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E-Book, Deutsch, 200 Seiten

Rech Schenselo

Thriller
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95602-067-4
Verlag: CONTE-VERLAG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Thriller

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

ISBN: 978-3-95602-067-4
Verlag: CONTE-VERLAG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zunächst ermittelt Kommissar Hoppe aus Speyer in Neuweiler nur wegen eines Einbruchdiebstahls mit Körperverletzung. Doch dann findet man Jürgen Schütz, der eine wertvolle Handschrift bei Grabungen in einem alten Park gefunden hat, gekreuzigt in seiner Wohnung. Gab es in dem Dokument geheime Hinweise? Was hatte es mit der Schenkung Schenselos aus dem Jahr 1314 auf sich? Hoppe hofft, mithilfe der geschichtskundigen, geheimnisvoll schönen Berit Schock den Mörder zu finden. Schatzsucher, Verfolgungsängste, seltsame Symbole … Hoppe kann die Fäden nicht entwirren, zumal er offenbar selbst befangen ist. Ein rasanter Thriller, der einen von Abschnitt zu Abschnitt mehr in den Strudel der Ereignisse hineinzieht.

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2 Der Mann wird bald tot sein. Wie lange dauert das Sterben wohl normalerweise? Hier dürfte es nicht mehr lange dauern, so wie der Mann aussieht. Er ist ein Soldat. Er muss ein Soldat sein, sonst wäre das Denkmal, auf dem er abgebildet ist, kein Kriegerdenkmal. Er liegt am Boden. Erschöpft. Verwundet. Mühsam hat er sich noch einmal aufgerichtet. Ein paar Zentimeter nur. Zu mehr reichte seine Kraft nicht. Er wird bald tot sein. Warum ist er nicht schon längst tot? Es dauert und dauert. Seine linke Hand ruht auf seiner Brust. Ein Engel gibt ihm zu trinken. Führt ihm einen Becher zum Mund. Eine Hand hat der Engel frei. Diese freie Hand ist erhoben. Erhoben zum Grüßen? Um wen zu grüßen? Diejenigen, die vor dem Denkmal stehen und dem Mann beim Sterben zusehen? Nein. Emil Kruge überlegte. Jetzt war er sich sicher, dass die Hand erhoben ist, um den am Boden liegenden Mann zu ohrfeigen. Gemein genug ist das Leben ja, dachte Emil. Nein, nicht gemein. Das Leben ist nicht gemein. Das Leben hat Recht. Der Engel hat Recht, wenn er den Mann ohrfeigt. Warum ist er auch so blöd, und lässt sich töten? Vielleicht hat der Mann auch einen Jungen. Einen Jungen wie mich. Emil schob den Unterkiefer vor und bohrte seine Schuhspitze in die Erde. Selbst hier in Neuweiler, dem Dorf, das gerade mal aus vier Straßen, zwanzig Häusern und zwei außerhalb liegenden Bauernhöfen bestand und wohin seine Mutter und er wenige Wochen nach dem Tod seines Vaters gezogen waren, ließ ihn die Erinnerung an seinen Vater nicht los. Wie auch? Sein Vater war der großartigste Mensch der Welt gewesen. »Na, wen haben wir denn da? Den kleinen Emil Kruge«, hörte er die Stimme von Horst Leopold, der so plötzlich neben ihm stand, dass ihm nicht einmal Zeit zum Erschrecken geblieben war. Jeden Tag kam Leopold, der Leiter des städtischen Bauamtes, für ein paar Minuten nach Neuweiler zu dem kleinen Park mit dem Kriegerdenkmal gefahren. Dann schaute er, wie weit hier die Verschönerungsarbeiten gediehen waren, nickte den Arbeitern der Gartenbaufirma Schock zu und fuhr mit seinem Wagen wieder zurück nach Ebingen. Manchmal kam er vormittags, manchmal nachmittags. Emil wusste das, denn er war auch Tag für Tag hier. Und bis heute war es ihm stets gelungen, sich hinter dem Denkmal zu verstecken, bevor Leopold kam. Er wusste nicht genau, warum er das tat. Nein, das war falsch, er wusste, warum er das tat. Er hatte Angst vor dem Mann. Aber was er nicht wusste war: Warum hatte er Angst vor ihm? Leopold war ihm unsympathisch. Aber das waren ihm viele andere Menschen auch. Leopold hatte hellblonde, fast weiße Haare und Wimpern, seine Adern schimmerten blau unter seiner blassen Haut hindurch. Das sah eklig aus. Aber andere Menschen sahen auch eklig aus. Hatten Schuppen auf den Schultern, Speichel in den Mundwinkeln oder Pickel und Warzen im Gesicht. Vor keinem unsympathischen, ekligen Menschen hatte er Angst, außer vor Leopold. »Gefällt dir das Ehrenmal für die Gefallenen?«, fragte Leopold und schob seine Sonnenbrille in die hellen, dünnen Haare. Eines Tages würde er es wissen, warum er sich vor diesem Mann so fürchtete. Und vor dem Tag hatte er jetzt schon Angst. Bis zu diesem Tag aber, der bestimmt kommen musste, würde er sich vor ihm so gut es ging verstecken, um das Unvermeidliche so weit wie möglich hinauszuzögern. Vielleicht ließe es sich so weit hinauszögern, bis er erwachsen wäre und mit Leopold von Mann zu Mann kämpfen könnte. Weswegen eigentlich kämpfen? Was hatte er ihm denn getan? Nichts. Noch nichts. Egal, er würde sich vor ihm verstecken, so wie die letzten zwei Jahre auch (so lange lebten er und seine Mutter schon in dem dunklen Neuweiler). Wenn er es recht bedachte, versteckte sich seine Mutter ebenfalls, wenn sie Leopold auf der Straße begegnete. Nicht dass sie hinter eine Mauer oder eine Hausecke rennen würde, dazu waren Erwachsenen zu langsam. Nein, sie versteckte sich hinter einem merkwürdigen Gesicht, wenn sie ihn traf, einem Gesicht, das aussah wie tot. Der Soldat auf dem Kriegerdenkmal war tot oder zumindest fast, sein Vater war tot und das Gesicht seiner Mutter war tot, zumindest wenn sie Leopold begegnete. »Na was ist, Emil Kruge, gibst du mir keine Antwort?« Leopold beobachtete ihn und schien seine Gedanken von seiner Stirn ablesen zu können. »Gefallen tut es mir nicht direkt. Ich meine, es geht so«, antwortete er und dachte: Meinem Vater hat bestimmt keiner etwas zu trinken gegeben, bevor er gestorben ist. Er stellte sich diesen Satz (die Worte »Vater« und »gestorben« besonders groß) mit blauer Tinte geschrieben auf seiner Stirn vor und versuchte ihn in Spiegelschrift zu lesen. »Nur es geht so?«, fragte Leopold, runzelte seine Stirn und lächelte ihn an. Die dünne Haut auf Emils Stirn war plötzlich aus Papier (ein der Länge nach gefaltetes DIN A5-Blatt aus seinem Deutschheft) und eine unbekannte Hand zerknüllte das Blatt mit der Schrift darauf. »Nur es geht so? Das ist wenig. Findest du nicht auch, mein kleiner Emil?«, fragte der noch immer lächelnde Leopold nach, wobei Emil klang wie Ämäl. Emil kniff die Augen zusammen und betrachtete sein Gegenüber. Was war das für ein merkwürdiges Lächeln? Keines jedenfalls, bei dem sich die Mundwinkel verzogen. War das überhaupt ein Lächeln? Leopolds Mund war auf und zugeklappt wie bei einem… Emil wusste nicht mehr weiter. Für wenige Sekunden kreuzten sich ihre Blicke. Emil hatte bei seinem Gegenüber rote Augen erwartet, aber Leopolds Augen waren wässrig-blau. Ich stehe einem…, es fiel ihm nicht ein, …einem Dingsda gegenüber. Er würde zu Hause in seinen Comic-Heften nachsehen müssen, wie man helläugige, hellhäutige Wesen, die so aussahen wie Leopold, wenn er lächelte, nannte. Emil spürte auf einmal Leopolds Hand in seinem Nacken. Und zu seinem Schrecken begann die Hand ihn zu streicheln. Emil zuckte zusammen. »Für ein »es geht so« siehst du dir das Denkmal aber ziemlich genau an«, hörte er Leopold flüstern. Die Stimme, die ölig in seine Ohren floss, und das Streicheln in seinem Nacken ließen ihn auf einmal schläfrig werden. Fast war er versucht die Augen zu schließen und sich an den Mann anzulehnen. Ein lautes Husten und Räuspern hinter seinem Rücken ließ ihn wieder zu sich kommen. Er sah sich verlegen um. Kurt Faber, der Vorarbeiter, stand, auf eine Schaufel gestützt, neben ein paar Rosenbüschen und beobachtete sie. Als sich ihre Blicke trafen, spuckte Faber aus. Die Spucke blieb auf einem der Rosenblätter hängen. Emil drehte sich wieder weg. Plötzlich packte Leopolds Hand zu. Er drehte Emils Kopf so, dass er wieder zum Denkmal schauen musste, beugte sich zu ihm herunter und las, den Mund dicht an Emils Ohr, mit jetzt rauer Stimme, den Text, der unter dem Relief stand, vor. »Die Toten werden wieder leben. Weißt du, was das heißt, Emil?« »Nein. Oder vielleicht doch.« »Weißt du, was das heißt? Ja oder nein?« »Vielleicht, dass sie im Paradies wieder zum Leben erweckt werden. Von Gott oder einem Engel«, antwortete er und hoffte, dass die Antwort Leopold zufriedenstellen würde. »Im Himmel oder in der Hölle von einem gefallenen Engel! Da fällt mir ein, wie geht es deiner Mutter?« Leopold stieß ein Lachen aus. Emil zuckte mit den Schultern. Wie sollte es seiner Mutter denn schon gehen? Leopold schien auch gar nicht mit einer Antwort gerechnet zu haben. Er deutete mit der freien Hand auf das Denkmal. »Die Toten werden wieder leben. Es heißt nichts. Gar nichts. Die Toten kommen nicht wieder und die Gefallenen werden nicht auferstehen. Siehst du die Tafel neben unserem tapferen Soldaten? Auf ihr stehen Namen.« Er ging mit ihm ein paar Schritte vor und drückte Emils Kopf zu einer der Tafeln hinunter. »Alles Namen von Toten, die nicht wiedergekommen sind und auch nicht wiederkommen werden. Ein Name nach dem anderen. Jemand hat sich sogar die Mühe gemacht«, Leopold kicherte, »sie alphabetisch aufzulisten.« Stimmt ja gar nicht, dachte Emil, dessen Blick zwischen den Namen Wolter Anton und Sommer Jakob hin und her flackerte. Seit wann kam W vor S? »Sie sind tot, Emil.« Leopolds Griff wurde fester, als er merkte, dass Emils Aufmerksamkeit abzuschweifen drohte. »Alle Menschen, deren Namen hier auf dieser Tafel in Stein gehauen wurden, sind tot. Die Steine sind noch da, auch die Namen, aber die Menschen sind tot. So wie auch viele andere Menschen, die einmal gelebt haben, tot sind. Und sie kommen nie wieder, egal wie sehr sich das jemand wünscht. Du kannst schreien und toben und heulen, sie kommen nicht wieder.« »Das weiß ich.« Emil schüttelte die Hand aus seinem Nacken und sprang ein paar Schritte zurück. Fast wäre er über die knöchelhohe Einfriedung gestolpert, die eines der Rosenbeete vom Schotterweg trennte. Er taumelte ein paar Schritte rückwärts, dann fing er sich wieder. Er schaute zu dem Mann hoch und sagte: »Das weiß ich alles selbst, Herr Leopold.« Er spannte die Muskeln an und zwang sich, nicht zu blinzeln und nicht mit den Mundwinkeln zu zucken. »Dann bist du also nicht hier, weil du glaubst, dass die Toten wieder leben werden. Dass die Toten wieder zurückkommen, wenn du es dir nur lange genug wünschst?« Emil...


Kerstin Rech lebt in Stuttgart. Sie veröffentlichte bereits zahlreiche Krimis und Thriller. 2010 gewann sie den Mannheimer-Heinrich-Vetter - Literaturpreis für ihren Text »Der Normalo«.



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