Renard | Der Doktor Lerne | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 205 Seiten

Reihe: Classics To Go

Renard Der Doktor Lerne


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-467-8
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 205 Seiten

Reihe: Classics To Go

ISBN: 978-3-98744-467-8
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Auszug: Solches begab sich an einem Winterabend, vor über einem Jahr. Es war nach dem Abschiedsdiner, das ich meinen Kameraden in der Avenue Victor Hugo, in jener kleinen Privatwohnung gab, die ich vollständig möbliert gemietet hatte. Da diesen Domizilwechsel nichts anderes als meine Vagabundenlaune motivieren konnte, nahmen wir meinen nomadischen Einweihungsschmaus von unlängst an diesem selbigen Herd gleicherweise fidel da wieder auf, wo wir ihn ehedem verließen; und als die Stunde der Schnäpse und Witze geschlagen hatte, grub ein jeder von uns aus sich aus, womit er brillieren könnte, zuvörderst natürlich Gilbert, der Schlüpfrige, Marlotte, der Held der Paradoxa und Possenreißer der ganzen Bande, und Cardaillac, der ständige, angestellte Mystifizierer mit festem Gehalt. Ich weiß nicht mehr sehr genau, wie's kam, daß nach einer Stunde Tabakqualmens irgendeiner das elektrische Licht löschte, den Dringlichkeitsantrag auf Tischrücken stellte und uns in der Finsternis um einen Nipptisch gruppierte. Und dieser Jemand ? man merke sich's wohl ? war nicht der Cardaillac. Aber vielleicht hatte ihn Cardaillac als seinen Helfershelfer gewonnen, wenn ja Cardaillac der Schuldige war. Wir waren also acht Mann stark, ziffernmäßig acht Ungläubige gegen eine Null von einem Nipptischchen, das einzig auf seinen Dreifuß rechnen konnte und das sich mit seiner runden Platte unter unsern sechzehn Händen bog, die sehr nach den Regeln des Okkultismus aufgelegt waren.

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Mitten unter Sphinxen
Das Auto wand sich langsam die mäandrischen Wege hin. Manchmal, an Punkten, an denen eine Kurve sich selbst durchschnitt, zögerte sogar der Briefträger einen Augenblick. – Seit wann sind denn diese Zickzackdinge anstatt der einstigen schnurgeraden Allee? fragte ich. – Vier Jahr, Herr. Ungefähr ein Jahr, nachdem sich Herr Lerne definitiv im Schloß eingerichtet hatte. – Und wissen Sie – warum? ... Sie können ruhig reden: ich bin der Neffe des Professors. – Ach ja ...! Weil... weil... er ist ein Sonderling. – Was treibt er denn so Sonderliches? – Gottchen ... nichts. Man bekommt ihn fast nie vor Augen. Das ist es ja eben. Ehe er diese ... besoffenen Wege da hat anlegen lassen, traf man ihn oft und oft. Wenn er in den Feldern spazierenging. Aber seit... er kommt knapp alle Monat einmal nach Grey. Da sah man: All seine Überspanntheiten waren ganz zur selbigen Zeit bei ihm ausgebrochen. Dieser Irrgarten hier und der verwandelte Stil seiner Briefe, die fielen auf Jahr und Tag zusammen. Was wohl so schwer auf seinen Geist eingewirkt haben mochte... – Und seine Mitarbeiter, fragte ich jetzt. Diese Deutschen da? – Tja, Herr, die sind durchaus unsichtbar! Übrigens ... wenn ich Ihnen sage, daß ich die Woche sechsmal auf Fonval komme und mich nicht erinnern kann, wann ich einen einzigen Blick in den Garten geworfen hätte! Der Herr Lerne kommt immer selber an die Pforte und holt die Briefsachen! Ach ... was für eine Veränderung! Kannten Sie den alten Jean noch? Fort! Und seine Frau ebenfalls! Wenn ich es Ihnen sage, Herr, keinen Kutscher! Keine Haushälterin! Kein Pferd! – Seit vier Jahren, nicht wahr? – Wohl, Herr. – Sagen Sie mir, Postbote, gibt's hier viel Wild, was? – Weiß Gott, nein. Paar Kaninchen. Zwei oder drei Hasen ... Aber Füchse. Füchse gibt's viel zuviel. – Was ? Keine Rehböcke - keine Hirsche ? – Nie! Eine sonderbare Freude zuckte in mir auf. – So. Aber da wären wir, Herr ... Und richtig. Gleichsam aus einem Schlußschnörkel heraus ging's nun das letzte Stümpfchen der früheren Allee lang, das Lerne gelassen hatte. Zwei Reihen Lindenbäume steckten die Wegseiten ab, und vom Ende her schien nun die Pforte von Fonval gradaus auf uns zuzulaufen. Vor ihr verbreiterte sich die Allee in Form eines Halbmonds zu einem freien Platz. Und dahinter sah man, wie das Schloß sein blaues Dach über dem Grün der Bäume malte und die Bäume mit ihrem Grün vor den düstern Abhang des Schlundes, in dem ja das Schloß lag, hintraten. Die Pforte inmitten der Mauer, die von den Abhängen zu beiden Seiten her den Weg verbaute, die Pforte unter dem alten Ziegeldach, o sie war sehr gealtert. Das Gesims morsch, das Türholz wurmstichig und stellenweise tief eingefressen ... aber die Klingel – die Klingel klang unverändert. Die läutete aus meiner Jugend her, so froh, so rein, so weit ... ich hätte weinen mögen ... Augenblicke des Wartens vergingen. Dann endlich klapperten Holzschuhe her. – Guilloteaux, sind Sie's? rief eine Stimme, aber mit ganz überrheinischem Akzent. – Jawohl, Herr Lerne. Herr Lerne? – Ich sah auf meinen Führer mit weit aufgerissenen Augen! – Was! Das soll mein Onkel geredet haben? ... – Sie sind früh dran heut, erklang die Stimme von neuem. Riegel klirrten zurück. Durch die Öffnung kam eine Hand. – Geben Sie her ... – Hier, Herr Lerne. Aber ... aber ... da ist wer mit mir gekommen, gab der Postbote plötzlich ganz klein zu verstehen. – Wer? schrie's von drinnen. – Und der geschrien hatte, der erschien in der Türspalte. Es war wohl mein Onkel Lerne. Aber wie seltsam hatte den das Leben angerührt, und wie so grauenvoll gereift. Eine wilde, verkommene Gestalt. Graue und viel zu lange Haare hingen ihren Unrat bis auf den Plunder herab, den er anhatte. Viel zu früh in schweres Greisenalter ausgestoßen, so stand er da und glühte mich an wie einen Feind, mit zerquälter Stirn und mit bitterbösen Augen. – Was wollen Sie ? fuhr er mich an. Und sprach's: Fas follen Sie ... Ich zögerte eine Sekunde. Kein Äderchen mehr von dem Gesicht einer lieben alten Dame – nein, eine glatte, grause Siouxgrimasse! Ich fand mich nicht zurecht: ich erkannte ihn und er war mir doch unkenntlich. – Aber Onkel! Onkel! Onkel! stammelte ich dann. Ich bin's ja... zu Besuch komm ich ... mit Ihrer Erlaubnis ... Und geschrieben hab ich Ihnen ... aber der Brief ... da, hier ist er ... wir kommen zu gleicher Zeit an ... Entschuldigen Sie, daß ich so unbesonnen war... – Ah! Sehr gut! Da muß man wohl sagen ... Aber, mein lieber Neffe, da hab ich ja bei Ihnen um Entschuldigung zu bitten... So jäher Umschwung. Lerne war zuvorkommend, errötete, verwirrte sich und dienerte beinahe. Solches Verlegensein mir gegenüber tat weh. – Ha! Haha! Und gar mit einer Maschine sind Sie gekommen! Hm ... die will doch hier herein, ja, was? Er machte die beiden Türflügel auf. – Hier, hier ist man oft sein eigener Knecht, sagte er, und die Türangeln kreischten ein Lied. Und er griff schwerfällig zu, mein Onkel. – Aber man sah's ihm deutlich an, es war ihm unbequem und sauer, und seine Gedanken waren ganz anderswo. Der Postbote war gegangen. – Die Remise ist immer noch da? sagte ich und zeigte rechts auf den Schuppen aus Backsteinen. – Ja, ja ... Ich habe Sie mit Ihrem Bart gar nicht wiedererkannt, hm! ... Ja ... mit Ihrem Bart. Den haben Sie doch damals nicht gehabt, he, he? ... Wie alt sind Sie jetzt? – Einunddreißig, Onkel. Beim Anblick des Schuppens krampfte sich mir das Herz. Die Tapete verschimmelt und zur Hälfte abgeschält; und hier wie nebenan im Stall ein tausendfacher Trödel. Das Dach hing in spinnwebartigen Fetzen her; und die Rosettenzier von einst? – Einunddreißig sind Sie schon! sprach er mechanisch und sichtbarlich zerstreut. – Aber so duzen Sie mich doch, Onkel, so wie früher. – Ja, das ist wahr, mein lieber ... eh ... eh ... Nicolas, ha? Wie war ich verlegen. Aber er war's nicht minder. So lästig war ihm, daß ich da war. Es ist überaus reizend für einen Eindringling zu wissen, warum er einer ist – ich griff nach meinem Felleisen. Aber Lerne sah das und sagte anscheinend schnell entschlossen und sehr gebieterisch: – Lassen Sie ... eh ... laß das! Laß, Nicolas! Ich werde sofort dein Gepäck wegschaffen lassen. Aber zuvor haben wir zu reden. Machen wir einen kleinen Spaziergang. Und er nahm mich am Arm und zog mich gegen den Park hin. Und überlegte aber immer noch. Am Schloß vorbei. Da und da die Jalousien geschlossen. Die an den meisten Stellen morsche Bedachung zuweilen sogar schon völlig eingestürzt. Die allenthalben aussätzige Mauer ließ vor Altersschwäche und Tod auf weite Stellen das nackte Gestein sehen. Die Stauden in Kübeln umstanden den Bau noch immer, aber man hatte all die Verbenen, Granatbäume, Pomeranzen- und Lorbeerstöcke unstreitig schon ein paar Winter lang der ganzen Kälte ausgesetzt. Sie waren in ihren geplatzten und verfaulten Behältern – tot. Und der Vorplatz mit seinem nie geharkten Sand konnte für eine elende Wiese gelten, so wucherte das Gras hier, mit Nessel und Schierling dazwischen. Dornröschens Schloß war das, und der junge Prinz war noch nicht gekommen ... Lerne ging an meinem Arm und sprach noch immer nicht. Wir umschritten das traurige Haus, und der Park tat sich – ein Urwald – meinen Blicken auf. Keine in zierlichen Körben dargebrachten Blumenbeete mehr, und keine feingesandeten trautgewundenen Wegbänder. Außer vor dem Schloß der Rasen, den man in eine Weide verwandelt und für irgendein Viehzeug mit Draht eingezäunt hatte – das tiefe Tal in allem Urzustand. Wohl bezeichneten noch schwache Senkungen die einstigen Alleen, aber überall schossen Bäumsprößlinge aus dem Rasen auf. Der Garten war nur mehr ein großer Wald mit Lichtungen und mit grünen Wegen. Die Ardennen waren hier aus ihrem angemaßten Platz neu herabgestiegen. Mit viel Besorgtheit und mit aufgeregten Fingern stopfte sich Lerne jetzt eine Pfeife, die sich wohl sehen lassen konnte, steckte sie in Brand, und wir drangen in das Gehölz – in eine dieser höhlengleichen Alleen ein. Im Vorübergehen sah ich meine Statuen wieder und wollte meinen Augen nicht trauen. Ein früherer Herr auf Fonval hatte sie hier herum – verschwenderisch – errichtet. Aber was waren diese prächtigen Mitspieler in meinen Schaustücken im Grunde doch für armseliges modernes Gußzeug, das irgendein Industrieller des zweiten Kaiserreichs marktwarenmäßig genug Rom und den Griechen nachempfunden hatte. Die Peplen aus Beton blähten sich weit zu Krinolinen, die antiken Obergewänder sahen seltsam nach Schaltüchern von Anno Tobak aus, und die Wald- und Wiesengottheiten: Echo, Syrinx und Arethusa trugen Chignons, wie die halbseidenen Weiber aus jener großen Familie Benoiton. Unsere heutigen häßlichen und kitschigen Phantasten fabrizierten Götzenbilder, wo die Geister des Waldes mit Weinlaub und Holzrebe angetan als Dryaden stehen, sind immer noch besser als jene Helden, die doch nur Biedermänner in Bacchuskränzen waren und wo eine Pose mit ein wenig Waldmoos gleich eine ganze Diana vorstellte. Nachdem wir eine Weile so gegangen waren, hieß mich der Onkel auf einer steinernen, ganz von Flechten überwucherten Bank im Schatten eines üppigen Haselstrauches Platz nehmen. Da ließ sich im Busch grad über uns ein...



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