E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reyes The Lesbiana's Guide to Catholic School
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-96129-465-7
Verlag: KARIBU
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-96129-465-7
Verlag: KARIBU
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sonora Reyes ist ein*e queere*r Einwander*in in zweiter Generation und besuchte eine katholische Highschool. Reyes schreibt über queere und lateinamerikanische Charaktere in unterschiedlichsten Genres. Sonora ist auch Gründer*in und Gastgeber*in von #QPOCChat, einem monatlichen, gemeinschaftsbildenden Twitter-Chat für queere Autorinnen und Autoren of Color. Reyes lebt derzeit in einem Mehrgenerationenhaus mit einem kleinen Rudel Hunde in Arizona.
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1
DU SOLLST NICHT VERTRAUEN EINER FALSCHZÜNGIGEN BITCH
Sieben Jahre Pech können mich am Arsch lecken.
Ist schon viel zu lange her, dass ich irgendwas zerschlagen habe, und dieser Schminkspiegel hat’s verdient. Scheiß-Spiegel. Scheiß-Yami.
Auch egal. Spiegel sind überschätzt, und mit der Faust reinschlagen ist unterschätzt. Ich habe mich eh noch nie gern angeguckt. Nicht, weil ich mich nicht hübsch finde. Also, ich bin hübsch – objektiv gesehen –, aber darum geht’s nicht. Ich mag dieses neue Spiegelbild lieber. Es ist so gesprungen, dass ich mich kaum noch erkenne. An den richtigen Stellen gebrochen. Das habe ich gemacht. Mit meiner Faust. Wer sagt, dass ich nicht hart bin?
Ich renne vor keinem Kampf weg – solange mein Gegner bloß ein Gegenstand ist. Ich habe nicht so fest gegen den Spiegel geboxt, dass er zersplittert ist, aber das Pochen in den Fingerknöcheln sagt mir, dass ich ziemlich hart zugeschlagen habe. Mir schwillt die Brust vor Stolz über meine Leistung, und so auch meine Hand.
Scheiße. Das ist echt viel Blut.
Okay, vielleicht hätte ich das doch lassen sollen. Meine Hand zittert und fängt an zu tropfen, aber ich kann mich nicht rühren. Ich kann nur an Bianca denken und an die andere Sache, die ich ganz sicher hätte lassen sollen.
Wer kündigt den Job, bloß um kein Risiko einzugehen, einer Ex zu begegnen? Eigentlich nicht mal einer Ex. Einer EX-trem fiesen lügnerischen Bitch. Einer ehemaligen besten Freundin, für die ich zu meiner Schande auch andere Gefühle hatte.
Bianca konnte noch nie gut Geheimnisse hüten, darum weiß ich gar nicht, wieso ich geglaubt habe, sie könne dieses für sich behalten. Bin selbst schuld, dass ich ihr vertraut habe. Das letzte Mal gesehen habe ich sie, als sie mich am Ende der zehnten Klasse geoutet hat. Ich war so froh, sie nie wiederzusehen, aber dann musste sie ja heute einfach in das Café marschieren, in dem ich arbeite. Arbeitete.
Die hat Nerven, mich dort zu belästigen. Wo ich mich nicht verteidigen kann. Gegen sie war ich sowieso immer wehrlos.
»Jetzt rennst du also weg auf diese katholische Schule? So verzweifelt willst du mir aus dem Weg gehen?«
Ja. Sogar verzweifelt genug, meinen Job zu kündigen. Alles nur, damit ich sie nicht sehen muss. Alles.
»Yami? Alles okay bei dir?« Cesar klopft an die Tür, wartet aber gar nicht auf meine Reaktion, sondern macht sie gleich ein Stück auf und schaut herein. Er muss gehört haben, wie der Spiegel gesplittert ist.
Mein Bruder starrt auf meine blutigen Knöchel und auf den Spiegel, wartet auf eine Erklärung, die ich ihm nicht gebe. Ich sollte mir um ihn Sorgen machen, nicht umgekehrt. Seine Knöchel sind frisch verschorft, wie es auch meine bald sein werden, und er hat ein blaues Auge. Eine Variation des Üblichen.
»Bei dir alles okay?«, frage ich zurück. Sein Blick zuckt zum Spiegel und zurück zu mir, ehe er ins Zimmer kommt. Er hüpft über die schmutzige Wäsche am Boden auf mein Bett und grinst.
»Ich habe nur Einsen!«, sagt er. Okay, nicht nur ich lenke also ab. Cesar und ich haben eine ungeschriebene Regel: Wir dürfen persönliche Fragen genau einmal stellen. Weicht der oder die andere der Frage aus, bohren wir nicht nach. So bewahren wir den Frieden. Mit meiner unverletzten Hand klatsche ich Cesar ab, dann gehe ich in unser gemeinsames Bad, um mir das Blut abzuwaschen. Ich lasse die Tür offen, damit er mich hören kann.
»¡Eso! Kein Wunder, dass du ein Stipendium für Slayton gekriegt hast.«
Cesar ist auf jeden Fall besser in der Schule als ich. Er hat eine Klasse übersprungen, deshalb werden wir jetzt beide in die Elfte kommen. Junior Year. Viele halten uns für Zwillinge, was mir nichts ausmacht. So ist es weniger peinlich, dass mein kleiner Bruder so viel klüger ist als ich. Ich bin nicht in jedem Fach in der Leistungsstufe wie er, aber ich komme ganz gut klar.
Ohne eigenes Stipendium muss ich mir allerdings so schnell wie möglich einen neuen Job besorgen, um meine Hälfte des Schuldgelds bezahlen zu können. Sonst kann es sich meine Mutter nicht leisten, uns beide zur Slayton Catholic School zu schicken, und ich habe auch gar kein Problem damit, ein bisschen mehr dafür zu arbeiten. Wenn ich nach Biancas Aktion wieder zur Rover High gehen müsste, würde ich wahrscheinlich vor Scham sterben. Die katholische Schule und ein Nebenjob sind ein anständiger Preis dafür, dass ich ihr wunderschönes, hinterhältiges Gesicht nie wieder sehen muss. Leb wohl, Rover, kann nicht behaupten, dich zu vermissen.
Ich wasche sorgfältig alles Blut ab, ehe ich in mein Zimmer zurückgehe. Am Ende sieht man kaum noch, dass ich mir wehgetan habe. Eine Sache, in der ich gut bin.
Cesar liegt auf meinem Bett und starrt an die Decke, nestelt an dem Kreuz herum, das er um den Hals hängen hat. »Willst du wirklich nach Slayton?«
Ich zucke die Achseln und lasse mich neben ihn auf die Matratze fallen.
Bianca ist nicht der einzige Grund, wieso ich nach Slayton gehen muss, aber das kann ich Cesar nicht erzählen. Er glaubt, Mom zwingt uns beide auf die katholische Schule, weil wir »eine bessere Ausbildung« brauchen, die besten Profs und anspruchsvolleren Unterricht. Außerdem will sie damit ausgleichen, dass sie keine Zeit mehr hat, mit uns in die Kirche zu gehen.
Das sind jedenfalls die Gründe, die wir Cesar glauben lassen. Wir sagen ihm nicht, dass es auch an dem Ärger liegt, in den er an der Rover ständig geraten ist, und dass Mom die Slayton einfach für sicherer hält (wegen der katholischen Werte). Wir sagen ihm nicht, dass ich darauf bestanden habe, mitzukommen, um ihn vor Problemen zu schützen. Es ist zwar eine schicke katholische Schule, aber auch ein Neustart für uns beide. Und jetzt weiß ich auf jeden Fall, dass ich den Mund halten muss, wenn ich auf irgendwen stehe. Ich werde heimlich lesbisch sein. Wie Kristen Stewart.
Cesar rollt sich auf die Seite und sieht mich an. »Ich habe gehört, da gehen bloß Weiße hin.«
»Wahrscheinlich.« An der Rover sind die meisten Schülerinnen und Schüler Chicanx oder Schwarz, aber Slayton liegt in der Nordstadt, vierzig Minuten Fahrt von uns aus. Sagen wir mal so: Der Melanin-Anteil ist dort deutlich geringer. Wahrscheinlich könnte ich mein Schulgeld auch zusammenkriegen, indem ich in den Pausen Sonnencreme verkaufe.
»Und das Football-Team ist richtig scheiße«, sagt er.
»Du spielst doch gar nicht Football.«
»Und jetzt werde ich auch keine Gelegenheit mehr dazu haben.« Ein trauriger Glanz legt sich auf seine Augen, als wäre Football mal sein Traum gewesen. Ich schwöre, er ist echt so eine Dramaqueen.
»Ach, pobrecito.« Ich will ihn in die Wange kneifen, aber er schlägt meine Hand weg. Er ist bloß zehn Monate jünger als ich, aber ich erinnere ihn ständig daran, dass er das Küken ist.
»Ich habe gehört, da muss man irgendwie so zehn Stunden Hausaufgaben machen. Jeden Tag. Das ist Kindesmissbrauch. Wann sollen wir denn schlafen? Oder essen? Wir werden verhungern!« Er wirft die Arme in die Luft.
Ich lache und schlage mit dem Kissen nach ihm. »Wir werden es überleben.« Ich lasse unerwähnt, dass vor allem er Zusatzaufgaben kriegen wird, weil er schließlich in lauter Leistungskursen sitzen wird. »Außerdem ist es immer noch besser als die Alternative, oder?«
»Welche Alternative?«
»Na«, ich zeige auf sein blaues Auge, »verprügelt zu werden?« Sein Kiefer verkrampft sich, und mir tut es sofort leid, dass ich davon angefangen habe, also rede ich weiter: »Oder gammelige Chicken Nuggets zum Mittag. Das ist Kindesmissbrauch. Immerhin kann sich die Slayton anständiges Essen leisten.«
»Kann schon sein.« Er klingt nicht begeistert. Cesar hat keinerlei Selbsterhaltungstrieb. Manchmal kommt es mir vor, als wollte er an der Rover verkloppt werden.
Ich lege ihm den Arm um die Schulter. »Keine Bange, wenn du das Schulessen von Rover jemals vermissen solltest, kannst du einfach an deinen Schuhsohlen lecken. Dann kommt es dir vor, als wärst du nie weg gewesen.«
Er schnaubt kurz und reckt ein Bein in die Luft. »Entschuldige mal, meine Schuhe sind clean as fuck. Fünf-Sterne-Restaurant-Qualität.«
»Die Sohle habe ich gesagt, tonto.« Ich will sein Ohrläppchen schnippen, aber er sieht es kommen und schnippt meins zuerst. »Au!« Ich reibe mir das Ohr. Mann, sind meine Reflexe lahm.
Aber nicht schlimm. Lieber lasse ich mir ans Ohr schnippen, als dass mein kleiner Bruder sauer auf mich ist.
Mein Handy vibriert, und das Bild meiner Mutter erscheint auf dem Display. Keine Ahnung, warum sie mich anruft, wenn sie genauso gut nach mir rufen könnte. Unser Haus ist nicht so groß, dass ich sie nicht hören würde. Ich gehe trotzdem ran.
»Hey, mami.«
»Ven pa ca, mija.«
»Ich komme.« Hektisch versuche ich, mir was zu überlegen, um den zerbrochenen Spiegel zu erklären.
»Sag ihr, ich hätte ihn kaputt gemacht.« Cesar muss meine Gedanken gelesen haben, obwohl er nicht mal in meine Richtung guckt. Das kann er echt gut.
»Warum?«
»Sie wird es dir glauben, und ich kriege sowieso keinen Ärger.« Er hat recht. Cesar ist Moms kleiner Liebling. Wenn er einen Spiegel zerschlägt, will sie bloß wissen, ob seine Hand verletzt ist. Wenn ich einen zerschlage, kriege ich mindestens Hausarrest. Trotzdem werde ich ihm das nicht in die Schuhe schieben.
Ich verdrehe die Augen und...