Richell | Sieben Tage am Fluss | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Richell Sieben Tage am Fluss

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-26121-4
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-641-26121-4
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In ihrem alten, am Fluss gelegenen Gutshaus Windfalls aus dem siebzehnten Jahrhundert mit seinen großen, weiß gestrichenen Schiebefenstern, dem grauen Schieferdach und dem Blauregen, der sich an der Fassade hochrankt, kommen die Sorrells zu einer Hochzeit zusammen.

Lucy versucht, die zerbrochenen Familienbande zu kitten. Eve kämpft darum, ihr scheinbar perfektes Leben zusammenzuhalten. Ihre Mutter, Kit, eine berühmte Autorin, hegt einen tiefen Groll gegen ihre jüngste Tochter. Und Margot, die ihr Zuhause vor acht Jahren verlassen hat, muss sich nun ihrem dunklen Geheimnis stellen …

Als sich alle für eine Woche voller Feierlichkeiten und Konfrontationen zusammenfinden, scheint die Kluft zwischen ihnen unüberwindbar. Kann es nach all dieser Zeit zu einer Versöhnung kommen?

Hannah Richell wuchs in England und Kanada auf, verbrachte viele Jahre in Australien und lebt heute mit ihrer Familie im Südwesten von England. Sie arbeitete im Marketing der Film- und Verlagsbranche und für verschiedene Zeitungen und Magazine, bevor sie begann, Geschichten zu schreiben. Ihre Romane begeistern Leser und Presse weltweit und werden in 17 Sprachen übersetzt.

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2

Eve steht im unteren Obstgarten, eine Hand an die Brust gepresst, die andere zum Schutz vor der Sonne über die Augen gelegt. Währenddessen rennt der Mann von der Partyzeltfirma zwischen den Bäumen herum und gibt missbilligende Laute von sich. Ihr gefällt seine gerunzelte Stirn nicht und schon gar nicht, dass er ständig kopfschüttelnd in die Hocke geht, als würde er die Neigung des Hanges oder die Qualität des Bodens begutachten.

»Es ist ziemlich matschig«, sagt er, nachdem er zu ihr zurückgekehrt ist. »Und die Hangneigung ist nicht gerade ideal. Aber ich glaube, wir kriegen das hin. Zwischen diesen Bäumen da ist ausreichend Platz für ein neun mal zwölf Meter großes Zelt, in das Ihre Gäste reinpassen dürften. Um die fünfzig, haben Sie gesagt?«

»Etwas mehr als sechzig.«

Der Mann atmet hörbar ein und schaut auf sein Klemmbrett. »Wir könnten es am Donnerstagvormittag aufstellen. Dann bleibt Ihnen genügend Zeit zum Dekorieren.«

»Prima. Sind Sie sich sicher, dass das geht?« Der Boden fühlt sich unter ihren Stiefeln beunruhigend weich an. Schwer vorstellbar, dass sich Zeltheringe darin verankern lassen. Während Eve sich ausmalt, wie ein großes weißes Zelt abhebt und quer durchs Tal fliegt, versucht sie, die Enge in ihrem Brustkorb zu ignorieren. Ihr Herz fühlt sich an, als würde es von einer kalten Faust umklammert.

»Keine Sorge«, sagt er, als er ihre ängstliche Miene sieht. »Wir kriegen das schon hin. Ein schönes Fleckchen Erde haben Sie hier.« Aufrichtige Bewunderung schwingt in seiner Stimme mit.

Eve dreht sich um und lässt die Umgebung auf sich wirken. Die Äste der Obstbäume biegen sich unter der Last reifer Äpfel. Vögel zwitschern in den üppig grünen Zweigen, während die Sonne gerade den Zenit überschritten hat und den Hang in goldenes Herbstlicht taucht. Unterhalb der abschüssigen Obstwiese blitzt ein Stück Fluss auf und schimmert zwischen den Bäumen hindurch, die sich in der Brise wiegen. Hinter ihr ragen die ockergelben Schornsteine von Windfalls in den blauen Himmel. Nie hat das alte Gutshaus aus dem siebzehnten Jahrhundert mit seinen großen, weiß gestrichenen Schiebefenstern, dem grauen Schieferdach und dem Blauregen, der sich an der Fassade hochrankt, schöner ausgesehen als in diesem weichen Septemberlicht.

Eve kann sich gar nicht richtig auf die Schönheit des Ortes konzentrieren, an dem sie aufgewachsen ist. Sie ist viel zu sehr damit beschäftigt, über provisorische Zelte und das Catering nachzudenken. Darüber, was sie tun soll, wenn es bis Samstag erneut regnet und sich die Obstwiese in einen Sumpf verwandelt. Und das ist nur der organisatorische Teil, bestehend aus Aufgaben, die man abhaken kann. Ganz im Gegensatz zu der höchst beunruhigenden Tatsache, dass die ganze Familie nach acht Jahren erstmals wieder zusammenkommen wird. Kein Wunder, dass sie Panik hat!

Heuballen, denkt Eve und wünscht sich, sie hätte Stift und Papier mitgenommen. Von einem der hiesigen Bauernhöfe aus der Nachbarschaft. Sie könnten gleichzeitig als rustikale Deko und Sitzgelegenheit dienen. Außerdem wären sie nützlich, falls das Wetter umschlagen und der Boden matschig werden sollte. Strom, sie muss Strom organisieren. Einen Generator besorgen oder Kabel vom Haus herüberlegen lassen. Außerdem brauchen sie eine Tanzfläche und Beleuchtung. Laternen wären schön, aber sie weiß nicht, ob im Zelt Kerzen erlaubt sind. Das muss sie alles noch mit dem Mann besprechen.

Sie schaut sich suchend nach ihm um und sieht, dass er mit seinem Zollstock zwischen den Bäumen verschwunden ist. Gerade betritt ihre Mutter den Garten. Aus ihrem lockeren Knoten hat sich eine graue Strähne gelöst. Ein bunter Seidenkimono umflattert sie, während die Nachmittagssonne von dem langen weißen Baumwollnachthemd reflektiert wird, das sie immer noch trägt.

Als Teenager hat Eve sich für den unorthodoxen Modegeschmack ihrer Mutter geschämt. Lag es daran, dass Kit viel zu sehr in ihren eigenen, fiktiven Welten lebte, um etwas von gerade angesagten Fashioncodes oder Kleidungskonventionen mitzubekommen? Damals hat sie ihrer Mutter sogar unterstellt, sie ziehe sich absichtlich so an, um ihre Töchter in Verlegenheit zu bringen oder sie mit ihrer angeblichen Prüderie zu konfrontieren.

Nach langen Jahren der Scham ist Eve jedoch zu dem Schluss gelangt, dass Kit einfach keinen Wert auf Äußerlichkeiten legt. Wenn sie damals in ihre Bücher vertieft war, spielte Kleidung genauso wenig eine Rolle wie der leere Kühlschrank oder das ungeputzte Haus. Die Garderobe wurde aus dem zusammengestellt, was gerade in Reichweite auf dem Schlafzimmersessel lag. So ist ihre Mutter nun mal.

Der Mann von der Zeltfirma guckt zweimal hin, als sie vor ihnen auftaucht, doch Eve zuckt kaum mit der Wimper.

»Ich hab den Lieferwagen in der Auffahrt gesehen«, sagt Kit.

»Ich habe alles unter Kontrolle.«

»Ist Lucy bei dir?«

»Nein«, erwidert Eve. »Keine Ahnung, wo die steckt.«

»Sie werden das Zelt auf der Obstwiese aufbauen, nicht wahr?« Fragend schaut sie den Mann mit dem Zollstock an.

»Ja, das ist der beste Ort dafür.«

Kit schaut zum Himmel und schließt die Augen. »Es ist schön draußen.«

»Ich dachte, wir könnten Girlanden und Lichterketten aufhängen, die den Weg hierher markieren. Bei Einbruch der Dunkelheit sieht das bestimmt toll aus. Aber das würde natürlich mehr Arbeit machen«, fügt Eve hinzu. Im Moment weiß sie nicht, wie sie diesen organisatorischen Albtraum auch nur ansatzweise bewältigen wollen.

»Was auch immer du vorhast, Liebes, es sieht bestimmt großartig aus.«

Wieder ballt sich die kalte Faust in Eves Brustkorb um ihr Herz. Es ist ja gut und schön, dass Lucy sie in letzter Minute mit dieser Hochzeitsparty betraut und sagt, sie solle »ganz bescheiden« ausfallen, »nur eine standesamtliche Trauung«, gefolgt von »einem kleinen Fest in Windfalls, bei dem wir alle wieder mal zusammenkommen, keine große Sache«.

Einerseits beneidet Eve ihre Schwester darum, dass sie es schafft, sich dem ganzen Hochzeitstrara zu entziehen. Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass sich solche Events nicht von allein organisieren. So spontan Lucy auch sein will, so gelassen ihre Mutter sich gibt – es hat Gründe, warum Paare ihre Vermählung Monate im Voraus planen. Das Wort »Hochzeit« weckt Erwartungen bei den Gästen, auch bei einer Einladung in letzter Minute. Sie rechnen mit etwas zu essen, mit Wein, Musik, Tanz. So ist das eben.

Andrew und Eve haben es richtig gemacht. Sie haben sich ein ganzes Jahr Zeit genommen, um ihren großen Tag zu planen. Der Veranstaltungsort wurde lange im Voraus besichtigt, Einladungskarten mit Monogramm Monate vorher verschickt. Das Catering, das Brautkleid, der DJ, die Hochzeitstorte, die Blumen und der Fotograf wurden alle mit der für Eve typischen Sorgfalt ausgewählt. Bis auf den kaputten Absatz einer Brautjungfer war auch alles genauso verlaufen wie geplant.

Lucy dagegen scheint zu erwarten, dass sich Musik, Deko, Speisen und Getränke einfach materialisieren, ja, dass sich eine gute Fee schon um alles kümmern wird.

Eve seufzt. Bei einer kleinen Gästezahl wäre das vielleicht möglich gewesen, aber Lucy hat ihre Spontanhochzeit natürlich vor wenigen Tagen groß angekündigt und ihre Freunde per E-Mail eingeladen. »Keine Sorge«, hat sie behauptet. »Das ist so kurzfristig, dass es die wenigsten schaffen dürften. Nur der engste Kreis wird kommen.«

Doch was vor wenigen Tagen als schlichte Feier im kleinen Kreis begonnen hat, hat inzwischen spektakuläre Ausmaße angenommen. Bei der letzten Zählung waren es fünfundsechzig Zusagen. Fünf Vegetarier. Zwei Veganer. Eine Person, die nur glutenfrei isst. Eine mit Laktoseintoleranz. Was ist nur mit diesen Leuten los? Haben die kein eigenes Leben, keine Urlaubspläne und keine vollen Terminkalender am Kühlschrank? Das ist alles typisch Lucy, lächerlich naiv und chaotisch!

Es ist schließlich nicht so, dass Eve nicht genug mit ihrer eigenen Familie und ihrer Teilzeitstelle als Sekretärin in einer Personalagentur zu tun hätte. Andrew schuftet rund um die Uhr in seiner IT-Firma, hinzu kommen die Mädchen mit Ballettunterricht, Klavierstunden, Hausaufgaben und Geburtstagseinladungen. Soll man dazu dann innerhalb einer Woche eine Hochzeit auf die Beine stellen, braucht man sich nicht zu wundern, dass einem der Kopf platzt.

»Eve, Liebes, was hältst du von einem Feuerwerk? Oder von einem riesigen Freudenfeuer?« Kits Stimme reißt sie aus ihren Gedanken. »Das wäre doch toll, meinst du nicht?«

Eve starrt ihre Mutter an. Ein riesiges Freudenfeuer, ein Feuerwerk? Ein Haufen Pyrotechniker, zusätzlich zu der ohnehin emotional hochexplosiven Situation, die ihnen am Samstag bevorsteht? Eine wirklich großartige Idee!

»Vielleicht könnten sich Andrew oder dein Vater darum kümmern?«, schiebt Kit hinterher, die Eves Reaktion völlig falsch interpretiert.

Eve sagt nichts dazu. Sie sieht Andrews Gesicht vor sich, wenn sie ihm sagt, dass er dazu auserkoren wurde, für Samstagabend ein spontanes Feuerwerk zu organisieren.

»Hat jemand was von Margot gehört?«

»Lucy und ich haben ihr gesimst, aber sie hat sich nicht gemeldet.«

Der Mund ihrer Mutter bildet einen schmalen Strich. »Schade, aber vielleicht ist es ja besser so.«

»Lucy wird enttäuscht sein. Falls Margot doch kommen sollte, werden wir uns alle zusammenreißen müssen, damit es keinen Streit gibt.« Sie sieht ihre Mutter vielsagend an. »Es ist schließlich Lucys Freudentag.«

Kit...


Burkhardt, Christiane
Christiane Burkhardt lebt und arbeitet in München. Sie übersetzt aus dem Italienischen, Niederländischen und Englischen und hat neben den Werken von Paolo Cognetti u. a. Romane von Fabio Geda, Domenico Starnone, Wytske Versteeg und Pieter Webeling ins Deutsche gebracht. Darüber hinaus unterrichtet sie literarisches Übersetzen.

Richell, Hannah
Hannah Richell wuchs in England und Kanada auf, verbrachte viele Jahre in Australien und lebt heute mit ihrer Familie im Südwesten von England. Sie arbeitete im Marketing der Film- und Verlagsbranche und für verschiedene Zeitungen und Magazine, bevor sie begann, Geschichten zu schreiben. Ihre Romane begeistern Leser und Presse weltweit und werden in 17 Sprachen übersetzt.



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