E-Book, Deutsch, Band 5, 448 Seiten
Reihe: Historische Romane
Renner Vom Schicksal des Johann Rieder
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-475-54414-9
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 5, 448 Seiten
Reihe: Historische Romane
ISBN: 978-3-475-54414-9
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der junge Johann Rieder verlässt Tirol, um als Flößermeister und Kurier des Fürstbischofs von Kempten zu arbeiten. Der Zufall will es, dass Johann Rieder die Schiffe der späteren Kurfürstin von Bayern lenkt. Er gewinnt ihr Vertrauen und wird erster Hof- und Leibschiffmeister des Kurfürstentums Bayern. Während des sechsjährigen Türkenkrieges fährt er bayerische Soldaten und Munition inn- und donauabwärts ins Ungarnland und bis hinunter nach Belgrad. In Rosenheim verliebt er sich in eine junge Witwe, mit der er eine Familie gründet. Als Handelsherr und Besitzer eines Weinhauses bringt er es zu Wohlstand und Ansehen. Er erwirbt in Rosenheim das Bürgerrecht, wird Bürgermeister und Marktkämmerer. Doch seine ständige Abwesenheit belastet sein Familienleben schwer.
Carl Oskar Renner besaß die Gabe, geschichtliche Ereignisse meisterlich in romanhafter Form darzustellen, was ihm viele Auszeichnungen einbrachte. So wurde er unter anderem mit dem Sudetendeutschen Literaturpreis, dem Poetentaler der Münchner Turmschreiber und dem Bundesverdienstkreuz für sein literarisches Schaffen ausgezeichnet.
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Die Prunkfahrt
An der Innlände in Kufstein standen zahlreiche Neugierige: in der vorderen Reihe, hoch zu Ross, lauter Freiherren und Grafen. In der zweiten Reihe kamen angesehene Handwerksmeister im Sonntagsstaat. Alle warteten sie auf die 38 bayerischen Prunkschiffe, die in den nächsten Minuten von Innsbruck hereinkommen und hier Station machen würden. Die Menschen schauten bald den Fluss hinauf, bald wieder auf den Mösner, den Schiffmeister von Wasserburg, der am Ufer auf und ab stolzierte wie ein zorniger Truthahn. Auf seinem hohen Zylinderhut wippte der Spielhahnstoß bei jedem Schritt, und das weiß-blaue Seidentuch, das seinen beachtlichen Kropf bedeckte, flatterte im Wind. Ein zusammengerackerter Bauer, der mit zwei braunen Berggeißen hinter all den Leuten vorbeiging, fragte einen Handwerksmann: »Gibt’s denn was zu sehn?« »Freilich!«, antwortete der. »Eine neue Kurfürstin kriegen sie, die Bayern; ganz was Junges.« »Kriegen sie die aus Tirol?«, fragte der Bauer wieder. »Depp, damischer! Von Italien drunten!« Der Bauer fühlte sich hinreichend informiert und zog mit seinen Geißen weiter. Da hörte man von der Festung herüber einen Türmer blasen; er hatte den nahenden Schiffzug ausgemacht. Alles geriet in Bewegung. Selbst der Herr Dekan, der im Rauchmantel mitten unter den adligen Herren stand – flankiert von 16 Ministranten –, begann mit nervöser Hand über seine Nase zu wischen und dabei tief zu schnaufen. Der Mann, der die Aufsicht an der Lände führte, schleppte mit zwei Knechten eine dicke Rolle Seile zu den baumstarken Heftstecken, an denen das Prunkschiff festgemacht werden würde. Denn man wusste ja nicht, ob dem Schiffführer, dem alten Breitwieser, das Anlegen einwandfrei gelingen würde; der hatte zwar Erfahrung auf dem Wasser, aber auch einen unbändigen Durst in der Kehle, ganz besonders an einem so heißen und schwülen Tag wie an diesem. Da war es ihm dann gleich, wen er im Schiff hatte, entscheidend war nur, dass ein ausgewachsener Bierbanzen neben ihm stand. Und da pflegten sich manchmal die Heftstecken vor seinen Augen zu vervielfältigen. Jetzt trieb das erste Schiff heran, eine Zille. Sie war, wenn man nicht nach den damaligen, sondern unseren heutigen Maßeinheiten rechnen will, 25 Meter lang, acht Meter breit und einen Meter fünfzig tief – eine Bauart, wie sie in der Rosenheimer Gegend seit eh und je üblich war. Nur den Aufbau, nämlich das Häuserl mit den zwei Zimmern und dem Gang dazwischen, darüber den Dachgarten mit dem Geländer drum herum, diesen Aufbau hatten sie in Innsbruck droben gemacht; dort verstand man sich eben viel besser auf diesen Schmuck und Prunk, wie er in Italien üblich war. Vorn am Gransel – so nannten die Innschiffer das Vorderteil ihrer Gefährte – stand hoch auf einem Gerüst, der sogenannten Granselbrücke, der Thomas Breitwieser, groß und breit wie ein Riese, und regierte das sieben Meter lange Ruder. Beidseits wehten die Fähnlein von Bayern und Savoyen, weiß-blau und weiß-rot; hinten im Schiff aber saß übermannshoch ein bayerischer Löwe, aus Eichenholz geschnitzt. Der Breitwieser drehte das mächtige Schiff bei; es knarzte, als es vor den Heftstecken leicht auf Sand lief. Und dann stand es. Bald legten auch die anderen an; es waren ebenfalls Zillen mit Aufbauten, nur nicht ganz so groß wie die erste. Auf dem vordersten Schiff sah man jetzt den bayerischen Minister Graf Kurz und die Gräfin Wolkenstein, wie sie hinüberwinkten zu den adligen Herren auf den Rössern. Das Treppengestell zum Aussteigen wurde an die richtige Stelle verfrachtet; dann wandte sich die Gräfin wieder zurück und erschien alsbald mit der künftigen Kurfürstin von Bayern, der Prinzessin Henriette Adelaide von Savoyen. Die neugierige Menge hielt für etliche Augenblicke den Atem an: Was für ein schönes Menschenkind! Die dunkelhaarige Prinzessin, in weißem Kleid und rotem Mantel, sah die Leute und lächelte; und dann winkte auch sie. Die Wirkung dieser kleinen Geste auf die bayerischen Herren und Schiffknechte, auf die Bürger, Bauern und Bettler an der Lände war durchschlagend: Alle begannen sie zu brüllen; und manche brüllten so, dass ihnen gleichzeitig Tränen über die Backen rannen. Es waren keine verständlichen Worte, die aus ihren Mündern kamen, es waren Urlaute einer Begeisterung, die noch keinen Namen kennt. Da musste auch die kleine, erst 16-jährige Savoyerin weinen. Der Herr Dekan fing sich zuerst. Er trat mit seinen Ministranten zum Fuß des Treppengestells hin, und während Henriette Adelaide oben auf der ersten Stufe stand, sprach er: »Kurfürstliche Durchlaucht, Hohe Frau! Diesen 16. Juli im Jahre des Herrn 1652 wolle der liebe Herrgott das Land und Volk der Bayern segnen, führt er uns doch die Fürstin herein. Und was für eine Fürstin …« Bei diesem Wort des geistlichen Herrn erhob sich das Gebrüll von Neuem, sodass er sich entschloss, nichts mehr zu sagen und den Weg freizumachen für die Kavaliere, die sich an das Treppengestell herandrängten, ihnen voran der Oberhofmeister Baron von Metternich. Jetzt geleitete man die junge Savoyerin hinüber auf die Festung, wo ihr eine große Schar die Reverenz erweisen wird. Darunter auch Ferdinand Maria, angehender Kurfürst von Bayern, der mit ihr bereits seit zwei Jahren verheiratet ist – ohne sie jemals persönlich gesehen zu haben. Denn da die hohen Herren es eilig hatten mit der Hochzeit, musste es eine Trauung »per Stellvertreter« sein, bei der im Dom von Turin ihr Bruder die Rolle des abwesenden Bräutigams einnahm. So wird sie ihn, den Gleichaltrigen, gar nicht erkennen, wenn er wie alle anderen den Knicks vor ihr macht, um den Saum ihres savoyenroten Mantels zu küssen. Das wird ihn zwar ärgern, nützt aber nichts: Sein Vater Maximilian, der alte Haudegen, und seine Mutter, die Habsburgerin Maria Anna, haben ihm nichts vererbt als eine hängende Schulter, einen hängenden Kopf und den schüchternen Blick – damit ist es schwer, angenehm aufzufallen. Aber er hat einen Brief aus Turin, von ihrer herzoglichen Mutter; den kann er ihr dann in einem Zimmer übergeben, wo sie nur zu zweit sind. Da wird sie dann im zarten Gesichtchen rot anlaufen, savoyenrot; er aber wird ihr – wie es die Wolkenstein, die hinter der Tapete lauscht, am Abend ins Tagebuch eintragen wird – den »allerkeuschesten Kuss« geben. Während sich das auf der gewaltigen Festung von Kufstein abspielte, wohin sich das 360 Personen starke Schiffsgefolge mitsamt den berittenen Kavalieren zurückgezogen hatte, trug sich an der Innlände auch so einiges zu. Da war doch der Breitwieser glatt über das Treppengestell gestürzt und hatte sich dabei das linke Schultergelenk ausgerenkt. Jetzt lag er da und fluchte, und der Mösner, der Wasserburger Schiffmeister, nannte ihn ein über das andere Mal ein besoffenes Schwein. Das wurde dem Breitwieser schließlich zu dumm. Er stand auf und gab seinem Herrn mit der gesunden Rechten einen Schlag vor die Brust, dass er in den Kies taumelte. Der Wasserburger Meister gab, wie er so dalag, nicht das Bild eines Helden ab, während sein Zylinderhut auf den Wellen des Flusses tänzelnd davonschwamm. Der Breitwieser stand da wie ein gereizter Stier. Er wartete, dass der andere aufstehen würde, um ihn noch einmal anzufallen. Der jedoch ahnte das und stand nicht auf. Nach einer längeren Weile spuckte dann der Breitwieser etliche Male kräftig um sich und torkelte fluchend zu seinem Schiff. Der Aufstieg über das Treppengestell gelang ihm nicht; so setzte er sich davor hin. Dort schlief er bald ein und schnarchte aus dem aufgesperrten zahnlosen Mund. Inzwischen hatten einige Schiffknechte ihrem Meister aufgeholfen. Man sah seinem verzerrten Gesicht an, wie bitter die erlittene Schmach ihn ankam. Der Mösner jedoch hatte sich bald wieder ganz in der Hand. Er winkte einem seiner Knechte, dem Cronperger aus Rosenheim, und sagte ihm, er solle das kleinste Rennschiff nehmen und so schnell wie möglich den jungen Rieder aus dem Erler Mühlgraben heraufkommen lassen. »Und sag ihm, er soll ein Ross nehmen, ein leichtes!« Es dauerte nicht lange, da war der Cronperger-Georg mit seinem Schiff unter der Kufsteiner Brücke durch. In der Kiefer stand viel Volk am Ufer. Die Männer riefen ihm zu, wie lange es noch dauere. Er schrie zurück: »Noch zwei bis drei Stunden!« – und weg war er. Als der Cronperger das Schloss Urfahrn hinter den dichten Kastanienbäumen herauslugen sah, da wusste er, dass er bald am Ziel wäre. Er steuerte zum rechten Ufer hin und landete bei der Hopfenscheune. Der dicke Rieder, der Bierbräu, sah das allerdings nicht gern, denn dadurch wurden die Uferverbauungen zerstört; er musste sie alljährlich neu errichten lassen, weil ihm sonst der gefräßige Inn das Land Stück um Stück weggerissen und schließlich die Hopfenscheune mitgenommen hätte. »Rieder-Vater! Der Schiffmeister Mösner schickt mich.« Da begann der Dickwanst, der oben auf dem Kapellenberg stand, zu grinsen: »Was sagst du? Der Mösner-Hans, der Hallodri? Wenn der dich schickt, nachher brennt’s! Wo brennt’s denn?« »Euern Buben, den Hans, bräuchte er drin z’ Kufstein, und er soll mit’m leichten Ross kommen!« »Das auch noch!« »Und gleich soll er kommen!« »Aber fliegen muss er nit!« »Nein, fliegen net – reiten!« Der alte Rieder murmelte noch ein paar Herrgottsakra-Flüche vor sich hin, stieg vom Kapellenberg herunter und wandte sich zum Bräuhaus hinüber, wo sein Sohn bei den Sudpfannen stand. Fünf Minuten später sah man...