Blutiger Highway
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-9819621-2-3
Verlag: Savage Types - Berhold & Heyden GbR
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eric Red lebt in Los Angeles und ist Roman- und Drehbuchautor sowie Regisseur. Zu seinen Filmen gehören Hitcher, der Highway Killer, Near Dark Die Nacht hat ihren Preis, Hitman In der Gewalt der Entführer, Body Parts, Bad Moon und 100 Feet. Er hat mehrere Romane geschrieben, darunter Dont Stand So Close, It Waits Below, The Guns of Santa Sangre, The Wolves of El Diablo, Noose, Hanging Fire und Branded.Red teilt sich seine Zeit zwischen Kalifornien und Wyoming mit seiner Frau und zwei Hunden auf. Mehr über Eric Red und seine Bücher und Filme gibt es auf seiner offiziellen Website EricRed.com, auf Facebook unter OfficialEricRed und auf Twitter unter @ericred.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Wusch-wusch-wusch. Regen schwappte wie aus Eimern auf die Windschutzscheibe. Die hart kämpfenden Scheibenwischer hatten keine Chance gegen den sintflutartigen Niederschlag, als Carrie Brown auf der nächtlichen Autobahn im Mittelwesten der USA nach Hause fuhr. Das Wasser kam ihr in böigen Wellen entgegen. Carrie war müde und hatte Mühe, durch das verschwommene Glas etwas zu erkennen, doch sie war an die Straßenverhältnisse um diese Jahreszeit gewöhnt. Das Wetter war nicht das größte Problem. Ohne die verdammten großen Sattelschlepper wäre das Pendeln ein Spaziergang. Um diese Zeit befanden sich nur noch sie und die endlose Abfolge spätnachts fahrender Trucker auf der Straße. Die Sattelzüge passierten sie als Galaxien aus grellroten Heckleuchten und christbaumartigen Ansammlungen bunter Lichter, die sowohl die Anhänger als auch die Kabinen überzogen. Die rollenden Dinosaurier rasten an ihr vorbei, einer nach dem anderen. Sie fuhren, als gehörte Carrie nicht hierher – als wäre die Straße ihr Eigentum und als wäre ihnen Carrie im Weg, ein lästiges Ärgernis. Bei jedem Laster, der sie überholte, wurde ihr Auto von einer geballten Kombination aus Wind und Regen attackiert. Ein stechender Schmerz in ihren müden Augen ließ sie zusammenzucken, als sie von einer weiteren Explosion blendender Scheinwerfer im Innenspiegel bestürmt wurde. Mit einem donnerartigen Grollen überholte ein riesiger Sattelschlepper ihren Kleinwagen, besprühte ihn mit Spritzwasser und erfasste ihn mit einem seitlichen Windstoß, der das im Vergleich winzige Fahrzeug quer über die weißen Fahrbahnmarkierungen schlittern ließ. Carrie spürte das warnende Rattern der Kunststofferhebungen der Trennlinie – die Blindenschrift der Straße. Dann war der Laster an ihr vorbei, und seine roten Heckleuchten verschwanden in einem Vorhang des vom Himmel strömenden Wassers. Diese verdammten Trucker kannten für normale Fahrer weder Respekt noch Rücksicht. Laut ihrer Armbanduhr war es 3:01 Uhr. Carrie befand sich allein im Fahrzeug. Ihre Schicht im County General Hospital hatte erst unlängst geendet. Die ausgebildete Krankenpflegerin war erschöpft und hatte Mühe, hinter dem Lenkrad ihres klatschnassen Prius wach zu bleiben. Noch sechzig Kilometer, dann wäre sie zu Hause und könnte unter die Bettdecke schlüpfen. Nur musste sie dort erst einmal ankommen. Das Pendeln war schon bei trockenem Wetter mühsam, aber schier unerträglich, wenn es regnete. Sie rieb sich die Augen, kniff sie zusammen und spähte durch die nasse Scheibe auf die düsteren drei Fahrstreifen vor ihr – verregneter, verschwommener Asphalt mit unterbrochenen weißen Linien. Die eintönigen Metronombewegungen der Scheibenwischer ließen sie nur noch schläfriger werden. Durch die Lichtbrechung bildeten Heckleuchten und Scheinwerfer im triefnassen Glas ein verzerrtes Farbenspiel. Die Wirkung war hypnotisch und einlullend. Carrie blinzelte, um die doppelten Bilder zu vertreiben. Ihre Hände umklammerten krampfhaft das Lenkrad, und Carrie wurde bewusst, wie angespannt sie war. Die Enge des Wagens drohte sie zu ersticken. Die Trucks auf der Fernstraße verursachten ihr immer ein mulmiges Gefühl. Sie zuckte regelmäßig ängstlich zusammen, wenn sie an ihr vorbeidonnerten und die riesigen Räder und Querträger dabei nah genug wirkten, um ihre Tür zu schrammen. Mit einer Willensanstrengung beschwor sie die grausigen Bilder verstümmelter Opfer von Autounfällen herauf, die sie in der Notaufnahme gesehen hatte, um vor Angst wach zu bleiben. Allerdings senkte sich die Schläfrigkeit nur wenige Augenblicke später wieder wie ein betäubender Nebel über sie. Carrie kannte die Statistiken, denen zufolge Übermüdung neben Fahren unter Alkohol- und Drogeneinfluss die zweithäufigste Unfallursache war. Ihr blieb nichts anderes übrig, als auf eine Notmaßnahme zurückzugreifen, um nicht einzuschlafen. Sie öffnete die Handtasche und holte die Jalapeño-Schote hervor, die sie in einer kleinen Plastiktüte verwahrte. Eine Freundin hatte ihr einmal gesagt, ein Biss in eine rohe, scharfe Chilischote wäre eine todsichere Möglichkeit, um wach zu bleiben, wenn man übermüdet fahren musste. Carrie steckte die Schote in den Mund, biss zu und spürte, wie sich die sengende Schärfe mit weißglühenden Schmerzen über ihre Zunge und ihren Gaumen ausbreitete. Ihre gesamte Kieferpartie krampfte sich zusammen, aber es half tatsächlich. Schlagartig war Carrie hellwach. Im Innenspiegel flammte ein blendendes Gleißen auf, als darin die vier Scheinwerfer zweier großer Trucks erschienen, die sich schnell näherten, einer links auf der Überholspur, der andere auf dem rechten Fahrstreifen. Die Sattelzüge rasten heran und brausten an Carrie vorbei, brachten ihren Wagen im nassen Fahrtwind ihrer riesigen Fahrzeuge zum Schaukeln. Ein Wimmern entrang sich der Krankenpflegerin. Sie biss die Zähne zusammen, als die dröhnenden Dieselfahrzeuge an ihr vorbeizogen und sie vorrübergehend zwischen unzähligen Tonnen Stahl auf Rädern einpferchten. Carrie verlangsamte ihre Fahrt, damit die Laster sie schneller hinter sich ließen. Dabei zitterte sie wie Espenlaub. Arschlöcher! Wenige Augenblicke später zeichneten sich die Sattelzüge bloß noch in Form der rubinroten Heckleuchten ab, die in der nassen Dunkelheit der Straße vor ihr schimmerten. Dann hatte sie wieder nur Asphalt und weiße Leitlinien vor sich. Wusch. Wusch. Wusch. Ihr Mund brannte heftig. Aus der trüben Finsternis vor der Windschutzscheibe tauchte ein grünlicher Klecks auf. Reflektierende Worte wurden lesbar. JOHNSTOWN. NÄCHSTE AUSFAHRT. Sie passierte das Schild. In 15 Minuten würde sie ihre Ausfahrt erreichen. In 20 Minuten würde sie in ihre Einfahrt biegen. Und wenige Minuten danach würde sie wohlbehalten im Bett liegen. Bitte, Gott, lass es mich einfach nach Hause schaffen. Mein Mund brennt. Das Radio. Schalt es ein. Statik. Dreh den Regler. Statik. Statik. Noch mehr Statik. Herrgott noch mal. Schalt das verfluchte Ding aus. Wusch. Wusch. Wusch. Die Schwärze vor Carrie wirkte in den Bewegungen der Scheibenwischer flüssig wie Öl. Ein Blick in die Spiegel zeigte hinter Carrie nur Dunkelheit. Ein Funkeln. Scheinwerfer. Sie näherten sich schnell. Wie zwei große Untertassen wuchsen die Scheinwerfer in ihrer Heckscheibe und füllten ihr Auto mit einer grellen Helligkeit, die sich in der beengten Geborgenheit des Innenraums beinahe wie eine Vergewaltigung anfühlte. Carrie konnte vage die Umrisse des Kühlergrills ausmachen, die sie an einen grinsenden Dämon erinnerten. Jetzt mach schon, fahr vorbei, dachte sie. Der Sattelschlepper musste das Fernlicht eingeschaltet haben, denn der Innen- und die Seitenspiegel reflektieren nur ein weißes Gleißen, in dem sie unmöglich etwas erkennen und von dem sie die Augen nicht abwenden konnte. Überhol mich einfach! Grollender Donner und tiefe Vibrationen erfassten ihren Wagen, als der Laster auf der rechten Fahrspur mit ihr gleichzog. Carrie umklammerte krampfhaft das Lenkrad, während sie darauf wartete, dass der Truck sie überholte. Was er nicht tat. Der riesige Sattelzug bildete eine hochaufragende Silhouette auf ihrer Beifahrerseite und verharrte dort – als spürte er ihre Angst wie ein Raubtier, das mit seiner Beute spielen will. Der Lastwagen hatte die Fahrt auf ihr Tempo verlangsamt und rollte auf gleicher Höhe neben ihr her. Arschloch, ging Carrie durch den Kopf, als sie den Fuß vom Gas nahm, um sich zurückfallen zu lassen. Die Heckleuchten des anderen Fahrzeugs flammten auf und erhellten den Innenraum ihres Autos mit einem dämonischen roten Licht. Auch der Truck wurde langsamer. Wieder befanden sie sich Seite an Seite. Na schön, du Pisser! Die Krankenpflegerin trat aufs Gas. Ihr Prius schoss vorwärts und raste über den Asphalt der mittlerweile verwaisten Straße, abgesehen von ihr und ihrem tonnenschweren, unerwünschten Gefährten. Carrie spürte, wie ihr Fahrzeug in Aquaplaning zu geraten drohte, und hatte Mühe, es unter Kontrolle zu behalten. Ein Dieselmotor röhrte kehlig hinter ihr. Die zwei verchromten Auspuffendrohre, die sich durch die triefnasse Heckscheibe des Prius abzeichneten, spien Rauch aus, der sich um die Kabine kräuselte und dem Truck eine unheimliche Aura verlieh. Das riesige Fahrzeug beschleunigte und zog mühelos wieder mit Carrie gleich. Mittlerweile hatte sie eine Heidenangst. Beklommen warf sie einen Blick zur Kabine und zum Fenster der Fahrertür des neben ihr rollenden Sattelzugs hinüber. Durch ihr regennasses Beifahrerfenster konnte sie nur den unteren Rand der Scheibe in der Tür des anderen Fahrzeugs ausmachen. In der Kabine erkannte sie die schemenhaften Umrisse eines Kopfs mit einer Mütze. Dann ging ein Licht im Inneren des Trucks an, und sie erspähte verschwommen das Gesicht eines männlichen Weißen. Die Regentropfen auf der Scheibe verzerrten die Züge dermaßen, dass sie wie geschmolzenes Kerzenwachs wirkten. Ein Anflug von Panik durchzuckte Carrie wie ein Stromschlag eines Starterkabels. Jäh bremste sie auf 50 Stundenkilometer ab. Sofort verlangsamte auch der Truck mit einem hydraulischen Zischen der Bremsen die Fahrt, bis sich das fahrerseitige Fenster und das Gesicht dahinter wieder neben ihr befanden. Der Fahrer schaute zu ihr,...