Reich Wenn's brennt
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18430-8
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-641-18430-8
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sommer in der Provinz. Seit Kindheitstagen sind Erik und Finn beste Freunde, aber nach den Ferien werden sich ihre Wege trennen: Während Erik eine Lehre bei seinem Vater auf dem Postamt beginnt, muss Finn die Schule wechseln und nach Hamburg ziehen. Jetzt bleiben den beiden sechs Wochen, in denen sie es noch einmal so richtig krachen lassen wollen – doch je näher der Abschied, desto düsterer die Stimmung. Die Partys werden zu Saufgelagen, Streiche zu Straftaten, und das Gefühl der unendlichen Freiheit weicht der Angst vor der Zukunft ohneeinander. Bis irgendwann nicht mehr klar ist, ob Erik und Finn dasselbe meinen, wenn sie vom Ende der gemeinsamen Zeit sprechen ...
Hart, unsentimental und berührend, mit Witz und einem guten Ohr für blitzschnelle Dialoge, erzählt Stephan Reich von der Jugend, der Liebe und – vor allem – von einer besonderen Freundschaft.
Autoren/Hrsg.
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Nina anrufen. Nicht in dieses Auto steigen. Ich will mich aufsetzen, aber etwas drückt mich nach unten. Kann kaum atmen, nix sehen, oh boy, mein Schädel, nur die Beule in meiner Tasche, wo mein Handy ist, und die Flecken, ganz warm und ganz weich. Nina anrufen. Hallo sagen oder auch gar nichts, ihr beim Atmen zuhören, meine Ohren pfeifen, und Blut, das auf meine Jeans tropft. Wenn ich doch nur verdammt nochmal an mein Handy käme. Draußen Stimmen jetzt, laut und noch lauter, und vielleicht ist das gut. Wo ist Finn überhaupt, war er nicht gerade noch da? Aber hier fängt es nicht an, oder? Hört es hier auf? Blaues Licht, draußen, und hinter dem Rauschen in den Ohren Stimmen, ganz deutlich, dann wieder nicht. Nina sagen, dass ich sie mag und dass ich mit ans Meer will, bald irgendwann. Finn packen und ihm ins Gesicht schlagen. Zur Polizei gehen, nicht in dieses Auto steigen, Stimmen, ein Kratzen neben mir, ein Brechen, ja, hallo, ich weiß, ich weiß, aber ich kann meinen Kopf nicht heben, Hilfe, fuck, das mit dem Wald waren wir. Fängt es hier an? Ist es schon hell? Ein Brechen neben mir, wo Finn wohl ist, wenn ich dieses kack Handy mal aus der Tasche bekäme, aber hier hat man ja eh nie Empfang, in diesem Scheißkaff. Hallo Nina, das wäre schön, ja, ans Meer, vielleicht später, ja gerne, ich glaube, ich sterbe gerade, draußen Stimmen, jetzt bewege ich mich, werde bewegt, etwas bricht Vorsicht der Kopf Vorsicht der Rücken mein Rücken, fuck, aber hier fängt es ja gar nicht an.
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Nein, hier fängt es an.
»Mann, Möller, du bist so ein Mongo!«, sagt Nelson.
Wir gehen den Schulberg runter, die Strecke durchs Wäldchen, die etwas länger ist, aber das ist o.k., denn so umgehen wir die Möglichkeit, dass mein Vater mich rauchen sieht, wenn er von der Post nach Hause fährt. Für mich wäre das nicht so wild, aber meine Eltern könnten dann für kurze Zeit nicht mehr so tun, als wüssten sie nicht, dass ich rauche, müssten mir Konsequenzen androhen, mir erzählen, wie ungesund das ist, den ganzen Scheiß, und diesen Stress will ich ihnen nicht antun.
»Dein Dad ist sechs Wochen in seiner Bonzen-Finca und du hängst hier im Kaff rum. Du bist so behindert.«
»Halt die Fresse, Nelson.« Finn pustet seinen Rauch aus und rotzt in die Büsche. Nelson fährt neben uns auf dem Fahrrad, das heißt, eigentlich steht er die meiste Zeit, bewegt den Lenker seines Mountainbikes gegen die Neigung des Bergs, bremst und versucht, das Gleichgewicht zu halten. So ein Poser.
»Ehrlich. Ich mein, alle wollen weg. Lisa aus der Neun fährt die kompletten Sommerferien nach Thailand und redet seit Wochen von nix anderem. Tobi hat vorhin erzählt, dass er mit seinen Eltern nach Tunesien fliegt. Und Nina, unsere kleine Ficke, ist zwei Wochen in Frankreich und –«
»Mann, Nelson. Sei doch ein einziges Mal kein Arschloch«, sage ich, weil ich es echt nicht mag, wenn er so über Nina redet.
»Heul nicht, Erik. Ich sag ja nur: Alle, die können, fliegen weg und finden es geil. Und Finn, dein Vater lässt sich dolcevitamäßig sechs Wochen lang in der Mallorcasonne den Schwanz lutschen und du –«
»Mann, jetzt halt doch mal die Fresse, Nelson. Du fährst doch selber auch nicht weg, also was willst du denn? Willst du für mich nach Malle fliegen? Dann sind wir dich wenigstens los, du Penner.« Finn spuckt ein wenig beim Reden und wedelt mit seiner Zigarette kleine blaue Schlieren in die Luft.
»Ich flieg nicht weg, weil ich keinen Dad mit Haus auf Mallorca hab, wo ich mir die Sonne auf den Arsch scheinen lassen könnte.«
»Nein, du hast nämlich überhaupt keinen Dad. Weil der nämlich gerade auf der A7 eine Thermoskanne Mett fickt, also hal–«
Der Tritt trifft Finn in die Seite und er fliegt mit einem raschelnden Geräusch in die Büsche neben dem Weg. Bewundernswert, wie Nelson gleichzeitig zutreten und das Gleichgewicht auf seinem Fahrrad halten kann.
»Fick dich, Möller. Du kannst froh sein, dass ich zu faul bin, vom Rad zu steigen!«, sagt Nelson, geht von der Bremse und rollt den Berg hinunter. Ich sehe dem kleiner werdenden Mittelfinger hinterher, den er uns zum Abschied zeigt.
»So kannst du nicht mit ihm reden, Mann. Irgendwann haut er dir aufs Maul, aber so richtig.« Ich packe Finn am Unterarm und helfe ihm aus dem Gebüsch. Er hustet und klopft sich den Staub vom Shirt.
»Nelson ist ein Wichser.«
»Ja, und dumm wie zehn Meter Feldweg«, sage ich und wir lachen. Finn steckt sich eine neue Zigarette an. Eigentlich ist Nelson gar nicht so dumm, eigentlich ist er sogar relativ klug. Nach den Sommerferien wird er in der Kreisstadt auf die Oberstufe gehen, als Einziger von uns dreien, und dann wird er da seinen Alphatierscheiß durchziehen. Aber wenigstens ist er dann nicht mehr unser Problem oder nur noch bedingt. Wobei ich selber mit Nelson nie ernsthaften Stress hatte. Wenn man weiß, dass er eine kurze Lunte hat, und man in etwa ahnt, was man zu ihm sagen darf und was nicht, dann lässt sich der Ärger mit ihm recht einfach umschiffen. Andererseits scheint Nelson das als Freundschaft misszuverstehen, weswegen er seit einiger Zeit immer mit uns rumhängt. Eigentlich heißt er gar nicht Nelson, sondern Sascha. Nelson nennen wir ihn wegen Nelson Muntz aus den Simpsons, der genauso ein Bully ist, und das ist irgendwie hängengeblieben. Ich glaube, den Namen Sascha hasst er eh. Sein Vater hieß auch schon so und der hat sich irgendwann mit seiner Alten in den LKW gesetzt und ist nicht wiedergekommen.
»Also, wie läuten wir die Ferien standesgemäß ein, was machen wir heute Abend?«, fragt Finn und lacht. Das Gute an Finn ist, dass er nie wirklich lange schlecht drauf ist. Manchmal seh ich ihn an und denke, dass er die ganze Welt hasst, und dann macht er ganz plötzlich einen blöden Witz, lacht über etwas oder schaltet einfach so auf Normalbetrieb um und alles ist wieder gut oder zumindest egal.
»Beziehungsweise: Wo machen wir es?«, schiebt er nach und dann lachen wir so laut, dass es bestimmt im ganzen Wäldchen zu hören ist. Weil wir ja beide wissen, dass wir uns auf jeden Fall besaufen werden. Und wo, das ist hier im Dorf nicht die Frage. Am Schotter, vielleicht im Schwimmbad, möglicherweise geht auch mal wieder was an der Jagdhütte, keine Ahnung. Gibt auch einen Jugendtreff, aber da gehen nur die Trottel hin. So n Jesus-Ding für die Idioten, samstagabends machen die immer Gesangsabende und nennen das dann Party. Affen. Und von uns ist eh keiner gläubig. Kenne eigentlich gar niemanden, der an Gott glaubt, außer vielleicht Oma und Opa. Aber die singen wenigstens nicht. Zumindest nicht, wenn wir sie mal besuchen.
»Verdursten werden wir nicht, keine Sorge«, sage ich. Vor Langeweile ins Koma fallen schon eher.
»Wenn uns nichts einfällt, schlagen wir Nelson den Kopf ab und rauchen Gras aus seinem Schädel«, antwortet Finn und übertönt mein Lachen mit seinem.
»Oder aus der Thermoskanne seines Vaters«, sage ich und dann müssen wir uns vor Lachen kurz auf den Weg setzen. Jetzt haben wir sechs Wochen frei und der Sommer wird groß. Auch wenn es natürlich traurig ist, dass Finn danach weg muss. Wird alles anders dann, Finn nicht mehr da, ich bei meinem Alten in der Lehre. Da kann er dann mal sehen, wie viel ich rauche, und da will ich nix hören von wegen Lungenkrebs und so. Aber noch ist es nicht so weit, noch haben wir anderthalb Monate und die werden bestimmt geil. »Gei-el«, würde Finn jetzt sagen, wenn er ich wäre und denken würde, was ich denke, und dabei das Wort in der Mitte trennen, wie er das manchmal macht, wenn etwas besonders geil ist. Und manchmal denke ich, dass er ich ist und ich er, weil wir so häufig die gleichen Sachen denken und dann lachen müssen, wenn wir uns ansehen, und genau wissen, dass wir die gleichen Sachen denken. Finn hat mal gesagt, wir wären wie zwei Äste vom gleichen Baum, da hat Nina die Augen gerollt und gelacht und ich auch, selbst wenn ich es eigentlich ganz schön fand. Aber klar, war schon ein wenig drüber. Sind ja nicht in nem scheiß Poesiealbum hier. Finn war dann beleidigt, aber nur kurz, und Nina und ich haben ihn eine Weile damit aufgezogen, aber irgendwann war der Witz dann vorbei oder ist dem nächsten gewichen oder so. Wir stehen wieder auf und gehen weiter. Meine Ma nervt bestimmt wieder rum, wenn ich das Essen verpasse, außerdem muss ich noch mit Tim raus.
»Hat dein Dad dich denn gefragt, ob du mit in die Finca willst?«
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Dass wir überhaupt stehen, wo wir stehen, mit dieser Pistole von Endpunkt auf der Brust, das kam so:
Vor ein paar Monaten ist Finn runter zum Schotter gelaufen. Der Schotter ist ein alter Parkplatz am Fluss, aber seit dort der Aldi dichtgemacht hat und anschließend die Tankstelle daneben und irgendwann auch der Gebrauchtwagenhandel von diesem griechischen Alki, ist da eigentlich nichts mehr. Nur eben der Schotter, der ein wenig abseits des Dorfkerns liegt, versteckt hinterm Aldi. Über die Jahre ist das unser Treffpunkt geworden. Klar, gibt auch noch die Jagdhütte oder die Bushalte, aber wenn man die anderen treffen will, vorsaufen oder bisschen was kiffen oder einfach nur rumhängen, dann geht man zum Schotter. Ist eigentlich auch immer jemand da, obwohl es in letzter Zeit schon weniger geworden ist. In die Glühlampe gehen wir nicht, das ist die einzige Kneipe hier, aber da hängen die Glatzen oft rum und das gibt dann nur Stress, weil Nelsons Oma ja aus Russland kommt. Am Schotter ist es aber eh besser, da sind wir unter uns und können machen, was wir wollen. Manchmal, wenn die Sauferei ausartet und alle schön voll sind, wenn es fast so etwas wie eine Party wird und die Älteren...