E-Book, Deutsch, 247 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 224 mm, Gewicht: 615 g
Remmers Unternehmerblut
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-03810-458-2
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sauerstoff für Erfolg
E-Book, Deutsch, 247 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 224 mm, Gewicht: 615 g
ISBN: 978-3-03810-458-2
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
(* 1948) stammt aus einer deutschen Unternehmerfamilie und ist seit vier Jahrzehnten als Coach und Consultant für Change Management, Strategieumsetzung und Leadership tätig. Er lebt in Zug und Cape Town.
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2. Einfachheit
Das Komplizierte muss ins Einfache
Er hat alles gehabt: viele Frauen und einen Nobelpreis. Er gilt als grosser Existenzialist und gehört zur Pariser Intelligenzija. Und er gibt sich als Bohème im Look eines Humphrey Bogart. Und doch sehnt sich der französisch-algerische Starphilosoph Albert Camus zeitlebens nach seiner kargen Jugend im Maghreb zurück, dem Ideal der Einfachheit – so lautet denn auch der Titel einer Camus-Biografie, die zu dessen 100. Geburtstag erschienen ist.
Er hat das Grösste erreicht: Das Wunder von Bern. Sepp Herberger, ehemaliger Reichstrainer im Dritten Reich, der als Bundestrainer nach dem Krieg die geschundene deutsche Nation über die schönste Nebensache der Welt wieder in den Reigen der zivilisierten Nationen zurückführt. Das reichlich kompliziert anmutende Spiel namens Fussball, bei dem 22 Männer einem einzigen Ball nachhecheln, reduziert der Weltmeister-Trainer des Jahrs 1954 auf seinen simplen Kern: «Das Runde muss ins Eckige.»
Camus und Herberger wären heute Propheten des «no bullshit». Der Universalgelehrte Leonardo da Vinci hat schon vor mehr als 500 Jahren Gleiches gemeint und notiert: «Einfachheit ist die höchste Form der Vollendung.» Und der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, Autor des unsterblichen kleinen Prinzen, kommt zu einem ähnlichen Schluss: «Vollkommenheit entsteht nicht dann, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.» Wer den Diskurs um die Einfachheit des Seins auf die Spitze treiben will, dem fällt vielleicht auch der mittelalterliche Dominikanermönch und Kirchenlehrer Thomas von Aquin ein, der die hier zu behandelnde Angelegenheit auf den minimalistischen Punkt gebracht hat. Pointiert zusammengefasst: «Gott ist unendlich einfach.»
Es herrscht also weitgehend Einigkeit über den Wert der Einfachheit. Die Schwierigkeit besteht darin, diese Einfachheit zu beschreiben. Sie zu finden. Zu leben. Sie zu erhalten. Sie ist nämlich ein flüchtig’ Ding. Kaum glaubt einer, sie fest in der Hand zu halten, rinnt sie ihm durch die Finger.
Begeben wir uns also auf eine kleine Reise, auf die Suche nach der Destination Einfachheit. Forschen wir zunächst dort, wo sich berufene Geister mit diesem so schwer fassbaren Aggregatszustand befasst haben. Wir treffen etwa auf John Maeda. Wenn dieser Amerikaner öffentlich auftritt, redet er ohne Punkt und Komma und meist über sein liebstes Thema: Einfachheit – so lautet denn auch der Titel seines Buches über die zehn Gesetze der Einfachheit, das zur Bibel der Simplify-Bewegung im digitalen Zeitalter avanciert ist. Mit 40 hat John Maeda seinen Bestseller geschrieben, in jungen Jahren schon am Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) als Professor für Medienkunst, Medienwissenschaften, Design und Informatik gewirkt und ein Einfachheit-Forschungsprogramm geleitet. Er verspricht, die Frage aller Fragen zu dem uns umtreibenden Thema zu beantworten: Wo liegt die goldene Mitte zwischen Einfachheit und Komplexität?
Wie wäre es damit: Komplexes unsichtbar machen. Heraus käme beispielsweise das Schweizer Offiziersmesser von Victorinox: Das einfachste Modell besteht aus einer einfachen ausklappbaren Klinge, hochkomplexe Modelle aus über 30 Funktionen – und auch dort ist nichts zu viel. Sichtbar ist nur die Klinge, die gerade zum Einsatz kommt. Alle anderen Gerätschaften dieser helvetischen Ingenieurskunst bleiben hinter rotem Gehäuse und Schweizer Kreuz verborgen. Durch diese Designkunst der Reduktion entsteht trotz Komplexität Simplizität. Was uns im 21. Jahrhundert zweierlei bewusst macht: Komplexität ist keine Geisel des Digitalzeitalters – Victorinox ist 1884 von einem initiativen Patron namens Karl Elsener im ländlichen Ibach, Kanton Schwyz, gegründet worden.
Und: Komplexität und Einfachheit bedingen einander wie Ebbe und Flut. Es sind sich stetig wandelnde Aggregatszustände, die sich jedem statischen Zustand verweigern. Mehr noch: Es sind Antipoden, die den Menschen zum Wahnsinn treiben können. «Komplexität bringt das Gefühl der Orientierungslosigkeit», urteilt unser Gewährsmann John Maeda, «Einfachheit verbindet sich mit dem Gefühl zu wissen, wo man ist.» Immer ist beides da und bringt den Gefühlshaushalt des Unternehmers durcheinander. Der aber benötigt auf der Kommandobrücke seiner Firma einen klaren Blick und einen funktionierenden Kompass. Schon der römische Philosoph Seneca, ein Stoiker mit ganzheitlicher Weltsicht, hatte erkannt: «Für ein Schiff, das seinen Hafen nicht kennt, weht kein Wind günstig.»
Wie also geht Einfachheit, die Orientierung schafft? Es gibt ein weiteres Buch mit dem Titel Simplicity, das fünf Prinzipien und 14 Strategien zur Einfachheit verspricht. Die drei Autoren geben sich redlich Mühe, das Objekt ihres Buchtitels in einen simplen Baum der Einfachheit zu übersetzen – doch was hier einfach zu sein verspricht, ist viel zu kompliziert. Wenn unser Unternehmer solches liest, bekommt er Kopfweh. Er hat erstens nicht die Zeit, sich durch solch akademisches Unterholz zu pflügen, und zweitens haben sich hirngesteuerte Theorien im unternehmerischen Alltag noch nie bewährt.
Vielleicht hilft der italienische Ökonom mit dem melodischen Namen Vilfredo Federico Pareto weiter, der im ausgehenden 19. Jahrhundert das nach ihm benannte Paretoprinzip erfunden hat: eine 80/20-Regel, die besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Aufwands erzielt werden. Umgekehrt bedeutet dies: In die verbleibenden 20 Prozent der Ergebnisse müssen 80 Prozent der Arbeit investiert werden. Jeder, der schon einmal das letzte Fünftel Senf aus der Tube gedrückt hat, kann Paretos Prinzip nachvollziehen. Allerdings: Wenn diese simple Formel im Betrieb einfach so verblüffende Resultate zeigen würde, die Welt wäre gepflastert mit erfolgreichen 80-Prozent-Unternehmern. Ist sie aber nicht. Das Spannungsfeld zwischen Komplexität und Einfachheit sperrt sich ganz offensichtlich gegen eine vergewaltigende schematische Darstellung. Irgendwie tröstlich: Wir leben in einer unvollkommenen Welt, in der es kein perfektes Spiel, keine simplen Rezepte geben kann. Sondern nur Simplizität als Lotse durch das Unvollkommene und Komplexe.
Die Destination Einfachheit ist damit noch nicht gefunden. Unser bislang fruchtbarster Gewährsmann für das Wesen der Einfachheit, John Maeda, bringt uns einmal mehr einen Schritt voran – indem er den Begriff Energie in einen direkten Zusammenhang stellt mit dem unternehmerischen Postulat der Einfachheit. Energie, schreibt Maeda, ist ein Schlüssel für die «Zukunft der Einfachheit – weniger verbrauchen, mehr gewinnen». Das gilt allgemein für den Energieverbrauch der Weltwirtschaft, aber ganz praktisch auch für den persönlichen Energiepegel des Unternehmers und den Energiehaushalt seiner Firma. Er hat schliesslich immer zu wenig Ressourcen. Zu wenig Geld. Zu wenig Mitarbeitende. Deshalb muss er sein Heil in der Reduktion suchen – auch beim eigenen täglichen Energieverbrauch. Der Unternehmer muss entscheiden, welches Feld er mit seiner begrenzten Energie beackern möchte. Dort ist der Brennpunkt. Energie als Brennpunkt, denn am Ende ist alles eine Frage der Energie. Und Energie ist die konzentrierteste Form der Simplizität. Vor allem dann, wenn Unternehmer und Firma an diesem energetischen Punkt miteinander verschmelzen.
Einer, der dies wie kaum ein Zweiter verkörpert hat, ist der im Jahr 2008 verstorbene deutsch-schweizerische Unternehmer Klaus J. Jacobs. Nach dem Verkauf seiner Familienfirma Jacobs Suchard an die damalige Philip Morris baut Jacobs mit Adecco (Zeitarbeit) und Barry Callebaut (Schokoladeproduktion) zwei Weltmarktführer auf, als «Unternehmen der Unternehmer», wie er zu sagen pflegt. Für Klaus J. Jacobs bedeutet dies Postulat und Verpflichtung für unternehmerisches Denken und Handeln auf allen Stufen seiner Unternehmen. Das hat Folgen: Der Unternehmer Jacobs sieht das Einfache, modelliert mit Adecco wie auch Barry Callebaut aus je zwei Firmen das Konzentrat eines neuen unternehmerischen Kraftorts.
In die Zeitarbeit steigt Klaus J. Jacobs im Jahr 1991 ein: Aus der Konkursmasse des Schweizer Pleitiers Werner K. Rey kauft er erste Aktien der Westschweizer Adia – ein Sammelsurium von Firmen, aus denen Jacobs chirurgisch den ihn interessierenden Kern herausschält: Zeitarbeit. Und kurze Zeit später ist er Mehrheitsaktionär. Nun baut er das Erworbene – Adia ist die Nummer drei unter den weltweiten Anbietern von Personaldienstleistungen – zu einem grösseren Ganzen zusammen. Klaus J. Jacobs konzentriert dabei seine ganze Energie auf einen Wettbewerber namens Ecco, die Nummer zwei der Branche. Dessen französischem Besitzer schreibt er ganz einfach einen Brief – 1996 wird aus Adia und Ecco der Weltmarktführer Adecco. Alles erscheint in der Retrospektive so leichtfüssig simpel: ein präziser Schachzug auf dem Spielfeld des Firmen-Monopolys, ein bestechend simpler Firmenname und schon ist ein neuer globaler Platzhirsch unter den Personaldienstleistern gebaut.
Dass dieses Resultat viel mit der energetischen Persönlichkeit des Unternehmers Klaus J. Jacobs zu tun hat und dessen strategischer Einfachheit im Sinn eines John Maeda, zeigt auch der Fall Barry Callebaut. Der Hersteller von Industrieschokolade, die belgische Callebaut, war während Jahren im Firmenportefeuille von Klaus J. Jacobs verblieben. Als dieser 1996 vernimmt, dass die französische Cacao Barry zum Verkauf steht, reift in seinem Kopf sofort eine simple Vision...