Reed | Abschied für immer und nie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: HarperCollins

Reed Abschied für immer und nie


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95967-989-3
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: HarperCollins

ISBN: 978-3-95967-989-3
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Es gibt es so viele Bücher über Trauer und Verlust, über den Abschied von geliebten Menschen. Aber es gibt kein Buch darüber, wie man ihn zurücknimmt, diesen Abschied.'
Was die krebskranke Evie noch will, ist eine letzte Reise. Noch einmal das Adrenalin in den Adern spüren. Noch einmal auf den Rat ihrer Freundin Stella hören: Lebe wagemutig. Aber die Flucht aus der Klinik wird alles verändern ...
Evie fällt es unsagbar schwer, in die Welt der Gesunden zurückzufinden. Bis sie Marcus trifft. In seiner Nähe fühlt sie sich lebendig. In seinen Exzessen, seinen fantastischen Höhenflügen. Nur ahnt sie nicht, dass sie nur einen Schritt vor dem Abgrund steht ...
'Mal im Ernst, Evie, was haben wir schon zu verlieren?'



Amy Reed, geboren und aufgewachsen in und um Seattle, hat vor ihrem 18. Lebensjahr acht Schulen besucht. Die häufigen Umzüge haben sie rastlos gemacht. Nach dem Abschluss der Film-Hochschule in an Francisco hat sie ihren Master in Creative Writing auf dem New College in Kalifornien absolviert. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Ashville, North Carolina, wo sie sich endlich zu Hause fühlt.

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DAMALS.

1. KAPITEL


„Kommt, wir gehen in die Cafeteria“, sagt Stella. Sie ist rastlos. Sie ist immer rastlos.

Anders als die anderen hier trägt sie keinen Schlafanzug, sondern zieht ohne Ausnahme jeden Tag ihre schwarzen hautengen Jeans und klobige schwarze Boots an, trägt eine dicke Schicht roten Lippenstift auf und setzt sich einen schwarzen Filzhut auf den Kopf, der an einer Seite mit Pfauenfedern geschmückt ist. Ihr Markenzeichen. Obwohl wir nichts anderes machen, als auf unseren Zimmern zu hocken. Obwohl es uns untersagt ist, das Krankenhausgelände zu verlassen. Obwohl ich und Caleb die einzigen Menschen sind, mit denen sie freiwillig spricht – und Dan, der Spezialist für Kinderheilkunde – und es keinen weniger interessieren könnte, wie sie aussieht.

„Bist du hungrig?“, fragt Caleb. Auf seinem Pyjama sind Fußbälle. Meiner ist pink mit weißen Herzen. Das linke Hosenbein haben sie abgeschnitten, um Platz für meinen weißen Gips zu lassen, der mit den Unterschriften der kranken Kids verziert ist.

„Nein, ich bin nicht hungrig.“ Stella stöhnt. „Ich muss einfach nur raus. Dreht ihr nicht auch langsam durch hier? Wie könnt ihr hier nicht durchdrehen?“ Sie erinnert mich an ein Tier in einem Käfig. Nicht mehr lange und sie fängt an, die Metallstäbe meines Bettes anzunagen. Sie war sogar in der Poliklinik so, als sie noch dachte, dass sie in wenigen Stunden wieder gehen könnte.

„Meine Eltern kommen jeden Moment“, sage ich. „Ich bleib besser hier.“

„Hast du sie schon gefragt, ob sie mich adoptieren?“

„Aber du hast doch Eltern, Stella“, sagt Caleb. Mit Sarkasmus tut er sich immer etwas schwer. Zusätzlich zu dem Gehirntumor, von dem wir bereits wissen, hat Stella bei ihm eine milde Form des Asperger-Syndroms diagnostiziert.

„Ich will mich vorzeitig für mündig erklären lassen“, erwidert sie. „Und zwar sobald wir diese ganze Krebssache geregelt haben. Ich bin eh nur noch ihre Tochter, weil ich ihre Krankenversicherung brauche. Mein Gott, Evie, dein Zimmer macht mich krank.“

Wir haben schon viel Zeit in meinem Zimmer verbracht. Und mit „meinem Zimmer“ meine ich diesen speziellen Raum während dieses speziellen Aufenthaltes, der nun schon zwei Wochen dauert – mein bisher längster. Im vergangenen Jahr gab es zahllose identische Räume, einige in diesem Teil der Krebsstation, andere in dem super-tollen sterilen Gefängnisteil der Station, wo ich war, als die Anzahl meiner weißen Blutkörperchen gleich null war. Momentan komme ich nur schlecht vom Fleck, weil ich gerade erst operiert wurde und mein Bein eingegipst ist. Also kann ich nicht einfach aus dem Bett springen, wenn mir danach ist. Nicht dass viele Kids auf der Krebsstation viel herumspringen würden.

Ich sollte froh sein, eines der wenigen Einzelzimmer ergattert zu haben, aber jeder hier weiß, dass sie für die hoffnungslosen Fälle reserviert sind, damit die anderen armen Kinder nicht plötzlich neben einem toten Bettnachbarn liegen. Das Zimmer hier sieht im Grunde genauso aus wie all die anderen, die ich schon hatte – mittlerweile so viele, dass ich den Überblick verloren habe –, aber es ist nur halb so groß. Ich war nicht mal eine Nacht hier, da hatte Mom schon dieselben traurigen Deko-Artikel aufgestellt wie bei meinem letzten langen Aufenthalt. Damit ich mich „mehr wie zu Hause fühle“. Aber sie könnte noch so viele Familienfotos, Teddys oder Blumensträuße aufstellen – ich würde mich hier trotzdem nie zu Hause fühlen. Und am Ende zeigen mir die Sachen doch nur, dass ich zu lange hier sein werde.

„Wir könnten in den Aufenthaltsraum gehen und ein Spiel spielen“, sagt Caleb.

„Das Zimmer hat keine Fenster“, entgegnet Stella.

„Schalt einfach den Discovery Channel im Fernsehen ein“, sage ich. „Das ist, als würde man aus dem Fenster gucken – nur dass du in Afrika bist oder unter Wasser oder so.“

„Oder es läuft gerade irgendeine Realityshow über amische Prostituierte oder krankhaft fettleibige kleinwüchsige Menschen, die in anderen Sprachen reden.“

„Das läuft bei TLC“, sage ich. „Diese fettleibigen kleinwüchsigen Leute.“

„Ihr zwei seid mir ja eine tolle Hilfe. Außerdem schleicht Dan bestimmt im Aufenthaltsraum herum und will mich dann wieder dazu bringen, über meine Gefühle zu reden.“

„Es ist gut, über seine Gefühle zu reden“, meint Caleb. „Dan sagt, es macht dich noch kränker, wenn du alles in dich hineinfrisst.“

„Hast du schon mal erlebt, dass ich irgendwas in mich hineinfresse?“

„Stimmt auch wieder.“

„Ihr müsst nicht bei mir bleiben“, sage ich. „Macht ruhig was ohne mich. Ich komme schon klar.“

„Ach, Evie“, sagt Stella, „hör mit diesem heldenhaften Getue auf. Wir werden dich hier auf keinen Fall zurücklassen.“

„Es ist aber kein Problem. Wirklich nicht.“

„Könntest du ausnahmsweise mal aufhören, an die anderen zu denken, und einfach nur zugeben, dass du ohne mich nicht leben kannst?“

„Ich will das Footballspiel sehen“, sagt Caleb, schnappt sich meine Fernbedienung und schaltet den Fernseher ein.

„Ich hasse dich“, sagt Stella, rührt sich aber nicht. Schließlich haben wir nicht gerade viele Optionen, uns die Zeit zu vertreiben. Sich in einem vollgestopften Krankenhauszimmer ein Footballspiel anzusehen mag für viele Leute nicht unbedingt der Inbegriff von Spaß sein, aber es geht auch schlechter. Es könnte immer schlechter sein.

Das erste Mal traf ich Stella vor acht Monaten, als ich für meinen dritten Chemo-Zyklus in die Klinik kam. Für sie war es das erste Mal und sie war ganz und gar nicht erfreut darüber, was ich sofort bemerkte, da sie an der zweieinhalb Meter hohen Plüschgiraffe hochkletterte, die vor der onkologischen Poliklinik stand, während ihre Mutter und ein Mann vom Sicherheitspersonal auf sie einredeten, sie möge doch bitte herunterkommen. Eigentlich brüllte ihre Mutter vielmehr auf sie ein, und zwar auf Mandarin, doch keiner der beiden Ansätze zeigte Wirkung.

Sie krallte sich am Kopf der armen Giraffe fest und schrie Zeter und Mordio, bis es ihrer Mutter schließlich gelang, sie herunterzuzerren, und als sie auf dem Boden landete, erklärte sie in einem letzten dramatischen Ausruf alle anderen für „verfluchte herzlose Pissnelken“. Eltern hielten ihren Kindern die Ohren zu; ihre Mutter gab ihr eine Ohrfeige mit dem Handrücken, und für mich stand fest, dass Stella die hübscheste und zugleich mutigste Person war, die ich in meinem Leben gesehen hatte. Sie zeigte all die Angst und die Wut, die auch ich spürte, aber nicht nach außen kehren konnte. Sie gab nicht vor, irgendetwas zu sein, das sie nicht war.

Ich ging auf sie zu, während sie schluchzend unter der Giraffe saß. Ich setzte mich neben sie und sagte: „Hi, ich bin Evie.“ Ihr Make-up war verschmiert, aber das machte sie irgendwie noch glamouröser. „Kriegst du eine Chemo?“, fragte ich.

„Ja.“

„Ich auch. Es ist gar nicht so schlimm.“

„Mir werden die Haare ausfallen“, wimmerte sie. „Ich will nicht, dass mir die Haare ausfallen.“ Sie hatte schöne Haare. Lang, glatt und perfekt. Der dicke Pony reichte ihr bis zu den Augen. Echte Rockstar-Haare.

„Du könntest dir eine Perücke kaufen“, sagte ich. Meine Haare waren bereits dünner geworden, wobei mir alle versicherten, dass ich immer noch hübsch war. Als ob das meine größte Sorge wäre.

„Perücken sind für alte Damen.“

„Und was ist mit einem Hut?“

Sie dachte kurz darüber nach. „Ein Hut könnte gehen“, sagte sie. „Ein Hut könnte sogar saucool aussehen.“

Wir betraten die Klinik gemeinsam, dicht gefolgt von unseren Müttern.

Meine Mom versuchte tapfer, sich Stellas Mutter anzunehmen, aber Mrs Hsu war kalt und von Anfang an misstrauisch. Das ist sie immer noch, selbst nach der ganzen Zeit. Familien lernen einander gut kennen, wenn ihre Kinder andauernd ins Krankenhaus müssen. Wenn sie stundenlang zusammen in der Onkologie sitzen. Sie umarmen sich, backen füreinander und kaufen sich gegenseitig Weihnachtsgeschenke. Sie weinen um die Kinder. Aber nicht Stellas Eltern. Die sind immer distanziert, still, verächtlich, wertend und allein.

Stella und ich bekamen die Chemo in benachbarten Zimmern. Nachdem ich einige Minuten dort gelegen hatte, während das Gift durch den Portkatheter lief, den sie mir in die Brust gebohrt hatten, hörte ich ein Klopfen an der Wand. Ich klopfte zurück. Sie fing an, gleichmäßig in bestimmten Abständen zu klopfen. Ich fragte mich, ob es Morsezeichen waren. Ich kannte das Morsealphabet nicht. Dann begann ich zu zählen und bemerkte ein Muster, das sich nach sieben Klopfeinheiten wiederholte. Man muss viel Zeit totschlagen, wenn man acht bis zehn Stunden eine Chemo kriegt.

Ich holte mein Telefon heraus und wählte, was ich gezählt hatte. Sie nahm nach dem ersten Klingeln ab.

Von dem Moment an war Stella meine geheime beste Freundin. Mit geheim meine ich: nur in der Krebswelt, der Krankenhauswelt, der Welt der kranken Kids. Stella und ich sehen uns nie außerhalb dieser Welt. In der anderen Welt, der Welt der Gesunden, sind wir andere Menschen. Wir sind Menschen, die sich nicht begegnen würden. In der anderen Welt ist sie Mitglied in einer Mädchen-Punkband und ich bin eine Cheerleaderin. Ich meine: war. Vergangenheit. Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich jetzt bin.

In der anderen Welt habe ich bereits eine beste Freundin. Kasey Wexler-Beene hält diesen Titel, seit sie am ersten Kindergartentag mit ihren wippenden blonden Rattenschwänzchen auf mich zukam und fragte: „Willst du meine Freundin sein?“...


Reed, Amy
Amy Reed, geboren und aufgewachsen in und um Seattle, hat vor ihrem 18. Lebensjahr acht Schulen besucht. Die häufigen Umzüge haben sie rastlos gemacht. Nach dem Abschluss der Film-Hochschule in San Francisco hat sie ihren Master in Creative Writing auf dem New College in California absolviert. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Ashville, North Carolina, wo sie sich endlich zu Hause fühlt.

Weitere Informationen über amyreedfiction.com oder auf Twitter über @amyreedfiction



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