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E-Book, Deutsch, 108 Seiten

Reich Nachtwache


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7578-5785-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 108 Seiten

ISBN: 978-3-7578-5785-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nachts allein im Museum ... Johan ist Nachtwächter im Rijksmuseum. Jede Nacht dreht er dort seine Runden, umgeben nur von den seit Jahrhunderte zur Stummheit verdammten von den Meistern der niederländischen Malerei porträtierten Amsterdamer Bürgern. Sind sie wirklich so stumm? Der alte Nachtwächter weiß es besser aber seine Kräfte schwinden und er ahnt, er muss bald Abschied nehmen. Doch dann kommt alles anders und er erlebt, gemeinsam mit seinem Kollegen Arian von der Putzkolonne des Museums, eine Nachtschicht, die ganz anders verläuft als erwartet und vieles verändern wird. Eine Parabel über das Leben, seine oft überraschenden Wendungen und eine Hommage an die Kunst.

Michael Reich Historiker und Germanist, lebt und arbeitet in Essen. Neben der inzwischen dreibändigen Thrillerreihe um das Ermittlerduo Hauptkommissarin Elise Brandt und den Kunsthistoriker Avide St. Cyr, schreibt er Jugendliteratur, Romane und Erzählungen. Er ist künstlerisch als Maler, Illustrator und Fotograf tätig.

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IV.
Johan mochte besonders die Abteilung für antike Möbel. In den riesigen Sälen waren ganze Zimmer zu besichtigen, eingerichtet mit altem auf Hochglanz polierten Inventar aus den vergangenen Jahrhunderten, den Klauen des Verfalls entrissen, sorgsam restauriert und gepflegt. Manchmal setzte er sich vorsichtig in einen der Stühle, die mit kostbaren von Hand gewebten Stoffen bespannt waren oder legte sich auf eines der riesigen von gestickten Baldachinen überspannten Betten und versuchte nachzuempfinden, wie sich die reichen Amsterdamer Kaufleute, denen die Möbel einstmals gehörten, gefühlt hatten. Es sah ja niemand. In dieser Nacht lief er schweigend, ganz in seine eigene Gedankenwelt versunken, ohne Einkehr durch die Räume, getrieben von einer seltsamen inneren Unruhe. Vor einem der im Rembrandtsaal so zahlreich versammelten Bilder machte er halt. Es war ein Porträt aus dem Depot, wieder aufgetaucht aus dem Dunkel der Geschichte, freigegeben wie Strandgut eines vor langer Zeit versunkenen Schiffes. Er stellte sich vor das Bild, neigte den Kopf leicht zur Seite und vertiefte sich in die Pupillen des Porträtierten, der seinen Blick erwiderte. Seine Augen waren dunkel, wirkten ein wenig fremdländisch. Er blickte schelmisch, die Andeutung eines Lächelns lag auf den lachsfarbenen Lippen. Selbstbewusst hatte er sich in die Brust geworfen. So sollte ihn die Welt in Erinnerung behalten: siegesgewiss, selbstsicher. Die Kleidung elegant und von Wert, der Hut mit Federn geschmückt. Seht, da ist einer, der hat sein Leben im Griff; ein wohlhabender Kaufmann vielleicht, mit Schiffen, die über das weite Meer fahren, bis in entferntesten Lande, um dann mit teuren Gewürzen heimzukehren - in einer Gilde natürlich. War er Arzt oder Rechtsgelehrter, studiert und angesehen - ein Politiker, willensstark, ehrgeizig, im Rat der Stadt oder im Auftrag der Krone, der verhassten Spanier? Johan hörte ein leises Lachen: Aufgelesen hat er mich, im Wirtshaus, angetrunken - ein Taglöhner. Einen Spaß wollt’ er sich machen. Mit nach Hause geschleppt hat er mich und in elegante Kleider gesteckt. Und dann gemalt. In einer Nacht. Für einen Krug Wein. Und wir haben gelacht dabei. Die vom Saufen rote Nase hat er blass gemacht und die glasigen Augen klar. Doch sonst stimmt es. Johann erwiderte die Heiterkeit. Dein Frohsinn wundert mich nicht. Du lachst, denn ihr habt sie alle an der Nase herumgeführt. Er wurde wieder ernst: so wie ich jetzt. Er wandte sich um, den anderen Bildern im Saal zu. Verzeiht mir meine kleine Charade. Seine Augen wanderten über die Leinwände und die Blicke, die ihn trafen, die ihm doch so vertraut waren, schienen ihm sorgenvoller zu sein, als er es gewohnt war. Hatten sie seinen Zustand bereits bemerkt? Spürten sie, dass er nicht mehr lange in der Lage sein würde, seine Runden zu drehen? Fragten sie sich, was würde dann kommen? Wer würde auf sie aufpassen? Er ließ seinen Blick langsam durch den gesamten Saal schweifen. Wie lange würde es noch dauern, bis er am Ende seines Rundgangs nicht mehr wusste, wann und wo er begonnen hatte? Würde es so sein, dass er jedes Bild, nach dem er bereits zum dritten Mal daran vorbeigelaufen war, ansah, als hätte er es noch nie gesehen? Und wieder wurde ihm schmerzlich bewusst, wie viel ihm diese Bilder, diese Räume wirklich bedeuteten. Sie waren zu seiner Familie geworden, seinem Zuhause. Es waren nur wenige Schritte bis zu jenem Gemälde, vor dem er sich in fast jeder Nacht wiederfand. Erschöpft ließ er sich auf die schmale, hölzerne Bank fallen, die an der Wand gegenüber stand. Er hinterfragte nicht, warum es dieses Bild war, mit dem er einst seine stummen Dialoge begonnen hatte. Johannes Wtenbogaert. War es eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Vater? Das geliebtgehasste Wesen, dessen Nähe er so sehr gebraucht hätte. Hatte ihn die Strenge und Härte, mit der er seinem nächsten Umfeld begegnete, darum umso mehr getroffen? War es die Haltung des Dargestellten? Die linke Hand ruhte voller Überzeugung auf der Brust. Er zeigte der Welt: Ihr seht einen Mann, der im Recht ist, der Gut von Böse zu unterscheiden weiß, das Rechte vom Übel. Seine braunen Augen blickten den Betrachter, zwar mit Neugier, doch auch kritisch forschend an. Das in einem langen Leben gesammelte Wissen war dort abzulesen. Und doch lag ein Schatten über ihnen. War es die Erkenntnis, dass so vieles noch im Dunkeln liegt? Oder doch das Erkennen der Unfertigkeit der menschlichen Schöpfung, vor der man sich niemals beugen darf, die Ansporn sein muss voranzuschreiten, in der Hoffnung sie doch noch überwinden zu können? Rembrandt war jung, als er den Auftrag erhielt, sehr jung, Wtenbogaert alt, als er entschied sich malen zu lassen, sehr alt. Trotzdem nahm er die beschwerliche Reise von Den Haag nach Amsterdam auf sich. Der Ruf des Malers war ihm vorausgeeilt. Worüber haben sich die beiden unterhalten, der alte Prediger, Begründer einer Religionsgemeinschaft, und der junge Maler, der sich noch sucht, dem jedes Bild noch eine Herausforderung ist, an der er sich misst? Rembrandt konzentriert sich ganz auf Gesicht und Hände. Die Kleidung, der lange schwarze Mantel mit dem Pelzbesatz und das aufgeschlagene Buch im Hintergrund, verschwimmen im Diffusen, sind nur schmückendes Beiwerk. Allein der Kopf, getragen von dem weißen Kragen und die feingliedrigen Hände, Gelehrtenhände, die in den Predigten das Gesagte mit kraftvoller Gestik unterstreichen, sind klar und ausgeleuchtet. Nun, Johan, da bist du wieder. Du drehst deine Runden. Ja. Wie die Planeten kreisen um die Sonne. Nur ... sie tun es bis in alle Ewigkeit. Oh, das wirst du auch. Nein. Doch, doch. Denn siehst du, deine Seele ist gefangen hier, in diesen Räumen, in den Bildern - in uns allen, die wir dich jede Nacht hier vorbeilaufen sehen. Du gibst uns Sicherheit. Vielleicht werden dich die anderen, die flüchtigen Beobachter, nicht mehr sehen aber du wirst hier sein. So wie ich, wie wir alle. Und wir werden reden miteinander. So wie wir es jetzt auch tun - stumm. Ich habe Angst, Prediger. Wovor? Vor der Dunkelheit. Nicht vor dem Fegefeuer? Nein. Das ist von den Menschen gemacht, um zu knechten. So, so. Und wer hat dir gesagt, dass dein Weg dereinst ins Dunkel führt? Johan blickte betreten zur Seite. Aber das glaubst du. Ich sage dir, erst ein Geist, der nicht mehr in einer sterblichen Hülle gefangen ist, kann die höchsten Gipfel der Erkenntnis erklimmen. Und? Klingt das nach Dunkelheit? Predigt er wieder, der Alte? Johan wandte sich um. ‚Die jüdische Braut‘. Ein Lieblingsgemälde des Meisters. Der bedeutende Kunsthändler van der Hoop hatte ihm den Titel Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gegeben. Aus dem Dunkel des Hintergrundes traten zwei prächtig gekleidete Menschen hervor. Das Wams des Mannes leuchtete goldfarben, das Kleid der Frau in sattem Rot. Es galt als eines von Rembrandts geheimnisvollsten Bildern. Was hatte er ausdrücken wollen? Wen hatte er abgebildet? Eindeutig handelte es sich um ein Liebespaar. Eine der Hände des Mannes lag auf der Brust der Frau, in einer Geste voller Zärtlichkeit, an der nichts Anstößiges war; die Hand der Frau berührte sie liebevoll: Dort soll sie bleiben, diese geliebte Hand, für ewig. Er hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt und zog sie ein wenig zu sich heran. Ihm gehört sie. Und sie fügt sich, umfangen von seinem starken, schützenden Arm. Rembrandt wendet verschiedene Maltechniken an. Die hellen Gesichter und Hände sind glatt und fein ausgeführt, die Kleider mit dicken Klecksen, fast übermütig, auf die Leinwand gespachtelt. Es war ein spätes Werk, voller Gefühl und Weisheit. Er zeigt dem Betrachter, dass er jetzt um das Geheimnis des Lebens weiß. Die Liebe, Johan, sagte der Mann. Sie erst macht die Seele groß. Wer wirklich geliebt hat, über alle Dünkel und Grenzen und Engstirnigkeiten hinaus, gegen alle Gesetze und Widrigkeiten, dessen Feuer wird niemals erlöschen, der geht nicht in die Dunkelheit. Johan stand zögernd auf. Die Liebe. Er hatte geliebt, ganz und vollkommen. Und seine Liebe war erwidert worden. Das alles war lange her. Es gab kaum noch jemanden, der sich, außer ihm selbst, an Marie erinnerte. Das schmerzte ihn, mehr noch als seine Einsamkeit. Das Glück kennt kein Zeitmaß, Johan, sagte Wtnbogaert. Du empfindest es als ungerecht, dass es dir für scheinbar nur so kurze Zeit zugedacht war. Aber wer will die Zeit des Glücks bemessen? Es ist da und wieder fort. Dankbar müssen wir dafür sein, dass es überhaupt gekommen ist. Egal für wie lang oder kurz. Johan verließ mit langsamen Schritten der Saal. Die vielen verschiedenen Stimmen, die Eindrücke, verwirrten ihn. Er konzentrierte sich auf das Laufen - ein Bein nach vorn, das Zweite nachziehen - und richtete seinen Blick starr auf einen festen Punkt am Horizont. Der Holzboden unter...



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