E-Book, Deutsch, Band 22025, 112 Seiten
Rethmann / Brückner / Fuchs Leitung
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7917-6267-8
Verlag: Pustet, F
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Theologisch-praktische Quartalschrift 2/2025
E-Book, Deutsch, Band 22025, 112 Seiten
Reihe: Theologisch-praktische Quartalschrift
ISBN: 978-3-7917-6267-8
Verlag: Pustet, F
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Female und servant Leadership, agile Leitung, kollegiale Führung: solche Konzepte sind in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur heute etabliert. Kaum bekannt ist, dass sie vielfach in christlichen Traditionen wurzeln und eine lange Geschichte aufweisen. Heft 2/2025 Leitung nimmt diese Ansätze und Methoden genauer in den Blick und entwickelt Perspektiven, wie sie neu – oder wieder – in kirchliche Strukturen integriert werden und als zukunftsfähige Formen von Leitung transformative Kraft entfalten können.
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Michael Theobald
„Nicht Herren über euren Glauben …“
Gemeindeleitung im Dienst aller nach dem Neuen Testament
Dieser Beitrag zeigt an drei Aspekten, wie Gemeindeleitung aus neutestamentlicher Perspektive verstanden werden kann. Als erstes wird die Entstehung der für die frühen christlichen Gemeinden notwendigen Dienste und Ämter in den Blick genommen. Diese vor allem durch sozialgeschichtliche Faktoren bedingten Entwicklungen werden anschließend hinsichtlich ihrer theologischen Deutungsmuster betrachtet. Den Abschluss bildet die Frage nach den zentralen Aufgaben, dem „Worum-willen“ der Ämter. (Redaktion)
Das Zweite Vatikanische Konzil hat das Verdienst, als erste Synode in der Geschichte der Kirche die Charismenlehre des Paulus kirchenamtlich rezipiert zu haben, auch wenn dies „nur ein erster Schritt und ein zögerlicher dazu“1 war. Warum? Gemeindeleitender Dienst ( []) ist nach Paulus ein Charisma unter anderen, die er insgesamt nicht durch Geschlecht oder soziale beziehungsweise kulturelle Herkunft der jeweiligen Person konditioniert sieht. Das Konzil aber nimmt – in „Lumen gentium“ – das kirchliche Dienstamt () aus der Kategorie der „besonderen Gaben“ heraus und macht es zur richterlichen Instanz, die darüber befindet, was überhaupt als „besondere Gabe“ in der Kirche gelten kann und was nicht.2 Das Konzil betont zwar, Dienstamt und Charismen hätten „alle auf ihre Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammen[zu]wirken“3. Auch sieht es die Gefahr, dass das Amt den in den Gnadengaben wirkenden Geist zum Erlöschen bringt,4 vermag diese Gefahr aber nicht zu bannen. Die Frage, wie sich Dienstamt und Charismen, Recht und Freiheit in der Kirche zueinander verhalten, bleibt bis heute unbeantwortet – ein Problem, das weiter schwelt, wie insbesondere die Frage der Beteiligung von Frauen am sakramentalen Dienstamt zeigt. Aufschlussreich sind Sätze aus einem Interview, das Kardinal Christoph Schönborn kürzlich im Rückblick auch auf die römische Bischofssynode gab:
„Ich kenne persönlich eine ganze Reihe Frauen […], die von sich sagen: Ich habe eine Berufung zur Priesterin, zur Diakonin. Ich kann nur sagen: Das akzeptiere ich und ich halte das für etwas Schönes und Starkes. Aber das hat nicht direkt zu tun mit der Frage der Gleichberechtigung. Denn es gibt kein Recht auf ein Amt in der Kirche. Es gibt Berufungen dazu und Zulassungen dazu. Nun gibt es eine zweitausend Jahre alte Tradition, die auf Jesus selber zurückgeht, nämlich dass er zwölf Männer als Apostel gewählt hat und deren Nachfolger durch zweitausend Jahre […]. Jetzt kann man darüber diskutieren: Ist das patriarchalisch? Woher kommt das? Warum ist das so? Eines ist für mich klar: Eine Änderung dieser Vorgabe, die für die Katholische Kirche eine Vorgabe, die auf Jesus zurückgeht, ist – das kann nur ein Ökumenisches Konzil entscheiden.“ Und der Kardinal fuhr fort: „Das kann nicht eine Synode, die obendrein keine Entscheidungsvollmacht hat, sondern Vorschläge an den Papst abstimmt, und dieser Vorschlag, Diakoninnen zu weihen, ist nicht formalisiert gewesen, sondern es war eine offene Frage.“5
Im Blick ist hier der Konflikt zwischen aufbrechenden Charismen und Berufungen von Frauen einerseits und fehlender kirchlicher Anerkennung andererseits. Eine schonungslose Diagnose müsste lauten: Die Verweigerung der Anerkennung authentischer Berufungen, die mit der angeblichen Stiftung eines männlich definierten apostolischen Amtes selbst begründet wird, beschwört Gefahren für die Kirche herauf – nämlich Versteinerung des Amtes, Entmutigung der Menschen, Auswanderung von Frauen aus der Kirche und in all dem Absage an den Geist Gottes, der weht, wo will (Joh 3,8).6
Die Frage, die im Folgenden ansteht, zielt über die gegenwärtigen Streitpunkte hinaus; sie ist grundsätzlicher Natur und lässt sich dreifach stellen: (1) Was heißt eigentlich – neutestamentlich – und welchen Stellenwert besitzt die Frage im Gesamt der Evangeliumsverkündigung? (2) Wie verhalten sich die soziologischen Faktoren in der Ausgestaltung der Ämter in den ersten Generationen der Kirche und die theologische Begründung dieser Ämter zueinander? (3) Wem dienen sie und was muss geschehen, dass sie ihre Aufgaben aus Sicht des Neuen Testaments stets besser erfüllen? Den Fragenkreis auszuschreiten, ist hier nicht möglich; wenige Aspekte, die von aktueller Relevanz sind, müssen genügen.
1. Zur historischen und systematischen Nachordnung der Frage nach den
Dem Vorwurf, die reformfreudigen Kreise übersähen über ihren Strukturdebatten die heute eigentlich die Menschen bewegenden Fragen nach Gott und dem Sinn ihres Lebens, lässt sich mit einem Verweis auf das Missionsdekret des Zweiten Vatikanums begegnen, das beide Pole einander zuordnet mit gravierenden Folgen für die Amtsfrage. Angesichts der gegenwärtigen Krise der Kirche und der Suche nach ihrer zukünftigen synodalen Gestalt in der säkularen Welt liest sich „Ad Gentes“ aus dem Jahr 1965 heute – nach 60 Jahren – mit neuen Augen:
„Alle Christgläubigen sind […] gehalten, wo immer sie leben, durch das Beispiel des Lebens und das Zeugnis des Wortes den neuen Menschen, den sie durch die Taufe angelegt haben, […] so kundzutun, dass die anderen, wenn sie ihre guten Werke betrachten, den Vater verherrlichen [vgl. Mt 5,16] und den ursprünglichen Sinn des menschlichen Lebens […] voller erfassen.“7
Missionarische Präsenz einer Gemeinde in der säkularen Welt geschieht dort, wo Jesus-Gläubige uneigennützig durch ihren Lebensstil etwas von der Güte des Vater-Gottes Jesu aufscheinen lassen. Wenn „andere“ Menschen, fernstehende und auf der Suche, dies erfahren, werden auch sie – so die Hoffnung des Dekrets – durch den Dienst der Gemeinden angeregt, „den ursprünglichen Sinn“ auch ihres Lebens „voller zu erfassen“. Erst wenn Gemeinden in diesem Geist heranwachsen, stellt sich also in einem zweiten Schritt die Frage nach den besonderen Diensten, von denen das Missionsdekret anschließend spricht:
„Nun sind aber zur Pflanzung der Kirche und zum Wachstum der christlichen Gemeinschaft vielfältige Dienste notwendig, die, durch göttliche Berufung aus der Gemeinde der Gläubigen selbst erweckt, von allen mit liebevoller Sorge zu hegen und zu pflegen sind […].“8
„[S]chrittweise und sozusagen von unten her“ zeichnet das Dekret „die ‚Formung‘ der christlichen Gemeinschaft“ nach, „wobei die dazu notwendigen Dienste in ihrer ganzen Breite genannt sind (AG, 15, § 7), ehe vom priesterlichen Amt und anderen spezifischen Berufungen die Rede ist (AG, 16–18)“9. Wenn das Dekret zur (Leonardo Boff) anleiten möchte, kann es als Mahnung gelesen werden, die gegenwärtigen Strukturprobleme der Kirche nicht isoliert, sondern im Kontext ihrer gegenwärtigen zu sehen, die Karl Rahner schon vor Jahren prognostiziert hat.10 Mit der neutestamentlichen Sicht der Genese von Funktionen und Dienstämtern korreliert das Bild des Dekrets in erstaunlicher Weise.
Wer die ältesten Zeugnisse des Neuen Testaments – die Briefe des Paulus – konsultiert, wird feststellen: Am Anfang standen kleine messianische Zellen in den Großstädten der Mittelmeerwelt, von Paulus und seiner Missionsequipe gegründet. Erst als diese Kleingruppen zu Gemeinden heranwuchsen, die sich in einer Stadt oder einer Provinz miteinander vernetzten, meldete sich der Bedarf, das gemeindliche Leben zu organisieren: Aus überschaubaren Interaktionen in Kleingruppen wurde ein geordnetes Zusammenspiel unterschiedlicher Funktionen. Diese verstetigten sich im Lauf der Jahre zu Ämtern, für die auch Zulassungsbedingungen formuliert wurden. Im Hintergrund stand die nicht mehr abwendbare Einsicht in die sich dehnende Zeit: Die Weitergabe der Botschaft Jesu an die jeweils nächste Generation erfordert geordnete Bahnen.
So kristallisierten sich Orientierungsmarken heraus, die Kontinuität gewährleisten sollten: die Schriften der Ursprungszeit, die zum apostolischen Nachlass kanonisiert wurden – das Neue Testament, das mitsamt dem im schon im Gebrauch stehenden Alten Testament zur christlichen Bibel heranwuchs –, sodann die , das Bekenntnis als Richtschnur, und schließlich der kirchenleitende Dienst als Wächteramt über den Glauben im Streit um die Wahrheit, das heißt über die rechte Deutung der Schriften, die gerade in Umbruchszeiten immer wieder neu auszuhandeln ist.
Soziologische Faktoren waren die treibende Kraft in diesen...