E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Riess Herr Groll und die Donaupiraten
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7013-6272-1
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-7013-6272-1
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auf der Donau bei Novisad kollidieren im Morgennebel zwei Schiffe: eine Motorjacht namens Argo, erbaut und gesteuert von ehemaligen Werftarbeitern aus Korneuburg bei Wien und ein unbeleuchteter, antriebsloser Kohlefrachter. Donaupiraten klettern aus dem Frachtraum und kapern die Jacht, die nun stromaufwärts in Fahrt gebracht wird.
Zur selben Zeit sind in den östlichen Donaustaaten behinderte Menschen und Flüchtlinge vielfältiger Gewalt ausgesetzt. Die Betroffenen wehren sich, Flüchtlingsquartiere und Behindertenheime gehen in Flammen auf, das Betreuungspersonal wird davongejagt oder umgebracht. Die Regierungen versuchen, den sich rasch ausbreitenden sozialen Flächenbrand totzuschweigen. Als die Kunde vom Aufstand ins Ausland dringt, rücken Armee, Polizei und Bürgerwehren aus.
Der Privatermittler und Rollstuhlfahrer Groll stößt auf eine als Zirkus auftretende Gruppe behinderter Menschen. Er versucht, ihre Flucht aus Europa zu organisieren und findet sich als gejagter Krimineller wieder. Die Gruppe wird auf der ungarischen Donau verfolgt und findet schließlich im „Stieglerhaus“ in der Weststeiermark Unterschlupf. Dort kommt es zur entscheidenden Schlacht. Grolls langjähriger Freund, der „Dozent“, wird vom Strudel der Ereignisse ebenso mitgerissen wie der pensionierte Interpol-Offizier Alphonse Ledwinka.
Ein Roman, der politische und gesellschaftliche Entwicklungen verdichtet und erschreckende Dinge über das gegenwärtige Europa erzählt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel
Das Ende einer Ehe, sehr pragmatisch.
Abschied von New York. Eine Rebellion
in Ungarn und ein Rettungseinsatz in Kroatien Nachdem ich aus unserem Haus nahe des Union Square in Manhattan ausgezogen war, quartierte ich mich bei meinem Freund Henryk in Hackensack, New Jersey, ein, er betreibt dort eine Reparaturwerkstatt für historische Ford Mustangs. Warum ich gegangen bin? Meine Frau hatte sich einem anderen zugewandt. Einem Psychiater vom Mount Sinai Hospital, ein Beau mit Gamaschenschuhen. Er konnte wunderbar kochen und singen. Am besten gelangen ihm Linguine al limone und Songs von Dean Martin. Ich war ihm nicht böse, wir beide vertrugen uns gut. Er hatte eine Familie mit vier Kindern und war in seine wunderschöne Frau, eine Architektin, nach zwanzig Ehejahren verliebt wie am ersten Tag. Aber er liebte auch meine Gianna mit Leidenschaft. Ich bestärkte ihn in seiner Liebe und traf mich einige Male mit seiner Frau Cory – sie war keine füllige italienische Mama wie meine Gianna, sondern eine gertenschlanke Indianerin. Immer wieder wurde sie mit der Rocksängerin Patti Smith verwechselt, und tatsächlich war sie Mitglied einer Band von fünf Frauen, die großartigen Hardrock spielte, wobei sie sang und das Schlagzeug bearbeitete. Ich war mit Cory ein paar Mal im Bett und machte die Erfahrung, daß Taktgefühl auch eine Lebenshaltung sein kann. Meine Verliebtheit wurde dadurch nicht kleiner. Als ich ernsthaft darüber nachdachte, eine feste Liaison mit Cory einzugehen und meiner Frau einen Partnertausch zumindest auf Zeit vorzuschlagen, kam Gianna, die in allen wesentlichen Fragen des Lebens klüger ist als ich, während ich in den unwesentlichen brilliere, mir zuvor: Ob ich etwas dagegen hätte, wenn Dean hin und wieder in unserem Haus übernachte. Sie würde dann zu ihm hinaufgehen, beim Frühstück sähen wir uns mit den Kindern in der Küche wieder. Ich könne es aber mit Cory ebenso halten und bei ihr schlafen; sie habe nichts dagegen. Das Einvernehmen mit ihr sei bestens, sie träfen sich auch immer wieder, um die Sache einer Feinabstimmung zu unterziehen. Nicht einmal eine Liebschaft kann man in dieser Stadt selber führen, dachte ich. Überall rühren kluge und liebenswerte Menschen in meinem Leben um, und über allem weht der Geist meines Freundes Mister Giordano. Der weilte zwar die meiste Zeit in Florida mit ein paar alten Freunden aus sizilianischen Familien, aber an christlichen Festtagen flog er nach New York und vergewisserte sich, daß bei seiner family, in die er mich aufgenommen hatte, alles mit rechten Dingen zuging. Die Geschäfte führte längst sein Enkel Larry, der auch die „Mulberry Street Bar“ betrieb. Nur einige wenige Fälle von großer Bedeutung wurden noch von Mister Giordano persönlich betreut. Als er mich vorgestern – er war zu Mittag mit dem Learjet eines Freundes vom Lake Okeechobee nahe Palm Beach angekommen – in seine Bar einlud, dachte ich, er würde meine Art, die eheliche Treue zu leben, einer peinlichen Befragung unterziehen. Pflichtschuldig war ich schon eine Stunde vor dem vereinbarten Zeitpunkt in der Bar und stärkte mich mit ein paar Gläsern Montepulciano für die bevorstehende Kopfwäsche. Mit energischen Schritten durchmaß der hagere Mann mit den schlohweißen Haaren den Schankraum. Ich vernahm ein schmatzendes Geräusch, das entweder von seiner Beinprothese oder dem frisch gewienerten Parkettboden herrührte. Der Warteraum für Klienten befand sich hinter dem Pizzaofen, hatte man sich mit dem Rücken zur Wand niedergelassen, überblickte man den Schankraum und hatte Zeit, sich auf seinen Geschäftspartner vorzubereiten. Als ich seiner finsteren Miene gewahr wurde, stellte ich mich auf eine sehr ernste Aussprache mit Mister Giordano ein. Nach einer knappen Umarmung und Küssen auf die Wangen kam er ohne Umschweife zur Sache. Ihn hätten alarmierende Nachrichten aus Donaueuropa erreicht, dort sei eine soziale Rebellion im Gange, die sich wie ein Flächenbrand ausweite. Randständige und Außenseiter aller Art würden plündernd und brandschatzend durch die Lande ziehen und wie die einstigen Maschinenstürmer herrschaftliche Zeichen aller Art attackieren, von Polizeistationen, Gerichtsgebäuden, Schulen und Tankstellen bis zu Behindertenheimen und Gefängnissen. Überwiegend handle es sich um Jugendliche, in den umherziehenden Haufen seien aber auch Kinder und alte Menschen gesichtet worden. Die Rebellen hätten Verluste, bekämen aber regen Zulauf, auch religiöse Spinner, Kleinverbrecher und sans papiers, Leute ohne Papiere, deren es in der Slowakei, Ungarn, Rumänien und den anderen Staaten der Region immer mehr gebe, würden sich den Aufständischen anschließen. Die staatlichen Sicherheitskräfte seien ratlos, es mangle an Personal, infolge der vielen Brennpunkte sei die Lage verworren, niemand verfüge über eine praktikable Strategie. Der Anteil von Ziganos – er sprach dieses Wort mit Hochachtung aus – sei erheblich. In den staatlich gelenkten Medien, andere gebe es ja in diesen Staaten nicht mehr, würden die Rebellen als menschlicher Abschaum, Schwerkriminelle und Terroristen bezeichnet. In Wahrheit seien sie aber nur bedrängte und verzweifelte Menschen, die sich viel zu lange in Geduld geübt hätten. Nun aber sei das Maß voll, von den Behörden erfuhren sie nur Schikanen und Gewalt. Unter den Aufständischen habe sich die Einsicht durchgesetzt, daß von keiner Seite Abhilfe zu erwarten sei, sie müssten ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, und das ohne Kompromisse, Ausflüchte und Zugeständnisse. Verhandlungen seien ausgeschlossen. Die Regierungen würden Horrormeldungen streuen, insgeheim würden sie die Rebellion aber begrüßen, denn sie spiele der Angstpropaganda in die Hände. Man habe nun einen wunderbaren Feind mehr, und das noch dazu im eigenen Land. Vogelfreie, auf die man öffentlich eindreschen dürfe. Asoziale, die nun zum Abschuß freigegeben seien. Mister Giordano füllte sein Glas und fuhr fort: „Die Aufständischen haben nichts zu verlieren. Sie haben beschlossen, keine Opfer mehr zu sein, und wehren sich mit allem, was ihnen zur Verfügung steht. Ein Wunder, daß sie nicht schon längst ausgeräuchert oder in den Steppen der Tiefebene krepiert sind.“ Er fischte in seinem Jackett und steckte sich einen Zigarillo an. Und er überreichte mir ein Business-Class-Ticket für die Nachtmaschine nach Wien. Mein Freund, der Dozent, sei verständigt, er werde mich vom Flughafen abholen. „Diese Leute sind zäh. Niemand hat sich um sie gekümmert. Die beste Lebensschule. Wie meine Jugend in den Bergen rund um Palermo.“ Ich legte meine rechte Hand auf den Tisch. Er beugte sich nach vor und griff nach ihr. „Du wirst nicht in der Lage sein, schlimme Dinge zu verhindern, aber du sollst berichten. Unter den Gesetzlosen sind viele von unseren Leuten, kümmere dich um sie, hör dich um. Du kannst ein wenig Ungarisch und bist selbst behindert. Sie werden dich akzeptieren.“ Mit zunehmendem Alter rechnete Giordano sich immer offener zu den handicapped people. Ob mir zuliebe oder aus einer tieferen Einsicht in seine eigene Lage, vermochte ich nicht zu sagen. Ich erinnerte mich der dritten Hauptregul Wenzel Schebestas vom „Ständigen Ausschuß“, die da lautet: Aus welchen Gründen das Richtige geschieht, ist nicht wichtig, Hauptsache, es geschieht. Mister Giordano leerte sein Glas und sah auf die Uhr. „Sperr die Augen auf! Der Dozent soll die Berichte in den Computer tippen und mir zusenden. Ich habe noch ein paar Verbindungen zu den großen Zeitungen, sie werden einige der Texte bringen. Allerdings unter einem Pseudonym. Wir dürfen Gianna und die Kinder nicht gefährden.“ Ich nahm einen tiefen Schluck, lehnte mich zurück, legte beide Hände auf den Tisch und sagte betont sachlich: „Danke für dein Vertrauen, verehrter Don. Ich muß das alles noch mit meiner Frau besprechen.“ „Nicht nötig“, sagte er ebenso sachlich. „Ich habe das für dich übernommen. Sie wünscht dir Glück.“ Das ging ja kurz und schmerzlos. Ich roch förmlich Giannas Erleichterung, daß sie mich los war. Es war ein süßer, schwerer, leicht ranziger Geruch. Und die Kinder aus ihren früheren Ehen? Das Smartphone war ihnen wichtiger als der seltsame Vogel im Rollstuhl, der im Suff große Reden über die Binnenschiffahrt und eine Gesellschaft der Gleichen und Gerechten hielt, das aber in einer Sprache, die sie nicht verstanden. Und der nicht einmal ein Handy besaß. Giordano hatte recht, es gab niemand, der für diesen Auftrag besser geeignet war. „Wie wird das Pseudonym lauten?“ fragte ich noch. „Das braucht dich nicht zu interessieren. Wissen belastet.“ Mit diesen Worten hielt er mir die rechte Hand mit dem zierlichen goldenen Ring zum Kuß hin. Wenig später saß ich in einem nachtblauen...