E-Book, Deutsch, 260 Seiten
Richter Der Prinzipal
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7448-5769-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein GitarRoman
E-Book, Deutsch, 260 Seiten
ISBN: 978-3-7448-5769-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Helmut Richter begann mit 16 Jahren während seiner Ausbildung zum Maschinenschlosser autodidaktisch das Gitarrespiel zu lernen. Ab 1976 Meisterschüler des Gitarristen Siegfried Behrend. 1981 erster Preis beim Regensburger Gitarrenwettbewerb, 1982 Prüfung zum Musikerzieher. Neben den Gitarrenstudien Studium in den Fächern Maschinenbau, Erziehungswissenschaften und Physik, später zusätzliche Studien in Psychologie und Neurobiologie. Promotion zum Dr. phil. (Berufspädagogik). Zahlreiche CD- und Rundfunkaufnahmen, Buchveröffentlichungen und Veröffentlichungen eigener Kompositionen. Bundesgeschäftsführer der European Guitar Teachers Association. Schulleiter eines Berufskollegs im Ruhrgebiet.
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3
»Das sieht stark nach Selbstmord aus«, sagte Buller zu Reiter, nachdem dieser seine Kollegen ins Schlafzimmer gerufen hatte. Er legte seine Hand auf den Arm des Toten, um die Körpertemperatur abzuschätzen. »Der ist höchstens seit drei Stunden tot«, stellte er fest. »Der Körper ist noch sehr warm. Wahrscheinlich war es zwischen 7 und 9 Uhr, als er sich erhängte.« Buller ging zurück ins Wohnzimmer, um seine Digitalkamera zu holen. Währenddessen schauten Becker und Reiter sich im Schlafzimmer um. Auf dem Boden lag ein Fotorahmen. Becker hob ihn auf. Das Foto zeigte einen Mann, etwa 50 Jahre alt, zusammen mit einer Frau und einem jungen Mädchen.
»Offensichtlich ein Familienfoto«, vermutete Becker und übergab den Rahmen an Reiter.
»Es sieht ganz danach aus, dass unser Toter dieser Mann auf dem Foto ist«, stellte Reiter fest, nachdem er das Bild mit dem immer noch am Strick hängenden Toten verglich. Auf dem Foto sah der Mann ein wenig jünger aus. »Das Foto mag um die fünf Jahre alt sein«, setzte er fort, »vielleicht auch ein wenig mehr.« Nachdenklich betrachtete er das Bild. Das junge Mädchen mochte zum Zeitpunkt der Aufnahme um die 15 Jahre alt gewesen sein, also dürfte ihr heutiges Alter um die zwanzig Jahre herum liegen. Ihr Gesicht kam ihm bekannt vor. Er dachte an seine Töchter, die ebenfalls beide um die 20 Jahre alt waren. Vielleicht kannten sie das Mädchen, denn sie waren ja in der Nähe aufgewachsen. Er beschloss, sie bei nächster Gelegenheit danach zu fragen.
Inzwischen hatte Buller seine Kamera aufgebaut und begann, Fotos von der Leiche und vom Fundort zu machen. Nahezu zeitgleich betraten der herbeigerufene Notarzt und zwei Sanitäter das Haus. Nachdem der Tote von der Decke abgenommen und auf den Boden gelegt worden war, stellte der Notarzt seinen Tod fest und stellte den Totenschein aus.
»Dem Foto nach zu urteilen hatte der Tote eine Familie«, sagte Reiter zu Michael Becker. »Finde bitte heraus, wo die Frau und die Tochter sind.«
»Ich werde erst einmal die Nachbarn befragen«, entgegnete Becker. »Vielleicht können die Auskunft geben. In den Zimmern oben war übrigens alles in Ordnung, soweit ich das sehen konnte«, ergänzte er. »Ein offenbar unbewohntes Kinderzimmer, ein Arbeitszimmer und ein Bad habe ich gesehen, bevor du uns gerufen hast. Alle diese Räume scheinen unberührt.«
Horst Reiter nickte. »Ich schaue mir das gleich selbst einmal an«, sagte er, »während du die Nachbarschaft befragst.«
»Okay, mache ich«, sagte Michael und verließ den Raum.
Inzwischen kamen die Sanitäter mit einem Leichensack und einer Trage, um den Toten abzutransportieren. Kurt Buller verlegte seine Spurensicherung ins Schlafzimmer. Reiter ging noch einmal zurück ins Wohnzimmer und schaute aus dem Fenster. Vor dem Haus hatte sich eine kleine Gruppe von Nachbarn angesammelt, die das Geschehen neugierig beobachteten. Er konnte sehen, dass Michael Becker sich mit einigen Personen unterhielt.
Das Wohnzimmer war konservativ und solide eingerichtet. Eichenschrank und Couchgarnitur, eine Essecke, ebenfalls aus Eichenholz. »Gelsenkirchener Barock«, dachte Reiter unwillkürlich. Trotz der durch den Einbruch angerichteten Verwüstungen war zu erkennen, dass in diesem Haus alles seinen festen Platz hatte und dass Wert auf Ordnung gelegt wurde. Das war Reiter schon in der Küche aufgefallen – es war alles geordnet und wohl organisiert.
»Vielleicht hat der Tote das Chaos hier gesehen und im Anschluss daran Selbstmord begangen?«, dachte Reiter. »Oder war er bereits tot, als die Einbrecher kamen, und die sind geflüchtet, als sie ihn gefunden hatten? Vielleicht hat er die Einbrecher auch auf frischer Tat ertappt und sie haben ihn deshalb ermordet?«
Wortlos zuckte Horst nach seinem inneren Monolog die Schultern und ging noch einmal in das Schlafzimmer zurück. Buller sammelte gerade einige der herumliegenden Gegenstände, die er für wichtig hielt, zusammen und verpackte sie in durchsichtige Plastiktüten. Das Seil, an dem Sander gehangen hatte, war von den Sanitätern durchschnitten worden. Bevor Buller die beiden Stücke in die Plastiktüte schob, warf Reiter einen Blick darauf.
»Sieht aus wie eine Wäscheleine aus Jutefasern«, sagte er zu Buller.
»Ja, das denke ich auf den ersten Blick auch«, antwortete Buller. »Meine Mutter hatte auch so eine Wäscheleine, bevor die Kunststoffleinen auf den Markt kamen.«
»Hast du noch weitere Hinweise gefunden, die uns weiterhelfen könnten?«, fragte Reiter. »Einen Abschiedsbrief oder einen Hinweis auf den Selbstmord?«
Ohne aufzusehen schüttelte Buller seinen Kopf. »Nein, nichts, es ist aber möglich, dass in diesem Chaos noch etwas zu finden ist. Das kann noch eine Weile dauern.«
Reiter sah, dass seine Anwesenheit hier eher hinderlich war. »Ich schaue mir die obere Etage an«, sagte er und ging zur Holztreppe, die in das Obergeschoss des Einfamilienhauses führte.
Wie Becker vorher berichtet hatte, befand sich in der oberen Etage ein Badezimmer, das ordentlich und sauber wirkte. Daneben befand sich ein als Jugendzimmer eingerichteter Raum, der jedoch offensichtlich nicht genutzt wurde. Das Bett war hergerichtet und unberührt. Es lagen keine Kleidungsstücke oder Gegenstände herum. Dem Jugendzimmer gegenüber befand sich ein weiterer Raum, der sofort als Arbeitszimmer erkennbar war. Vor dem Fenster an der Dachschräge befand sich ein großer Schreibtisch. Die Wände waren mit Bücherregalen gefüllt. Auf dem Schreibtisch lag ein Stapel Zeitschriften und ein Tagesordner. Ein großes Notebook stand zusammengeklappt auf der linken Seite des Tisches. Reiter nahm nacheinander einige Bücher aus dem Regal. Es handelte sich durchwegs um pädagogische Literatur. »Sander scheint Lehrer gewesen zu sein«, dachte Reiter. Die Zeitschriften auf dem Schreibtisch bestätigten ihn in seinen Vermutungen. »Titel wie „Lehren und Lernen“ oder „Der berufliche Bildungsweg“ finden sich nur bei Lehrern, dachte er, ansonsten liest das doch kein Mensch.«
In dem Tagesordner befanden sich einige dienstliche Dokumente sowie ein Stapel mit krakelig ausgefüllten DIN A4 - Blättern. Aufmerksam blätterte Reiter den Stapel durch. Es handelte sich offensichtlich um eine Klassenarbeit, in der auch gerechnet werden musste. Mühsam versuchte er, die Texte zu entziffern. „“, stand da in krakeliger Schrift zu lesen, oder „“. Reiter war entsetzt über die mangelnde Orthographie. Die anderen Arbeiten, die Reiter durchblätterte, sahen nicht wesentlich besser aus, sofern er sie überhaupt entziffern konnte. »Die Pisa-Studie hat anscheinend recht mit ihrer Analyse«, murmelte er vor sich hin.
»Sander scheint an einer Berufsschule gearbeitet zu haben«, dachte Reiter und öffnete die Schublade des Schreibtisches. Auf den ersten Blick konnte er nichts Ungewöhnliches entdecken. Schreibgeräte, Taschenrechner, Papier. Wesentlich anders sah es in seinem eigenen Schreibtisch auch nicht aus. Reiter klappte das Notebook auseinander und schaltete es ein. Bis der Rechner hochfuhr schaute er noch einmal auf die Bücher in den Regalen. Neben der pädagogischen Literatur fand er eine ganze Serie von aus dem Schwedischen übersetzten Kriminalromanen sowie einige sehr kostspielig aussehende Kunstbände.
Der Computer meldete sich mit einem Piepen und verlangte ein Passwort. Reiter versuchte erst gar nicht, den Rechner weiter zu starten, sondern schaltete ihn gleich wieder ab. Das würde eine interessante Aufgabe für Buller und seine Kollegen sein.
Bevor er den Raum verließ, schaute Horst aus dem Dachfenster. Es war zur Straße hin gewandt. Er konnte sehen, wie Michael Becker mit einem Notizblock in der Hand weiterhin mit den Schaulustigen vor dem Haus sprach.
Reiter drehte sich um und ließ das Zimmer noch einmal auf sich wirken. »Kein Hinweis auf einen geplanten Selbstmord«, dachte er. »Hier ist augenscheinlich alles so, wie es sein soll.« Dann ging er die Treppe hinunter.
Kurt Buller war mit seinen Arbeiten inzwischen fertig und packte seine Utensilien wieder zurück in seinen „Zauberkoffer", wie Reiter das Arbeitsmaterial von Buller manchmal halb spöttisch, halb bewundernd nannte.
»Ich habe Nichts mehr gefunden«, sagte Buller auf den fragenden Blick von Reiter hin. »Keinen Abschiedsbrief, keinen Hinweis auf einen geplanten Selbstmord.«
»Die obere Etage kannst du dir ersparen«, antwortete Reiter. »Es ist alles offensichtlich vollkommen unberührt. Es sieht danach aus, als hätten die Einbrecher das Gebäude verlassen, bevor sie mit ihrem Beutezug fertig waren.«
»Ich gehe trotzdem einmal hoch«, widersprach Buller, »vielleicht hast du etwas übersehen.«
»Mach’ das von mir aus«, entgegnete Reiter...




