E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Rauchensteiner Das kleine ABC des Staatsbesuches
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7076-0701-7
Verlag: Czernin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-7076-0701-7
Verlag: Czernin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Meinhard Rauchensteiner, 1970 in Wien geboren, studierte Philosophie und andere Dinge, schrieb fu?r die Frankfurter Hefte, den morgen und weitere Medien und wollte nie im Staatsdienst tätig sein. Arbeitet seit u?ber 20 Jahren in der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei, von 2007-2016 als Berater Heinz Fischers fu?r Wissenschaft, Kunst und Kultur. Seit 2017 leitet er dort die gleichnamige Abteilung. Lehrender an der Universität fu?r Angewandte Kunst, diverse Publikationen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
B
Badge | Scheckkartengroßes Schild, das während eines Staatsbesuches getragen werden muss. Weist einen als Mitglied einer bestimmten DELEGATION aus. Zeigt neben dem Namen des Trägers und dem Anlass entweder ein O für Offizielle DELEGATION, ein W für WirtschaftsDELEGATION, ein K für KulturDELEGATION oder ein J für JOURNALISTEN-DELEGATION. Steht ein S darauf, ist die SICHERHEIT gemeint. Das ist auch wichtig, denn die zwei Meter großen, kurz geschorenen Herren hätte man sonst glatt übersehen.
Baumpflanzung | Geste der bleibenden Präsenz des Staatsgastes. Während unsereins – sterblich, hinfällig, unbekannt, unbenannt – Briefmarken sammelt, sammeln manche Staaten Bäume mit TAFELn. Im Zuge von multilateralen Treffen kommt es so zur Pflanzung ganzer Wälder, in denen sich nach Abreise der hohen Gäste Liebespaare räkeln. Reicht es für Wälder nicht, bleibt immer noch die gern genutzte Möglichkeit, Rosen oder Orchideen nach wichtigen politischen Repräsentanten zu benennen. So ist der Ehrenhof der Wiener UNO-City gesäumt von einer Rosensorte namens »Kurt Waldheim«, während sich Singapur Orchideen der Unterarten »Margaret Thatcher«, »Václav Klaus« und auch »Heinz Fischer« gönnt.
Beglaubigungsschreiben | Schreiben, das ein neuer Missionschef (also Botschafter) dem Staatsoberhaupt des Gastgeberlandes überreichen muss, um offiziell agieren, also auftreten zu können. Die Überreichung des B. findet in besonders kurzem und feierlichem Rahmen statt, in der HOFBURG wurde dafür in der Regierungszeit von Maria Theresia eine Freitreppe errichtet, die sogenannte GesandtenSTIEGE, die heute BotschafterSTIEGE heißt. Sie wird heute allerdings zweckentfremdet verwendet, etwa als Ausgang der Besucher der Freizeit-, Tourismus-, Boots- oder Erotikmesse. Dankenswerterweise befindet sich die Freitreppe außerhalb der PRÄSIDENTSCHAFTSKANZLEI im Schweizerhof.
Begleitung | Mitwirkende an verschiedenen Teilen des PROGRAMMs. Personen, die konkrete Aufgaben zugewiesen bekommen und übernommen haben, wie etwa der TECHNISCHE DIENST. Das unterscheidet die B. von der DELEGATION.
Begrüßung | Die B. ist der Auftakt der MILITÄRISCHEN EHREN. Mit ihr wird demonstriert, in welchem Verhältnis man zum Gast respektive Gastgeber steht. Vom höflichen Händedruck über den höfischen HANDKUSS bis hin zur realsozialistischen Busserl-Orgie spannt sich der Bogen solch erster Kontaktnahme. Wer auch das staunende Volk begrüßen will, das man hinter diversen Autos und SICHERHEITsleuten vermuten darf, winkt auf Verdacht in die Landschaft und kann hoffen, ebenfalls bewunken zu werden.
Bellariazimmer | Die ersten beiden Räume der Österreichischen PRÄSIDENTSCHAFTSKANZLEI. Der erste Raum heißt 1. B., der zweite Raum der schönen Ordnung halber 2. B. Beide beeindrucken in erster Linie durch die sich darbietende Zimmerflucht, die zumindest Respekt einflößend genannt zu werden verdient. Darüber hinaus befinden sich im 1. B. Ölgemälde von Kaiser LEOPOLD I., dessen erster Frau Margarita Teresa sowie Kaiser Karl VI., dem Vater Kaiserin Maria Theresias, an den Wänden sowie im 2. B. schöne Pastelle, die eben die Tochter des Herrn Karl sowie deren Gemahl, Franz Stephan von Lothringen, zeigen. Diese beiden Darstellungen wurden vom Schweizer Maler Jean-Étienne Liotard angefertigt, der als »peintre turc« im 18. Jahrhundert von einem Hof Europas zum nächsten gereicht wurde. Bekannt ist vor allem seine »Belle Chocolatière«, das schöne Schokoladenmädchen, ein Bild, das unangenehmerweise in der Dresdener Gemäldegalerie hängt, immerhin aber ein waschechtes Wiener Mädl darstellen soll.
Berufstitel | Sagen nichts über den Beruf aus. Sie heißen so, um sie von Amtstiteln zu unterscheiden, die man wiederum als Beamter oder Beamtin so zwangsläufig bekommt, wie ein Kleinkind die Feuchtblattern. Dieses geht vorbei, jenes schreitet voran. Der B. hingegen sagt etwas über die Berufung aus, die nicht zum Beruf werden konnte. Beispielhaft ist hier der B. »Professor« zu nennen. Wer keine akademische Karriere machen konnte oder wollte, sich ab dem 50. Lebensjahr aber doch im Spiegel als professoral erkennt, dem kann der B. »Professor« durch den HBP verliehen werden. Das betrifft ganz unterschiedliche Berufsgruppen wie Schlagersänger, Köche oder Sportler. Knifflig wird es beim B. »Hofrat«, denn ihn gibt es auch als Amtstitel. Mit dem Unterschied, dass der amtsbetitelte Hofrat mit seiner Versetzung in den Ruhestand ein Hofrat in Ruhe (HR i. R.) ist, während sein berufsbetitelter Kollege nie in Ruhe geht. Der Beruf mag vergehen, die Berufung bleibt wie die Filzlaus. Dass die vermutlich einzige Skulptur eines Hofrates ausgerechnet im Zwergenpark von Schloss Weikersheim steht – was kann man dazu sagen? Und keine kontextualisierende TAFEL erläutert, ob er ein Amtstitelträger war oder ein B.-träger.
Best-Guess-Prinzip | PROGRAMMerstellung eines BILATERALen Besuches nach unilateralen Prinzipien. Entspringt nicht der Hybris, besser zu wissen, wie Besuche in einem anderen Land ablaufen, sondern dem verzweifelten, aber erfolglosen Ringen um eine Antwort auf grundlegende Fragen des Ablaufes. Irgendwann löst sich meist das Schweigen, alle Annahmen lösen sich wie Frühnebel auf, und der zwangsbedingte Unilateralismus mündet im gewohnten BILATERALen Chaos.
Besuchsankündigung | Schöne Gepflogenheit (siehe auch ÜBUNG), einen Staatsbesuch zeitgleich in beiden Ländern per Aussendung anzukündigen. Dient weniger der Information der Öffentlichkeit als vielmehr der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit auf Beamtenebene. Unterschiedliche Zeitzonen können sich dabei als Herausforderung erweisen, weil Zeitgleichheit bei Zeitungleichheit zum Kräftemessen der Nationen ausarten kann. Wessen 12 Uhr ist letztendlich gemeint, jenes in Wien oder jenes in Neu-Delhi, jenes in Wien oder jenes in Peking, jenes in Wien oder jenes in Brasilia? Da lobt man sich die eigene erdige Scholle. Denn diese Probleme gibt es zwischen St. Pölten und Potzneusiedl nicht.
Bezeichnungen | Höchste Konzentration erfordert es, die korrekten B. für Länder und Funktionen in den Unterlagen zu berücksichtigen. Die Schweiz heißt offiziell nämlich etwa Schweizerische Eidgenossenschaft, Ungarn hat vor ein paar Jahren den Zusatz Republik verloren, und der Iran ist natürlich eine Islamische Republik. So viel Zeit muss sein. Staatsoberhäupter können Präsidenten, Staatspräsidenten, BUNDESpräsidenten, Großherzöge, Emire, Staatsräte, KÖNIGe oder Kaiser sein. Wer besonders höflich ist, nennt den Präsidenten von Irland Uachtarán na hÉireann und vor allem den Premierminister (bei dem wird das sogar erwartet) »An Taoiseach« (ausgesprochen: an teschach).
Bilateral | Übliche Form politischer Begegnungen. Bezieht sich auf den Umstand, dass nur zwei Länder, nur zwei Seiten oder Grenzen involviert sind. In der Sprachwissenschaft bezeichnet b. eine Artikulationsform, bei der die Luft links und rechts der Zunge verströmt wird. Auch bei b.en Treffen wird häufig Luft verströmt. Eine nicht b.e, sondern einseitige, also bloß laterale AusSPRACHE erzeugt hingegen bestenfalls dialektale Nebenformen wie das sogenannte »Meidlinger L«, das sich selbst bei österreichischen TV-Moderatoren in durchaus uncharmanter Weise hören lässt. In der Politik entspricht diesem Fehler der Unilateralismus, der wiederum als Hegemonie bekannt ist (die es in der Sprachwissenschaft nicht einmal als Sprachfehler gibt – und das will etwas heißen!).
Blumenschmuck | Versuch, inmitten von historischer Pracht, hohen Beamten und höchsten Politikern auch etwas Schönes und Lebendiges zu bieten. Zwei Philosophien sind bei der Auswahl des B. zu unterscheiden: jene, die eine höfliche – in Wien sogar charmante – Geste setzen will (in Wien ist man lieber unhöflich, aber charmant als umgekehrt) und Blumen in den Nationalfarben des Gastes wählt (bei rascher Abfolge von Besuchen aus Luxemburg, den Niederlanden, Serbien, Kroatien, Tschechien, der Slowakei, Frankreich und den USA wäre eine mehrmalige...