Reymont | Die Empörung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Reymont Die Empörung

Eine Geschichte vom Aufstand der Tiere
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-942836-15-9
Verlag: Westhafen Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Geschichte vom Aufstand der Tiere

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-942836-15-9
Verlag: Westhafen Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der vom Hof gejagte Schäferhund Rex überzeugt die Tiere, sich der Ausbeutung und Unterdrückung durch die Menschen ein für alle Mal zu entziehen. Riesige Herden formieren sich und folgen Rex auf dem Weg nach Osten in das verheißene »gelobte Land« der Freiheit. Es kommt zu erbitterten Schlachten, aus denen die Tiere trotz hoher Verluste als Sieger hervorgehen. Aber auf dem Marsch in eine vermeintlich bessere Zukunft werden sie durch Naturgewalten und die Strapazen des Weges mehr und mehr dezimiert. Nur ein kleines Häufchen enttäuschter Vierbeiner überlebt. Desillusioniert lehnen sie sich gegen Rex und seine Gehilfen auf.

Unter dem Eindruck der russischen Oktoberrevolution geschrieben, wird Reymonts Buch oft mit Orwells »Farm der Tiere« verglichen, ist aber mehr als 20 Jahre früher erschienen. In seinem Entstehungsland Polen fiel der Roman nach dem Zweiten Weltkrieg der Zensur zum Opfer und geriet jahrzehntelang in Vergessenheit.

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ERSTER TEIL
1.
IM WIRTSCHAFTSHOF
Jetzt wollen wir abrechnen, du Stinkhund!“ schrie das Weib triumphierend, nachdem sie Rex in die Küchenecke gejagt hatte, und begann auf das hingekauerte Tier mit dem Ofenhaken dreinzuschlagen, bei jedem Hieb ihm verbissen seine Gewissensrechnung vorzählend: „Da hast du für den Braten! Da, für die gestrige Wurst! Da für die Truthennen!“ — Der Hund wand sich unter den niedersausenden Schlägen und leckte unter flehendem Winseln die Füsse seiner Herrin. — „Und da hast du für die Dachshunde, du dreckiger Bauernköter, damit du dir merkst, dass du von den herrschaftlichen Hündchen abbleiben sollst, du Aas! Und da, dass dich endlich einmal der Teufel hole!“ Damit versetzte sie dem Hund einen solchen Schlag auf den Kopf, dass er aufheulte, das Weib mit gefletschten Zähnen ansprang, sie mitten in der Küche zu Boden riss und davonrannte. Sie stürzte ihm mit lautem Fluchgeschrei nach. Aber Rex war schon im nahen Dickicht der Flieder-und Akazienbüsche verschwunden. Er versuchte, obgleich arg zerschunden, mit dem letzten Rest seiner Kräfte ein besseres Versteck kriechend zu erreichen, als von der Küche her abermals gellendes Geschrei ertönte. Die Wirtschafterin hielt den Stummen an den Zotteln fest und hieb erbarmungslos auf ihn ein. „Du niederträchtiger Wechselbalg! Du bist ja noch viel schlimmer als der räudige Hund. Deine Kaldaunen werd ich dir herausprügeln, du schlimmer Dieb! So was füttert man auf aus Gnade, und das will noch stehlen!“ Sie brüllte aus Leibeskräften, und da der Junge ebenfalls markerschütternd schrie und sich vergeblich der eisernen Umklammerung ihrer Krallen zu entreissen versuchte, geriet der ganze Wirtschaftshof des Herrenhauses in Aufruhr. Die Kettenhunde begannen an ihren Ketten zu zerren und zu winseln. Aus den Hühnervolieren wurde erschrockenes Gegacker vernehmbar. Die Perlhühner flüchteten mit ängstlichem Geschrei auf die anliegenden Dächer. Die Tauben flatterten davon, um sich in den Bäumen am Brunnen zu verstecken. Die erregten Truthähne blähten ihre korallenroten Warzen und Schwänze auf und trippelten unter drohendem Kollern erregt auf der Stelle umher. Die Pfauen flogen von der Veranda des Herrenhauses herbei, entfalteten die regenbogenfarbenen Reife ihrer Räder und brachen in ein verächtliches Kreischen aus. Selbst die Hausherrin eilte aus dem Schloss herbei, hinter ihr das Gutsbesitzerssöhnchen mit der Flinte, die jungen Fräulein mit ihren Puppen im Arm und die beiden Dachshunde, die sich mit schlangenartigen Bewegungen um ihre Herrschaft eifrig zu schaffen machten. Da liess die Wirtschafterin den Stummen endlich los und gab ihren Tränen und Klagen freien Lauf. Der Stumme sprang in die Büsche und sank wie ein Stück Holz neben Rex zu Boden. Sie lagen beide da, ganz erschöpft und kaum mehr bei Sinnen — beide im gleichen Masse verprügelt und beide gleich unglücklich. Die Sonne wärmte, und ein laues Lüftchen drang durch die Büsche; das Säuseln der Blätter und das Summen verschiedener Insekten klang so süss und einlullend, dass die beiden alsbald in Schlaf sanken. Und noch im Schlaf war es, als ob sie sich über das ihnen geschehene Unrecht beklagen wollten, denn ein leises Winseln und klägliches Schluchzen mischte sich in ihre Atemzüge. Plötzlich und lautlos erschien in ihrem Versteck ein grosser schwarzer Kater, ein Freund von Rex aus vergangenen Tagen, und schmiegte sich, nachdem er behutsam herumgeschnuppert hatte, mit mitleidsvollem Schnurren an den Hund an. Dann liessen sich ein paar Krähen auf die niederhängenden Zweige der Akazienbäume herab und bohrten ihre diebischen Augen ins Dickicht; sie wetzten unaufhörlich ihre Schnäbel und versuchten, immer frecher werdend, sich noch tiefer herunterzulassen. „Ich bin noch nicht verreckt!...“ knurrte Rex, sie mit gehässigem Blick anstarrend; er leckte das blutige und verweinte Gesicht des Stummen ab und zerrte mit einem festen Ruck an seinen Kleidern, bis der Junge aufwachte. „Wir müssen weglaufen, sonst spüren sie uns noch auf...“ stotterte der Junge; sie verstanden einander vortrefflich. „Ich warte, bis es Abend wird! Sie werden mich noch tot schlagen, und verteidigen kann ich mich nicht.“ „Die hat dich aber zugerichtet!“ klagte der Stumme, dem Freunde die Seiten und die vereiterten Augen mit einem Grasbüschel abwischend. Rex liess ab und zu ein dankbares Winseln vernehmen. „Jag’ diese niederträchtigen Schnäbel fort“ — knurrte er dem Kater zu. „Diese Stinkluder, die sind noch viel schlimmer als die Menschen.“ „Ich bringe dich bis zum Kuhstall, da kenne ich ein gutes Plätzchen unter den Krippen,“ schlug der Stumme vor. „Es ist doch gleich Mittagszeit, und diese Herumtreiber von Schäferhunden könnten mich noch ’rankriegen. Ich bin ganz ausser Kräften. Und Durst hab ich... einen Durst...!“ „Ich will mal nachsehen, ob da nicht einer am Brunnen ist,“ flüsterte der Kater besorgt. „Bleib ruhig liegen, ich werde schon für Wasser sorgen.“ Bald darauf brachte er Wasser in einem Tonscherben und hielt es dem Freunde hin. „Aber die Täubchen hast du mir ausgeholt,“ warf er dem Kater hin. „Dem Schmied sein Jendrek hat sie ausgeholt, das Mutterschwein hat es gesehen, sie kann es bezeugen. Ein Räuber ist der, er hat auch die jungen Spatzen unter dem Storchnest weggeholt; selbst den Elstern hat er die Kleinen weggefangen, wofür mich die Alte so angefallen hat, dass ich kaum mit heiler Haut davongekommen bin. Ein Dieb ist das, und jetzt sucht er nach den Nachtigallennestern. Die Lora hat ihn selbst schon deswegen angeschrien.“ „Und lass du nur den Papagei in Ruh!“ knurrte Rex drohend. „Dem Schmied sein Jendrek! Na warte, du Hundsfott! Ich geh jetzt die Gänse vom Feld eintreiben und dann bring ich dir was vom Mittagessen. Bleib hier und warte auf mich!“ Er steckte die Finger in den Mund und stiess einen so durchdringenden Pfiff aus, dass die aufgescheuchten Krähen auf und davon flogen. Auch der Kater schlich weg, behutsam und auf Umwegen die Richtung nach der Gesindeküche nehmend. Gerade erklang die Mittagsglocke, und der Wirtschaftshof füllte sich mit einem wachsenden Lärm von Tier- und Menschenstimmen, mit dumpfem Wagenrollen und dem schweren Getrampel der zusammengetriebenen Herden. Das Knarren der Brunnenschwengel wurde laut. Aus den Schweineställen kam ungeduldiges Gegrunze. Die Schwalben zwitscherten lauter auf und wurden plötzlich still, und dann war es, als ob alle Stimmen in der Sonnenglut verbrannt wären und in der lähmenden Stille des heissen Sommermittags zerstäubten. Rex leckte seine Wunden ab und wachte. Zuweilen spitzte er die Ohren, hob ab und zu den Kopf und schnüffelte in der Luft herum; dann wieder begann er einzuschlafen, leise vor sich hinwinselnd. Die Sonne sang ihren Mittagshymnus: die glühende Luft erzitterte von der Musik der Strahlen, und alle Stimmen der Natur, in ihrer grossen Unendlichkeit, flossen zusammen zur goldenen Symphonie des Lichts. Alles wurde Klang, Farbe und gespenstiger Umriss zugleich. Die Mittagsgöttin mit dem Habicht auf dem Haupte schwebte über dem Lande, und was ihr goldener Kleidersaum berührte, verdorrte zu Staub; wohin ihr Blick fiel, der gelb war wie die Blume des Bilsenkrautes, da erntete der Tod reichen Ertrag: hier fiel ein Vogel tot vom Zweig, dort welkte eine Blume dahin, weiter starben Käfer, und selbst die glitzernden Bäche verschleierten sich ohnmächtig unter dem Hauch der Hitze. Auch Rex duckte sich, ängstlich bebend, und schmiegte seinen Kopf an den feuchten Boden, zwischen den kühlenden Gräsern. Die Mittagsgöttin schwebte lautlos vorüber, und hinter ihr schleppten sich die ängstlichen Rufe der Kreatur und die finsteren Furchen der Schatten, die sich in das Sonnenlicht eingruben. Der Hund aber liess sich in seinem schmerzlichen Halbschlummer von allerhand Erinnerungen überwältigen. Und der ferne Glanz vergangener Zeiten machte ihn sein Elend vergessen. Der Glanz jener Zeiten, in denen ihn eine unzertrennliche Kameradschaft mit allen Insassen des Herrenhofs verband: damals, als er sich noch auf den Teppichen rekeln durfte, geliebt und gestreichelt wurde. Wenn es der Herr befahl, war er bereit, dem eigenen Bruder-Hund zu Leibe zu gehen oder gar einen Menschen in Stücke zu reissen. Er ging doch ganz allein auf die Wolfsjagd. Ganz allein jagte er die Wildeber aus ihren sumpfigen Schlupfwinkeln heraus. Wenn seine donnernde Stimme erklang, zitterte alles im Hof, im Park und auf den Feldern. Selbst die Stiere konnten seinen Zähnen nicht standhalten. Und wie war das nun gekommen? Wie konnte das geschehen, dass er jetzt ein herrenloser Bettler war? Dass er in Verachtung, Elend, Verlassenheit seine Tage dahinschleppen und schäbigen Abfall stehlen musste, um zu leben? Er konnte es nicht begreifen. Der Schmerz wühlte mit eisernen Krallen dermassen in seinen Eingeweiden, dass er sich jäh emporreckte und verzweifelt aufheulte. Er war von gewaltigem Wuchs, fahlgelb wie ein Löwe, und trotz der eingefallenen Seiten und des mit Wunden...


Der Schriftsteller Wladyslaw Stanislaw Reymont (1867-1925) gilt als einer der Hauptvertreter des polnischen Realismus. Er gehörte der Bewegung »Mloda Polska« (Junges Polen) an. 1924 erhielt er für sein vierbändiges, an die Jahreszeiten angelehntes Epos »Die Bauern« den Nobelpreis für Literatur. »Die Empörung« ist Reymonts letzter Roman.

Martin Pollack (*1944) ist Journalist, Schriftsteller und Literaturübersetzer. Er hat in Wien und Warschau Slawistik und osteuropäische Geschichte studiert. Pollack erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen und Literaturpreise. Er lebt in Österreich.



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