Rankov | Es geschah am ersten September (oder ein andermal) | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 520 Seiten

Rankov Es geschah am ersten September (oder ein andermal)


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-99047-018-3
Verlag: Wieser Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 520 Seiten

ISBN: 978-3-99047-018-3
Verlag: Wieser Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Es geschah am ersten September mitten in Europa - in der kleinen südslowakischen Stadt Levice. Dass aus Levice schon bald das ungarische Leva werden würde, ahnt zu Beginn der Handlung 1938 niemand, schon gar nicht die drei Schulfreunde, die sich nur für ihre Mitschülerin, die schöne Slowakin Mária interessieren. Da ist der Tscheche Jan, den es nach Palästina und dann nach Amerika verschlägt, was den Geheimdienst nicht hindert, ihm anhaltende Avancen zu machen; Peter, der mit ungarischen Wurzeln und dem schier unerschütterlichen Glauben an die Reformierbarkeit des Sozialismus ausgestattet ist, und der zuweilen etwas naiv agierende Gabriel, der sich nur dann als Jude fühlt, wenn jemand auf die Juden schimpft. Drei Freunde, ein Mädchen und dreißig Jahre europäischer Geschichte voller Umbrüche. Und immer wieder wird aus Lebenskonzepten ein nahezu ohnmächtiges Reagieren auf die Ereignisse jener Zeit: Krieg, kommunistischer Umbruch, Budapester Aufstand, Niederschlagung des Prager Frühlings...

Pavol Rankov: Geboren 1964 in der Hohen Tatra, studierte Bibliothekswissenschaften. Seit 1993 ist er an der Philosophischen Fakultät der Comenius Universität Bratislava tätig und arbeitet derzeit dort als Dozent für Informationswissenschaften. Von ihm erschienen sind bisher 4 Erzählbände, für seinen 2008 erschienenen Roman 'Es geschah am ersten September (oder ein andermal)' wurde er mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet und 2014 mit dem Mitteleuropäischen Literaturpreis Angelus der Stadt Breslau. Der Roman wurde bisher in 8 Sprachen übersetzt, 2011 erschien Rankovs zweiter Roman 'Mütter'. Der Autor lebt in Bratislava.

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Episode 1938
Ende der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts konnten sich nur wenige Kleinstädte in der Tschechoslowakischen Republik rühmen, ein eigenes Freibad zu besitzen. Levice gehörte dazu. Der erste September 1938 war ein sonniger Tag, und deshalb waren so gut wie alle im Freibad – Erwachsene mit Kindern und ohne Kinder, Jugendliche und Alte, Leute aus Levice und den umliegenden Dörfern, Ungarn, Slowaken, Tschechen, Juden, Zigeuner, die Familie des Deutschen Barthel und der Bulgare Rankov. Demokraten waren hier, Liberale, Konservative, Monarchisten, Sozialisten, Nationalisten, Kommunisten und Faschisten. Nur der Anarchist Varga war gerade in Spanien. Auch Peter, Honza und Gabriel fehlten im Freibad nicht. Die Augen wegen der stechenden Strahlen der Nachmittagssonne zukneifend, saßen sie auf der Betonmauer und ließen die Beine baumeln. Von Zeit zu Zeit spuckten sie den dicken Speichel aus, der sich in den ausgetrockneten Mündern sammelte. Sie freuten sich über die Freizeit am ersten Tag des neuen Schuljahres, an dem sie noch keine Hausaufgaben aufhatten, und sie bewunderten ihre Mitschülerin Mária Belajová. Die kleine Schönheit saß mit den Eltern und ihrem jüngeren Bruder Jurko nicht weit von ihnen entfernt. Gewöhnlich trug das Mädchen das Haar zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden, doch jetzt trocknete es in ungebändigten Strähnen an der Luft. »Haare, wie aus einem Honigstrahl gegossen«, schwelgte Honza, dessen richtiger Name Ján war, und der, wie alle tschechischen Jungen dieses Namens meist Honza gerufen wurde. Honza las hin und wieder Liebesromane, die sich seine Schwester kaufte. Der letzte trug den Titel Herzensbeben. Peter und Gabriel waren schon daran gewöhnt, dass ihr Freund sich von Dichtern Vergleiche ausborgte, mit denen er Márias Schönheit beschrieb. Sie selbst hätten es so treffend nicht ausdrücken können. Mária holte eine Pflaume aus der Tüte und legte sie sich mit ihren schlanken Fingern in den Mund. »Sie hat wunderbare Lippen«, seufzte Gabriel. »Dunkelrot sind sie … tiefrot«, suchte Honza nach dem richtigen Wort. »Nicht rot, vörös«, widersprach Peter. Gabriel verstand was sein Freund meinte, obwohl sich Peter wie so oft der Sprache seiner ungarischen Vorfahren bedient hatte. Rubinfarben. Während Mária kaute, spannte und lockerte sich die Haut ihres Gesichts. Dann holte sie tief Luft, schloss die Augen und spuckte gewandt den Kern aus. Er flog einen guten Meter und landete auf dem Scheitel ihres Bruders. »Mara, du blöde Kuh!«, kreischte Jurko auf und warf mit dem Kern nach Mária. Ohne den Kopf von ihrer Häkelarbeit zu heben, sagte Mutter Belajová ruhig: »Aber Kinder, seid gut zueinander.« »Sonst hau ich euch eins hinten drauf«, schob der Vater hinterher. Peter, Honza und Gabriel waren verliebt. Und ihnen war klar, dass am Ende nur einer Mária kriegen würde. »Wir können nicht gleichzeitig um sie kämpfen«, erläuterte Honza, »sie weiß, dass wir Freunde sind und denkt sonst sicher, wir veralbern sie.« »Butaság!«, entgegnete Peter, dann wiederholte er es noch einmal auf Slowakisch: »Blödsinn! Woher willst du wissen, was sie denkt?!« »Honza hat Recht«, grübelte Gabriel laut. »Wenn wir alle drei um sie herum scharwenzeln, wird sie sich in keinen verlieben. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, und wenn drei sich streiten, verlieren alle.« »Dann lasst es uns doch wie in der Schule machen, dem Alphabet nach«, schlug Honza vor, »Bízek Ján, Rónai Peter, Rosenberg Gabriel. Als Erster habe ich ein Jahr Zeit, Mária zu erobern. Wenn ich es nicht schaffe, kommt Peter an die Reihe …« »Nem, nem«, protestierte Peter, »kommt nicht in Frage, dass wir uns nach dem Alphabet richten. Wir müssen eine gerechte Methode finden, stimmt’s Gábor?!« »Nenn mich nicht immer Gábor!«, rebellierte Gabriel gegen die ungarische Variante seines Namens. »Ich hab’s dir schon hundert Mal gesagt.« »Entschuldigung!«, beschwichtigte ihn Peter. »Versucht doch einfach mal einen Moment nicht an euch zu denken, sondern an sie«, kehrte Gabriel in ruhigem Ton zum Thema zurück, »ein junges Mädchen braucht einen gereiften Mann an seiner Seite …« »Und das willst ausgerechnet du sein?!« Peters Stimme klang giftig. »Ich bin der Älteste von uns«, stellte Gabriel sachlich fest, doch für Honza war das kein Argument. »Ich bitte dich«, hielt er dagegen, »die paar Monate.« »In ein paar Tagen werde ich dreizehn und habe Bar Mitzwa«, blieb Gabriel beharrlich, »ich bin dann mündig, also praktisch erwachsen.« »Deine Bar Mitzwa ist nichts anderes als meine Firmung. Und die hatte ich schon vergangenes Frühjahr. Dir steht also erst noch bevor, was ich schon hinter mir habe«, echauffierte sich Peter. »Und? Wer ist nun mehr erwachsen, ha?« »Also meine Herren«, Honza machte eine kurze Pause und lächelte die Freunde überlegen an. Dann fuhr er fort, sich wie gewöhnlich einer Mischung aus Tschechisch und Slowakisch bedienend: »erwachsen ist derjenige, kdo muže súložit’, versteht ihr, also einer, der begatten kann wie ein echter Kerl. Ich hatte ganz vergessen, euch zu erzählen, dass es mir nachts schon gekommen ist. Als ich in den Ferien bei meiner Oma in Brno war. Zwei Mal schon.« Gabriel und Peter starrten Honza mit aufgerissenen Augen an. »Wie ist es?«, fragte Gabriel und schluckte laut. Honza suchte kurz nach den passenden Worten aus den schwesterlichen Romanheften: »Engelsgleich und teuflisch. Macht euch darauf gefasst, dass ihr durch den Himmel und die Hölle gleichzeitig gehen werdet. Euch wird schwindelig … Vor euren Augen werden sich bunte Regenbögen aufspannen.« Gabriel und Peter nickten andächtig. Honza schwieg einen Moment. Er ließ noch einmal wonnevoll Revue passieren, was er im Traum erlebt hatte. »So ein Organismus ist etwas Phantastisches«, schloss er. »Organismus?«, prustete Peter los. »Das heißt Orgasmus, du Trottel.« »Genau! Du kannst es ja noch nicht mal aussprechen«, pflichtete Gabriel dem Freund bei, »wir werden das sicher auch bald kriegen.« »Vielleicht aber auch nicht, vielleicht seid ihr ja impotent«, blieb Honza hartnäckig. »Ich bin nicht impotent, ich habe schon Haare«, rief Gabriel. »Ich bin auch nicht impotent«, brauste Peter auf. »Bis jetzt seid ihr impotente Kinder«, konstatierte Honza. »Bei Mária werde ich anfangen. Und wenn es mir nicht gelingt, dann kriegt als Nächster derjenige von euch eine Chance, der schon Spermien hat.« »Ist doch Mist«, widersprach Peter. »Das hängt nämlich nicht von den Spermien ab, sondern von …« »Von der Liebe«, kam ihm Gabriel zu Hilfe. »Guck dir Mária doch mal an, vielleicht hat sie ja auch noch keine Frauenblutungen. Ihre Brüste fangen ja gerade an zu wachsen.« »Aber sie hat mächtig schöne Brustwarzen«, seufzte Honza. »Die hast du doch noch gar nicht gesehen!«, wetterte Peter los. »Aber geträumt hab ich von ihnen. Und genau dabei ist es mir gekommen«, erläuterte Honza. »Deshalb weiß ich im Gegensatz zu euch, was das für ein Gefühl ist, mit Mária zu schlafen.« »Einen Scheiß weißt du, du bist das nur geträumt«, brauste Peter auf. »Du hast! Du hast das nur geträumt«, verbesserte Honza das Slowakisch seines ungarischstämmigen Freundes. »Ich könnte mir ja auch ausdenken, ich hätte geträumt wie ich Mária küsse und ausziehe. Und ich könnte hier und jetzt genauso behaupten, dass ich Spermien in den Eiern hab. Was für ein Orgasmus, engelsgleich, teuflisch, Himmel, Hölle …«, ahmte Gabriel den schwärmerischen Tonfall des Freundes nach. »Ihr seid neidisch«, bemerkte Honza trocken. »Und du machst uns möglicherweise etwas vor«, hielt Peter dagegen. »Jungs, lasst das jetzt mal beiseite.« Gabriels Stimme klang entschlossen. »Dann werden wir eben durch einen Wettbewerb entscheiden, wer bei Mária beginnt. Es muss etwas sein, wobei nicht von vornherein klar ist, wer gewinnt. Um die Wette zu laufen wäre...


Pavol Rankov: Geboren 1964 in der Hohen Tatra, studierte Bibliothekswissenschaften. Seit 1993 ist er an der Philosophischen Fakultät der Comenius Universität Bratislava tätig und arbeitet derzeit dort als Dozent für Informationswissenschaften. Von ihm erschienen sind bisher 4 Erzählbände, für seinen 2008 erschienenen Roman "Es geschah am ersten September (oder ein andermal)" wurde er mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet und 2014 mit dem Mitteleuropäischen Literaturpreis Angelus der Stadt Breslau. Der Roman wurde bisher in 8 Sprachen übersetzt, 2011 erschien Rankovs zweiter Roman "Mütter". Der Autor lebt in Bratislava.



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