Riesner Dementia Care Mapping (DCM)
1., Auflage 2014
ISBN: 978-3-456-95344-1
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Evaluation und Anwendung im deutschsprachigen Raum
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
ISBN: 978-3-456-95344-1
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Dementia Care Mapping (DCM) gehört zu den bekanntesten Evaluationsintrumenten für die Lebensqualität von Menschen mit Demenz. Es ist ein zentrales Arbeitsmittel person-zentrierter Pflege. Das vom 'Who is who' der deutschsprachigen DCM-Szene verfasste Werk beschreibt die aktuelle Entwicklung, Anwendungen und Perspektiven von DCM im deutschsprachigen Raum. Es zeigt anschaulich den 'Fussabdruck', den DCM in der person-zentrierten Pflege hinterlassen hat. Aus dem Inhalt · DCM im Kontext von Konzepten zur Lebensqualität von Menschen mit Demenz · DCM-Instrument und Methode · Dementia Care Mapping und der Einfluss von Umgebungsfaktoren auf das Wohlbefinden · DCM im Krankenhaus – Erfahrungen in Deutschland im internationalen Kontext · DCM in der Tagespflege – ein Erfahrungsbericht · Angehörige von Menschen mit Demenz im DCM-Prozess beteiligen · DCM unter ökonomischer Betrachtung · Vernetzung von DCM-Partnern.
Zielgruppe
Pflegepraktiker, Geriater, Gerontologen, DCM-Trainer.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Inhaltsverzeichnis, Geleitwort und Vorwort;6
2;1. DCM im Kontext von Konzepten zur Lebensqualität von Menschen mit Demenz;16
2.1;1.1 Einleitung;16
2.2;1.2 Pflegequalität, Subjektivität und wertorientierte Entwicklung;16
2.3;1.3 Lebensqualität als multidimensionales Konstrukt;17
2.4;1.4 Von der Selbstbekundung zur Fremdeinschätzung;18
2.5;1.5 Beobachtung;20
2.6;1.6 Es gibt keine «Cadillac-Version»;21
2.7;1.7 Person sein;24
2.8;1.8 Entwicklung einer wertorientierten Pflegekultur;25
2.9;1.9 Fazit;27
3;2. DCM – Instrument und Methode;32
3.1;2.1 Einleitung;32
3.2;2.2 Hintergrund – Dialektik der Demenz;32
3.3;2.3 DCM – Das Instrument;37
3.4;2.4 DCM – Die Methode;45
3.5;2.5 Ethik;48
3.6;2.6 Psychometrische Untersuchungen zu DCM;48
3.7;2.7 Einsatzgebiete von DCM;52
3.8;2.8 Zusammenfassung und Ausblick;54
4;3. Biografie, psychobiografisches Pflegemodell nach Böhm und DCM;58
4.1;3.1 Einleitung;58
4.2;3.2 Theoretischer Zugang zu Biografie und person-zentrierte Pflege;58
4.3;3.3 Praxisbeispiel eines trägerinternen Implementierungsprozesses;63
4.4;3.4 Fazit;71
5;4. Der Einfluss von Umgebungsfaktoren auf das Wohlbefinden;72
5.1;4.1 Einführung;72
5.2;4.2 Theoretische Konzepte zur Konzeptualisierung von Mensch-Umwelt-Beziehungen;73
5.3;4.3 Die Bedeutung der Umgebungsbedingungen;74
5.4;4.4 Anregungen und Handlungsmöglichkeiten bieten;78
5.5;4.5 Räumlich-soziales Verhalten;81
5.6;4.6 Sich vertraut und heimischfühlen;83
5.7;4.7 Person-zentrierte Pflege und Milieutherapie als sich ergänzende Rahmenkonzepte;85
5.8;4.8 Ausblick;86
6;5. Erfassung des Erlebens von Menschen mit Demenz durch DCM und Interviews – Ergebnisse und Erfahrungen am Beispiel eines Betreuungsangebotes;90
6.1;5.1 Einleitung;90
6.2;5.2 Hintergrund;90
6.3;5.3 Ziel und Fragestellung;91
6.4;5.4 Methodik;91
6.5;5.5 Ergebnisse;92
6.6;5.6 Diskussion;101
6.7;5.7 Limitationen der Studie;103
6.8;5.8 Fazit;103
7;6. DCM im Krankenhaus – Erfahrungen in Deutschland im internationalen Kontext;106
7.1;6.1 Einleitung;106
7.2;6.2 Demenz im Krankenhaus;107
7.3;6.3 DCM im Krankenhaus;109
7.4;6.4 Fazit;113
8;7. DCM in der Tagespflege – Ein Erfahrungsbericht;116
8.1;7.1 Einleitung;116
8.2;7.2 Tagespflege als ein Angebot der teilstationären Versorgung für Menschen mit Demenz;116
8.3;7.3 Die Tagespflege am Turm in Sprockhövel als beispielhaftes Setting für eine DCM-Beobachtung;118
8.4;7.4 Ergebnisse;119
8.5;7.5 Fallbeispiel I – Herr A;123
8.6;7.6 Fallbeispiel II – Frau B;126
8.7;7.7 Reflexionen der Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und des Feedbackgesprächs;128
8.8;7.8 Diskussion und Fazit;129
9;8. Die DCM-Evaluation ist zu lang – geht es auch kürzer?;134
9.1;8.1 Einleitung;134
9.2;8.2 Gründe dafür, dass DCM nicht angewendet wird;134
9.3;8.3 Was kostet DCM?;136
9.4;8.4 Zeitbedarf für eine Beobachtung über sechs Stunden;138
9.5;8.5 Können mit weniger Zeitaufwand ausreichend gute Ergebnisse erzielt werden?;139
9.6;8.6 Erfahrungen mit Kurz-DCM;141
9.7;8.7 Empfehlung zu Einsatzmöglichkeiten von Kurzmappings;147
10;9. Angehörige im DCM-Prozess beteiligen;150
10.1;9.1 Einleitung;150
10.2;9.2 Angehörige in den DCM-Prozessaufbau integrieren;150
10.3;9.3 Die Teilnehmenden des Angehörigenfeedback, ihre Rollen und Anliegen;154
10.4;9.4 Die Beobachter als Advokaten: Perspektiven differenzieren;159
10.5;9.5 Die Dynamik der Öffnung im Angehörigenfeedback;160
10.6;9.6 Zugang zum biografischen Verstehen im Angehörigenfeedback;162
10.7;9.7 Abschluss;163
11;10. DCM in innovativen Versorgungsformen – Das Beispiel häuslicher Tagespflege;166
11.1;10.1 Einleitung;166
11.2;10.2 Ausgangssituation;166
11.3;10.3 Die Erprobung qualitätsgesicherter häuslicher Tagespflege;167
11.4;10.4 Fazit und Ausblick;180
12;11. DCM unter ökonomischer Betrachtung;184
12.1;11.1 Einleitung;184
12.2;11.2 Ökonomie und Zufriedenheit aller Betroffenen;184
12.3;11.3 Ökonomische Effizienz für Unternehmen und Organisationen;189
12.4;11.4 Veränderungen von Hierarchien;194
12.5;11.5 Humankapital;194
12.6;11.6 Bedeutung von Wissensmanagement für die ökonomische Effizienz in Unternehmen;196
12.7;11.7 Marketingaspekt von DCM im Unternehmen;200
12.8;11.8 Preisfindung;202
12.9;11.9 Gesellschaftliche Verantwortung;204
12.10;11.10 Zusammenfassung;205
13;12. Vernetzung von DCM-Partnern;208
13.1;12.1 Einleitung;208
13.2;12.2 Das Implementierungsprojekt;208
13.3;12.3 Der Landkreis Minden-Lübbecke;208
13.4;12.4 Das Projekt;209
13.5;12.5 Case- und Caremanagement;214
13.6;12.6 Umsetzung in die Praxis;215
13.7;12.7 SWOT-Analyse;218
13.8;12.8 Zusammenfassung;220
13.9;12.9 Ausblick;221
14;Deutschsprachige Literatur, Adressen und Links zum Thema «Demenz»;224
15;Adressen;236
16;MitarbeiterInnen- und Sachwortverzeichnis;242
Diese als «discernability gap» oder «disability paradox» bekannte Differenz beschreibt, dass ein hoher Grad an subjektiver Zufriedenheit mit objektiven Einbrüchen bezüglich Kognition, Gesundheit und Verhalten einhergehen kann – eine Differenz, die auch bei alten Menschen ohne Demenz festzustellen ist. Der Grund eher niedriger Beurteilungen der Lebensqualität durch Dritte könnte am Belastungserleben der Angehörigen liegen, insbesondere im Frühstadium der Demenz, wenn die Anpassung an ein Leben mit Demenz noch nicht erfolgt ist (Conde-Sala et al., 2013) oder aber in späteren Phasen, wenn die hohe Abhängigkeit der Personen und ihre zunehmende Apathie zu Buche schlägt (Conde-Sala et al., 2009). Bei professionell Pflegenden kann es an der Arbeitszufriedenheit, den ständigen Unterbrechungen antizipierter Arbeitsschritte, am herausfordernden Verhalten (beispielsweise hohes Bindungsbedürfnis der Person mit Demenz) und an der gesteigerten Abhängigkeit der Klienten liegen, dass die Unterschiede zwischen der Selbstund Fremdeinschätzung groß ausfallen (Mittal/ Rosen, 2007).
1.5 Beobachtung
Eine andere Alternative zur Befragung besteht in der direkten Beobachtung, beispielsweise mit DCM. Die person-zentrierte Hintergrundtheorie von DCM geht davon aus, dass das Erleben und das Verhalten von Menschen mit Demenz und damit auch die Entwicklung und der Verlauf der Krankheit selbst von der unmittelbaren physischen, sozialen und psychischen Umgebung abhängen. Oft wird Erleben und Verhalten zu wenig auf das Hier und Jetzt, auf die konkrete physische, psychische und soziale Umgebung bezogen (Innes/Surr, 2001). Idealerweise sollte die Sichtweise und das Erleben des Klienten im Kontext der routinisierten Tagesabläufe eingebettet und aus diesem heraus verstanden werden (Townsend-White et al., 2012). Betrachtet man Erleben und Verhalten isoliert, was zum Beispiel quantitativ durch Zählung der Affekte beziehungsweise retrospektiv, zusammenfassend aus der Wahrnehmung der Professionellen in Form eines Fragebogens geschieht, dann wird zu wenig aufgedeckt, wie das Erleben und Verhalten im Laufe eines Tages konkret zustande kommt. Es fehlt der Zusammenhang zwischen Prozess und Ergebnis.
Der große Vorteil von Beobachtungen ist der Fokus auf dem Mikrokosmos des sozialen Lebens, der Blick auf die marginalen, nicht verallgemeinerbaren, oft verborgenen Elemente der Praxis: «... der Fokus der Aufmerksamkeit liegt auf den Einzelnen und deren immer wieder sich verändernden Beziehungen und nicht auf der zeitlosen, homogenen, kohärenten, und strukturierten Natur der Untersuchungsgruppe.» (Angrosino, 2005: 741; englischer Originaltext: «[...] the focus being on individuals and their ever changing relationships rather than on ... homogeneous, coherent, patterned, and [...] timeless nature of the supposed group». Übersetzung Christian Müller-Hergl.) Es geht demnach um die Beziehung von Kontext und Affekt in einer zeitlichen Perspektive: hier wird dann beispielsweise deutlich, dass Personen mit mehr Interaktion mehr Freude, aber auch mehr Ärger zeigen, dass strukturierte Zeit mit ausgeprägteren Affekten zusammenhängt, zugleich aber an Personen mit schwerer Demenz gleichsam vorbeilaufen. Mahlzeiten stellen für viele Personen Höhepunkte des Tages dar, der frühe Nachmittag ist für Menschen mit schwerer Demenz oft die aktivste Zeit des Tages, die Person und Persönlichkeit der Professionellen ist mit der wichtigste Faktor für das Entstehen oder Reduzieren von Wohlergehen, und Eins-zu-eins-Situationen gehen mit dem höchsten Wohlbefinden einher (Lawton, 2001; Wood et al., 2009; Vasse et al., 2010; Cohen-Mansfield et al., 2010). Viele Befunde lassen keine Generalisierung zu, sondern tragen zur Vermehrung spezifischer Aufmerksamkeit in den kleinen, aber für das Wohlbefinden wichtigen Dingen des Alltags bei: beispielsweise Geschirr nicht abzuräumen, weil dies lange anhaltend und wiederholt von Klienten gestapelt wird; immer wieder für genügend Krümel auf den Tischen Sorge tragen, weil dies dazu einlädt, diese aufzupicken; Personen erlauben, sich, wenn ein Delir ausgeschlossen ist, kriechend fortzubewegen (sichere kinästhetische Grundposition), weil sie dann weniger Unruhe zeigen.
1.6 Es gibt keine «Cadillac-Version»
Jedes Verfahren hat seine Stärken und Schwächen, keines kann als Goldstandard gelten und für sich in Anspruch nehmen, die finale «Cadillac-Version» der Lebensqualität darzustellen. An die Stelle eines «Goldstandards» treten objektive und subjektive Daten unterschiedlicher Quellen und Perspektiven auf dem Hintergrund unterschiedlicher Theorien. Daher gilt es, bei der Frage nach der Lebensqualität die Zielrichtung und den Standpunkt des Fragenden zu verdeutlichen.
Da die Möglichkeit entfällt, Wahrnehmungen und Deutungen des externen Beobachters durch eine verbale Ebene abzusichern, weil die beobachtete Person nicht ständig gefragt werden kann, ob der Interpretation des beobachteten Verhaltens zugestimmt wird, werfen reine Beobachtungsverfahren die Frage auf, wie sich die Subjektivität des Beobachters kontrollieren (validieren) lässt, um Projektionen entgegen zu wirken (Lawton et al., 2000). Dies erfordert einen höheren Trainingsaufwand und Methoden, die durch Regelwerke und Erhebung der InterRater-Reliabilität die Qualität der Ergebnisse sichern. Dies gilt natürlich gleichermaßen bei der Befragung Dritter wie beispielsweise der Professionellen. Auch hier muss validiert werden, ob die Einschätzungen übereinstimmen, das heißt reliabel sind. Was also spricht für die Beobachtung? Liegt bei Menschen mit Demenz eine geringe Introspektionsfähigkeit auf dem Hintergrund mangelnder Fähigkeit zur Selbstvergewisserung und umfassender Einbrüche im sprachlichen Bereich vor (Held, 2013), dann kann das Wohlbefinden eher durch Beobachtung ermittelt werden. Demenz verstanden als dissoziativer, diskontinuierlicher Bewusstseinszustand wirft auch die Frage nach Belastbarkeitsgrenzen für Befragungen auf: die Ergründung des Willens, das Anbieten von Auswahlmöglichkeiten und Befragungen zur Befindlichkeit können Angst und Leiden auch verstärken.
Was dagegen spricht für die Befragung? Die Arbeiten von Clare et al. (Clare, 2002; Clare/ Wilson, 2006; Clare et al., 2011) haben ergeben, dass das Konzept von «Bewusstsein» und «Selbstbewusstsein» komplex und vielfältig ausfällt und Personen bezüglich Belangen, die sie unmittelbar und persönlich betreffen, bis weit in die schwere Demenz hinein befragbar sind. Eine differenziertere Betrachtung der Einsichtsfähigkeit einer Person mit Demenz könnte verhindern, dass Einbrüche in einer Dimension auf alle Bereiche generalisiert und damit wichtige Bereiche, in denen Einsicht weiterhin besteht, übersehen werden. Es gilt demnach, an den individuellen Ausdrucksformen und Ausdrucksmöglichkeiten der Person mit Demenz Anschluss zu finden und ein dafür passendes Repertoire von Methoden anzusetzen. Kate Allen (2001) hat Wege aufgewiesen, dies mit einem reichhaltigen Mix unterschiedlicher Möglichkeiten (indirekte Befragung, Arbeit mit Bildern und Objekten) zu bewerkstelligen.
Beobachtung und Befragung schließen einander nicht aus und können einander ergänzen. Nicht zuletzt hängt die Wahl der Methode von den Kompetenzen und Belastbarkeitsgrenzen der Person mit Demenz ab. Zudem ist die Fragestellung von Belang: Wird eher eine Momentaufnahme des Wohlbefindens angestrebt oder eine Einsicht, wie sich das Befinden über einen bestimmten Zeitraum hinweg entwickelt? Für Beobachtungen könnte als best practice gelten, Kontakt zur beobachtenden Person aufzunehmen und danach zu fragen, wie es ihr geht.
1.6.1 Sind Selbstauskünfte unhinterfragbar?
Soweit vorhanden, sind Selbstauskünfte zunächst als nicht hinterfragbar anzunehmen (Brod et al., 1999) beziehungsweise es macht sprachlogisch keinen Sinn, dies zu bezweifeln. Dennoch sind die Auskünfte im Kontext zu lesen: je höher die Abhängigkeit von anderen, desto schlechter schätzen Personen mit Demenz ihre Lebensqualität ein (Andersen et al., 2004). Bei Abhängigkeit, insbesondere bei Immobilität, ist demnach eher mit negativer Einschätzung der Lebensqualität zu rechnen. Ähnliche Befunde betreffen das Ausmaß der Depressivität, die Einsicht in die eigene Situation, die psychiatrische Komorbidität (insbesondere Persönlichkeitsstörungen, paranoide Übertragungen, neuropsychiatrische Symptome) sowie die Faktoren Multimorbidität, Multichronizität und Polypharmazie (Pfeifer et al., 2013; Sousa et al., 2013). All dies sind Faktoren, die das Urteil der Person deutlich beeinflussen und die in der Bewertung der Selbstauskünfte berücksichtigt werden müssen – ohne sie damit zu entwerten.
Um die Beziehungen zwischen der Einsicht einer Person, zwischen möglicher Depressivität und den Selbstbekundungen zur eigenen Lebensqualität zu deuten, bedarf es einer fachlichen Auseinandersetzung. Hier ist einerseits festzuhalten, dass Einbrüche in den kognitiven Funktionen und Tätigkeitseinschränkungen in den Selbstbekundungen betroffener Personen nicht unbedingt zu geringerer Lebensqualität führen. Dennoch werden Möglichkeiten, die eigenen kognitiven Funktionen zu verbessern, mit einer höheren Lebensqualität in Verbindung gebracht (Banerjee et al., 2009). Dies legt die Frage nahe, welche sozial bedingten Hinter grundfaktoren – zum Beispiel familiäre Modelle, Selbstkonzepte, lebensgeschichtlich gewonnene Haltungen – die Einschätzungen der Personen bestimmen könnten.
Dies könnte folgendermaßen interpretiert werden: Vor dem Hintergrund negativer Einstellungen zum Altern werden Einbrüche im Gedächtnis als sehr belastend wahrgenommen, wobei nicht der objektive Schweregrad der Gedächtniseinbussen, sondern deren subjektive Bewertung ausschlaggebend ist. Diese Wahrnehmung und Bewertung führt dazu, Altern (mit Demenz) als fortlaufenden psychosozialen Verlust zu erleben und die eigene Lebensqualität negativ zu bewerten. Lebensqualität wird demnach nicht nur durch eine Einschätzung der gegenwärtigen Lebenslage und Umstände, sondern durch fortbestehende Haltungen zum Altern vor dem Hintergrund von persönlichen Einstellungen und Persönlichkeitseigenschaften bestimmt. Diese schlagen sich insbesondere in der Stimmung und in Bewertungen der Affektivität nieder (Gomez-Gallego et al., 2012).
Daher wird die Übernahme gesellschaftlich erzeugter negativer Stereotypien in das Selbstbild als einflussnehmend auf die Selbsteinschätzung negativer Lebensqualität diskutiert und dies scheint auch umgekehrt zu gelten: je positiver die Haltung zum Altern, desto höher die Anpassungsfähigkeit an veränderte Lebensumstände und Widerstandsfähigkeit gegen Belastungen. Es steigt dann die Wahrscheinlichkeit, trotz gesundheitlicher Einbrüche in Form von kognitiven und tätigkeitsbezogenen Kompetenzeinbrüchen die Lebensqualität hoch einzuschätzen (Trigg et al., 2012; Banerjee et al., 2009). Zusammenfassend gibt es eine Reihe von distalen und proximalen Kontexten, die eher mit einer hohen Selbsteinschätzung der Lebensqualität einhergehen sowie Kontexte, die dies eher weniger wahrscheinlich machen.