Rangnick | Der Ahnhof | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Rangnick Der Ahnhof

Ein Allgäu-Krimi
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8437-0535-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Allgäu-Krimi

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0535-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Immer wieder verschwinden Frauen und Männer in der Nähe des alten Korbach-Hofes. Die seit Generationen dort ansässige Familie steht unter Verdacht, etwas mit den Vermisstenfällen zu tun zu haben. Beweise wurden nie gefunden. Als der Hof zum Verkauf steht, ahnen Journalist Robert Walcher und seine kauzig-liebenswerte Haushälterin Mathilde, dass die Auflösung der Fälle endlich näher gerückt ist. Sie beginnen zu recherchieren und stoßen auf eine Familiengeschichte, die über Generationen zahlreiche Opfer gefordert hat ? und bald geraten auch sie selbst in das Visier des Täters.

Joachim Rangnick, geboren 1947, ist studierter Grafiker und lebt in Weingarten. Heute widmet er sich ganz dem Schreiben. In seinen Kriminalromanen bringt sich Journalist Robert Walcher im beschaulichen Allgäu immer wieder in höchste Gefahr.
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1902

In der Fremde

In jenem Jahr wurde Kuba unabhängig, die Schweiz übernahm die deutschen Rechtschreibregeln, Eduard VII. wurde zum König von England gekrönt, und ein Reichstagsabgeordneter hielt eine Rede von acht Stunden – bis zum heutigen Tag die längste in einem deutschen Parlament.

John Steinbeck wurde im Frühjahr 1902 geboren, auch Reinhard Gehlen, Heinz Rühmann und Leni Riefenstahl, aber das interessierte damals noch niemanden. Da galt dem Tod des bayerischen Räubers Mathias Kneißl schon größere Anteilnahme. Mit zeitlicher Verzögerung erfuhr man auch von den 30000 Toten beim Ausbruch des Mont Pélé auf Martinique und dass bei Erdbeben in Guatemala und in Turkestan 7000 Menschen ihr Leben verloren hatten.

Was auch immer im Jahr 1902 in der großen weiten Welt geschah, der neunjährige Josef Wammer aus dem oberen Kreuztal im Allgäu wusste nichts davon. Eine Zeitung konnten sich Josefs Eltern nicht leisten, geschweige denn ein Radio. Außerdem sollten die ersten regelmäßigen Radionachrichten erst 20 Jahre später ausgestrahlt werden. Es dauerte zu jener Zeit also stets eine ganze Weile, bis sich die Kunde von bedeutsamen nationalen und internationalen Ereignissen im einfachen Volk verbreitete.

Josefs Füße taten weh, der Magen knurrte, aber das alles war nichts gegen dieses überwältigende Gefühl tiefer Traurigkeit. Am Morgen war er aufgebrochen, und mit jedem Schritt, den er sich weiter von seinem Elternhaus entfernte, wuchs die Last auf seinen Schultern und ließ ihn bald aussehen wie einen alten Mann. Zum ersten Mal in seinem Leben entfernte er sich von seiner gewohnten Umgebung – und dann auch gleich so unendlich weit. Bis nach Urlau, das vor Leutkirch lag, würde er stramm marschieren müssen, um gegen Mittag auf dem Hof vom Korbach-Bauern einzutreffen.

Die Sonne schien, Gottlob, denn die vergangenen Tage hatte es ununterbrochen in Strömen gegossen. Im Regen gehen zu müssen, davor hatte es Josef am meisten gegraut.

Seinen Durst konnte er an jedem Bach stillen, an dem er vorbeikam, aber das Hungergefühl blieb. Kaum außer Sichtweite des Elternhauses, hatte er gierig den Kanten Brot verschlungen, den ihm die Mutter zum Abschied zugesteckt hatte. Essbares einzuteilen hatte Josef nie gelernt. Zu viele Mäuler kämpften um das wenige, das auf den Tisch kam, und meist gewannen die Älteren. Raue Sitten herrschten bei armen Häuslern, da halfen auch die mahnenden Worte der Eltern nicht allzu viel.

Seine Mutter – wenn er nur an sie dachte, schnürte es ihm schon die Kehle zu. Wann würde es ein Wiedersehen geben? Auch nach der ältesten Schwester, der Gertrud, sehnte er sich bereits, obwohl er gerade mal eine Stunde von zu Hause fort war. Josef seufzte tief – es klang fast wie ein Schluchzer –, aber es half ja nichts.

Seit der dunkle Wald hinter ihm lag, war ihm weniger bang zumute, und er konnte etwas langsamer gehen. Selbst bei Tag spukten Josef die Geschichten durch den Kopf, mit denen die Alten den Jungen Furcht einflößten und sich so den nötigen Respekt verschafften. Es waren allesamt Geschichten, die einem Kind nicht nur in der Dunkelheit das Grauen einjagen konnten, und die Beklemmung legte sich wie eine Hand um seine Kehle.

Windstill war es zwischen den wuchernden Hecken, die Wege und Wiesenränder säumten. Es duftete nach den ersten Blüten, nach Wiese und nach feuchter Erde. Josef nahm die klobigen Holzschuhe in die Hände und ging barfuß weiter. Wenn er in eine Pfütze trat, presste sich bei jedem Schritt feiner Schlamm zwischen seinen Zehen hindurch. Das kitzelte und war ein so wunderbar erregendes Gefühl, dass Josef keine Pfütze ausließ.

Sein Vater hatte ihm die Schuhe geschnitzt, und sie waren viel zu wertvoll, um sie bei so gutem Wetter abzutragen. Außerdem scheuerten sie an einigen Stellen unangenehm, und die Haut brannte schon. Für einen guten Eindruck beim Bauern würde es genügen, die Schuhe kurz vor dem Ziel anzuziehen. Sie waren ohnehin nur für den Winter gedacht und für den Sonntag, wenn es in die Kirche ging. Sah man von den vielfach geflickten und abgetragenen beiden Hosen, Hemden, Unterhosen und dem Gesangbuch einmal ab, so waren die Schuhe sein wertvollster Besitz. 60 Mark, ein paar neue Schuhe, eine neue Hose und ein Hemd waren ihm als Lohn für sechs Monate versprochen worden, und dann natürlich noch das tägliche Essen. Vielleicht gab’s ja auch noch ein paar Kreuzer obendrauf. Er würde fleißig sein und ohne Murren alles tun, was ihm der Bauer anschaffte, das hatte sich Josef ganz fest vorgenommen. Es sollten ja reiche Bauersleute sein, bei denen er in Lohn und Brot käme, so hatte der Vater es gesagt.

Josef war so in seine Gedanken vertieft, dass er die drei Buben auf dem Weg erst dann bemerkte, als sie vor ihm standen.

»Waa willsch do, verschwind, odr willsch was auf’d Gosch?«, drohte der Kleinste und Fetteste von ihnen. Dazu streckten ihm alle drei armlange Holzknüppel entgegen, die sie hinter dem Rücken versteckt gehalten hatten.

Josef war kein ängstlicher Junge, immerhin war er mit sieben älteren Geschwistern aufgewachsen, aber sich gegen drei, mit Knüppeln bewaffnete Kerle wehren zu müssen, konnte ziemlich schmerzhaft werden. Außerdem waren sie alle um zwei, drei Jahre älter, größer und vermutlich kräftiger als er. Links und rechts vom Weg verhinderten Hecken die Flucht, also konnte er eigentlich nur den Rückzug antreten. Aber der Bauer erwartete ihn um die Mittagszeit. Josef überlegte nicht lange, zog den Kopf ein, preschte geradewegs auf die drei zu, schlug kurz vor ihnen einen Haken und stieß den links Stehenden zur Seite. Es gelang ihm auch vorbeizukommen, denn sein Angriff hatte den Fetten überrascht. Trotzdem hatte der ihn noch erwischt und Josef mit seinem Knüppel den Schuh aus seiner rechten Hand geschlagen. Einen kurzen Moment zögerte Josef, aber ein schmerzhafter Schlag auf den Rücken trieb ihn weiter. Es half nichts, er musste den verlorenen Schuh aufgeben.

Josef rannte, bis er schier keine Luft mehr bekam und das Seitenstechen so schmerzhaft wurde, dass er sich bücken und die Arme auf den Bauch drücken musste. Aber das Kriegsgeheul der drei verfolgte ihn immer noch in einiger Entfernung, und wären nicht die paar Häuser von Schmidsfelden vor ihm aufgetaucht, wer weiß? So aber keimte Hoffnung in Josef auf, denn so klein der Ort auch war, seine Peiniger würden sich nicht trauen, ihn dort auf offener Straße zu überfallen. Und wirklich, die drei blieben zurück und verhöhnten ihn nur noch aus der Ferne. Und als Josef einen Fuhrwerker nach dem Weg fragte und dabei hinter sich auf die drei deutete, sah er, dass die frechen Wegelagerer eilig in der Hecke verschwanden.

»Spring auf.« Der Fuhrmann deutete auf seinen leeren Wagen. »Muss nach Leutkirch, da liegt dein Urlau fast auf dem Weg.«

Dankbar kletterte Josef auf die Ladefläche, er war gerettet. Echte Freude empfand er dagegen nicht, denn innerhalb weniger Minuten hatte sich sein Besitz halbiert.

Bauer Korbach

Martin Korbachs Familie konnte auf eine lange Geschichte zurückblicken, und der Stolz, in grauer Vorzeit einmal zu den freien Bauern gehört zu haben, den »Freien auf Leutkircher Haid«, die nur dem Kaiser untertan waren, war tief im Familienbewusstsein verankert.

Die Vorfahren Korbachs ließen sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen, allerdings widersprach ihr Verhalten eindeutig dem christlichen Lehrsatz, nach dem nur das Gute auf Erden lange lebe. Seit Generationen haftete den Korbachs der Ruf an, Mensch gewordene Abbilder des Antichristen schlechthin zu sein. Und etwas weltlicher, aber vermutlich nicht weniger treffend beschrieb einer der Nachbarn das derzeitige Familienoberhaupt Martin Korbach als »die mit Abstand größte Drecksau des Haidgaus«.

Die Korbachs galten als brutal, falsch, tückisch, geizig und herzlos. Obendrein hatte ihre bekannte und gefürchtete Rachsucht so manches ihrer Opfer abgehalten, sich irdischer Gerichtsbarkeit anzuvertrauen. Martin Korbach setzte also nur die Familientradition fort. Selbst der Hof der Korbachs schien den Charakter seiner Besitzer widerzuspiegeln und strahlte Hochmut, Großmannssucht und Wehrhaftigkeit aus.

Als Josef sich dem Hof näherte, blieb er zunächst mit großen Augen und offenem Mund davor stehen. Da hatte ihn der Vater nicht angelogen: Er konnte stolz darauf sein, auf so einem prächtigen Hof arbeiten zu dürfen. Ein vergleichbares Anwesen kannte er nur von Schloss Neutrauchburg, aber das gehörte keinem Bauern, sondern dem Grafen von Waldburg-Zeil.

Weit abgelegen vom Dorf, in einer der Senken des sanften Hügellandes, stand das prächtige, ganz aus Stein gebaute Wohnhaus der Korbachs, gute dreißig Meter entfernt von den Ökonomiegebäuden. Die Fensterreihe des Hochparterres begann drei Meter über dem Boden und unterstrich durch die tiefen Laibungen den Eindruck, es handle sich um den unteren Teil eines Burgturms. Zu der wuchtigen, breiten Haustür führte eine Freitreppe hinauf, die links und rechts von mächtigen Walnussbäumen flankiert wurde. Der Hausgarten lag linker Hand, geschützt durch einen hohen schmiedeeisernen Zaun, und rechter Hand stand das langgestreckte Stallgebäude mit Tenne, Heustock und Milchkammer. Über die gesamte Vorderfront reckte sich schützend ein tiefes Vordach, unter dem einige Heuwagen gleichzeitig Platz fanden, und auf der rechten Seite führte eine breite, mit Holunderbüschen bewachsene Erdrampe hinauf zum Heuboden. Eine hohe Gerätescheune mit zwei offenen Torbögen, ein gemauerter Schweinestall mit unterteilten Suhlplätzen, ein Hühnerhof mit...


Rangnick, Joachim
Joachim Rangnick, geboren 1947, ist studierter Grafiker und lebt in Weingarten. Heute widmet er sich ganz dem Schreiben. In seinen Kriminalromanen bringt sich Journalist Robert Walcher im beschaulichen Allgäu immer wieder in höchste Gefahr.

Joachim Rangnick, geboren 1947, ist studierter Grafiker und lebt in Weingarten. Heute widmet er sich ganz dem Schreiben. In seinen Kriminalromanen bringt sich Journalist Robert Walcher im beschaulichen Allgäu immer wieder in höchste Gefahr.



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