Rees | Der Narr und das Mädchen | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Rees Der Narr und das Mädchen


1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8458-0141-4
Verlag: arsEdition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-8458-0141-4
Verlag: arsEdition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



London zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Als William Shakespeare der aus ihrer Heimat vertriebenen Violetta und ihrem Narren Feste das erste Mal begegnet, ist er sofort fasziniert: Denn augenblicklich ahnt er, welch dramatischer Stoff sich ihm da bietet - und verstrickt sich immer tiefer in die gefährliche Geschichte der beiden.

Celia Rees wuchs in England auf. Nach dem Studium der Geschichte und Politik an der Warwick University war sie 17 Jahre lang Englischlehrerin. Ihr erstes Buch, den Jugend-Thriller Every Step you take, veröffentlichte sie 1993. Auf Deutsch erschienen u. a. ihre sehr erfolgreichen Jugendromane Der Herr der Stürme, Hexenkind, Hexenschwestern und zuletzt Piraten!. Celia Rees lebt mit ihrer Familie in Leamington Spa, England.
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3


»Ach, ich bin alle Schwestern, alle Brüder, die ich habe«

VIOLETTA

Es fing alles an, als meine Mutter nach Illyrien kam. Ich bin nach ihr benannt: Violetta, die kleine Viola. Meine Mutter kam genauso als Fremde in mein Heimatland, wie ich hier fremd bin. Seit frühester Kindheit erinnere ich mich an die Geschichte. Ich erinnere sie aus der Zeit, als ich in meiner Wiege lag und sah, wie das schimmernde Licht des Meeres gleich einem silbernen Fischschwarm über die Zimmerdecke tanzte und die Glücksbringer über mir sich zur Musik und dem Gelächter drehten, das von unten aus der großen Halle die Treppe heraufwehte.

In meinem Kopf vermischte sich meine Mutter mit den Heldinnen aus anderen Legenden, und irgendwann waren die Geschichten so miteinander verwoben, dass ich nicht mehr wusste, wo deren Geschichten aufhörten und ihre begann.

Als ich ein Kind von vier oder fünf Jahren war, saß ich an meinem Fenster und sah die Schiffe unten im Hafen ein- und auslaufen – lange Galeeren, die Ruder von sich gestreckt wie Insektenbeine; robuste kleine Karacken, die schrägen Segel vom Wind gebauscht –, und ich fragte mich: Ist meine Mutter auf so einem Schiff gekommen, oder auf so einem? Hin und wieder stieg ich die steilen ausgetretenen Stufen zum Adlerturm hinauf und zog mich an dem dicken Seil empor, das zwischen den großen Eisenringen in der Mauer aufgespannt war. Vom Wehrgang aus blickte ich hinunter, und meine Gedanken hoben ab wie die Adler, die in den obersten Zinnen nisteten.

Ich sah an den blanken Felsen hinunter, unter mir die weißen Wellenkämme, die kleinen Buchten und einsamen Förden mit ihren sichelförmigen blassgrauen Stränden, und ich fragte mich: Wo ist sie wohl zum ersten Mal an Land gekommen?

Ich sah große Schiffe sinken, mal mit verkeilten und splitternden Rudern, mal mit entzweigebrochenem Rumpf – das Krachen eines hohen Masts, das Reißen von Segeltuch, das wilde Schlackern gefallener Segel. Ich sah Schiffsladungen untergehen. Inmitten der Tonnen und Fässer sah ich Leichen im Wasser, ausgestreckte Arme, Hände und Gesichter fahl inmitten der Schwärze. Meine Mutter war unter ihnen, die Augen in ihrem weißen Gesicht geschlossen, die blassen Hände nach oben gedreht, das Kleid gebauscht, und ihr Haar umfloss sie und wiegte sich wie Seetang am Ufer. Da trieb sie, im Schwebezustand zwischen Helligkeit und Finsternis, bis ich überzeugt war, dass sie nicht mehr lebte. Dann aber schob sie sich hinauf in das unruhige Glimmern über ihr, und ihr Kopf durchbrach die Wasseroberfläche wie ein seidig glänzender Seelöwe.

Da trieb sie einen Augenblick und blickte sich um, ehe sie den rauen Wellen trotzte und in Richtung Ufer schwamm. Sie war eine gute Schwimmerin, meine Mutter. Sie entstieg dem Schaum wie Aphrodite; sie kam aus den Wellen wie ein rätselhaftes Meereswesen, betrat den Sand wie eine verlorene Prinzessin, schicksalhaft vom Meer verschont. Der Sturm wütete und Himmel und Wasser verschwommen tiefschwarz ineinander. Dann schoss ein einzelner gegabelter Blitz aus dem Firmament, vernähte Himmel und Erde, und da stand sie, erleuchtet von der jähen Helligkeit. Obwohl Gelb eine Farbe war, die ich nie an ihr gesehen habe, trug sie ein gelbes Kleid. Als ich ihr das alles erzählte, lächelte sie und zog mich an sich.

»Ja! Genau so war es! Ein gelbes Kleid, ganz genau! Wie konntest du das wissen? Du kluges, kluges Kind!«

Das war ihre Geschichte. So, wie sie sie mir erzählte. Sie kam aus dem Wasser, und am Strand standen Menschen, angelockt vom Sturm oder den Aussichten auf einen Schiffbruch. Ihr Erscheinen war so plötzlich, so wundersam, ein Tupfer Gelb auf dem schwarzen Hintergrund, dass die Leute nachsahen, ob sie auch wirklich Fußabdrücke im Sand hinterließ. Darunter waren auch ein paar vor Kurzem gestrandete Seeleute und ihr Kapitän.

»Wie, Freunde, heißt dies Land?«, fragte sie.

»Das ist Illyrien, mein Fräulein«, entgegnete der Kapitän.

Sie fragte nach ihrem Bruder Sebastian, der mit ihr gereist war. Man hatte ihn noch gesehen, da war er an eine Planke geklammert, doch hier am Strand war er nicht aufgetaucht. Der Kapitän gab ihr Hoffnung, doch sein Blick strafte seine Worte Lügen. Die Wahrheit hätte sie nicht ertragen können.

Die Neuigkeit raubte ihr die letzte Kraft, und sie zitterte. Ein Mann kam auf sie zu und hüllte sie in seinen schafsledernen Mantel. Sie wurde in eine Kate gebracht, nur einen Steinwurf vom Strand enfernt. Davor lag ein umgedrehtes, mit Fischernetzen bedecktes Boot. Die Wände der Kate waren nach innen gerundet, die Balken stammten aus den Kielen brüchiger Schiffe. In der Zimmermitte stand ein großer quadratischer Rost, in dem dicke Stücke Treibholz zu Asche zerfielen. In der Glut standen verschiedene Töpfe und Pfannen. Ein zahnloses altes Weib löffelte Fischsuppe, während an der Feuerstelle Platz geschaffen wurde.

Meine Mutter setzte sich, um mit den Leuten eine einfache Mahlzeit zu teilen. Sie war dankbar und höflich. Sie war reizend und anmutig und besaß die Gabe, andere sofort für sich einzunehmen. Sie gehörte zu der Sorte Mensch, die bei anderen Hilfsbereitschaft weckt.

Sie lehnte nichts ab. Sie wusste zwar, dass sie aus den kärglichen Vorräten dieser Leute das Beste bekam, Lebensmittel, die womöglich für eine Hochzeit oder einen Festtag aufgespart wurden, aber sie bot ihnen bewusst keine Entlohnung an. Gastfreundschaft war eine heilige Pflicht. Im Austausch dafür Geld anzubieten wäre einer Beleidigung gleichgekommen. Es waren abergläubige Menschen. Sie lebten nach uralten Traditionen, nach ungeschriebenen Gesetzen. Sie blickte sich um und entdeckte die gläserne Scheibe über der Tür, die dazu diente, den bösen Blick abzuwehren: einen milchig weißen Kreis mit blauer Iris und schwarzer Pupille. In einer kleinen Wandnische brannte eine Kerze vor der schimmernden Ikone des örtlichen Heiligen. Er wurde stets mit der heiligen Reliquie in der Hand dargestellt. Genau wie sie hatte ihn ein Schiffbruch an diese Ufer gespült. Noch wusste sie nichts davon, aber das war der Grund, weshalb die Leute sie mit solcher Ehrfurcht betrachteten.

Nach dem Essen trank sie winzige Tassen starken süßen Kaffee und mehrere Fingerhüte Schnaps, der bitter nach Bergkräutern schmeckte. Sie wollte wissen, wo sie war. Wer der Herrscher hier sei? Es war ein kleines, aber blühendes Land, regiert von einem gewissen Orsino. Mit Achtung und Zuneigung gleichermaßen erzählten die Leute von ihm: hier eine Liebenswürdigkeit, dort eine großmütige Geste. Sein Wort war Gesetz, doch war er gerecht und schützte die Küste vor Piraten und anderen Marodeuren. So wie man von ihm sprach, erkannte sie, dass er ein gnädiger Herrscher war, und seinem Volk wohlgesinnt, und so beschloss sie, an seinen Hof zu gehen und ihm ihre Dienste anzubieten.

Als das Essen vorbei war, traf sie ihre Vorbereitungen. Sie schnitt sich das Haar ab, färbte sich das Gesicht mit Walnusssaft und bat um eine Garnitur Kleidung aus dem Schiffswrack. Um leichter reisen und unauffälliger sein zu können, hatte sie beschlossen, dass es besser wäre, als Junge verkleidet vor Orsino zu treten.

Q

Mit energischen Schritten ging sie die schmale Küstenstraße entlang, einen Stab in der Hand und ein Bündel über der Schulter. Der Sturm war weitergezogen. Das Meer war ruhig, nur ein sanfter Wellengang zeugte noch vom Wüten der vergangenen Nacht. Der Tag war sonnig, warm und verhieß einen frühen Sommer. Sie sang beim Gehen, ihre Stimme war kraftvoll und rein, und sie pflückte Blumen: weiße Lilien vom Wegesrand, Affodil, blaue und lila Schwertlilien.

Irgendwann kam sie um eine Biegung und erblickte eine weite Bucht. Auf einem Felsvorsprung lag eine Stadt, zusammengeballt wie eine Faust. Dicke robuste Mauern umgaben die Häuser mit ihren roten Dächern und dem kleinen Hafen. Einen Augenblick stand sie da und betrachtete die Stadt, dann folgte sie dem verwinkelten Pfad hinunter zum Osttor.

Es war ein ruhiger Tag, der Schall trug weit, und von seiner Terrasse im Turm der Vier Winde hörte der Herzog Orsino ihren Gesang. Er liebte jede Art von Musik, und ein so betörendes Lied, eine so liebliche und helle Stimme war selten an sein Ohr gedrungen. Seine Diener fanden sie am Brunnen gleich hinter dem Tor und brachten sie in den Palast. Als sie vor ihm stand, verneigte sie sich und gab ihm die Blumen.

Innerhalb von wenigen Tagen marschierte sie zusammen mit den anderen jungen Männern im Dienst des Herzogs, von Kopf bis Fuß in seine Uniform gekleidet, halb rot, halb blau von der runden Kappe bis zu den spitzen Schuhen. Sie trug das kurze Wams und die Strumpfhose eines Knappen im Dienst des Herzogs.

Was ihr fehlte, versteckte sie unter einer stolzen Schamkapsel. Was sie hatte, band sie mit Stoffstreifen fest. Sie gab sich einen neuen Namen – Cesare –, und niemand erriet ihre wahre Identität. Ein schlankes Stilett baumelte von ihrem Gürtel, elegant wie ein Juwel.

Rasch wurde sie zum Favoriten des Herzogs, bewegte sich frei in der Stadt umher, um Besorgungen für ihn zu machen, und genoss bald sein Vertrauen, so dass er ihr einen besonderen Auftrag erteilte. Der Herzog verzehrte sich nach der Gräfin Olivia, doch die Dame wollte von ihm nichts wissen, und so wurde Cesare zu ihr gesandt, um sie anstelle des Herzogs zu umwerben. Der Herzog war überzeugt, dass der Junge einen vollendeten Mittler abgeben würde, da er recht ansehnlich, zungenfertig und geistreich war, dabei aber zu jung, um als Rivale infrage zu kommen. So zumindest war Orsinos Plan. Dass Olivia seinen Plan durchkreuzen könnte, kam ihm gar nicht in den Sinn.

In ihrem verstaubt-rosafarbenen Palazzo,...


Rees, Celia
Celia Rees wuchs in England auf. Nach dem Studium der Geschichte und Politik an der Warwick University war sie 17 Jahre lang Englischlehrerin. Ihr erstes Buch, den Jugend-Thriller Every Step you take, veröffentlichte sie 1993. Auf Deutsch erschienen u. a. ihre sehr erfolgreichen Jugendromane Der Herr der Stürme, Hexenkind, Hexenschwestern und zuletzt Piraten!. Celia Rees lebt mit ihrer Familie in Leamington Spa, England.

Celia Rees wuchs in England auf. Nach dem Studium der Geschichte und Politik an der Warwick University war sie 17 Jahre lang Englischlehrerin. Ihr erstes Buch, den Jugend-Thriller Every Step you take, veröffentlichte sie 1993. Auf Deutsch erschienen u. a. ihre sehr erfolgreichen Jugendromane Der Herr der Stürme, Hexenkind, Hexenschwestern und zuletzt Piraten!. Celia Rees lebt mit ihrer Familie in Leamington Spa, England.



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