Ragde | Mord in Spitzbergen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Ragde Mord in Spitzbergen

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-14148-6
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-641-14148-6
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gequält von Liebeskummer, bucht die junge Bea kurzentschlossen eine Kreuzfahrt durch die kalte und unwirtliche Inselgruppe von Spitzbergen. Doch sie kommt nicht zur Ruhe, denn unter den Passagieren befindet sich auch ihre ehemalige Klassenlehrerin, die ihr als Kind übel mitgespielt hat. Von Rache besessen, merkt Bea fast zu spät, wie explosiv die Stimmung unter den Mitreisenden ist. Hoch oben in den ewigen Weiten des Eismeers entladen sich schließlich die Spannungen auf mörderische Weise ...

Anne B. Ragde wurde 1957 im westnorwegischen Hardanger geboren. Sie ist eine der beliebtesten und erfolgreichsten Autorinnen Norwegens und wurde mehrfach ausgezeichnet. Mit ihren Romanen 'Das Lügenhaus', 'Einsiedlerkrebse' und 'Hitzewelle' gelang ihr einer der größten norwegischen Bucherfolge aller Zeiten. Nachdem Anne B. Ragde zunächst angekündigt hatte, die Lügenhaus-Serie nicht weiterzuschreiben, erscheint nach 'Sonntags in Trondheim' und 'Die Liebhaber' mit 'Rückkehr' das große Finale der auch in Deutschland gefeierten Buchserie.
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»O verdammte miese Pest«, flüsterte ich und heulte los. Georg. Ich mußte Georg holen.

»Der hat das Rückgrat gebrochen. Holt Georg!« rief Sigmund aus dem Brückenfenster. Ich rannte die Treppe hinunter, stolperte, mußte mich am Geländer anklammern, um nicht bis nach unten zu fallen.

»Georg. GEORG!« Ich riß die Tür auf und schüttelte ihn.

»Hä? Was ist los? Gehen wir unter?«

»Ein Bär! Und der ist krank. Du mußt ... ich glaube, du mußt ...«

»Immer mit der Ruhe, Frauenzimmer ... du bist ja schlimmer als eine Italienerin. Was ist passiert? Ich dachte, du wolltest ... siehst du nicht, wie sauber mein Bettzeug ist?«

»GEORG! LASS DEN SCHEISS! Steig in deine Hose und komm.«

Statt an meinen Aussichtsplatz am Bug zurückzukehren, lief ich auf die Brücke. Ich wollte nicht weinen. Ich mußte die Sache so gut wie möglich hinter mich bringen. Sigmund stand am Funkgerät.

»Dann weckt ihr sie eben«, sagte er. »Over und aus.«

»Mit wem redest du?«

»Ich muß mit der Regierungsbevollmächtigten reden. Muß die Erlaubnis einholen, den Bären zu erschießen.«

»ERLAUBNIS? Aber ... der hat doch das Rückgrat gebrochen. Hast du nicht gesagt, er hätte das Rückgrat gebrochen?«

»Doch.«

»Dann brauchst du doch wohl keine Erlaubnis!«

»Doch. Die Antwort kommt sicher bald.«

»Aber Himmel, selbst wenn der unter Naturschutz steht ...«

»Wir brauchen trotzdem die Erlaubnis. Sonst gibt es nur Ärger. Nur Ärger. Wenn wir die anderen nicht geweckt hätten, dann hätten wir vielleicht ... Nein, irgendwer hätte den Schuß gehört, und dann wäre das ganze Theater wieder losgegangen.«

Der Bär hatte sich auf die andere Seite der Eisscholle geschleppt. Wackelte mit dem Kopf. Brüllte wieder, zeigte einen rosa Schlund. Seine Vorderpfoten wanderten immer wieder seitwärts, sein Hinterleib aber lag unbeweglich da. Der Bär bewegte sich im Kreis, der Schwanzansatz bildete das Zentrum. Ich kehrte ihm den Rücken zu. Wartete auf Georg.

»Der ist sicher zwischen zwei Eisschollen geraten«, sagte Sigmund. »Vielleicht bei der Seehundsjagd.«

Georg kam auf die Brücke und griff zum Fernglas.

»O verdammt«, sagte er leise. »Hast du schon mit Longyear gesprochen?«

»Ja«, antwortete Sigmund. »Die Antwort kann jeden Moment eintreffen.«

Die kleine Menschengruppe am Bug stand ganz still da. Niemand fotografierte. Jean hatte den Arm um Dana gelegt. Sie weinte und zitterte.

Das ist Natur, dachte ich, sieh dir die Natur gut an, Dana. Sieh doch nur, wie schön hier alles ist. Mitternachtssonne und ganz stilles Polarmeer. Eis in schönen Farbschattierungen.

In dem Moment knisterte das Funkgerät.

Die Erlaubnis wurde nicht erteilt. Die Naturschutzgesetze ließen sich angeblich nicht umgehen. Die Natur sollte ihren Gang gehen. Ich folgte Georg. Er fluchte auf dem ganzen Weg zum Schuppen, in dem der Sack mit dem Seehundsspeck lag, bei jedem Schritt kam ein neuer Fluch. Siebzehn Menschen standen fröstelnd am Bug, während Georg und ich den Sack aus dem Schuppen zerrten. Georg zog, weiterhin fluchend, seine Handschuhe an.

»Verdammte plattfüßige Bürokraten, bohren sich hinter ihren Schreibtischen in der Nase, die sollten wir in Stücke hacken und ihm hinschmeißen. Oder denen das Rückgrat brechen, sie auf eine Eisscholle legen und tschüß. Verdammte Scheiße ...«

Er richtete sich gerade auf und rief Sigmund leise zu: »Leg sie langsam seitwärts ... nicht voll auf ihn zu. Ich will nicht, daß er vor Angst von der Scholle rutscht!«

Ich öffnete den Sack. Schwerer Fettgestank schlug mir entgegen. Wir schleppten den Sack an die Reling. Ich hockte mich hin und öffnete den Sack so weit, daß der Inhalt offen dalag und leicht zu fassen war. Das Seehundsfell war grau mit schwarzen Flecken, die Haare glänzten feucht, ich mußte an meine Stiefel denken. Der Speck war gelbweiß mit dünnen Blutstreifen.

Georg stand bereit. In kräftigen, blitzschnellen Würfen beförderte er den Inhalt des Sacks über die Reling, als wir an der Eisscholle vorbeifuhren. Ich blieb weiter in der Hocke. Horchte auf das Gebrüll. Glotzte das blutige Wasser an, das unten im leeren schwarzen Plastiksack herumschwappte.

»Hast du getroffen?« fragte ich.

»Ja, zum Henker!« Dann rief er zu Sigmund hoch: »Jetzt machen wir, daß wir hier wegkommen, verdammte Axt!«

Und der stummen Menschenschar am Bug rief er zu: »Seht ihr jetzt, wozu ein toter Seehund gut ist?«

In der nächsten Stunde steigerte sich der Alkoholkonsum um einiges. Dem Kalben im Magdalena-Fjord war spontane Katastrophenpsychologie gefolgt, jetzt aber schwiegen alle. Jetzt, wo wir wirklich das Bedürfnis gehabt hätten, über alles zu reden. Statt dessen tranken wir. Alle, außer Per und Pia, die sich ein Mineralwasser teilten. Lena schmierte Brote, die niemand essen mochte.

»Oscar«, sagte ich. »Du als Psychologe. Sag was Kluges!«

»Keine Ahnung, was das sein könnte«, antwortete er.

»Was ist mit dir, Per? Pia?«

»Wir sollten wohl bald ins Bett gehen, uns an Georgs Beispiel halten.«

»Alles klar«, sagte ich. »Dann sage ich etwas.«

Ich sprang auf und rief durch die Messe. »Die Regierungsbevollmächtigte ist ein Arsch! Seid ihr da nicht meiner Meinung?«

Alle nickten, nur Samuel nicht, er sagte: »Die müssen sich doch an ihre Regeln und Gesetze halten. Ein Tier, das unter Naturschutz steht ... uns steht es nicht zu, Leute anzuklagen, weil sie sich an ein Gesetz halten, das ...«

»Aber sicher steht uns das zu«, widersprach ich. »Aber ja! Die Regierungsbevollmächtigte ist ein Arsch! Die Regierungsbevollmächtigte ist ein Arsch! Wir können ein Lied daraus machen!«

Ich improvisierte mit lauter falschen Tönen: »Ein Arsch! Ein Arsch, tralalalala!«

Oscar lächelte schwach, und das taten auch Nuno und Sao.

»Immerhin hat er was zu essen bekommen«, sagte Jean. Frikk starrte mit nassen Augen seinen neuen Eisbärenpullover an. Turid saß vor dem dritten Cognac, ich hatte gezählt. Izu ließ ihren Tränen freien Lauf und wischte sie auch nicht ab.

»Dieser arme, arme Eisbär«, stöhnte Dana. »Und er war so wunderschön ... «

»Ja, los, raus damit«, sagte ich und hob das Glas mit viel Gin und wenig Tonic. »Auf den Teddy! Unser erster Eisbär! Cheers! A votre sante!«

»Du bist betrunken«, sagte Oscar.

»Ja, Gott sei Dank«, erwiderte ich. »Und jetzt will ich eine Tomate, dann gehe ich ins Bett.«

Er schlief schon. Ich legte meine Kleider in die obere Koje und stieg zu ihm ins Bett, und dabei schnupperte ich an seinem Brustkasten.

Der kleine Vorhang vor dem Bullauge war vorgezogen, aber es gab doch so viel Licht, daß ich auf seiner Brust graue Haare sehen konnte. Ich fuhr mit den Händen über seinen Körper, er schmatzte im Schlaf. Es war ein starker, fester Körper, auch am Bauch. Er war blaß, aber im Halbdunkel erkannte ich unten an seinem Hals den scharfen Übergang von weißer zu wettergegerbter Haut.

»Georg«, flüsterte ich. »Georg!«

Er wurde etwas wacher. »Ach was, da bist du ja ...«

Er streichelte mein Gesicht. »Du hast geweint.«

Ich nickte und begrub mein Gesicht an seinem Oberarm.

Er nahm mich in den Arm und drückte mich an sich. »Jetzt schlafen wir, du und ich«, flüsterte er. »Eins nach dem anderen.«

Per ging gerade durch den Flur, als ich aus der Kajüte kam.

»Himmel«, sagte er.

»Selber Himmel«, erwiderte ich und trottete barfuß zu meiner eigenen Kajüte. Ich mußte mich an den Wänden abstützen. Das Boot schlingerte heftig. Alles dröhnte. Die Bücher tanzten hinter dem Glas durch den Bücherschrank. Das Klavier zitterte.

»Er wird langsam sauer«, hatte Georg gesagt.

Langsam sauer? Das Wetter schien ausgesprochen wütend zu sein. Schlimmer konnte es unmöglich werden.

Eis donnerte gegen den Bug, wenn er sich in ein Wellental stürzte. Alles, was auf meiner Kommode gestanden hatte, hatte sich jetzt gleichmäßig auf dem Boden verteilt. Zahnbürste und Zahnpasta waren ins Waschbecken gefallen. Der Koffer war unter dem Bett hervorgerutscht, ich stellte ihn hochkant in den Schrank. Das Bullauge zeigte ein weißes Chaos aus brechenden Eisschollen und brausender Gischt. Ein brennender Schmerz machte sich in meinem Zwerchfell breit.

Mir war aufgefallen, daß Ola und Bjørn und auch noch andere hinter dem Ohr ein kleines Pflaster sitzen hatten, sicher ein Mittel gegen Seekrankheit. Ich durchwühlte meine Sachen, bis ich die Magentabletten gefunden hatte, dann spülte ich zwei mit einem Schluck Cognac hinunter. Den Kleinkram stopfte ich in die Kommode und sicherte die Schublade mit den Haken.

Der Frühstückstisch war gedeckt, aber der Käse lag auf dem Boden, obwohl die Teller von der Gummimatte an Ort und Stelle festgehalten wurden. Die Thermoskannen waren mit Schnur an der Wand befestigt. Die Messe war fast leer. Jean und Philippe saßen mit bleichem Schnabel da und tranken Tee. Per knabberte an einem Apfel und schaute aus dem Bullauge. Georg stand breitbeinig mitten im Raum und aß Haferbrei mit Milch und Marmelade. Er grinste mich mit breiverschmiertem Schnurrbart an.

»Ich hab so ein komisches Gefühl im Bauch«, sagte ich. »Es brennt ... «

»Dann mußt du was essen, Mädel. Schade, daß wir keine Ananas haben.«

»Ananas?«

»Verdammt gut, wenn du seekrank wirst. Ananas schmeckt nämlich genauso, wenn sie wieder rauskommt.«

Ich schluckte und bückte mich nach dem Käse. Das war...


Ragde, Anne B.
Anne B. Ragde wurde 1957 im westnorwegischen Hardanger geboren. Sie ist eine der beliebtesten und erfolgreichsten Autorinnen Norwegens und wurde mehrfach ausgezeichnet. Mit ihren Romanen »Das Lügenhaus«, »Einsiedlerkrebse« und »Hitzewelle« gelang ihr einer der größten norwegischen Bucherfolge aller Zeiten. Nachdem Anne B. Ragde zunächst angekündigt hatte, die Lügenhaus-Serie nicht weiterzuschreiben, erscheint nach »Sonntags in Trondheim« und »Die Liebhaber« mit »Rückkehr« das große Finale der auch in Deutschland gefeierten Buchserie.

Haefs, Gabriele
Dr. Gabriele Haefs studierte in Bonn und Hamburg Sprachwissenschaft. Seit 25 Jahren übersetzt sie u.a. aus dem Dänischen, Englischen, Niederländischen und Irischen. Sie wurde dafür u.a. mit dem »Gustav-Heinemann-Friedenspreis« und dem »Deutschen Jugendliteraturpreis« ausgezeichnet, zuletzt 2008 mit dem Sonderpreis des »Deutschen Jugendliteraturpreises« für ihr übersetzerisches Gesamtwerk. Sie hat u.a. Werke von Jostein Gaarder, Camilla Grebe und Anne Holt übersetzt. Zusammen mit verschiedenen Kolleginnen hat sie mehrere Anthologien skandinavischer Schriftsteller herausgegeben.



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