E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reddy Der Meistermacher
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7453-1529-5
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie Jürgen Klopp in Liverpool unsterblich wurde
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-7453-1529-5
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bei seinem Amtsantritt als Trainer beschwor Jürgen Klopp die Fans des FC Liverpool: »Change from doubters to believers!« - »Werdet von Zweiflern zu Gläubigen!« Der englische Traditionsverein, der seit 1990 keine Meisterschaft mehr gewonnen hatte, setzte erstmals auf einen deutschen Trainer. Die Hoffnung war groß, dass der charismatische Coach den lang ersehnten Erfolg wieder an die Anfield Road zurückbringt - er sollte Fans und Funktionäre nicht enttäuschen. Die Journalistin und Liverpool-Expertin Melissa Reddy erzählt die wahre Geschichte von Jürgen Klopps sensationeller Wiederbelebung des FC Liverpool, die im Champions-League-Triumph 2019 und der ersten nationalen Meisterschaft seit 30 Jahren gipfelte. Damit ist sie ein Stück großer Fußballliteratur, mitreißend erzählt und mit einer Fülle unbekannter Details, die die Autorin in direkten Gesprächen mit Spielern, Fans, wichtigen Mitarbeitern und natürlich dem Meistermacher selbst zusammengetragen hat.
Melissa Reddy ist die leitende Fußball-Korrespondentin des Independent, spezialisiert auf die Premier League und die europäischen Wettbewerbe, über die sie auch für BBC, Sky Sports und andere führende Sender berichtet. Sie ist berühmt für ihre exklusiven Groß-Interviews mit dem Who's Who des europäischen Fußballs wie Jürgen Klopp, Gary Lineker, Mauricio Pochettino oder Julian Nagelsmann.
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DIE PERFEKTE LÖSUNG
»Von morgen an werde ich rund um die Uhr für Liverpool da sein.« JÜRGEN KLOPP »Wir sind dabei, den Zyklus zu schlagen«, erklärte John W. Henry lächelnd dem FSG-Vorsitzenden Tom Werner und seinem Präsidenten Mike Gordon. Im Baseball bezieht sich diese Fachbezeichnung auf die Leistung eines Schlagmanns, der im selben Spiel ein Single, ein Double, ein Triple sowie einen Homerun schlägt. Das ist ungewöhnlich und eines der schwierigsten Kunststücke, die in diesem Sport vollbracht werden können. Das Trio blickte von einem 50-stöckigen Wolkenkratzer, in dem die Büros der Anwaltskanzlei Shearman & Sterling untergebracht waren, auf die Skyline von Ost-Manhattan. Alle drei waren bereit, bei einem Treffen, von dem sie glaubten, dass es nicht nur den FC Liverpool, sondern die gesamte Fußballlandschaft umgestalten könnte, groß aufzuspielen. Henry setzte die Tatsache, kurz vor der Einstellung des perfekten Trainers für den Klub zu stehen – ein unglaublich komplexes Auswahlverfahren, das es zu erfüllen galt –, mit dem Schlagen eines Zyklus gleich. Keine Fangemeinde vergöttert den wichtigsten Mann auf der Trainerbank so lautstark wie die von Liverpool: durch Spruchbänder, in Gesängen und auf die Art und Weise, wie sie aufs Engste mit der Seele des Vereins verbunden ist. Es ist ein Phänomen, das bis zur Berufung von Bill Shankly im Jahr 1959 zurückreicht. Während seiner 15-jährigen Amtszeit verwandelte der Schotte einen Verein aus der Second Division in eine »Bastion der Unbesiegbarkeit«. Entsprechend stellt keine Fangemeinde so hohe Ansprüche an den Anführer ihres Teams. In Anfield gehen die Anforderungen weit über das hinaus, was in einem Lebenslauf steht oder darüber, taktisch hervorragend zu sein. Man muss gewinnen, eine Verbindung zu den Fans aufbauen und die Essenz von Liverpool auf kultureller, politischer und spiritueller Ebene repräsentieren. Zusammengefasst muss ein Toptrainer auch als Mann des Volkes agieren und zugleich zeigen, dass er größer ist als der Job, größer als die Erwartungen und unerschütterlich in seinem Umgang mit der heftigsten Kritik. Am 1. Oktober 2015 in New York war die FSG zuversichtlich, genau eine solche Persönlichkeit zu verpflichten. Einen unwiderstehlichen Menschen, der nachweislich in der Lage war, einen Verein zu verjüngen, ihn zu nachhaltigem Erfolg zu führen und gleichzeitig einen prägenden Einfluss auf den Ort und seine Bevölkerung zu haben. »Es ist der richtige Mann zur richtigen Zeit«, so Gordon. Doch die Eigentümer hatten sich für ihre erste persönliche Begegnung mit Jürgen Klopp den falschen Tag ausgesucht. Das Treffen fiel mit der jährlichen Generalversammlung der Vereinten Nationen zusammen, die New York lahmlegte. Die Fahrt des Deutschen vom Flughafen JFK zur Lexington Avenue dauerte in stockendem Verkehr sechs Stunden, und obwohl ihm das alles andere als angenehm war, schmälerte es nicht seinen »höchsten Enthusiasmus« für die Gelegenheit, seine Vision für Liverpool zu skizzieren. Lange bevor Klopp das Gebäude betrat, hatte er den Job sicher. Es war kein Bewerbungsgespräch, sondern eher eine Bestätigung dessen, was die FSG bereits über den zweifachen Gewinner der Bundesliga-Meisterschaft wusste – dank eines Telefonats, eines Skype-Gesprächs und, ganz entscheidend, eines detaillierten, 60-seitigen Dossiers über seine Arbeitsweise. Das war von Liverpools geschätztem Leiter der Recherche, Ian Graham, und von Michael Edwards, der damals technischer Direktor war, zusammengestellt worden und bewertete alles: die Trainingseinheiten des Coaches, seine Reaktion auf Rückschläge, den Erfolg im Verhältnis zu den ihm gegebenen Möglichkeiten sowie seine Zusammenarbeit mit Mitarbeitern und Spielern, alles durch Aussagen aus erster Hand von Personen seiner ehemaligen Vereine FSV Mainz 05 und Borussia Dortmund. Je mehr sich Liverpool mit Klopps Methodik auseinandersetzte, desto mehr war man davon überzeugt, dass er die Kernbereiche des Vereins einen und aufwerten könnte. Abgesehen von diesem umfassenden Dokument war der FSG ohnehin klar, dass er ihr Mann war, denn zuvor war sie schon zweimal hinter ihm her gewesen. Jedes Mal, wenn sie einen Trainer suchten, stach er hervor und erwies sich als passend zu ihren langfristigen Plänen. Gegen Ende des Jahres 2010, als Roy Hodgson in Liverpool eine schmerzhafte Zeit durchlebte, in der er nur für 31 Spiele die Verantwortung trug, beauftragte die Gruppe eine dritte Partei, um herauszufinden, ob Klopp in Betracht zöge, Dortmund zu verlassen und nach Anfield zu wechseln. Es war keine Überraschung, dass die Antwort negativ ausfiel, denn er etablierte den BVB erfolgreich als starkes Team in der Bundesliga und in Europa, das einen unwiderstehlichen Fußball mit frühem Pressing spielte. Ein Jahr später gab es einen weiteren zaghaften Versuch einer Annäherung, als die Vereinslegende Kenny Dalglish, Hodgsons Nachfolger, von seinem zweiten Engagement bei Liverpool entbunden wurde. »Man hat mich auf das Interesse in England aufmerksam gemacht, und es ist eine Ehre, mit großen Klubs in der Premier League in Verbindung gebracht zu werden«, sagte Klopp, bevor er betonte: »Ich liebe meine Arbeit hier [in Dortmund] und habe nicht die Absicht, den Verein zu wechseln.« Natürlich war Liverpool nicht das einzige englische Team, das versuchte, sich den Toptrainer zu sichern, der es zumindest vorübergehend geschafft hatte, das Monopol des FC Bayern München, Deutschlands beste Mannschaft zu sein, zu brechen. Der Gewinn von zwei Bundesliga-Meisterschaftstiteln in Folge und das Ausschalten von Gegnern in der Champions League, in der Dortmund 2013 das Finale erreichte, ließ das Interesse an Klopp deutlich anwachsen – insbesondere im 30 Meilen entfernten Manchester. Während Dalglishs Nachfolger als Liverpool-Trainer, Brendan Rodgers, Anfang 2014 in Merseyside mit einer von Luis Suárez angetriebenen Offensivreihe ein harmonisches Zusammenspiel managte, das dem Klub fast den Titel brachte, dümpelte Manchester United unter David Moyes fürchterlich vor sich hin. Der Nachfolger von Sir Alex Ferguson war völlig überfordert, und es bestand dringender Handlungsbedarf, um den Verein vor dem Niedergang zu bewahren. Ed Woodward, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von Manchester United, verabredete ein Gespräch mit Klopp in Deutschland mit der Absicht, ihn für einen Wechsel ins Old Trafford zu gewinnen. Der BVB-Trainer bewunderte Fergusons Leistungen und die Art und Weise, wie er United als globales Schwergewicht etabliert hatte, weshalb er dem Treffen zustimmte. Woodwards Angebotspräsentation war jedoch die Antithese zu dem, was Klopp ansprach. Er hob die finanzielle Macht des Klubs hervor und bot ein amerikanisiertes Bild von Blockbuster-Namen und Entertainment und verglich dabei United und Old Trafford mit einem Disneyland des Fußballs. Klopp, ein Fußballromantiker, der sich von Emotionen nährt und für den die Zeit, die er auf dem Trainingsplatz verbringt, wichtiger ist als Transfers, war abgetörnt. Für Christian Heidel, den ehemaligen Sportdirektor von Mainz, war das keine Überraschung. Er ist seit drei Jahrzehnten mit Klopp verbunden, und er war es, der ihm die Chance bot, auf die Schnelle den Sprung vom Spieler zum Trainer des Vereins zu machen. »Emotional angetrieben« lautet eine der Grundcharakterisierungen, mit denen er seinen Freund beschreibt, der zugleich ein »Kämpfer« und ein »Erbauer« sei. Heidel wusste, dass Klopps Kräfte nur dort richtig zur Entfaltung kommen können, wo seine persönlichen Erfahrungen mitschwingen. Bei United zu sein und ein unbegrenztes Budget zu haben, würde mit einem Leben kollidieren, das davon geprägt ist, Widrigkeiten zu überwinden und aus Wenigem das Beste zu machen. Klopps Kindheit und Jugendjahre in Glatten, einem kleinen, aber malerischen Ort im Schwarzwald, waren von Einfachheit geprägt. Sein verstorbener Vater Norbert, der als Jugendlicher ein vielversprechender Torwart war und ein Probetraining in Kaiserslautern absolvierte, arbeitete als Handelsvertreter für Dübel und Wandbefestigungen. In Sachen Wettkampf war er schonungslos und holte aus seinem Sohn das Maximum heraus, indem er es ihm nie leicht machte, sei es beim Skifahren, Tennis, Fußball oder beim Sprint über den Sportplatz. Norbert Klopp prägte ihm ein, dass es sich nicht lohnt, etwas ohne vollen Einsatz zu tun. Er lehrte seinen Sohn, dass »die Einstellung immer wichtiger ist als Talent«, förderte eine kompromisslose Arbeitsmoral und schulte ihn in der Kunst der Beharrlichkeit. Klopp junior, ein Stuttgart-Fan, absolvierte ein erfolgloses Probetraining beim Verein seiner Kindheit und wurde erst mit 23 Jahren Profifußballer. In der Zwischenzeit spielte er für Pforzheim, Eintracht Frankfurt II, Viktoria Sindlingen und Rot-Weiss Frankfurt und arbeitete nebenbei in einer Videothek und als Lkw-Lader. Zudem kümmerte er sich um seinen kleinen Sohn Marc und studierte an der...