E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Reimann / Bekk / Fischer Gestaltungsorientierte Aktivierung von Lernenden
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7431-0604-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Übergänge in Schule - Ausbildung - Beruf
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-7431-0604-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Berufseinmündung ist ein wichtiger Aspekt der gesellschaftlichen Integration von jungen Menschen. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diverser Disziplinen, aus Berufs- und Medienpädagogik, Bildungs- und Sozialwissenschaften, Soziologie sowie aus der Ästhetischen Bildung, die zu diesem Band beigetragen haben, entwickeln neue Ansätze und erforschen innovative Konzepte für eine Verbesserung der Situation von Jugendlichen ohne Arbeit oder Ausbildung. Der vorliegende Band versammelt Beiträge an der Schnittstelle von berufs- und bildungsbiografischen Übergängen, ihrer aktiven Gestaltung durch die Betroffenen selbst und ihrer pädagogischen Begleitung. Es werden Probleme des Übergangs und der Berufseinmündung diskutiert und neue Konzepte zur Berufsorientierung und -vorbereitung präsentiert, die Jugendliche in Deutschland sowie auf internationaler Ebene durch spielerische und ästhetische Methoden, mediale und künstlerische Zugänge ermutigen sollen, ihren beruflichen Werdegang aktiv gestaltend in die Hand zu nehmen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Johann J. Beichel
Komponieren mit digitalen Medien in Bildungsprozessen Abstract Klangexperimente mit elektronischen Medien sind wichtiger Bestandteil eines schüler- und handlungsorientierten Musikunterrichts. Darüber hinaus auch Ansatz und Ausgangspunkt für musikalische Grunderfahrungen zur eigenschöpferischen freien Gestaltung. Diese ist mit unterschiedlichen Klangerzeugern möglich, z. B. mit traditionellen Musikinstrumenten, aber auch mit der Stimme oder Alltagsgegenständen. Dadurch können Schüler in Musizier- und Produktionsprozesse eintreten, die ihrem jeweiligen spieltechnischen Leistungsstand entsprechen und somit vielfältige Formen des Klassenmusizierens ermöglichen. Im Musikunterricht besteht die große Gefahr, dass sich Kinder und Jugendliche mit unsicherer Stimme, Problemen beim musikalischen gehör- oder instrumentaltechnischen Defiziten bloßgestellt fühlen. Musizieren und Experimentieren mit elektronischen Medien hingegen bietet einen gangbaren Weg zu Erfolgserlebnissen in der freien und eigenschöpferischen Gestaltung. Bevor wir uns auf die o.g. Themenstellung und Überschrift unkritisch einlassen, sollte der semantisch einerseits prominent besetzte, andererseits auch respektlos fremdvereinnahmte Begriff der Komposition und des Komponierens – e.g. Das Blumengesteck war geschmackvoll komponiert – für den vorliegenden Kontext ersetzt werden durch den entspannteren und unbelasteten Begriff des schöpferischen Gestaltens. Denn bei allen Erfindungen, die wir vorläufig noch nicht Kompositionen nennen wollen, sei zuvörderst überprüft, ob es um originelle Schöpfungen geht oder nur um Reproduktionen des längst Vorhandenen, das dem sogenannten Erfinder nur nicht bekannt war oder dieser vorsätzlich kopiert. Bedeutungen von „komponieren“ – vom lateinischen Verb componere – sind ja auch „aus Einzelteilen nach bestimmten Regeln zusammenstellen und anordnen“. Und als Synonyme werden ausgewiesen: gestalten, anordnen, arrangieren, zusammenstellen, aufbauen, aufeinander abstimmen. So bietet sich an, allen Erfindungen auch Qualitätskriterien z. B. als kunstnahe Originalität zuzumuten. Reden wir also zunächst von Gestaltungsergebnissen und später nach erfolgter ästhetischer Beurteilung auch von Kompositionen. Was immer nun Schüler erfinden – und hierbei geht es im vorliegenden Kontext ja um experimentelle Gestaltungen mit technischen Medien – ist qualitativ zu beurteilen, sind ästhetische Werturteile auch immer geboten, möglich und angemessen, was nachfolgend noch zu vertiefen sein wird. Entfallen diese Selbst- oder Fremdbewertungen, so wird aufbauendes Lernen, und damit verknüpft, fortschreitende Qualitätssteigerung verhindert. Zunächst aber gilt die vorrangige Forderung, dem Schubladendenken der Kunstsparten zu entrinnen, denn noch immer wollen Kunstakademien und Musikhochschulen nichts oder nicht viel miteinander zu tun haben, und für zwei andere pädagogisch relevante Kunstsparten, nämlich „Tanz“ und „Theaterspiel“, ist eine spezifische, sprich grundständige Lehrerbildung erst gar nicht auffindbar. Musik sei schon lange nicht mehr eine nur durch das Ohr vermittelte und zur Geltung gebrachte Angelegenheit, argumentiert Hermann-Josef Kaiser als prominenter Musikdidaktiker kritisch gegen überkommene Einigelungsversuche seiner eigenen Zunft (Kaiser, H.-J. 2006. S. 93). Am Standort des ZKM, des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe und aus der Perspektive des aktuellen Kunstschaffens gibt es wohl keine Alternative zur Kunstspartengrenzen überwindenden Argumentation. Auch die Filmkunst zeigt längst, wohin die interdisziplinäre Reise geht: Wie langweilig wären emotionale Filmszenen ohne die Stimmung schaffende emotionale „Begleitmusik“, und wie anders klingt und wirkt Musik mit verbundenen Augen? Längst haben uns auch Psychologen, Mediziner und Neurowissenschaftler nachgewiesen, dass unsere verschiedenen Wahrnehmungssysteme ständig interagieren und zum Zweck vollständiger Wahrnehmung Koalitionen bilden (vgl. Guski, R. 2000, Kap.8). Einseitig musikalische Erfahrung ist z. B. „nur“ ein Spezifikum allgemeiner ästhetischer Erfahrung (vgl. Kaiser, H.-J 1996, S. 18), eine Subkategorie also, die immer im Kontext der Aisthesis zu denken sein wird und ohne Einbeziehung aller anderen Sinne ein Torso bleibt. Insofern greift eine eigenständige Bildungstheorie für die Ästhetik des Hörbaren immer dann zu kurz, wenn es um den anthropologischen Anspruch einer Bildung des ganzen Menschen geht, denn: „Wer sich der Partikularität überlässt, ist ungebildet“ (Gadamer, H.-G. 1993/1, Hermeneutik I, S.18). Martin Seel behauptet gar, dass ohne die Beachtung der immanenten Verschränkung der Künste alle Kunstwerke als Darstellungsereignisse überhaupt nicht zu verstehen seien (vgl. Seel, M. 2007, S. 63). Abb. 1: Improvisatorisches Musik- und Tanztheater Auch seien die „Cultural Turns“ zur Horizonterweiterung gesamtkünstlerischer Intentionen angesprochen und berücksichtigt: Bei Csaky und Leitgeb (2009) als Nachfolgethema zum „Spatial Turn“ der Kulturwissenschaften findet sich eine Studie von Christa Brüstle mit der Aufklärung darüber, dass Klang immer auch eine performative Prägung durch die Räumlichkeiten erhalte, in denen er stattfindet. Klang sei ja immer auch Aktion und nicht von ungefähr sei vom Klangbild oder gar vom Klangpanorama die Rede (vgl. Brüstle, C. 2009, S. 113 ff). Nach dieser Einsicht dürfen wir getrost die Medienkünste als Brückenschlag zu und zwischen den Nachbarkünsten betrachten, denn gerade dieser Gestaltungsbereich – denken wir an die Unterkategorie der Filmkunst und die unzähligen Möglichkeiten moderner Bildprojektionen – ist vorzüglich dazu geeignet, das Auditive mit dem Visuellen zu verbinden. Martin Seel dazu: „Wer nicht versteht, dass Filme wesentlich Musik fürs Auge sind, wer nicht sieht, dass der Unterschied zwischen substantivischem und verbalem Stil in Lyrik und Prosa auch eine grafische Differenz macht, wer nicht spürt, dass Musik und Malerei immer auch räumliche Künste sind, wer also nicht merkt, dass beispielsweise Installationen in der Räumlichkeit von Bildern und Klängen ihre Wurzeln haben, der bekommt vom Geschehen der Künste nicht genug mit, um hier überhaupt Erfahrung machen zu können“ (Seel, M. 2007, S. 66). Ortwin Nimczik und Wolfgang Rüdiger (vgl. 2004, S. 5) haben die aktuelle und zunehmende „Ausfransung der Künste“ an ihren Rändern als Überschneidung mit den anderen Disziplinen längst didaktisch und methodisch umgesetzt. Ihr offener Spartenbegriff zeigt einen Weg zur angestrebten Ästhetikdidaktik dieser Studie: Wechselbezüge von Musik zu Sprache, Bild, Bewegung und Szene gestaltend zu erfahren und herzustellen ist ihr Anliegen, und sie rufen John Cage, Peter Hoch, Dieter Schnebel u.a. in den künstlerischen Zeugenstand. Ihr Credo: Die vorsätzliche Vernetzung verschiedener Kunstgattungen eröffne ungeahnte Möglichkeiten eines interdisziplinären, fächerübergreifenden und Kultur erschließenden Arbeitens in Schule und Musikschule. Und da in aller Musik, der klassischen wie der modernen, in Form von Notenbild, Aufführungssituation und Sprachcharakter im Grunde immer alle Künste präsent seien, wirke sich eine künstlerische Praxis, in der dies explizit thematisch wird und Kunstgattungen sich bewusst verbinden, auch auf die Beschäftigung mit klassischer Musik positiv aus: in Auftrittsverhalten, Bühnenpräsenz, präzisem Blick auf das Notenbild und kreativer Gestaltung, die mehr sei als nur Reproduktion: Produktion des geistigen Gehalts der Musik durch die Verwirklichung ihres materialen Sinns. Die freie Verklanglichung graphischer Partituren und Klanggemälde mit tontechnischen Medien taugen sehr wohl als Türöffner zum Wollen und Sich-Trauen auch und gerade im auditiven Bereich. Damit ist der Zugang zu einer kunstnahen Handlungsbereitschaft und zu nachhaltigem Gestaltungswillen interdisziplinär vielversprechender als eine „musikalische Einbahnstraße“, die dem Musikschulwesen in bestimmten Instrumentalfächern im Pubertätsalter der Schüler hohe Abmelderaten beschert, welche in den Kunstbereichen Theater, Tanz oder in der Bildende Kunst weitaus geringer ausfallen. Abb. 2: Mögliche Kunstsparten übergreifende Projekte Schülerseits sind derartige Brückenschläge zwischen den Künsten weitaus einfacher, auch vergnüglicher und ohne Berührungsängste zu vollziehen. Auf Seiten der Lehrpersonen muss deren „Einzelhaft“ im Fachgebiet mit dem begründeten und unverzichtbar hohen künstlerischen Anspruch erst überwunden werden, um eine unvoreingenommene Öffnung und gesundes wie gleichberechtigtes Kooperationsvertrauen zu vollziehen. Es geht hier beileibe nicht um die Aufhebung oder Abschwächung der fachlichen und künstlerischen Ansprüche in den Kunstsparten, sondern um die Gemeinsamkeiten in der erwünschten solidarischen Zuständigkeit für das sinnlich wahrnehmbare Schöne und Erhabene der Lebenswelt, das uns aufmerksam und sensibel machen wird für das Gute und Mitmenschliche. Dazu Friedrich Schiller in seinem 23. Brief: Ästhetische Erziehung sei die Voraussetzung, um „den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen“. Der Charakter des Menschen werde so „veredelt“, dass sich die Vernunft und damit die Freiheit von alleine entwickelt. Ist dies geschehen, so werden Harmonie und das Wohl der Allgemeinheit der „edlen Seele“ ein Bedürfnis statt „Pflicht“ und Ausdruck ihrer „Würde“. Und mit den Worten Rüdiger Safranskis (2005): Das Sollen soll nicht herrschen über das Wollen, sondern das...