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E-Book

E-Book, Deutsch, 276 Seiten

Reihe: Edition Periplaneta

Rath Liberdade

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95996-186-8
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 276 Seiten

Reihe: Edition Periplaneta

ISBN: 978-3-95996-186-8
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die angehende Medizinerin Anna flieht aus ihrer vermeintlich heilen Welt nach Brasilien. Die ersten Wochen, die sie in Rio de Janeiro verbringt, übertreffen all ihre Vorstellungen. Sie lernt neue Menschen und Lebensweisen kennen und beginnt ihr bisheriges Leben zu hinterfragen.
Gabriel führt sie in eine Welt, die ihr frei und leicht erscheint. Und so merkt sie nicht, wie aus anfänglichen Vergnügungen Gewohnheit wird und der Mann, in den sie sich verliebt hat, sich schleichend verändert. Unaufhaltsam verstrickt Anna sich in ein Geflecht aus Gewalt, Drogen und Kriminalität. Was ihr zu Beginn als Freiheit erschien, verkehrt sich in ihr Gegenteil. Als ihr schließlich klar wird, dass sie sich ihren Dämonen stellen muss, die sie in diese Situation getrieben haben, ist es womöglich schon zu spät.

Theresa Rath analysiert in „Liberdade“, was uns antreibt, sie schreibt über die Allgegenwärtigkeit der Sehnsucht nach Liebe und einem Zuhause und über Selbstwert. Und sie erzählt über Männer, Frauen und Gewalt.

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2
München - Dunkelheit
November 2014. Als das Flugzeug in München landet, bin ich einem Nervenzusammenbruch nahe. Philipp wird mich in der Nähe der U-Bahn-Station Hohenzollernplatz treffen, bei unserem Lieblingsitaliener, und wir werden reden. In meinem Magen formt sich ein schmerzhafter Knoten und ich suche fieberhaft nach einem einfachen Ausweg aus der Situation. Als ich nach Rio flog, hatte ich mich noch sehr auf dieses erste Wochenende gefreut. Ich habe mir vorgestellt, wie wir auf unserem Balkon sitzen und uns stundenlang unterhalten, einen Spaziergang durch München unternehmen und dann gemütlich in einem Restaurant sitzen und etwas essen. Als ob das jemals so gewesen wäre. Immerhin die Restaurantbesuche haben wir meistens ganz gut hingekriegt, wenn nicht meine Essstörung gerade in mir wütete. Doch jetzt wird nichts von alledem passieren. In wenigen Stunden werden wir uns an der Station treffen, an der sich schon so viele Szenen meines Lebens abgespielt haben, und ich werde mich von ihm trennen. Ganz sicher bin ich mir allerdings noch nicht. Ich weiß, dass ich es will, aber ich befürchte, dass mich im letzten Moment, wenn ich ihn vor mir sehe, die Kraft dazu verlässt. Oft habe ich sie mir vorgestellt, diese letzte Umarmung in dem Wissen, dass all das, was zwischen uns war, zu Ende ist, und jedes Mal fiel ich innerlich in den Zustand eines kleinen, verlassenen Mädchens zurück. Jetzt wünsche ich sie mir herbei, diese letzte Umarmung, wünsche mir, dass ich stark genug sein möge, um das, was ich vorhabe, durchzuziehen. Es war nicht immer so zwischen Philipp und mir. Ich war einmal verliebt in ihn und ein Teil von mir liebt ihn immer noch. Zu Beginn unserer Beziehung schwebte ich auf Wolke sieben, glaubte, mit ihm alles teilen und meine Träume verwirklichen zu können. Ich liebte es, mit ihm über Medizin zu diskutieren und gemeinsam mit ihm Pläne für die Zukunft zu schmieden. Nur war es irgendwie, als würde ich zunehmend verblassen, während seine Konturen in unserer Beziehung immer stärker wurden. Irgendwann bekam ich kaum noch Luft und versuchte seitdem, wieder zum Anfang zurückzukommen. Aber es war, als schwämme ich gegen eine unbarmherzige Strömung an. Philipp entglitt mir mit den Jahren und ich erinnerte mich nur an den Ausgangspunkt unserer Liebe, an die strahlend schönen, fast surrealen Wochen der ersten Begegnungen. Was danach kam, war für mich immer zweitrangig, ein temporäres Versagen, dem ich nicht die Bedeutung zumessen konnte, die es hätte haben sollen. Davon ist nun kaum noch etwas übrig. Wenn ich an Philipp denke, läuft mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Ich sehe mich selbst, wie ich immer wieder auf ihn zugehe und dabei gegen eine Mauer laufe. Ich sehe mich, wie ich meinen Ängsten erliege, weine, schreie, meinen Kopf gegen die Wand schlage, während er behauptet, Dinge, die ich wahrgenommen habe, seien nicht geschehen. Ich erinnere mich, wie die Furcht, er könne mich verlassen, mich immer wieder am Genick packt. Ich hasse dieses Gefühl, unterzugehen, zu ersticken, wenn ich daran denke, allein gelassen zu werden. Ich will es abschütteln, und um das zu erreichen, muss ich auch Philipp abschütteln, der Platzhalter und Spielwiese für meine Kindheitstraumata geworden ist. Die Reise war lang und ich bin so müde, als sei ich seit Wochen unterwegs. Fast mechanisch nehme ich meinen Rucksack vom Gepäckband, verlasse den Flughafen und steige in die Bahn. Schließlich erreicht die U-Bahn die Station Hohenzollernplatz. Von dort aus laufe ich die wenigen Blocks zum Restaurant. Ich frage mich, wie es gleich sein wird, ob wir uns tatsächlich hinsetzen und gemeinsam etwas zu essen bestellen werden, so wie früher, als alles noch normal war. Wenn es denn je normal war. Je näher ich dem Restaurant komme, desto mehr verkrampft sich mein Magen, und schon entdecke ich die lange, verloren wirkende Gestalt, die vor dem Restaurant auf und ab geht. Ich atme tief ein und sammle all meine Kraft in mir, all meine Entschlossenheit. Ich versuche, sie in mir einzuschließen wie einen Stein, der all das ausstrahlt, was ich in Rio gelernt habe: meine Freiheit, meine Leichtigkeit, meine Lebenslust. Dann gehe ich gemessenen Schrittes auf ihn zu. Philipp sieht fürchterlich aus. Er ist blass und seine Augen sind rot gerändert. Bevor ich etwas sagen kann, bricht es aus ihm hervor: »Ich will nicht, dass das zwischen uns zu Ende geht.« Die nächsten zwei Worte sind vielleicht die schwersten meines Lebens. Ich sehe ihm in die Augen und sage mit fester Stimme: »Ich schon.« Wir bestellen nichts zu essen. Stattdessen gehen wir spazieren. Philipp versteht nichts, oder zumindest tut er so. Er versteht weder meine Kälte, noch die Heftigkeit, mit der ich immer wieder sage, dass es vorbei ist. Ich muss so reagieren, denn ansonsten würde ich einknicken, mit ihm nach Hause gehen, mich neben ihm zusammenrollen und wieder zu der Person werden, die ich vorher war. Das darf nicht passieren. Die Frage, vor welcher ich am meisten Angst habe, stellt er mir nicht. Er fragt nicht, ob ich ihn betrogen habe, und ich erzähle ihm nicht davon. Bin ich feige? Mag sein. Aber vielleicht ist es eher so, dass es nichts zur Sache tut. Das zwischen mir und Philipp war im Grunde schon lange zu Ende. Gabriel hat mir nur den Impuls gegeben, diese Entscheidung endlich zu treffen. Wirklich schwer wird es, als wir gemeinsam in unsere Wohnung hochgehen. Oder eigentlich in seine Wohnung. Ich bin hier vor zwei Jahren eingezogen, nachdem Philipp, der als Assistenzarzt bereits ganz gut verdient, entschied, das sei praktisch. Alles hier gehört ihm und wenn wir streiten, dann lässt er mich das auch spüren. Nicht ein einziges Möbelstück durfte ich mitbringen, als ich einzog, denn alles ist laut Philipp »perfekt aufeinander abgestimmt«. So perfekt wie er. Doch all das tut jetzt nichts zur Sache. Dieser Ort ist das einzige Zuhause, das ich jemals hatte, und nun, nachdem ich meine Entscheidung gefällt habe, werde ich es verlassen müssen. Wir trinken ein Bier und ich setze mich auf den Balkon, um meine Mutter anzurufen. Wieder erwische ich sie in einem der wenigen Momente, in denen sie vollkommen präsent ist, und es sich für mich anfühlt, als sei wirklich sie die Mutter und ich das Kind. »Ich habe mich getrennt«, sage ich in den Telefonhörer und dann schluchze ich haltlos, während sie am anderen Ende der Leitung tröstende Geräusche von sich gibt. Irgendwann geht Philipp, denn er hat mir angeboten, bei seinem Bruder zu übernachten. Ich glaube, er will selbst nicht hier sein. Die Wohnung ist leer ohne ihn, ich sitze in unserem Schlafzimmer zwischen all seinen Sachen, denke an Nico und an Gabriel, und weiß nicht, was ich nun mit meinem Leben anfangen soll. Ich fühle mich endlos erleichtert, denn ich habe den Mut gehabt, das zu tun, was nötig war. Gleichzeitig ist in mir eine allumfassende Leere. Fünf Jahre lang habe ich ein Leben gelebt, das nicht meines war. Es ist einfach über mich gekommen und ich war nicht stark genug, um den Lenker herumzureißen. Fünf Jahre habe ich die Kerben vertieft, die meine Kindheit bereits in meine Seele gegraben hatte. Aber dennoch, diese fünf Jahre lang war das mein Leben und nun ist es vorbei. Ich fühle mich unendlich verloren. Ich schreibe eine Nachricht an Nico. »Ich habe mich befreit.« Mit jeder Sekunde fühlt es sich mehr danach an. Auch an Gabriel schreibe ich, der wohl nicht ganz versteht, was in mir vor sich geht. Er hat sicher nicht damit gerechnet, dass ich mich auf einen Schlag von Philipp trennen würde. Und dann tue ich das Einzige, wozu ich mich in diesem Moment durchringen kann: Ich gehe noch einmal runter auf die Straße und kaufe bei dem Kiosk an der Ecke eine Literflasche Wein. Dann laufe ich langsam durch die Wohnung und trinke die Flasche dabei bis auf den letzten Tropfen aus. * Die nächsten Wochen, die ich in München verbringe, sind verschwommen. Ich erinnere mich nur an einzelne Situationen, die aus dem Wirbel, der in meinem Kopf herrscht, hervorragen wie die Spitzen eines Eisbergs aus dem Wasser. Philipp bietet mir an, vorerst in der Wohnung zu bleiben, während er bei seinem Bruder lebt. Aber er bittet mich, ihn zu treffen, wenn er nicht arbeiten muss, um mit ihm zu reden und das aufzuarbeiten, was zwischen uns vorgefallen ist. Und so laufen wir an manchen Abenden durch die Parks und sprechen miteinander. Nun, da ich keine Angst mehr habe, ihn zu verlieren, kann ich endlich ehrlich sein. In mir tobt ein Gefühl der absoluten Befreiung, doch immer wieder wird es durchbrochen von Momenten totaler Düsternis. Ich kann nicht fassen, dass ich mich wirklich von ihm trenne, und noch weniger, dass es Philipp zu berühren scheint. Plötzlich ist er ganz zugewandt, so als würde er mich wirklich lieben. Es ist fast wie am Anfang: Er überschüttet mich mit Zuneigungsbekundungen. Sein liebevoller und zugleich schmerzerfüllter Blick ruht auf mir, während er wieder und wieder beteuert, er werde sich ändern, ich hätte recht mit allem, was ich ihm vorwerfe. Nur ganz selten kann ich das andere in seinen Augen aufblitzen sehen, das, was ich in den letzten Jahren so gut kennengelernt habe und was mir nun Angst macht. Philipp sagt, er erkenne mich nicht wieder. Ich kann es ihm nicht verdenken. Aus der verständnisvollen Anna, die für eine verlorene Beziehung wie ein Raubtier kämpft, ist das totale Gegenteil geworden. Ich wehre ihn ab, wo ich nur kann, erkläre ihm immer wieder, dass die Entscheidung gut für uns beide sein werde, sage ihm, er solle sich endlich ganz und gar auf seine Karriere konzentrieren, die ich seiner Aussage nach immer gebremst habe. »Ich war für dich seit Jahren nur noch...


Rath, Theresa
Theresa Rath (*1991) wuchs in Neuss bei Düsseldorf als Tochter zweier Diplompsychologen auf. Schon früh begann sie, erste Geschichten und Gedichte zu verfassen. Nach dem Abitur zog sie zum Studium der Rechtswissenschaften nach Freiburg.
2009 erschien ihr erstes Buch „Kleines Mädchen mit Hut“ bei Periplaneta. Im Jahr 2012 veröffentlichte sie ebenfalls bei Periplaneta den Kurzgeschichtenband "Die Ketten, die uns halten."
2015 schloss sie ihr erstes juristisches Staatsexamen ab und verbrachte eine Zeit im Ausland. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland beendete sie im Jahr 2018 ihr juristisches Referendariat mit dem zweiten Staatsexamen. Danach arbeitete sie als Anwältin, bis sie sich entschloss, im Bereich des Klimaschutzes an einem Institut für Nachhaltigkeit zu promovieren. In diesem Rahmen veröffentlicht sie zahlreiche Aufsätze unter Beteiligung verschiedener Co-Autoren zu den Themen Klimawandel, Energiewende, Sozialrecht und Postwachstum.
Theresa Rath lebt seit 2015 in Berlin. Sie ist Mitglied der Lesebühne "Dichtungsring", die zweimonatlich in Berlin-Neukölln stattfindet.

raththeresa.wordpress.com



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