E-Book, Deutsch, Band 149, 108 Seiten
Reuter Schelmuffskys Reisebeschreibung
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7526-9888-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Band 149
E-Book, Deutsch, Band 149, 108 Seiten
Reihe: Taschenbuch-Literatur-Klassiker
ISBN: 978-3-7526-9888-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christian Reuters Reisebeschreibungen des Schelmuffsky erschienen 1696 und 1697. Reuter nahm in seinen Erzählungen zwischen Schelmenroman und Kleinbürgersatire die Gesellschaft aufs Korn. Seine Sittengemälde brachten ihm so manchen Karzeraufenthalt ein.
Christian Reuter war ein deutscher Schriftsteller des Barocks. Er lebte von 1665 bis nach 1712, zuletzt in Berlin.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Teil
1. Kapitel. Deutschland ist mein Vaterland, in Schelmerode bin ich geboren, zu Sankt Malo[1] habe ich ein ganz halb Jahr gefangen gelegen und in Holland und England bin ich auch gewesen. Damit ich aber diese meine sehr gefährliche Reisebeschreibung fein ordentlich einrichte, so muß ich wohl von meiner wunderlichen Geburt den Anfang machen. Als die große Ratte, welche meiner Frau Mutter ein ganz neu seiden Kleid zerfressen, mit dem Besen nicht hatte können totgeschlagen werden, indem sie meiner Schwester zwischen den Beinen durchläuft, fällt die ehrliche Frau deswegen aus Eifer in eine solche Krankheit und Ohnmacht, daß sie ganzer vierundzwanzig Tage daliegt und kann sich, der Tebel hol mer [2], weder regen noch wenden. Ich, der ich dazumal die Welt noch niemals geschaut und nach Adam Riesens Rechenbuche vier ganzer Monat noch im Verborgenen hätte pausieren sollen, war dermaßen auch auf die sappermentsche Ratte so töricht, daß ich mich aus Ungeduld nicht länger zu bergen vermochte, und kam auf allen Vieren sporenstreichs in die Welt gekrochen. Wie ich nun auf der Welt war, lag ich acht ganzer Tage unten zu meiner Frau Mutter Füßen im Bettstroh, ehe ich mich einmal recht besinnen kunnte, wo ich war. Den neunten Tag so erblickte ich mit großer Verwunderung die Welt. O sapperment! wie kam mir alles so wüste da vor, sehr malade war ich, nichts hatte ich auf dem Leibe, meine Frau Mutter hatte alle Viere von sich gestreckt und lag da, als wenn sie vor den Kopf geschlagen wäre, schreien wollte ich auch nicht, weil ich wie ein jung Ferkelchen dalag, und wollte mich niemand sehen lassen, weil ich nackend war, daß ich also nicht wußte, was ich anfangen sollte. Endlich dachte ich, du mußt doch sehen, wie du deine Frau Mutter ermunterst, und versuchte es auf allerlei Art und Weise; bald kriegte ich sie bei der Nase, bald krabbelte ich ihr unten an den Fußsohlen, letztlich nahm ich einen Strohhalm und kitzelte sie damit in dem linken Nasenloche, wovon sie eiligst auffuhr und schrie: Eine Ratte! Eine Ratte! Da ich nun von ihr das Wort Ratte nennen hörte, war es, der Tebel hol mer, nich anders, als wenn jemand ein Schermesser nähme und führe mir damit unter meiner Zunge weg, daß ich hierauf alsobald ein erschreckliches Auweh! an zu reden fing. Hatte meine Frau Mutter nun zuvor eine Ratte! eine Ratte! geschrien, so schrie ich hernachmals wohl über hundert Mal: Eine Ratte! Eine Ratte! denn sie meinte nicht anders, es nistelte eine Ratte bei ihr unten zu ihren Füßen. Ich war aber her und kroch sehr artig an meiner Frau Mutter hinauf, guckte bei ihr oben zum Deckbett heraus und sagte: Frau Mutter, Sie fürchte sich nur nicht, ich bin keine Ratte, sondern ihr lieber Sohn; daß ich aber so frühzeitig bin auf die Welt gekommen, hat solches eine Ratte verursacht. Als dieses meine Frau Mutter hörte, Ei sapperment! wie war sie froh, daß ich so unvermutet war auf die Welt gekommen, daß sie ganz nichts davon gewußt hatte. Indem sie sich nun so mit mir eine gute Weile in ihren Armen gehätschelt hatte, stund sie mit mir auf, zog mir ein weiß Hemde an und rief die Mietsleute im ganzen Hause zusammen, welche mich alle miteinander höchst verwundernd ansahen und wußten nicht, was sie aus mir machen sollten, weil ich schon so artig schwatzen kunnte. Herr Gerge, meiner Frau Mutter damaliger Präzeptor, meinte, ich wäre gar von dem bösen Geiste besessen, denn sonst könnte es unmöglich von rechten Dingen mit mir zugehen, und er wollte denselben bald von mir austreiben. Lief hierauf eiligst in seine Studierstube und brachte ein groß Buch unter dem Arme geschleppt, damit wollte er den bösen Geist nun von mir treiben. Er machte in die Stube einen großen Kreis mit Kreide, schrieb einen Haufen kauderwelsche Buchstaben hinein und machte hinter und vor sich ein Kreuz, trat hernachmals in den Kreis hinein und fing folgendes an zu reden: Hokus pokus schwarz und weiß, Fahre stracks auf mein Geheiß Schuri muri aus dem Knaben, Weils Herr Gerge so will haben. Wie Herr Gerge diese Worte gesprochen hatte, fing ich zu ihm an und sagte: Mein lieber Herr Präzeptor, warum nehmet Ihr doch solche Köckelpossen vor und vermeinet, ich sei von dem bösen Geiste besessen; wenn Ihr aber wissen wolltet, was die Ursache wäre, daß ich flugs habe reden lernen und weswegen ich so frühzeitig bin auf die Welt gekommen, Ihr würdet wohl solche närrische Händel mit Eurem Hokuspokus nicht vorgenommen haben. Als sie mich dieses nun so reden höreten, O sapperment! was erweckte es vor Verwunderung vor den Leuten im Hause. Herr Gerge stund, der Tebel hol mer, da in seinem Kreise mit Zittern und Beben, daß auch die um ihn Herumstehenden alle aus der Luft mutmaßen kunnten, der Herr Präzeptor müßte wohl in keinem Rosengarten stehn. Ich kunnte aber seinen erbärmlichen Zustand nicht länger mit ansehen, sondern fing da an, meine wunderliche Geburt zu erzählen, und wie es niemand anders als diejenige Ratte verursacht hätte, welche das seidene Kleid zerfressen, daß ich so frühzeitig auf die Welt gekommen wäre und flugs reden können. Nachdem ich nun mit vielen Umständen den sämtlichen Hausgenossen die ganze Begebenheit von der Ratte erzählt hatte, so glaubten sie hernach allererst, daß ich meiner Frau Mutter ihr Sohn wäre. Herr Gerge aber, der schämte sich wie ein Hund, daß er meinetwegen solche Narrenpossen vorgenommen hatte und vermeint, ein böser Geist müßte aus mir reden. Er war her, löschte seinen Hokuspokuskreis wieder aus, nahm sein Buch und ging stillschweigend immer zur Stubentüre hinaus. Wie auch die Leute hernach alle mit mir taten, und mich zu herzten und zu poßten, weil ich so ein schöner Junge war und mit ihnen flugs schwatzen kunnte, das wäre, der Tebel hol mer, auf keine Kuhhaut zu schreiben; ja sie machten auch alle miteinander flugs Anstalt, daß mir selben Tag noch bei großer Menge Volks der vortreffliche Name Schelmuffsky beigelegt wurde. Den zehnten Tag nach meiner wunderlichen Geburt lernte ich allmählich, wiewohl etwas langsam, an den Bänken gehn, denn ich war ganz malade, weil ich auf der Welt gar noch nichts weder gefressen noch gesoffen hatte. Was trug sich zu? Meine Frau Mutter, die hatte gleich selben Tag ein groß Faß voll Ziegenmolken auf der Ofenbank stehn; über dasselbe gerate ich so ohngefähr und titsche mit dem Finger hinein und koste es. Weil mir das Zeug nun sehr wohl schmeckte, kriegte ich das ganze Faß bei dem Leibe und soffs, der Tebel hol mer, halb aus. Wovon ich hernach ganz lebend wurde und zu Kräften kam. Als meine Frau Mutter sah, daß mir das Ziegenmolken so wohl bekam, war sie her und kaufte hernach noch eine Ziege, denn eine hatte sie schon, die mußten mich also bis in das zwölfte Jahr meines Alters mit lauter solchem Zeuge ernähren und auferziehen. Ich kanns wohl sagen, daß ich denselben Tag, als ich gleich zwölf Jahr alt war, der Tebel hol mer, Speck ellendicke auf meinem Rücken hatte, so fett war ich von dem Ziegenmolken geworden. Bei Anfange des dreizehnten Jahres lernte ich auch alle sachte die gebratenen Kramsvögelchen und die jungen gespickten Hühnerchen abknaupeln, welche mir endlich auch sehr wohl bekamen. Da ich nun so ein bißchen besser zu Jahren kam, so schickte mich meine Frau Mutter in die Schule und vermeinte nun, einen Kerl aus mir zu machen, der mit der Zeit alle Leute an Gelehrsamkeit übertreffen würde. Ja es wäre dazumal wohl endlich was aus mir geworden, wenn ich hätte Lust, was zu lernen, gehabt, denn so klug als ich in die Schule ging, so klug kam ich auch wieder heraus. Meine größte Lust hatte ich an dem Blaserohre, welches mir meine Frau Großmutter zum Jahrmarkte von der Eselswiese mitgebracht hatte. So bald ich denn aus der Schule kam, so schmiß ich meine Bücherchen unter die Bank und nahm mein Blaserohr, lief damit auf den obersten Boden und schoß da entweder die Leute auf der Gasse mit auf die Köpfe oder nach den Spatzianern, oder knapste den Leuten in der Nachbarschaft die schönen Spiegelscheiben entzwei, und wenn sie denn so klirrten, kunnte ich recht herzlich drüber lachen; das trieb ich nun so einen Tag und alle Tage, ich hatte auch so gewiß mit meinem Blaserohr schießen gelernt, daß ich einem Sperlinge, wenn er gleich dreihundert Schritt von mir saß, damit das Lebenslicht ausblasen kunnte. Ich machte das Rabenzeug so schüchtern, wenn sie nur meinen Namen nennen hörten, so wußten sie schon, wieviel es geschlagen hatte. Als nun meine Frau Mutter sah, daß mir das Studieren ganz nicht zu Halse wollte und nur das Schulgeld vor die lange Weile hingeben mußte, nahm sie mich aus der Schule wieder heraus und tat mich zu einem vornehmen Kaufmann, da sollte ich ein berühmter Handelsmann werden, ja ich hätte es wohl werden können, wenn ich auch Lust dazu gehabt hätte; denn anstatt da ich sollte die Nummern an den Waren merken und wie teuer die Elle müßte mit Profit verkauft werden, so hatte ich immer andere Schelmstücke in Gedanken, und wenn mich mein Patron wohin schickte, daß ich geschwinde wiederkommen sollte, so nahm ich allemal erstlich mein Blaserohr...




