Rahner | Von der Not und dem Segen des Gebetes | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Rahner Von der Not und dem Segen des Gebetes


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-451-82242-1
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-451-82242-1
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
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Dass Karl Rahner, der Ausnahmetheologe des 20. Jahrhunderts, nicht nur wissenschaftliche Fachbücher, sondern auch fromme Meditationsliteratur im besten Sinne des Wortes schreiben konnte, zeigt sein Bändchen 'Von der Not und dem Segen des Gebetes'. Aus verschiedenen Perspektiven nähert sich Rahner dem Geheimnis christlichen Betens. Die Neuausgabe bietet neben einem Vorwort von P. Anselm Grün, der über Karl Rahner promovierte, auch eine Einleitung ins Werk des Rahner-Experten Hubert Biallowons.

Karl Rahner, (1904-1984), bewirkte als katholischer Dogmatiker in Innsbruck, Wien, Pullach, München und Münster mit seinem umfangreichen Werk (mehr als 30 Bücher; mehr als 4000 bibliografische Eintragungen) und seinem Engagement vor, während und nach dem II. Vatikanischen Konzil eine weitgehende Umorientierung des katholischen Denkens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In philosophischer Gründlichkeit, wissenschaftlicher Stringenz und getragen von persönlicher, sich auch in seinen Werken dokumentierender Frömmigkeit wagte er das freimütige, nur dem eigenen Gewissen verpflichtete theologische Wort und bewies darin ein 'sentire cum ecclesia', das nicht nur das Mitdenken für die Zukunft der Kirche suchte, sondern ein existenzielles Mitfühlen und Mitleiden wurde.
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Von der Not und dem Segen des Gebetes


Die Öffnung des Herzens


Der Mensch tut sehr viele Dinge, die sehr verschieden sind. Es ist ihm nicht gegeben, immer nur eines zu tun, obwohl er eine geheime, vielleicht nur uneingestandene und nur halbbewusste Sehnsucht in sich trägt, ein Einziges, und dies immer, zu tun, etwas, das alles in einem und der Mühe, der letzten Kraft und Liebe des Herzens wert ist. Der Mensch muss vieles tun. Aber nicht alles, was er tut, ist von gleichem Rang und gleicher Würde. Es kann etwas »wichtig« sein, weil es unvermeidlich ist. Und das wirklich Wichtige und Notwendige kann sehr leicht vermieden und vergessen werden. Was alle tun und keiner lassen kann, muss doch nicht unbedingt das Höchste sein. Wenn der Mensch bei Gott ist in Ehrfurcht und Liebe, dann betet er. Dann vollbringt er zwar nicht alles in einem, weil ihm, dem Endlichen, dies nie in diesem Leben möglich ist. Aber er ist wenigstens bei dem, der alles in einem ist, und er tut darum etwas vom Wichtigsten und Notwendigsten. Etwas, das nicht alle tun. Denn gerade weil es zum Notwendigsten gehört, ist es auch das Freieste, das Vermeidbarste, dasjenige, das nur ist, wenn wir es in immer neuer Liebe frei tun, und sonst nicht. Darum aber geschieht es selten. Es ist dem Menschen schwer. Er muss darum sich immer wieder besinnen, was eigentlich Gebet sei, und er darf nicht warten, bis es von selbst geschieht. Eine Besinnung auf das Wesen und die Würde des Gebetes kann zum Antrieb werden, wenigstens das eine Gott zu sagen: Herr, lehre uns beten!

Aber wissen wir denn nicht alle, was Gebet ist, können wir denn nicht alle beten, kann es sich also eigentlich um etwas anderes handeln als um die Aufforderung und Ermahnung, das auch wirklich zu tun, was wir wissen und können? So einfach und selbstverständlich ist das nicht. Wir wissen wirklich oft nicht, was Gebet ist, und wir können es darum auch oft nicht. Denn es gibt Dinge des Menschen, Taten des Herzens, von denen jeder glaubt, er kenne sie, weil alle davon reden, er kenne sie, weil sie doch offenbar sehr einfach sind. Aber die selbstverständlichsten und einfachsten Taten des Herzens sind die schwersten, und nur langsam lernt sie der Mensch. Und wenn er sie am Ende seines Lebens kann, dann war sein Leben gut, köstlich und gesegnet. Und zu diesen Taten des Herzens, den einfachsten und schwersten zugleich, gehören die Güte, die Selbstlosigkeit, die Liebe, das Schweigen, das Verstehen, die wahre Freude – und das Gebet. Nein, es ist wirklich nicht leicht, zu wissen und zu verstehen, was Gebet ist. Vielleicht hat es ein Mensch einmal gewusst oder gekonnt, zu einer Zeit, wo das arme Herz noch nicht so abgenutzt war durch die Bitterkeiten und die Freuden des Lebens, so wie er vielleicht einmal einer reinen Liebe fähig war. Aber dann ist allmählich etwas ganz anderes geworden, ohne dass der Mensch es merkte – so wie aus Liebe Gewohnheit und vielleicht ein Egoismus zu zweien wird –, und dieser Mensch meinte immer noch, er bete. Und dann gab er es entweder auf, enttäuscht und gelangweilt, weil, wie er langsam merkte, das, was er jetzt treiben würde, ja wirklich sich nicht mehr zu tun lohnte. Oder er »betete« weiter (wenn man noch »Gebet« nennen könnte, was er tat), und es ist wie ein Gang auf ein Amt: Man hat dort entweder etwas zu bezahlen oder etwas zu erhalten, und so geht man eben hin, in Gottes Namen: Man braucht etwas vom lieben Gott, und so bittet man eben darum; man will es mit ihm nicht verderben, und so tut man eben seine Pflicht, man macht ihm gewissermaßen seine Aufwartung (nicht zu lang; was da zu sagen ist, das ist ja wahrhaftig bald gesagt, und schließlich muss doch auch Er einsehen, dass man nicht viel Zeit und Wichtigeres zu tun hat). Und dieses Ansuchen beim obersten Amt der Weltregierung (man hat den Eindruck, dass es sich reichlich lange bitten lässt und nur sehr mäßig funktioniert) und diese offizielle Aufwartung beim obersten Regenten der Welt, bei dem man nicht in Ungnade fallen will (weil das jedenfalls im Jenseits nach dem Tod, man kann nicht wissen, gefährlich werden könnte), nennt man – Gebet. Ach Gott, es ist kein Gebet, sondern die Leiche und Lüge eines Gebetes.

Aber was ist denn eigentlich Gebet? Das ist schwer zu sagen. Und am Ende werden wir viel davon geredet und noch immer wenig davon gesagt haben. Zuerst sei vom Gebet nur etwas ganz Einfaches gesagt, etwas sehr Selbstverständliches, was so ganz am Anfang des Gebetes steht, das wir meistens übersehen: Im Gebet öffnen wir unser Herz für Gott. Um das zu verstehen, mit dem Herzen und nicht bloß mit dem Kopf zu verstehen, muss somit von zwei Dingen gesprochen werden: vom verschütteten Herzen und von der Öffnung des Herzens.

Die Geschehnisse, die sich handgreiflich im äußeren Leben ereignen, eindeutig und unübersehbar, sind, wenn man sie durchschaut, eigentlich oft nur ein Zeichen und ein Sinnbild, ein nach außen geworfener Schatten von Dingen, die sich im Herzen begeben, vielleicht schon lange begeben haben, und jetzt, ohne dass es die Menschen auch nur ahnen, nach ihrem verborgenen Wesen plötzlich auch die äußere Wirklichkeit des Menschen gestalten. Und dann kann der Mensch plötzlich in diesem äußeren Vorgang und Geschehnis den verborgenen Zustand seines Herzens wie im Spiegel anblicken. Und wenn er dieses sein Spiegelbild erblickt und wissend wird, dass er eigentlich in diesem Ding da draußen sich selber anblickt, dann erschrickt dieses schaudernde und wissende Herz vielleicht tödlich über sich selbst.

Erinnert ihr euch an die Nächte im Keller, an die Nächte der tödlichen Einsamkeit inmitten qualvollen Menschengedränges, an die Nächte der Hilflosigkeit und des Wartens auf den sinnlosen Tod, an die Nächte, wo die Lichter erlöschen, wo das Grauen und die Ohnmacht ans Herz greifen, wo man den Mutigen und Unbefangenen mimt und wo einem die eigenen harmlos kecken und tapfer gefassten Worte so eigentümlich hölzern und leer klingen, einem gleichsam schon sterben, bevor sie den anderen gefunden haben, wo man es dann aufgibt, wo man dann schweigt, wo man nur noch hoffnungslos wartet auf das Ende, den Tod? Einsam, ohnmächtig, leer. Und wenn dann der Keller wirklich verschüttet wird, dann – ist das Bild des Menschen von heute fertig. Denn so sind wir Menschen von heute, auch wenn wir aus den verschütteten Kellern wieder herausgekrochen sind, auch wenn der Alltag wieder angefangen hat, auch wenn man es wieder versucht, sich die Pose des Mutigen und Lebensfrohen zu geben (ach, wie ist diese Pose doch im Grunde so zum Weinen seltsam, dieses Theater, das wir uns und anderen vorspielen wollen). Wir Menschen von heute sind noch immer die Verschütteten, weil wir als solche eigentlich schon in das äußere Schicksal hineingegangen sind, weil das äußere Schicksal – bei Gott, es ist so, auch wenn es noch so fantastisch und romantisch klingt – doch nur der Schatten der Ereignisse ist, die sich in den Tiefen der Menschen begeben haben: dass nämlich die Herzen verschüttet sind.

Denn sagt selbst: Wie steht es mit unserem Herzen? Seht, dieses Herz, unser Herz, wenn es Gott noch nicht wirklich befreit hat in seine eigene unendliche Freiheit hinein, ist jener inwendige Punkt in unserem Wesen, wo die Endlichkeit, die Qual, die Hoffnungslosigkeit, die Alltäglichkeit unseres Menschseins sich ihrer selbst bewusst werden und sich in sich selbst verzehren. Das ist eigentlich unser Herz: das Herz der Toren, das Herz der Bitteren, das Herz der Verzweifelten. Wir können diesem Gefängnis unseres Herzens nicht entfliehen. Der Mensch kann zwar – wörtlich oder bildlich – auf Reisen gehen, er kann sich in die Arbeit stürzen, er kann sich dem Vergnügen weihen, er kann es mit dem Trost durch andere Menschen versuchen, er kann auf tausend Wegen und mit abertausend Mitteln sich betäuben, damit er jenes immer still, unerbittlich bohrende Bewusstsein übertäube, das Bewusstsein der Einsamkeit, der Ausweglosigkeit und der Nichtigkeit des Irdischen. Aber diese ewige, hastige und verzweifelte Flucht ist umsonst: Plötzlich merkt der Mensch doch wieder, dass er gar nicht fortgekommen ist, dass es ihm geht wie einem scheinbar Gesunden und doch unheilbar Kranken, der sein Todesurteil eigentlich schon vernommen hat und mitten in einer fröhlichen Zerstreuung, wo die alte Lebenslust und Freude aufwallen will, als sei nichts geschehen, durch einen kleinen leisen Schmerz daran erinnert wird, dass ja alles eigentlich schon vorbei und hoffnungslos ist. Oh, der Mensch kann hingehen, wohin er will, kann Ausweichlager seines Glückes schaffen, wo er will, kann sich in die ganze Welt zerstreuen, plötzlich merkt er wieder, dass er nur hastig im Kerker seines Lebens herumlief, dass er aus einem Loch seines verschütteten Kellers ins andere kroch und dass sich dabei alles in der einen Gefangenschaft abspielte, dass er verhaftet bleibt, verhaftet bleibt in und an die Endlichkeit, an die Vergeblichkeit, an den Alltag, an die Enttäuschung, an das Gerede, an die Erbärmlichkeit, an die hoffnungslosen Versuche, die wir das menschliche Leben nennen. Gewiss, es gibt Menschen, die gleichsam harmlos und unbesorgt im Keller des Hauses ihres Lebens sitzen; sie zehren noch vergnügt an ihren Vorräten, sie unterhalten sich vielleicht noch angeregt, sie lieben vielleicht noch und schmieden Pläne – und sie haben noch nicht gemerkt, dass der Eingang ihres Kellers schon eingestürzt und verschüttet ist. Eingestürzt, weil über allem der Tod und hinter allem das Ende steht. Aber über kurz oder lang wird auch der »lebensfreudige«, der »optimistische« Mensch merken, wie es eigentlich um den irdischen Menschen steht. Und die anderen haben es schon gemerkt, was es eigentlich mit dem Menschen auf sich hat, mit dem Menschen, in...


Karl Rahner, (1904–1984), bewirkte als katholischer Dogmatiker in Innsbruck, Wien, Pullach, München und Münster mit seinem umfangreichen Werk (mehr als 30 Bücher; mehr als 4000 bibliografische Eintragungen) und seinem Engagement vor, während und nach dem II. Vatikanischen Konzil eine weitgehende Umorientierung des katholischen Denkens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In philosophischer Gründlichkeit, wissenschaftlicher Stringenz und getragen von persönlicher, sich auch in seinen Werken dokumentierender Frömmigkeit wagte er das freimütige, nur dem eigenen Gewissen verpflichtete theologische Wort und bewies darin ein "sentire cum ecclesia", das nicht nur das Mitdenken für die Zukunft der Kirche suchte, sondern ein existenzielles Mitfühlen und Mitleiden wurde.



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