E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Reihe: Dragonfly
Reyes Little Secrets - Schuldige Freunde
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95967-673-1
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Reihe: Dragonfly
ISBN: 978-3-95967-673-1
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Drei Mädchen. Drei Jungs. Ein Traumhaus an der Küste Floridas.
Ein halbes Jahr nach dem Einzug in die WG herrscht Ärger am paradiesischen Venice Beach. Die Hausgemeinschaft der Teenager wird immer brüchiger. Ein gefährlicher Flirt läuft aus dem Ruder. Ein dunkles Geheimnis könnte alles entscheiden. Und ein tödlicher Unfall verstrickt sie enger, als sie es je für möglich gehalten hätten. Nur wer sich gegen die anderen verschwört, kann sich schützen. Aber wie weit werden sie gehen, um die Lügen für alle Zeiten zu verschleiern?
'Ich bin ein großer Fan von M.G. Reyes! Sie hat großes Talent!' Michael Grant über Little Secrets - Lügen unter Freunden
M.G. Reyes, geboren in Mexico City, wuchs im englischen Manchester auf. Sie studierte an der Oxford University und arbeitete ein paar Jahre als Wissenschaftlerin, bevor sie eine Internetfirma gründete. Heute lebt M.G. Reyes mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Oxford und besucht so oft wie möglich Los Angeles.
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GRACE
El Matador State Beach – Sonntag, 31. Mai
Zwischen den Mitbewohnern lief alles schief. Grace hatte beschlossen, die Dinge zu klären. Aber es waren nicht alle in der Stimmung, mitzuspielen.
„Ist das dein Ernst?“ Candace schaute von dem Klippenweg am El Matador State Beach nach unten. „Einen volleren Strand konntest du wohl nicht finden, was?“, sagte sie mit höchster Ironie.
Bestürzt beäugte Grace den bevölkerten Sand. „Es leert sich bestimmt bald, du wirst schon sehen. Es ist gleich halb fünf. Es muss einfach.“ Die anderen fünf Mitbewohner blieben hinter ihr auf dem Weg stehen. Sie trugen Strand- und Kühltaschen, und Maya und Candace hatten sich Surfbretter unter den Arm geklemmt.
„Wir hätten später kommen sollen“, murmelte John-Michael. „Wer bricht schon um vier Uhr nachmittags zu einem Grillabend am Strand auf?“
Grace hatte ihre Mitbewohner davon überzeugt, dass es an der Zeit war, einen Tagesausflug zu machen und ihr Haus am Venice Beach zur Abwechslung mal zu verlassen, da sie in der letzten Zeit nichts anderes getan hatten, als zu viele überbackene Käsesandwiches zu essen und vor der Glotze abzuhängen. Sie mussten mal raus und sich an einem Ort versammeln, dessen Natur und Ruhe ihre Wirkung entfalten konnten. Wo die Ablenkungen des Alltags nicht dazu führten, dass die Mitbewohner aufeinander losgingen oder auseinanderstoben wie die Billardkugeln beim Eröffnungsstoß.
Sie hatte sogar John-Michael und Candace rumgekriegt, das Picknick mit ihr vorzubereiten. Einige hatten herumgemurrt, warum sie denn „nur zu irgendeinem anderen Strand“ gehen sollten. Na und? Sie brauchten einfach eine Luftveränderung und einen Tapetenwechsel. Einen Ort zum Durchatmen, frei von dem Schleier von Unsicherheit und Verdacht, der sich seit Kurzem über sie gelegt hatte. Hierbei ging es ums Zusammensein. Mit seinen Buchten, die von den Klippen des Pacific Coast Highways umgeben waren, dem kristallklaren Wasser und dem feinen, goldenen Sand schien El Matador das ideale Ausflugsziel zu sein.
Grace biss sich auf die Unterlippe. Das Gemecker ihrer Mitbewohner war echt nervig. Aber so leicht würde sie sich nicht unterkriegen lassen.
Zu ihrer Erleichterung fing Paolo ihren Blick auf. Er bemerkte ihren Frust und warf ihr ein tröstendes halbes Grinsen zu. „Ich find’s gut, dass wir im Hellen hergekommen sind. Ich gucke nämlich gern den Kitesurfern zu.“
Grace schenkte Paolo ein dankbares Lächeln, und sogleich verknotete sich ihr Magen. Das geschah definitiv zu oft. Irgendwann würden sich ihre Gefühle in ihren Augen zeigen oder im Zucken ihrer Lippen, und was dann? Dann wäre sie das dumme Mädchen, das sich in den übertrieben gut aussehenden, unerreichbaren Typen verknallt hatte.
„Kitesurfing? An diesem Strand?“, fragte Maya skeptisch. „Wer das riskiert, muss lebensmüde sein.“
Paolo zuckte mit den Schultern. Er sah mindestens ein knallpinkes Segel, das ungefähr hundert Meter vor dem Strand einen Surfer übers Wasser zog. „Es ist doch gar nicht so windig.“
„Wegen der Klippen“, erwiderte Maya und zeigte auf die Felswand, die die Bucht säumte. „Dich braucht nur ein kräftiger Windstoß zu packen und schon knallst du gegen eine Klippe und wirst zerschmettert.“
„Hier wird niemand zerschmettert“, widersprach Paolo, und in seiner Stimme schwang Bewunderung mit. „Sieh doch selbst: Der Typ ist mindestens eine Meile weit draußen!“
Diesmal konnte sich Grace ein warmes Lächeln nicht verkneifen. Paolo gab sich wenigstens Mühe. Er war zwar auch ein bisschen down, nachdem Lucy ihm einen Korb gegeben hatte, und hatte beim Gedanken an ein Picknick nicht gerade Luftsprünge gemacht. Aber seitdem sie unterwegs waren, hatte sich seine Laune stetig gebessert.
Sie blieb einen Moment stehen und beobachtete Paolo, der zwei Stufen auf einmal nahm. Er sah genauso gut aus wie immer. Es ist zwecklos, sagte sie sich. Du musst Jungs wie Paolo einfach aus dem Weg gehen. Er war einfach zu süß und wusste es auch. Es war besser, einfach nur mit ihm befreundet zu sein.
Als Grace aufblickte, bemerkte sie, dass Lucy sie neugierig und nachdenklich ansah. „Hmm“, murmelte Lucy mit einem wissenden Nicken.
„Was?“, entgegnete Grace. Sie spürte, wie sie rot wurde, konnte es aber nicht verhindern.
Lucy lächelte milde. „Keine Sorge. Jungs sind zwar dämlich, aber irgendwann kapieren selbst sie es.“
Für einen kurzen Moment war Grace zu verblüfft, um sich zu rühren. Mindestens eine ihrer Mitbewohnerinnen fiel nicht auf ihr Theater herein. Mit mechanischen Bewegungen folgte sie ihren Freunden zum Strand hinunter.
Candace und Maya glitten auf ihren Surfbrettern in die Wellen, während Paolo in der Nähe schwamm. Für alle, die nicht zu den Abgehärteten gehörten, war das Meer noch viel zu kalt, aber Paolo schien das nicht zu stören. Das Wasser war so klar wie eine Süßwasserquelle mitten im Wald. Weiter draußen bewegten sich zwei Kitesurfer im Zickzack über die blauen Weiten, wobei ihre Boards mit hoher Geschwindigkeit über das Wasser hüpften.
Grace blieb am Strand zwischen den Felsblöcken und Klippen. Die meiste Zeit starrte sie stumm aufs Meer. John-Michael saß schweigend neben ihr.
So konnte es sein, wenn zwei Menschen aufs Wasser blickten. Ihr ganzes Leben hatte Grace in San Antonio in Texas gelebt, mehr als hundert Meilen von der Küste entfernt. Sie hatte keine Ahnung davon gehabt, wie beruhigend sich der Ozean auf ihren Geist auswirken konnte. Und in den letzten fünf Monaten hatte die unmittelbare Nähe zum Wasser sie gelehrt, wie gut man Stille teilen konnte.
Grace bezweifelte, dass sie jemals zurückgehen könnte.
Sie dachte an die ersten Tage zurück, die sie in dem Haus am Venice Beach verlebt hatte, in dem sie mit Maya, Lucy, John-Michael, Paolo und ihrer Stiefschwester Candace wohnte. Es hatte ein paar Monate gedauert, aber inzwischen waren sie zusammengewachsen; eine künstliche Familie am Venice Beach. Keiner von ihnen hielt dies für selbstverständlich. Und dennoch gab es in letzter Zeit Spannungen.
Das war im Grunde keine Überraschung, wenn man bedachte, was einige von ihnen in dieses Haus getragen hatten: Geheimnisse, Betrug, Verbrechen. Grace beobachtete Candace dabei, wie sie sich die Arme mit Sonnenschutz eincremte, und ein vertrautes Schuldgefühl durchzuckte sie. Erst vor Kurzem hatte sie John-Michael ein Geheimnis anvertraut, das sie vor ihrer eigenen Stiefschwester noch immer zurückhielt.
Grace hatte ihr die wahre Identität ihres leiblichen Vaters, Alex Vesper, über Jahre verschwiegen. Wie würde Candace reagieren, wenn sie wüsste, dass ihre Stiefmutter früher mit einem verurteilten Mörder verheiratet gewesen war? Einem Mann, der in der Todeszelle saß? Würde die Beziehung zwischen ihr und Candace es überleben, wenn diese Wahrheit jemals ans Licht käme? Grace war sich ziemlich sicher, dass es ihr ohne Candace nicht gelingen würde, so zu tun, als ob die Sache mit der vorzeitigen Mündigkeit tatsächlich so einfach wäre, wie alle gern glaubten. Da half es auch nicht, dass sich ihre Mitbewohner alle mehr oder weniger bereit erklärt hatten, ihre Eltern auf Abstand zu halten.
Wenn Candace die Wahrheit über Graces Vater von jemand anderem erführe als von Grace, würde sie sich verraten fühlen. Vielleicht würde sie sogar in ihrem Gedächtnis kramen und überlegen, über welche Dinge Grace sie womöglich noch angelogen hatte. Grace konnte sich ihre eigene Reaktion genau vorstellen. Sie würde ihre Stiefschwester anflehen, ihr zu glauben, dass es keine weiteren Geheimnisse gab, und dass auch dieses nicht ihre Entscheidung gewesen sei, sondern die ihrer Mutter.
Sie senkte den Blick, bevor Candace es bemerkte. Nein. Das konnte sie nicht riskieren, so verlockend ein Geständnis manchmal auch sein mochte. Wie ihre Mutter immer sagte: „Es ist nicht nur dein Geheimnis, Grace.“
Vor einer Woche, am Memorial Day, hatte sie sich John-Michael anvertraut. Grace war sich noch immer nicht sicher, wie das geschehen konnte. Wenn ein Mensch etwas Persönliches preisgibt, fühlt es sich richtig an, ebenfalls etwas zu verraten. Zumindest redete sie sich das ein. Aus diesem Grund hatte sie John-Michael in ihr Geheimnis eingeweiht – ihm die Wahrheit über ihren Vater erzählt. Über den Todeszelleninsassen, mit dem sie sich seit Jahren schrieb. Den „Dead Man Walking“.
John-Michael aber hatte ihr ebenfalls ein Geheimnis verraten. Über seinen Vater und dessen Tod, der wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf schwebte. Die Polizei hatte John-Micheal wegen Mordverdachts eingesperrt, doch dann war er ohne offizielle Anklage freigelassen worden. Vor einer Woche hatten sich die Dinge zugespitzt. Anstatt sich noch einen Tag länger an dem Auto zu erfreuen, dem ganzen Stolz seines Vaters, hatte John-Michael das Mercedes-Benz-Cabrio von den Klippen des Pacific Coast Highways in die Tiefe stürzen lassen. Nur Grace kannte den wahren Grund dafür.
Zwar hatte sie moralische Einwände dagegen, wenn jemand seinem eigenen Vater Beihilfe zum Selbstmord leistete – vor allem, wenn man ihm dabei ein Kissen aufs Gesicht drückte, bis er aufhörte zu atmen. Sie selbst wäre niemals in der Lage dazu gewesen, so endgültig die medizinische Diagnose auch sein mochte. Aber John-Michael war ihr Freund, und er hatte ihr die Wahrheit anvertraut. Sie würde niemandem davon erzählen, und sie wusste, dass er dasselbe für sie täte.
Nach Sonnenuntergang fingen Mütter und Väter, Großeltern und Kleinkinder an, ihre Sachen...