Rieger Die Scheidungspapiere
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-15411-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 640 Seiten
ISBN: 978-3-641-15411-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Susan Rieger ist Absolventin der Columbia Law School, wo sie später auch als Provost arbeitete. Außerdem war sie Dekanin in Yale und unterrichtete an beiden Schulen Jura. Sie hat diverse juristische Artikel für Zeitungen und Magazine geschrieben. "Die Scheidungspapiere" ist ihr erster Roman. Susan Rieger lebt mit ihrem Mann in New York City.
Weitere Infos & Material
Traynor, Hand, Wyzanski
222 Church Street
New Salem, Narragansett 06555
(393) 876-5678
Erstgespräch
Mandantin: | Maria Meiklejohn Durkheim (MD) |
Gesprächsführung: | Anne Sophie Diehl (ASD) |
Datum: | 17. März 1999 |
Betreff: | gerichtlich angeordnete Trennung |
Abschrift: | Hannah Smith |
Datum: | 18. März 1999 |
ASD:Guten Morgen. Ich bin Sophie Diehl. David Greaves, der Anwalt Ihres Vaters, hat mich gebeten, Sie heute Morgen zu empfangen. Ich bin angestellte Anwältin dieser Kanzlei.
MD:Hallo, ich bin Maria … Mia … Durkheim, geborene Meiklejohn. Danke, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich haben.
ASD:Aber gern. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich dieses Gespräch gern aufzeichnen, um einen genauen Bericht zu erstellen.
MD:Das ist in Ordnung.
ASD:Wie kann ich Ihnen helfen?
MD:Am 15. Februar hat mir mein Ehemann Daniel Durkheim, Dr. Daniel Durkheim, durch seine Anwälte, diese Mistkerle von Kahn & Boyle, ein Scheidungsgesuch überbringen lassen – so wird das, glaube ich, genannt –, während ich im Golightly’s an der Cromwell zu Mittag aß. Hier sind die Papiere. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in dieser Form üblich ist, oder? Im Universitätsclub, vielleicht, im Plimouth oder im New Salem Cricket Club, aber im Golightly’s? Diesem Oma-Restaurant? Mit den gemütlichen Leinentischdecken, den gepolsterten Sitznischen und dem Hotelsilber? Ich war mit einer Kollegin dort, nicht einmal einer Freundin, als sich dieser schmierige Typ anschlich und mich fragte, ob ich Maria Meiklejohn Durkheim sei. Ich sagte: »Ja, die bin ich.« Er überreichte mir den Scheidungsantrag und verzog sich wieder. Zuerst dachte ich blödsinnigerweise, es wäre die Weinkarte. Als ich dann merkte, was es war, wäre ich fast vornüber in meinen Salat gekippt. Ich dachte, ich werde ohnmächtig. Dann fiel mir auf, wie mich meine Kollegin anstarrte. Andere Leute ebenfalls. Also nahm ich mich zusammen, setzte mich gerade hin, winkte dem Kellner und bestellte eine Flasche Pouilly-Fuissé. »Ich glaube, ich habe was zu feiern«, sagte ich zu meiner Kollegin. »Ich lade dich ein.« Es war ein Extremtest für meine Umgangsformen. Mir bleibt jetzt noch die Luft weg, wenn ich daran denke. Können Sie sich das vorstellen?
ASD:Ich kann. Ich bin Strafrechtlerin. Schlechtes Benehmen überrascht mich nicht. Aber ich habe noch nie gehört, dass jemand die Scheidung in einem Restaurant serviert bekam.
MD:Ha! Abserviert in einem Restaurant. Ich schätze, ich sollte mich dafür in einem Squash-Court revanchieren. Im Cricket Club. Ich hätte keine Skrupel, ihm meine Antwort um die Ohren zu hauen – oder diesen Dreckskerlen von Anwälten. Was soll ich jetzt machen? Es ist mindestens einen Monat her. Ein paar Tage lang habe ich überhaupt nicht mit meinem Mann geredet, dann habe ich einen bissigen Brief geschrieben, in dem ich androhte, ihm meine Antwort während seines Vortrags auf dem jährlichen Päd-Onk-Kongress in Boston überbringen zu lassen. Eine Kopie hab ich hier. Wollen Sie sie behalten?
ASD:Ja, gern. Haben Sie die Drohung wahr gemacht?
[Notiz an Hannah: Ich lege den Brief zu den Akten.]
MD:Oh, nein. Meiner Erfahrung nach ist es bei Männern aus der oberen Mittelschicht nicht nötig, eine wohl durchdachte Drohung wahr zu machen. Der Zweck besteht darin, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, ihren Blutdruck zu erhöhen, ihre Nervosität zu steigern. Ich habe mir vorgestellt, wie Daniel während des Vortrags immer wieder hochschaut, um zu sehen, ob ein Sheriff auf ihn zukommt. Ich dachte, es besteht eine gute Chance, dass ich ihm den Kongress verderbe. Womöglich habe ich das auch. Natürlich hat er nie etwas gesagt. Und ich auch nicht.
ASD:Ist das nur bei der oberen Mittelschicht so, dass Drohungen allein ausreichen?
MD:Ich kann nicht für alle sprechen, aber bei den ganz Reichen muss man so etwas schon zu Ende führen, sonst nehmen sie einen nicht ernst. Das würde Ihnen jedenfalls mein Vater sagen.
ASD:Abgesehen von der Drohung – haben Sie sonst irgendetwas unternommen?
MD:Was meinen Sie mit »unternommen«?
ASD:Haben Sie formell geantwortet?
MD:Nein. Deswegen bin ich ja heute hier. Ich nehme an, ich muss irgendeine Antwort geben. Was soll ich tun?
ASD:Ah. Der nächste Schritt besteht üblicherweise darin, dass Sie einen Anwalt einschalten, der Sie vertritt. Vielleicht möchten Sie mehr als einen aufsuchen, um zu sehen, wer Ihnen genau das bietet, was Sie brauchen. Schließlich möchten Sie ja eine Summe erzielen, die Sie als angemessen erachten.
MD:Was Anwälte betrifft, vertraue ich meinem Vater, und der sagt, Traynor, Hand sind die besten, die es gibt. Betrachten Sie sich als engagiert. Sagen Sie mir Ihr Honorar, und ich zahle es.
ASD:Oh, ich bin nicht die Anwältin, die Sie engagieren wollen. David hat mich gebeten, Fiona McGregor zu vertreten, die gerade Urlaub hat. Wir haben ausgezeichnete Scheidungsanwälte in dieser Kanzlei. Neben Ms McGregor noch Felix Landau, der heute im Gericht ist, und auch David, weil der einfach alles kann. Ich selbst habe noch nie eine Scheidung verhandelt.
MD:Irgendwie finde ich das beruhigend. Es ist auch meine erste Scheidung.
ASD:Aber ich bin Strafrechtlerin.
MD:Genau das, was ich für diesen Ray Kahn brauche.
ASD:Machen Sie sich um den keine Sorgen. Der besteht zu neunzig Prozent aus heißer Luft. Sehen wir uns mal diesen Teil des Arbeitsblatts Ehescheidung an: die Kurzbiographien. Am besten gehen wir die Seiten zusammen durch, und dann werde ich Ihnen, so gut ich kann, das Scheidungsrecht von Narragansett erklären. Warum beginnen wir nicht einfach damit, dass ich Ihnen ein paar Fragen stelle – zu Ihnen, Ihrem Mann, Ihrer Ehe und Ihrer Tochter, ja?
MD:Schießen Sie los.
ASD:Wie alt sind Sie? Wie alt ist Ihr Ehemann? Wie lange sind Sie verheiratet?
MD:Ich bin 41, Daniel ist 52. Wir sind seit 16 Jahren verheiratet, seit 1982. Vorher haben wir aber schon 2 Jahre zusammengelebt. Daniel war verheiratet, als ich ihn kennenlernte, mit Helen Fincher, seit 1974. 1980 trennten sich die beiden – ich fürchte, da gab es eine kleine Überschneidung mit Helen und mir, ein bisschen schäbig, ich weiß. 1982 ließen sie sich scheiden, das müsste in New York beurkundet sein. Helens Familie hat so viel Geld, dass das alles überhaupt kein Thema war, und sie konnte ihn nicht mehr ausstehen. Damals habe ich das nicht verstanden; ich hielt ihn für den wunderbarsten Menschen, den ich je getroffen hatte. Mittlerweile dürften sich unsere Sichtweisen etwas angeglichen haben.
ASD:Gibt es Kinder aus der ersten Ehe?
MD:Oh, tut mir leid … Ja, einen Sohn, Thomas Maxwell Durkheim. Tom. Er ist jetzt 22, geboren 1976. Hat auf dem Amhurst College studiert. Lieber Junge, viel lockerer, sanfter, netter als sein Vater – oder seine Mutter, wo wir schon dabei sind. Er hat schlimmes Asthma, eine schlechte Lunge seit der Geburt. Frühgeburt. Inzwischen arbeitet er an der Wall Street, bei Fincher & Morgan, der Firma seines Großvaters. Daniel hat Helen keinen Unterhalt gezahlt, nur für das Kind, 15.000 Dollar pro Jahr, bis Tom 18 war. Immer diesen Betrag. Dann hat er das College bezahlt. Theoretisch. Die Mather University zahlt den Kindern ihrer Mitarbeiter 50 Prozent der College-Gebühren. Am Amhurst sind das 24.000 Dollar, also musste Daniel nur 12.000 Dollar zahlen. Dazu Unterkunft und Verpflegung, also noch mal 8.000 Dollar pro Jahr. Nicht viel für einen Mann, der im Jahr über 300.000 Dollar verdient. [Pause] Ich klinge verbittert – und gewöhnlich. Ich werde mich jetzt zusammenreißen.
ASD:Hat Thomas bei seiner Mutter gelebt? Oder bei Ihnen und Ihrem Mann?
MD:Er ist in New York City aufgewachsen, bei seiner Mutter. Solange wir noch dort wohnten, haben wir ihn oft gesehen. Aber dann, 91, als Daniel die Stelle als Leiter der Pädiatrischen Onkologie an der Mather-Uniklinik angeboten bekam, sind wir nach Salem gezogen. Nach unserem Umzug haben wir Tom weniger gesehen. Er war 14 damals. Daniel ist ziemlich streng mit ihm. Tom will seine Anerkennung, findet aber auch, dass Daniel ein ganz schöner Drecksack sein kann. Darf ich hier so etwas sagen? Das macht Ihnen doch nichts aus, oder? Sie haben sicher schon...