eine spezifische Schlaganfalltherapie ist erst nach erfolgter Bildgebung – und im Gegensatz zum Myokardinfarkt nicht bereits im Notarztwagen – möglich. Darüber hinaus sind sowohl ischämische als auch hämorrhagische Insulte in sich ätiologisch heterogen (s. Tab. 2.1). Tab. 2.1: Ätiologische Subgruppen des Schlaganfalls. 1 Ischämischer Insult 1.1 Arterielle Makroangiopathie Atherosklerotische Gefäßkrankheiten
Aortenbogen
Extrakranielle hirnversorgende Arterien
Intrakranielle hirnversorgende Arterien
Gefäßdissektionen
Spontan (meistens)
Traumatisch
Vaskulitiden
Generalisierte Form (meistens)
Isoliert am ZNS
Vasospasmen nach SAB
Andere Vaskulopathien ungeklärter Dignität
Fibromuskuläre Dysplasie
Moyamoya-Syndrom
1.2 Arterielle Mikroangiopathie Erworbene Lipohyalinose penetrierender Arterien und Arteriolen
Hereditäre Syndrome*
CADASIL: Cerebrale autosomal dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie
HERNS: Hereditäre Endotheliopathie mit Retinopathie, Nephropathie und Schlaganfall
Susac-Syndrom: Mikroangiopathie von Gehirn, Retina und Cochlea
M. Fabry
Toxämische Leukenzephalopathie (= Posteriore Enzephalopathie)
Peripartale Vaskulopathie
Andere
1.3 Kardiogene Embolien Vorhofflimmern
Andere Rhythmusstörungen
Klappenerkrankungen, künstliche Herzklappen
Kontraktionsstörungen, thrombosiertes Herzwandaneurysma
Akuter Myokardinfarkt
Intrakavitäre Thromben
Rechts-Links-Shunt: Paradoxe Embolie
1.4 Andere Ischämieursachen Sinusthrombose mit venösem Stauungsinfarkt
Hämatologische Krankheiten
Thrombophilien: Erworben – hereditär
Hyperviskositätssyndrome
Myeloproliferative Erkrankungen
Migräne
Mitochondriopathien (z.B. MELAS-Syndrom)
Gefäßkompression durch Tumor
latrogene periinterventionelle Insulte
2 Hämorrhagischer Insult 2.1 Intrazerebrales Hämatom Spontan
Hypertensiv
Gefäßmalformation
Amyloidangiopathie
Gerinnungsstörung mit hämorrhagischer Diathese
Vaskulitis
Tumoreinblutung
Stauungsblutung infolge venöser Thrombose
Sympathikomimetika-Einnahme
Traumatisch
2.2 Subarachnoidalblutung Spontan
Arterielles Aneurysma
Gefäßmalformation
Hämorrhagische Diathese
Perimesenzephal: Venöse Ruptur (?)
Traumatisch
2.3 Subdurales Hämatom »Spontan«
Chronischer Alkoholismus
Rezidivierende Mikrotraumen
Hämorrhagische Diathese
Traumatisch
2.4 Epidurales Hämatom Traumatisch
* Hier sind weitere Varianten, u.a. das sog. CARASIL als rezessive Form des CADASIL oder das Syndrom mit infantiler Hemiparese, retinaler arterieller Gefäßschlängelung und Leukenzephalopathie beschrieben worden.
2. Zeitlicher Verlauf der klinischen Defizite
Anhand des zeitlichen Verlaufs des klinischen Defizits werden die »Transitorisch-ischämische Attacke« (TIA) und der »vollendete Insult« (engl. completed stroke) unterschieden. Von einer TIA spricht man, wenn sich die neurologischen Defizite innerhalb von 24 Stunden vollständig zurückbilden. Bestehen die Symptome über 24 Stunden, so liegt ein vollendeter Insult vor. Daneben wurden weitere Begriffe wie RIND (reversibles ischämisches neurologisches Defizit) oder PRIND (prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit) eingeführt, die ein Defizit beschreiben, dass > 24 Stunden bis 7 Tage besteht und sich vollständig zurückbildet. Diese Begriffe führen zu keinem Informationsgewinn und sollten daher nicht mehr verwendet werden. Der ursprüngliche Zweck des TIA-Konzeptes war es, Patienten mit flüchtigen Hirnischämien ohne morphologische Folgeschäden von solchen mit manifesten Hirninfarkten abzugrenzen. Mit zunehmender Verfeinerung der Schnittbilddiagnostik können jedoch in bis zu 50 % aller TIA-Patienten bildgebende Auffälligkeiten des Hirngewebes und in 20–30 % eindeutige Hirninfarkte nachgewiesen werden (Kidwell 1999). Sofern die Insultsymptome länger als 6 Stunden andauern, besteht eine etwa 90 %ige Wahrscheinlichkeit, dass dabei ein Hirninfarkt entstanden ist (Levy-DE). Aufgrund dieser hohen Infarktrate ist eine TIA nach heutiger Erkenntnis nicht mehr als morphologisch reversible, flüchtige Hirnischämie aufzufassen. Darüber hinaus werden in der modernen Bildgebung zunehmend klinisch stumme Hirninfarkte diagnostiziert, die nicht zu einer Insultsymptomatik geführt haben. Daher wird das ursprüngliche Ziel der morphologischen Differenzierung anhand der Klassifikation verfehlt. Die willkürliche 24-Stunden-Grenze der TIA-Definition erscheint antiquiert und wird zunehmend kritisiert (Albers). Es gibt internationale Bestrebungen, eine Terminologie zu etablieren, die neueste pathophysiologische Erkenntnisse und Ergebnisse der Bildgebung mit einbeziehen. Danach soll die TIA als »flüchtige zerebrale oder retinale Dysfunktion mit einer Symptomdauer von meist < 1 Stunde und fehlendem Infarktnachweis« definiert und vom manifesten Hirninfarkt abgegrenzt werden (Albers). Die TIA darf keinesfalls als...