E-Book, Deutsch, 216 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 205 mm, Gewicht: 400 g
Rieger Mutter werden. Mutter sein.
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7011-8217-6
Verlag: Leykam
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autorinnen über die ärgste Sache der Welt
E-Book, Deutsch, 216 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 205 mm, Gewicht: 400 g
ISBN: 978-3-7011-8217-6
Verlag: Leykam
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Muttersein: Die ärgste und schönste Sache der Welt
Mutterschaft ist ein Thema, dem bisher (vor allem von der Literaturkritik) wenig Achtung und Beachtung geschenkt wurde. Doch seit einiger Zeit melden sich Autorinnen vermehrt zu Wort und rücken das Thema zu Recht in den Fokus, schließlich ist es das grundlegendste und kontroverseste Thema unserer Zeit. Teresa Bücker, Sandra Gugic, Andrea Grill uvm. haben sich auf vielfältige Weise mit dem Mutterwerden und Muttersein auseinandergesetzt. Wie wird frau zur Mutter? Welche Erwartungen werden an die Mutterrolle gestellt? Wie gehen Mütter mit Fremdbestimmung um? Welche Freiheiten nehmen oder erkämpfen sie sich? Und wie sieht eigentlich gleichberechtigte Elternschaft aus? Ein Buch, das beglückt und wehtut, das wütend und mutig macht, aber vor allem eines zeigt: Mutter sein ist die ärgste, schwierigste, intensivste und schönste Sache der Welt.
Mit Beiträgen von Helena Adler, Lene Albrecht, Katja Bohnet, Teresa Bücker, Nava Ebrahimi, Andrea Grill, Sandra Gugic, Franziska Hauser, Simone Hirth, Gertraud Klemm, Elena Messner, Lydia Mischkulnig, Barbara Peveling, Verena Stauffer
»Das Schreiben ist eine Übung im Rabenmuttersein, ich versinke in meiner Arbeit, blende alles andere aus, auch das Rauschen und Klacken aus dem Babyphon.« Sandra Gugic
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Franziska Hauser WECHSELJAHRE TREFFEN AUF PUBERTÄT, TREFFEN AUF LOCKDOWN UND ERINNERN AN MAUERFALL
Mit 25 Mutter, mit 50 Großmutter und mit 75 Urgroßmutter. So lief es wie ein zuverlässiges Uhrwerk bei meiner Großmutter, meiner Mutter und mir. Mit 46, schon schiebe ich jetzt meine Enkeltochter im Buggy zum Wochenmarkt und muss aufpassen, nicht zu platzen vor Stolz, wenn sie Oma sagt. Sie ist die Tochter meines Sohnes, den ich mit 25 bekommen habe. »Warum kriegt man Kinder?«, fragt meine sechzehnjährige Tochter. Sie will einen vernünftigen Grund hören, aber mir fällt keiner ein. Mir fällt nur ein, dass ich damals, als mein Sohn geboren war, beschloss zu warten, bis ich das zweite Kind wieder genauso sehr wollen würde wie das Erste. Ich wollte die Erfahrung, das erste Kind zu bekommen, zweimal haben. Nach dreieinhalb Jahren war es so weit. »Warum ich das wollte, kann ich dir echt nicht sagen, nur dass es total dringend war.« Meine Tochter ist nicht zufrieden mit der Antwort. Momentan ist sie sowieso mit gar nichts zufrieden. Meine Antwort hält sie für so einen ausweichenden Mama-Text, den ich mir für komplizierte Fragen zurechtgelegt habe. Anstatt die Sache einfach mal klarzustellen, versuche ich nur irgendwie rüberzubringen: keine Ahnung, hab dich lieb. Vielleicht spürt sie dieses tickende familiäre Uhrwerk ablaufen, wonach sie in neun Jahren dran wäre. »Was denkst du denn, warum man Kinder kriegt?«, frage ich. Im Gegensatz zu mir, muss sie nicht lange nachdenken: »Na, weil man nicht allein sein will.« In Gesprächen mit Freunden hatten wir immer wieder Erklärungen fürs Kinderkriegen gefunden. Zum Beispiel das Bedürfnis Prioritäten zu setzen, um herauszufinden, was wirklich von Bedeutung ist im Leben. Aber, nicht allein sein zu wollen, erschien mir jetzt der dringendste Grund von allen. Aus dem Mund meiner sechzehnjährigen, im Homeschooling gefangenen Tochter war es jetzt auch der traurigste Grund. »Naja und man will wissen, wie es aussieht und ob es so ist wie man selber«, sagt meine Tochter noch. Als ich mit 20 und mit 23 schwanger war, wurde mein Wunsch nach einem Kind nach zwei Fehlgeburten immer dringender. »Du musst deine Füße erstmal richtig in die Erde stecken, Mädchen«, sagte mir ein Heilpraktiker, »du bist ja selber noch gar nicht richtig angekommen«, und verschrieb mir einen Kräutertee, der mir offenbar half, Wurzeln zu bilden. Aus blinder Verliebtheit wissen zu wollen, wie unser Kind aussehen würde, wäre 15 Jahre später beinahe nochmal ein Grund gewesen, als ich mich vom Vater meiner Kinder getrennt und meinen jetzigen Mann kennengelernt hatte. Glück vermehrt sich durch Teilung. Manchmal durch Zellteilung. Aber dafür waren meine Füße schon zu tief in der Erde. Dafür war ich schon zu sehr angekommen in der Welt, in der Gesellschaft und der Alltagsrealität. Zu vernünftig für so etwas Unvernünftiges wie Kinderkriegen. Mein Sohn hatte die erste Freundin und langsam verschoben sich die Prioritäten. Ich wurde nicht mehr so sehr gebraucht, nicht mehr rund um die Uhr. Mein Körper gehörte wieder mir, wurde nicht mehr eruptiv beschlagnahmt. Mein Kopf durfte sich wieder eigene Gedanken machen, musste keine Kinderfragen mehr verstehen, die ja bekanntlich die kompliziertesten sind. Auch heute noch sind die Fragen meiner Tochter kompliziert, obwohl wir einander viel nähergekommen sind, was den Intellekt betrifft. Auch die Arbeitsteilung im Haushalt funktioniert endlich. Aber wir entfernen uns in unseren Interessen und der körperlichen Nähe. Nur auf den Haaransatz lässt sie sich noch küssen und manchmal umarmen. Füße massieren, auch erlaubt. Als meine Tochter 15 wurde, begann eine Pandemie und alles änderte sich. Als ich 15 wurde, gab es einen Mauerfall und alles änderte sich. Meine Mutter war in den Wechseljahren wie ich jetzt. Im Neuorientierungs-Chaos der Nachwendezeit hatten viele DDR-Mütter ihre jugendlichen Kinder vorübergehend komplett vergessen, und ich musste allein klarkommen mit der Freiheit, die bis dahin so begrenzt war in unserem kleinen sicheren Land, von dem ich meiner Tochter jetzt zu erzählen versuche: Damals, als es noch normal war, dass Frauen nicht erledigt waren, wenn sie ohne Ernährer Kinder bekamen, war es eine alberne Vorstellung, dass Mütter im Westen noch an den Herd gestellt wurden. Das kam mir so infantil vor wie ein Mutter-Vater-Kind-Spiel im Kindergarten. So war das doch zu Hause nicht wirklich, oder? Als ich einen neuen Westberliner Schulfreund nach der Arbeit seiner Eltern fragte, nannte er nur den Job seines Vaters. »Und deine Mutter?«, fragte ich. Er sah mich irritiert an »Meine Mutter? Was soll sie arbeiten?« Unfassbar für mich, dass ein erwachsener Mensch nicht arbeitete. Offenbar hatte ich da irgendetwas ganz Entscheidendes nicht geschnallt. »Hier, kauf dir mal was Schönes«, sagten immer mal wieder alte Westberliner Männer aus unserer neuen Bekanntschaft und drückten meiner stolzen starken Mutter gnädig einen Schein in die Hand, wie einem armen Kind. Die lachte nur und das verstand im Westen keiner. Geld schien plötzlich der höchste Wert im Leben zu sein. Das verstand im Osten keiner. Jedenfalls nicht gleich. Aber nach einer Weile dann doch und neuerdings haben wir es ja sogar so eingerichtet, dass ein Kind ein Privatvergnügen ist, wie ein Segelboot. Das verstehen jetzt endlich alle. Ich erkläre also meiner Tochter, warum ich nicht auf die Idee gekommen bin, erst nach dem Studium Kinder zu bekommen. Dass wir immer so wenig Geld hatten, lag nämlich vor allem daran, dass ich es nicht schnell genug verstanden hatte, mit dem Ernährer und dem Segelboot. Stell dir vor, im Osten gab es von allem nur eine Sorte. Milch, Butter, Mehl, Rasierapparate, Schuhe für die Jugendweihe, da musste man überhaupt nichts selbst entscheiden. Unsere Autos waren aus Hanf und Kunststoff zusammengeklebt, und wir durften Kinder kriegen, so viele wir wollten, selbst wenn wir gar kein Geld hatten. Niemanden störte das. Unsere Segelboote mussten wir sowieso selber bauen. Ich versuche zu beschreiben, warum eine Mangelwirtschaft ein cooleres Gemeinschaftsgefühl erzeugt als eine Überflussgesellschaft, und dann passiert es, dass ich meine geliebte friedliche, farblose Kindheit in diesem kleinen Land verkläre. Am Herd zu bleiben, hätte meine Mutter zwar wahnsinnig gemacht, aber so richtig zufrieden habe ich diese Mutter auch nicht in Erinnerung. Sie hätte doch reisen wollen und ihre Klamotten gerne mal gekauft, anstatt sie immer selber nähen zu müssen. Außerdem musste sie zusehen, dass der Staat sich ihrer beiden Töchter nicht zu sehr bemächtigte. Mit acht Wochen übernahm die Kinderkrippe die Erziehung, das Trockenwerden, die Pflichtimpfungen und fühlte sich auch gleich für die Bevormundung der Eltern zuständig. Wer in einer anderen Stadt studierte, hatte seine Kinder in der Wochenkrippe, wo es oft streng zuging. Die Großeltern waren noch jung und hatten ihre Arbeit. Ich war aufgewachsen in einem Land ohne Hausfrauen, ohne Arbeitslose, ohne Obdachlose und ohne finanzielle Abhängigkeiten. Alleinerziehende Mütter waren nicht schlechter dran als welche mit Partnern. Kinderlosigkeit wurde eher mitleidig registriert, genauso wie die extrem seltenen Mütter und Väter, die sich gegen die gesellschaftliche Norm durchsetzten und doch Hausfrauen oder Hausmänner wurden. Ich war zu unbekümmert, um zu verstehen, dass es nach der Maueröffnung anders lief. Eine Amerikanerin erklärte mir: Ein Kind ist ein Projekt für mindestens zehn Jahre. Da bist du raus. Das musst du dir erstmal leisten können. Ich verstand nicht, was sie damit meinte. Ein Kind, ein Projekt? Segelboot? Meine gleichaltrigen Freundinnen hatten den Kapitalismus auch nicht gleich verstanden, und so folgten wir dem alten Uhrwerk und fingen mit Anfang zwanzig an, Kinder zu bekommen, als wären wir noch in der DDR. Waren wir ja auch. Bewegt hatten wir uns nicht. Während sich ringsherum alles bewegte, machten wir einfach, was unsere Mütter gemacht hatten. »Wie lange wollen Sie dem Steuerzahler noch auf der Tasche liegen?«, fragte mich die Bearbeiterin des Arbeitsamtes. »Wenn Sie jetzt noch ein Kind kriegen, wird ihr Leben auch nicht einfacher. Sie können Ihrem Kind doch überhaupt nichts bieten!« Was ich ihr in diesem Moment ins Gesicht hätte brüllen wollen, ist mir natürlich erst auf dem Heimweg eingefallen. Stattdessen steckte ich schockiert meinen Mutterpass wieder ein und versuchte den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken. »Ich will doch gar nicht, dass mein Leben einfacher wird, ich brauche eine Aufgabe! Und wenn meine Arbeitskraft hier nicht gebraucht wird, dann will ich wenigstens Kinder kriegen. Die brauchen mich. Und was ich ihnen bieten kann, das ist: EIN LEBEN!« Ich fragte mich, ob die Beamtin ihre Sprüche in ihrer Ausbildung gelernt hat. Auf diesen...