E-Book, Deutsch, 183 Seiten, E-Book
Reihe: Systemisches Management
Reinhardt / Winners Transformation von Führung
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7910-5077-5
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Reflexion und Resonanz als Zukunftskompetenzen
E-Book, Deutsch, 183 Seiten, E-Book
Reihe: Systemisches Management
ISBN: 978-3-7910-5077-5
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Silke Reinhardt, 1982 in Halberstadt geboren, lebt seit 15 Jahren in Berlin. Die studierte Cultural Engineer ist Gesellschafterin der Avenue Organisationsberatung. Als Sparringspartnerin und Coach von Führungskräften und Geschäftsführungen im Mittelstand und internationalen Konzernbereichen begleitet sie mit dem von ihr und Marion Winners entwickelten Reflexions- und Resonanzansatz die Transformation von Führung – persönlich wie unternehmerisch. Mit ihrem fundierten systemischen Background und weitreichender Praxiserfahrung aus über 15 Jahren systemischer Beratung fokussiert sie schnell auf das Wesentliche und kombiniert Klarheit mit menschlicher Offenheit und Wertschätzung. Sie arbeitet bevorzugt mit Systemaufstellungen im Managementkontext, um die Wirksamkeit von Führung zu stärken.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1 Die Zeit ist reif
2 Morgens halb zehn in deutschen Unternehmen
3 Der Paradigmenwechsel in der Führung
4 Reflexionskompetenz als spiegelnde Führungspraxis
5 Resonanzkompetenz als rahmensetzende Führungspraxis
6 Transformation von Führung
7 Entscheidungsstärke und Unternehmertum in der Transformation
8 Entscheidungsstark auch in der Krise
9 Fokus Führungsteams: Orte wesentlicher Entscheidungen
10 Systemaufstellungen als Handwerkszeug von Führungsteams
11 Fallbeispiel: Etablierung von Unternehmertum
12 Transformation als natürliches Prinzip - ein Zukunftsbild
13 Literatur
2 Morgens halb zehn in deutschen Unternehmen
Wir wollen keine Besserwisser und altklugen Unternehmenskritiker sein. Alles, was wir derzeit in Unternehmen beobachten können, sind Folgen von Unternehmenskulturen, die sich über Jahre und Jahrzehnte fortgeschrieben haben und aus Zeiten stammen, in denen vieles passender war, als es derzeit noch zu sein scheint. Wir versuchen eine Beschreibung des Status quo der mittelständischen Unternehmen, in die wir Einblicke bekamen. Natürlich nur in unserer Wahrnehmung, es kann in Ihrem Unternehmen ganz anders aussehen.
Würden wir unseren Kopf morgens um halb zehn in deutsche mittelständische Unternehmen stecken, was könnten wir sehen? Viele leere Büros. Die Mitarbeiter sind in Meetings verschiedener Ausprägung, Form und Ausrichtung – präsent, virtuell oder am Telefon. Wir könnten beobachten, dass ein großer Fokus auf Präsentationen liegt. Am Ende dieser Meetings haben wir verbrauchte Luft und oft gehetzte, zum Teil belastete Menschen, die versuchen pünktlich zum nächsten Meeting zu erscheinen oder sich ins nächste Meeting einzuwählen. Wurde etwas entschieden? Zu wenig, wäre wohl die Antwort, dafür aber gibt es neue Arbeitsgruppen und eine Menge vertagter Entscheidungen. Online-Meetings sind effizienter geworden, aber fraglich ist, ob die Entscheidungen besser geworden sind und ob tatsächlich das Wesentliche auf den Tisch kam, ob die Dinge an der richtigen Stelle zur Entscheidung gebracht wurden.
2.1 Druck und Verunsicherung lähmen
Kundenbedürfnisse dominieren und geben das Tempo vor
Die digitale Transformation wirkt stark auf Unternehmen und deren Mitarbeiter. Kunden bestimmen den Markt und Unternehmen geraten zunehmend unter Druck, adäquat auf die Kundenbedürfnisse zu reagieren. Durch die Digitalisierung haben sich auch Anforderungen an Entscheidungs- und Umsetzungstempo erheblich gesteigert. Starke Auftragsschwankungen erfordern ein hohes Maß an Flexibilität und lösen langfristige Planbarkeiten ab. Leistung und Performance rücken in den Fokus und fordern von Führungskräften das effiziente Management einer großen Anzahl an Meetings, Absprachen und Abstimmungen. Der Schwerpunkt liegt auf Performance und auf der Idee, Kundenbedürfnisse zur vollsten Zufriedenheit zu erfüllen und idealerweise in Begeisterung zu verwandeln – ein ganz klarer Wettbewerbsvorteil in Zeiten der Transparenz und Vergleichbarkeit von Leistung und Angeboten. Diese starke Betonung von Leistung, gepaart mit einer hohen Unsicherheit aufgrund schlechter Planbarkeit, lässt Entscheidungszyklen länger werden statt kürzer.
Der Virus des Nicht-Entscheidens herrscht vor – Angst ist im System
In schwierigem, unbekanntem Terrain wird der Entscheidungsspielraum nicht mehr delegiert, sondern stattdessen im Mikromanagement des Topmanagements sichtbar. Das mündet schließlich in Strukturen und Prozessen, die Verantwortung nach oben delegieren. Es gibt nur noch einige wenige, die nun auch banale Dinge entscheiden müssen. Wenn eine Halbtagsstelle eines Lagerarbeiters in einer Vorstandsrunde entschieden wird, statt zwei Ebenen tiefer, wenn Entscheidungsvorlagen zum Thema Kaffeebudget in der Geschäftsleitung auftauchen oder eine stillstehende Abfüllanlage hingenommen wird, weil der Qualitätschef im Urlaub ist, ist das ein klares Zeichen von Unsicherheit, die die Organisation lähmt.
Entfremdung von sich selbst
Was wir beobachten, ist eine zunehmende Belastung und Überforderung vieler Führungskräfte. In unseren Coachings erleben wir ausgebrannte Führungskräfte, die über ihre Work-Life-Balance sprechen wollen und die oftmals ein ähnliches Muster aufweisen: das Muster der Entfremdung von sich selbst. Es wird berichtet, dass sie sich selbst nicht mehr richtig spüren, gar nicht mehr wirklich wissen, was richtig und falsch ist, ihre Wirkung auf ihre Mitarbeiter und Kollegen nicht kennen und wenig Kraft zum Gestalten haben. Es bestehen vielmehr der klare Wunsch und das Bedürfnis nach weniger Meetings, geringerem Workload, klareren Zielen, schnelleren Entscheidungen und besserem Personal. Auch hier zeigt sich das Muster der Nicht-Entscheidung bzw. Angst vor der Entscheidung – schließlich sind es in der Regel Mitarbeiter, die man selbst eingestellt hat oder für die man sich auf irgendeine Art verantwortlich fühlt. Gute Gründe, warum mit nicht geförderten oder entwickelten Mitarbeitern gearbeitet und nach Feierabend viel selbst erledigt wird. Der Druck von oben wird zusätzlich oft als Ohnmachtsgefühl beschrieben. Diesem versucht man tapfer standzuhalten. Sind diese Entfremdungsphänomene nur in der Persönlichkeit zu suchen oder strahlt auch hier der Effekt der Organisation auf ihre Führungskräfte und Mitarbeiter aus? Die Entfremdung vom Kern der Organisation, weil sie sich selbst im Wandel befindet, überträgt sich auf deren Mitarbeiter, die ihrerseits Entfremdungserscheinungen zeigen, die dann im Burn-out oder, als dessen Vorstufe, in eine unausgewogene Work-Life-Balance münden. Eine Führungskraft, der eines ihrer wichtigsten Werkzeuge abhandengekommen ist – das Spüren, das Sich-selbst-Verorten, das Nutzen ihrer Intuition –, kann auch nicht mehr wirksam führen, weder sich noch ihre Mitarbeiter oder Projekte und das Unternehmen.
2.2 Veränderungen nur im Außen
Doch es gibt erste Anzeichen, dass die Auswirkungen der Transformation, u. a. ausgelöst durch die Digitalisierung, bereits von immer mehr Unternehmensverantwortlichen erkannt und offen kommuniziert werden. Ansätze werden gesucht, um Führungskräfte zu entlasten, Angebote wie Coachings und Sparrings sind selbstverständlicher geworden.
New-Work-Modelle sind auf dem Vormarsch
Unternehmen bemühen sich verstärkt darum, mit den veränderten Rahmenbedingungen zurechtzukommen. In vielen Personalabteilungen finden Konzepte für flexibleres und modernes Arbeiten Einzug. Das beginnt bei Ansätzen von Selbstorganisation, flexiblen Arbeitszeitmodellen und New Work, um sich an die veränderten gesellschaftlichen Bedürfnisse anzupassen.
Der Veränderungsbedarf wird gesehen und es bestehen viele moderne Ansätze hierfür, allerdings werden diese meist eingeführt, ohne in der Tiefe begleitet zu werden. Oftmals wird außer Acht gelassen, dass neben der Struktur und Arbeitsmethodik die Passung zur vorherrschenden Unternehmenskultur erforderlich ist. Führung hat die neue Art zu arbeiten noch nicht verinnerlicht oder beginnt gerade erst damit.
Damit gemeint ist das Führen mit geklärten Arbeitspaketen, Ergebniserwartungen und Zielen sowie mit größeren Freiräumen zur Eigenverantwortung, die flexible, individuelle Arbeitszeiten und -orte mit sich bringen. Über Sinn zu führen und das Wesentliche in den Fokus zu nehmen, ist in der neuen Arbeitswelt unerlässlich.
Die Transformation in verändertes Führungshandeln beginnt
Die Transformation in eigenes Handeln und eine Haltungsänderung fehlen oft. Und selbst, wenn die Führungskräfte ihre Haltung hin zu mehr Vertrauen und zu selbstständigem Arbeiten und Entscheiden verändern, muss auf der anderen Seite ein Mitarbeiter stehen, der damit auch zurechtkommt. Der sich strukturieren kann, sich eigene realistische Ziele setzt und rechtzeitig kommuniziert, wenn er aus der Zeit läuft oder in die Überforderung geht. Er braucht Orientierungspunkte für seine Entscheidungen. Prioritäten ändern sich oft täglich. Der Ad-hoc-Modus bestimmt das Geschehen. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang lautet: Gibt es derzeit noch stabile, umsetzbare Strategien in Unternehmen, die von Haltbarkeit und Verlässlichkeit geprägt sind?
Eine Unternehmenskultur und Führungskultur zu verändern, ist eine relativ aufwendige Angelegenheit. Hier gilt es, in die Tiefenstruktur der Unternehmens-DNA einzugreifen und Muster und Dynamiken zu verändern. Alle impliziten und expliziten Verhaltensweisen aufgrund von gelebten oder aufgeschriebenen Werten gilt es bewusst zu erkennen. Hinterfragt, diskutiert und verändert die Führungsmannschaft diese aktiv, kommt es zu wirklich sichtbaren Veränderungen. Wir wissen selbst, wie schwer es auch im Privaten ist, sein Verhalten zu verändern. Die offene Auseinandersetzung und Integration von unterschiedlichen Ansichten, Meinungen, Präferenzen und Bedürfnissen kosten Kraft und Einsatz.
Und dennoch: Wird darauf verzichtet, sich auf diesen Weg zu begeben und an einer neuen Haltung von Führung in der Tiefe zu arbeiten, können weder Agilität noch New Work oder andere tiefe Kulturveränderungen greifen. Führungskräfte berichten in Coachings oder kollegialen Beratungen davon, dass das, was sie versuchen an neuem Führungshandeln umzusetzen, noch nicht gänzlich zum Erfolg führt. Loslassen fällt schwer und...