E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Remes Mood Hacks
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-423-44079-0
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
50 Sofortstrategien gegen Stress, Angst, Liebeskummer und andere mentale Notlagen | Schnelle Hilfestellungen, nützliche Hintergrundinfos und nachhaltige Langzeitmethoden
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-423-44079-0
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Dr. Olivia Remes forscht im Bereich mentale Gesundheit an der Universität Cambridge, sie ist Speakerin und Life Coach. Ihre Artikel über Angststörungen, Einsamkeit und andere emotionale Notlagen und deren Bewältigungsstrategien sind in internationalen Publikationen erschienen, ihre TED-Talks wurden 3 Millionen Mal angeklickt.
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Menschen, die über eine ausgeprägte Selbstdisziplin verfügen, scheinen darüber hinaus aus leistungsstärker zu sein. Wenn wir uns die Leichtigkeit anschauen, mit der sie alles schaffen, kann der Eindruck entstehen, dass ihnen alles zufliegt und sie es vielleicht sogar genießen. Doch das ist häufig nicht der Fall. Psychologische Studien zu »Überflieger:innen« in der Schule ergaben, dass sehr disziplinierte Kinder den konkreten Augenblick gar nicht als positiv empfanden.23, 25 Was sie antrieb, war das angestrebte Ziel – gute Noten. Dieses Wissen beruhigt dich vielleicht, wenn du nicht von Natur aus fokussiert lernst oder arbeitest. Bei genauer Betrachtung verspüren die meisten von uns eine Abneigung gegen die tägliche Plackerei, selbst wenn wir uns ihr fügen. Und wer am längsten durchhält, gewinnt.
Selbstdisziplin ist die Folge einer Vision und des Willens, diese trotz aller Hindernisse umsetzen zu wollen. Das bestätigen die Forschungsergebnisse: Studien zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, die mehr Zeit mit mühsamen Aufgaben wie Lernen verbracht haben, später im Leben über mehr Selbstdisziplin verfügen und meist Erfolg haben.
Bei unseren Forschungen an der Universität in Cambridge, die auf Untersuchungen mit mehr als 20 000 Probanden basierten, fanden wir heraus, dass eine ausgeprägte Selbstdisziplin auch der Psyche zugutekommt. Das Gefühl, uns selbst und unser Leben im Griff zu haben, kann uns dabei helfen, Sinn in der sich ewig wandelnden, chaotischen Welt zu finden. In diesem Zusammenhang schauten wir uns die Daten von Frauen mit einem starken »Kohärenzgefühl« an – Frauen, die die Welt als kontrollierbar und sinnerfüllt betrachten und glauben, dass Herausforderungen der Mühe wert sind. Diese Frauen litten selbst dann seltener unter Angstzuständen, wenn sie großen Widrigkeiten ausgesetzt waren, wenn sie etwa schwere Zeiten durchgemacht hatten und in Gegenden wohnten, wo die meisten Menschen kein Auto besaßen oder in sehr engen Verhältnissen lebten. Diese Frauen mit ihrem ausgeprägten Kohärenzgefühl waren davor gefeit, in schweren Zeiten in eine Abwärtsspirale zu geraten.
Daneben untersuchten wir eine zweite Gruppe von Frauen, diesmal Frauen mit einem schwächeren »Kohärenzgefühl«. Auch sie hatten mit erschwerten Lebensumständen zu kämpfen, aber im Gegensatz zur ersten Gruppe empfanden sie die Welt nicht als kontrollierbar und sinnerfüllt. Ihnen schien das Gefühl zu fehlen, etwas bewirken zu können, über das die erste Gruppe verfügte. Deshalb litten sie häufig unter Angstzuständen, wenn sie mit Problemen konfrontiert waren.
Aber schalten wir noch mal einen Gang zurück und wenden wir uns wieder der Selbstdisziplin zu. Schauen wir uns ein Beispiel eines Menschen an, dem es schwerfiel, sich zu beherrschen. Wie hat er seine Impulse in den Griff bekommen?
Wir sitzen alle im selben Boot
An dieser Stelle möchte ich gern ein Beispiel anführen.
Nick ist 25 Jahre alt. Seit jeher hat er Probleme mit der Selbstdisziplin. Nach dem Studium fing er an, sich gesund zu ernähren, und schwor sich, kein Fast Food mehr zu essen. Doch sobald er Hunger bekam, verpuffte seine Entschlossenheit. Er nahm sich vor, mehr Sport zu machen, und erneuerte seine Mitgliedschaft im Fitnessstudio, wo er dann auch zwei Kurse belegte und das Gefühl hatte, endlich etwas für seine Gesundheit zu tun. Doch nach einer kurzen Phase der Begeisterung kam ihm das Leben in die Quere, und es fiel ihm schwer, sich regelmäßig aufzuraffen. Und schon ging er nicht mehr hin, bis sein schlechtes Gewissen ihn Monate später wieder dazu drängte, sich mehr zu bewegen. Jedes Mal, wenn er einen Entschluss fasste, dauerte es nur ein paar Tage, bis er den Plan wieder aufgab. Das Problem war nicht seine Bereitschaft zu handeln oder etwas für sein Wohlbefinden zu tun; es war die Tatsache, dass er sich zu hohe Ziele steckte, die schwer durchzuhalten waren. »Entweder trainiere ich zwei- bis dreimal pro Woche oder gar nicht«, sagte er sich. Entweder ernährte er sich ausschließlich von gesundem Essen und verzichtete auf alle frittierten und zuckerhaltigen Produkte, oder er ließ es ganz. Sobald er müde war oder schlechte Laune hatte, war es um seine Selbstdisziplin geschehen – dann war es vorbei mit der Diät oder dem regelmäßigen Sportprogramm.
Das zweite Problem war, dass Nick sich, wenn er etwas Neues ausprobierte, in den ersten Tagen immer ziemlich erschöpft fühlte – weil er seine »Selbstdisziplin-Muskeln« betätigte, um das zu tun, wonach ihm eigentlich gar nicht der Sinn stand.
Diese »Durchhalte-Erschöpfung« kann uns alle treffen. Ist dir schon einmal aufgefallen, dass es dir anfangs schwerfällt, etwas zu tun, was neu für dich ist oder gegen deine Gewohnheiten geht? Immer, wenn du deine Selbstdisziplin-Muskeln nutzt, um etwas Neues auszuprobieren oder dich davon abzuhalten, aus einem Impuls heraus zu handeln, kostet dich das einen kleinen Teil deines Selbstdisziplin-Vorrats. Warum ist das so?
Als Martin Seligman von der University of Pennsylvania mehr als 100 000 Menschen aus 54 Ländern auf der ganzen Erde zu ihren Charakterstärken befragte, zeigte sich, dass »Selbstdisziplin« etwas war, das vielen Probleme bereitete.27 Während Fairness und Freundlichkeit häufig als wichtigste Stärken genannt wurden, fand sich Selbstdisziplin erst weit unten auf der Liste. Offensichtlich fällt es Menschen überall auf der Welt schwer, Versuchungen zu widerstehen. Dieses Wissen ist tröstlich, und ich hoffe, du schaust jetzt etwas wohlwollender auf deine aktuellen Gewohnheiten und deine Bemühungen, sie zu ändern.
Der Preis der Selbstdisziplin
Jedes Mal, wenn du dich zusammenreißt, zahlst du einen Preis dafür. Selbstdisziplin ist eine begrenzte Ressource, und wenn wir an einer Stelle viel davon aufwenden, fehlt sie uns anderswo. Wenn du dir große Mühe gibst, dich auf eine bestimmte Weise zu verhalten, gewisse Gedanken zu unterdrücken oder eben keinen Schokoladenkuchen zum Mittagessen zu verspeisen, geht das auf Kosten deines Vorrats an Selbstdisziplin.28 Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen, die sich dazu zwangen, der Schokolade zu widerstehen, später, beim Lösen eines kniffligen Rätsels deutlich früher aufgaben, als diejenigen, die sich etwas Süßes gönnten.29 Der Verzicht auf den Lieblingsdrink verlangt ebenfalls Selbstdisziplin und erschwert es uns, uns später bei anderen Dingen anzustrengen.30 Das hat der US-amerikanische Wissenschaftler Mark Muraven in einer Studie erforscht, an der Gelegenheitstrinker im Alter zwischen 21 und 45 Jahren teilnahmen, die pro Woche mindestens ein alkoholhaltiges Getränk konsumierten.30 Ihnen erteilte er folgende Anweisung: Sie sollten ihr gewohntes alkoholisches Getränk neben sich abstellen und nur daran riechen. Wenn sie wirklich wollten, konnten sie auch einen Schluck davon trinken, aber wenn möglich sollten sie es unterlassen. Dann legte man ihnen eine Reihe von Aufgaben vor. Aber da sie einen Teil ihrer Selbstdisziplin bereits durch den Verzicht auf den Drink aufgebraucht hatten, fiel es ihnen schwerer, diese Aufgaben zu erfüllen.
Du kannst dir sicher denken, was passiert ist, als Teilnehmende im gleichen Experiment nur ein Glas Wasser bekamen, um daran zu riechen? Sie schnitten bei den Aufgaben besser ab. Eines der Ergebnisse dieser Studie war also, dass Probanden, die der Versuchung des Alkohols widerstehen mussten, größere Probleme mit den Aufgaben hatten als diejenigen, die nur Wasser widerstehen mussten.
Was bedeutet das nun für uns? Sobald wir etwas, das wir mögen, zu sehen oder zu riechen bekommen – oder auch nur daran denken – und der Versuchung nicht nachgeben, geraten wir in einen inneren Konflikt: Wir wollen die verbotene Frucht, wissen aber, dass wir uns besser davon fernhalten sollten. Jedes Mal, wenn wir unseren Selbstdisziplin-Muskel betätigen, um uns über diesen inneren Konflikt hinwegzusetzen, kostet es uns Kraft, und wir erzielen bei späteren Aufgaben schlechtere Ergebnisse. Wir rutschen ins »Selbstdisziplin-Soll«.
Aber die gute Nachricht ist: Es gibt eine Möglichkeit, die Selbstdisziplin zu schützen, ein wenig mehr Energie aufzusparen und nicht so schnell zu ermüden. Das ist vor allem dann hilfreich, wenn man einer Versuchung widerstehen will. Es vereinfacht unser Leben und erhält uns unseren kostbaren Selbstdisziplin-Vorrat: Wir müssen nur die Umgebung verändern! Das ist eine der fünf folgenden Langzeitstrategien für mehr Selbstdisziplin.
5 STRATEGIEN FÜR MEHR SELBSTDISZIPLIN
Lesedauer: 10 Minuten
1. Verändere deine Umgebung
Wenn dich der Impuls packt und du Schwierigkeiten hast, dich zu beherrschen, entferne das Objekt der Versuchung aus deinem Sichtfeld oder deiner Nähe, statt dich zusammenzureißen oder dir Beschränkungen aufzuerlegen.31 Willst du beispielsweise aufhören zu trinken, entledige dich aller im Haushalt befindlichen Flaschen, damit kein Alkohol im Haus ist, wenn du das nächste Mal Lust auf einen Drink hast.
Wenn du dir abgewöhnen willst, bei der Arbeit ständig deine Textnachrichten zu überprüfen, lege das Handy in einen anderen Raum (ich habe das schon oft gemacht – es wirkt!). Früher habe ich mit dem Handy direkt neben dem Laptop gearbeitet, vor allem während des Masterstudiums – das taten viele von uns. Jedes Mal, wenn ich auf ein kleines Problem stieß oder irgendwie feststeckte, griff ich nach dem Handy, um mich...




