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E-Book, Deutsch, 362 Seiten
Rheinhardt Das Leben der Eleonora Duse
Ungekürzte Ausgabe
ISBN: 978-3-95980-064-8
Verlag: Reese Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Biografie
E-Book, Deutsch, 362 Seiten
ISBN: 978-3-95980-064-8
Verlag: Reese Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die eindringliche Biografie über Eleonora Duse (1858 - 1924), italienische Bühnen- und Filmschauspielerin, Charakterdarstellerin, größte Tragödin ihrer Zeit, eine Theatergöttin wie Sarah Bernhardt. Berühmte Schriftsteller wie Luigi Pirandello, Gabriele D'Annunzio und Alexandre Dumas fils schrieben Stücke für sie, und unter den Dichtern waren Rainer Maria Rilke, Hermann Bahr und Hugo von Hofmannsthal ihre glühendsten Bewunderer. Ein außerordentliches, schicksalträchtiges Leben von der Kindheit bis zu ihrem Tod im Alter von 65 Jahren nach einer Vorstellung in ihrem Hotelzimmer in Pittsburgh/USA.
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DIE KINDHEIT
Die Männer, die auf den Booten mit den starkfarbigen Segeln den Namen ihres düsteren Städtchens Chioggia viele Geschlechter lang bis zu den fernsten Inseln und Küsten des Mittelmeeres trugen, diese chioggiotischen Seefahrer, die heute noch wie in den großen Zeiten der Seerepublik in allen Häfen der Adria wohlbekannt sind, sind ein sehnsüchtiger, wilder und unruhiger Menschenschlag. Man erzählt, daß in den Zeiten, da die Erde noch voll lockender, geheimnisvoller Länder war, überall, wo Wagnis und Abenteuer zu erhoffen waren, Chioggioten auftauchten und daß auf allen Schiffen der Entdecker und Conquistadoren ihrer welche gewesen seien. Zuweilen brachte einer dieser fernesüchtigen Männer von seinen Fahrten einen Freund mit heim, der dann wohl auch sein Schwiegersohn wurde. So blühen fremdartige Namen in Chioggia noch weiter, freilich oftmals allmählich dem Klange der heimischen angeglichen. Ein Gäßchen unter den vielen winkeligen der zur Verteidigung zusammengedrängten kleinen Stadt Chioggia heißt Calle Duse. Welch wunderlicher Name! Er sei armenischer Herkunft, behaupten manche. Aber wer kann verfolgen, welchem Volke der Erste dieses Namens angehört haben mag, der, aus der ewig bewegten Völkerwirrnis der levantinischen Küsten kommend, sich in diesem Städtchen niedergelassen hatte, soweit dies Wort auf seefahrende Leute Anwendung finden kann. Sicher ist, daß es lange schon Duses in Chioggia gegeben hat und daß deren Männer alle mit Leib und Seele dem Meere verfallen waren, bis nach einem kurzen mißglückten Versuche in bürgerlicher Seßhaftigkeit die unstete Sehnsucht dieses Geschlechtes sich zu neuer unrastvoller Lebensgestaltung Bahn brach. Jener Luigi Duse, der dem Gäßchen in Chioggia seinen Namen gab, wurde, weiß Gott aus welchen Gründen, von seinem Vater nicht mehr zum Seemanne bestimmt. Er wurde in Schulen geschickt, um dann als Beamter ein enges, aber sorgenloses Dasein zu haben. Solange er sein Amt in Chioggia selber übte, ging es, als ob die Nähe des Meeres sein Blut besänftigt hätte. Aber als dann Padua sein Wohnsitz wurde, begann alsbald dieses wunderliche Gären in ihm, die Sehnsucht nach einem anderen, abenteuerlichen Tun: es verlangte ihn so gierig nach dem Bretterboden des Theaters wie alle die vor ihm nach dem ihrer Schiffe. Wer kann ergründen, was für Triebe das sein mögen, die einen Menschen aus seinem Leben fortlocken in ein anderes, dessen Sinn es ist, ein paar Stunden jeden Tag vor anderen Menschen nicht mehr er selber, sondern ein anderer zu sein, so sehr ein anderer, daß alle die, die seine Verwandlungen miterleben, an sie glauben? Überfülle des Herzens, dem ein einziges Dasein nicht genügt? Unheimatlichkeit im Hause des eigenen Lebens und Flucht in den Rausch, ein anderer sein zu dürfen? Sicher ist es dies und vieles noch aus der Geheimniswelt jener Kräfte, die die Leben formen, was sich zu jenem anderen geheimnisvollen Drängen, etwas zu machen, das über Gebrauch und Zweck hinauswachsen soll, hinzufügen muß, damit aus alledem ein Schauspieler werde. Luigi Duse hat sich so wenig wie die meisten wirklichen Schauspieler Rechenschaft darüber gegeben, was ihn zum Theater lockte. Er mußte Theater spielen, und er tat es. Erst noch mit schlechtem Gewissen, als Dilettant, der Gleichgestimmte zu dem ersehnten Tun vereinigte. Aber es gefiel ihm zu sehr, und daß er so sehr gefiel, entzündete die Lust am Wagnis. Er ließ Amt und Würde und die Hoffnungen auf ein umfriedetes Bürgerschicksal und wurde Komödiant. Nach ein paar Jahren schon hatte er seine eigene Schauspielgesellschaft zusammengebracht, jene Compagnia Duse, die jahrzehntelang weiterbestand und in der hernach, da ihre Glanzzeit lange vorbei war, ein fünfjähriges Mädchen, Eleonora Duse geheißen, das erstemal Theater spielte. Wenig Jahre, nachdem Luigi Duse geboren worden war, erlosch die venezianische Republik, und in den nun folgenden Jahren der Fremdherrschaft gedieh das venezianische Theater noch einmal zu schönem Blühen. Dieses lebhafte Volk, in kleiner wie großer Politik nunmehr zu Schweigen und Untätigkeit verurteilt, mag sich des Theaters von neuem als eines Spielplatzes für Verstand und Einbildungskraft besonnen und in ihm einen in seiner Gefährdetheit noch bedeutsameren Ausdruck seiner Wesensart zu sehen erlernt haben; ferner mag es wohl ein starker Anreiz zum Theaterbesuch gewesen sein, daß man sich an diesen Stätten ungestört versammeln, murren und spötteln und erbost und erfreut zugleich von der Bühne herab in politischen Anspielungen alles das hören konnte, was Rednern und Zeitungen sonst zu sagen verwehrt war. Bei alledem aber gedieh das Theater selber prächtig, der Zusammenhang so intimer Art gab ihm eine neue Lebendigkeit. Die neu emporkommenden Autoren sparten in ihren Texten den Platz für die Äußerungen der von Allen gedachten Gedanken aus, und die Schauspieler strengten Witz und Phantasie an, um diesen wohl auszufüllen. Wie die Fiorituren und Koloraturen die Arie, umwucherten nun die Improvisationen die Rollen. Die nie vergessene Commedia dell’Arte war mit neuen Gestalten und der alten süßen Theaterlust wieder da. Luigi Duse hatte zu Anfang in allerlei modisch-pathetischen Stücken gespielt — aber sein Komödiantenherz ahnte ein anderes Theater. Und er fand es, sobald er das erstemal auf der Bühne Venezianisch gesprochen hatte, die Sprache seiner Welt, den Dialekt seines Herzens und seines Verstandes. Nun gab es auch sogleich die rechten Stücke für ihn, neue voll herrlicher Möglichkeiten zu Erfindung und eigenen Zutaten, und dann den alten, unerschöpflichen Goldoni, in dem das ewige Venedig seines unzerstörbaren Volkes sich selber spielt. Padua und Venedig wurden die Stätten seiner Triumphe. Und allmählich wuchs ihm aus all seinen Improvisationen und Scherzen eine Gestalt, die ihn ganz und gar zum Liebling seines Publikums machte und die er in immer neuen Soloszenen immer wieder darstellen mußte: der Giacometto, die Verkörperung des venezianischen Humors. Er hatte ihm eine Maske aus der Goldoni-Zeit gegeben, die glatte schwarze Perücke mit einem dünnen Zöpfchen daran, zwei schwarze Punkte über den Augenbrauen, ein weißes Tüchlein um den Hals, einen lichtblauen langen Rock, dazu die geblümte Weste, rote Kniehosen, weiße Strümpfe, schwarze Schnallenschuhe und den Dreispitz in der Hand. Von Jahr zu Jahr wuchs sein Anhang, die größten Theater standen ihm zu Gebote, seine Gastspiele dauerten dreimal so lange als alle sonst üblichen, und wenn er spielte, hatten selbst Ensembles von höchstem künstlerischen Rang, wie jenes, in dem die große Adelaide Ristori damals wirkte, wenig Aussichten auf ein volles Haus. Seine Goldoni-Aufführungen galten für unerreichbar, und die Berichte über sie zeigen Luigi Duse als einen Regisseur von unermüdlicher Arbeit und unfehlbarem Geschmacke und seine Truppe in der Zusammensetzung und Schulung als vorbildlich. Dieser künstlerische Ernst schuf ihm Ansehen, das weit über das heimatliche Venetien hinauswuchs, — aber Liebe und Begeisterung dankte er seinem Giacometto, der jedem ein vertrauter Freund war, den jeder immer wieder sehen und hören wollte, was immer er auch tun oder reden mochte. So erzählte dieser Giacometto denn auch zuweilen allerlei recht Intimes aus dem Leben Luigi Duses selber, von seinen häuslichen Sorgen, von gelegentlichen Geldnöten, drängenden Gläubigern und dergleichen. Und als er einmal auf seine unwiderstehlich komische Weise seinem Publikum über die Fälligkeit eines Wechsels vorjammerte, geschah es, daß aus dem Zuschauerraume statt des sonst üblichen Gelächters und der Zurufe ihm so viel Geld zuflog, daß er damit sogleich der Augenblickssorge ledig war. Ruhm und Beliebtheit aber vermochten ihn nicht vor Neid und Tücke zu schützen. Er wurde um politischer Anspielungen willen, die er auf der Bühne getan hatte, denunziert. Die großen Theater schlossen sich darauf für ihn, und in den kleinen, die ihm noch übrigblieben, vertat er Kräfte und sein Erspartes, sich und seine Truppe auf der erreichten Höhe zu erhalten. Verbittert und rasch alternd kämpfte er noch eine Weile den aussichtslosen Kampf gegen die Tücke der Feinde und die Vergeßlichkeit derer, die ihn geliebt hatten. Dann ließ er das Theater, das sein Leben gewesen war, ließ Venedig, das für ihn alle Kunst war, und zog sich nach Padua zurück, wo er bald, schon im Jahre 1854, starb. Das war Luigi Duse, der Gefeierte, der erste dieses Namens, der kein Seemann, sondern ein Schauspieler geworden war. Neben ihm und nach ihm gab es dann viele Duses, die, sei es von seinem Ruhme verführt, sei es, weil sie schon in der Welt des Theaters aufgewachsen waren, Schauspieler wurden. Es gab Begabte unter all den Anverwandten und Söhnen, aber keiner hat sein Talent, keiner seinen Erfolg erreicht. Nach flüchtigen Glanzzeiten, nachdem einen glücklichen Schicksalsaugenblick lang der in sie gelegte Funke an Sehnsucht in einer flüchtigen Kunst aufgeleuchtet hatte, verloren sich die meisten von ihnen absteigend in den Dunkelheiten ihres Standes. Bis dann nach Jahrzehnten dieses Fünklein, das in jedem Gliede dieser endenden Familie geglommen hatte, sich zu einem ganz großen schöpferischen Ingenium verklärte, mußte noch eine ganze Generation durch Elend und Mittelmäßigkeit fahrenden Theatervolkes hindurchgehen. Unter Luigis Söhnen war der stillste und ärmste der Auserwählte, obgleich sein Leben alle Nöte und Erniedrigungen eines Komödiantendaseins erfahren hatte, das nach außen hin sich in nichts mehr von dem der Jahrmarktsgaukler, Seiltänzer und Spaßmacher unterschied. Dieser Alessandro hatte im Gegensatz zu den anderen Kindern Luigis wenig Neigung zum Theater empfunden. Er wollte Maler werden. Doch der Wille des damals mächtigen und strahlenden Vaters zwang...