Ragde Ich werde dich so glücklich machen
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-10475-7
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-641-10475-7
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Trautes Heim, Glück allein? Eigentlich könnte das Leben in der Neubausiedlung am Rande Trondheims nicht angenehmer sein: Die Zeit des Nachkriegsmangels ist endgültig vorbei, die Wohnungen bieten modernen Komfort; und Tütensuppen, Staubsauger und Tiefkühltruhe erleichtern den Hausfrauen den Alltag. Doch was tun mit der neugewonnenen Freiheit? Mal sehen, was die Nachbarn treiben - schließlich muss man doch informiert sein, was unter dem eigenen Dach so vor sich geht. Putzt Frau Åsen aus dem Erdgeschoss etwa schon wieder die Treppe im ersten Stock? Muss der Sohn von Rudolfs seine Musik so laut aufdrehen? Und was treibt eigentlich die unverschämt gutaussehende Peggy-Anita Foss aus dem Dritten, wenn ihr Mann auf Geschäftsreise ist?
Anne B. Ragde wurde 1957 im westnorwegischen Hardanger geboren. Sie ist eine der beliebtesten und erfolgreichsten Autorinnen Norwegens und wurde mehrfach ausgezeichnet. Mit ihren Romanen 'Das Lügenhaus', 'Einsiedlerkrebse' und 'Hitzewelle' gelang ihr einer der größten norwegischen Bucherfolge aller Zeiten. Nachdem Anne B. Ragde zunächst angekündigt hatte, die Lügenhaus-Serie nicht weiterzuschreiben, erscheint nach 'Sonntags in Trondheim' und 'Die Liebhaber' mit 'Rückkehr' das große Finale der auch in Deutschland gefeierten Buchserie.
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So gutes Wasser
Sie wollte doch nur helfen. Sie machte gern sauber, machte sich gern nützlich. Sie mischte gern das Seifenpulver ins Wasser, blickte gern in den sauberen Schaum, der sich im Plastikeimer bildete. Danach empfand sie die Befriedigung, ungeheuer schmutziges Wasser auszugießen. Je schmutziger das Wasser war, umso bessere Arbeit hatte sie geleistet. Deshalb freute sie sich immer, wenn sie in den Schaum schaute, während das Wasser in den Eimer strömte und der Salmiakdunst verheißungsvoll in Nase und Augen brannte. Außerdem hatte sie noch dazu die Zeit, sich es hier in ihrem Treppenhaus behaglich zu machen, da sie und Egil keine Kinder hatten.
Sie konnte es nicht fassen, dass es als persönliche Beleidigung betrachtet wurde, wenn sie die Treppe bis zum ersten Stock hinauf putzte, obwohl sie dazu nicht verpflichtet war. Natürlich war es unten bei ihnen immer am schmutzigsten, da sie nun einmal im Erdgeschoss wohnten und alle an ihrer Tür vorbeikamen. Und wenn sie sich trotzdem die Mühe machte und weiter nach oben putzte … Wieso begriffen die nicht, dass sie das aus purer Nettigkeit tat? Das konnte sie einfach nicht verstehen. Schon als Kind hatte sie gelernt, dass zusätzliche Arbeit geschätzt wurde. Das Unerwartete daran, dass sie sich größere Mühe gab als unbedingt nötig. Für sie ging es fast ein wenig um Liebe oder jedenfalls um Fürsorge. Aber in diesem Treppenhaus konnte von Fürsorge wohl kaum die Rede sein.
Fast niemand wischte sich vor dem Betreten des Treppenhauses die Schuhe ab, egal welches Wetter draußen war, obwohl sie jeden einzelnen Tag einen sorgfältig zusammengefalteten Wischlappen gleich neben die Haustür legte. Die Kinder waren am schlimmsten. Und der Briefträger natürlich. Aber der musste ja durch so viele Treppenhäuser hier in der Siedlung und hatte bestimmt keine Zeit, der Arbeit anderer Respekt zu erweisen. Und dann waren da die schmutzigen Kinderwagenräder des jungen Paares von gegenüber, die junge Mutter stellte den Wagen immer unter den Briefkästen ab, obwohl sie ihn doch wirklich die paar Stufen zu ihrer Wohnung hätte hochziehen können. Und sie putzte nie, ganz einfach nie.
Aber vielleicht würde es eines Tages passieren, dass Frau Rudolf aus dem ersten Stock doch noch ein schlichtes »Danke« für sie übrig hatte. Man durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Dass sie sich eines Tages darüber freuen und nicht mehr glauben würde, die Nachbarin putze die Treppen, um ihr eins auszuwischen.
Und sie war fast beim Treppenabsatz des ersten Stocks angekommen, als Frau Rudolfs Wohnungstür geöffnet wurde und der Geruch von gekochtem Kohl herausströmte, der sogar stärker war als der von grüner Seife mit Salmiak.
»Wie ist es möglich?«, sagte Frau Rudolf. »Schon wieder?«
»Ich hatte nur gerade so gutes Wasser«, sagte Frau Åsen ohne aufzublicken. Sie starrte einfach nur Frau Rudolfs Knöchel an, weiße Söckchen in den Pantoffeln und nackte Waden, obwohl es doch erst Mitte April war. Sie spürte ihren Puls bis ganz unten in den Handgelenken. Sie konnte jetzt die oberste Stufe nicht putzen, denn Frau Rudolf hörte sich wie immer überhaupt nicht begeistert an. Also presste sie den Wischlappen langsam mit der Hand zusammen und rutschte Stufe für Stufe rückwärts die Treppe hinunter, ehe sie nach dem Geländer griff und sich aufrichtete, den Lappen in den Putzeimer mit dem guten Wasser fallen ließ, sich umdrehte und ganz gelassen und ruhig die Treppen hinunterging, noch immer ohne Frau Rudolf anzusehen. Sie wusste ganz genau, welche Anklagen hinter ihr auf der Lauer lagen.
Frau Rudolf ließ ihre Zigarettenasche auf ihren eigenen Türvorleger fallen. Dass Frau Åsen ihren Blick nicht erwiderte, verschaffte ihr die Möglichkeit, sich dieses Walross von Frau genauer anzusehen, das mehrere Männer im Block als eine Mischung aus Amazone und Sirene bezeichneten. Als ob sie hier nicht schon genug Sirenen hätten mit Peggy-Anita Foss im dritten Stock.
Frau Åsen hatte sich die Schürze um ein blaugemustertes Kleid gebunden, das nicht entworfen oder genäht worden war, um weiblichen Formen zu huldigen, das bei Frau Åsen aber genau das tat. Die hat nie ein Kind geboren, dachte Frau Rudolf. Vielleicht war das der Grund dafür, dass ihre Hüften weiter herausragten als ihr Bauch. Ihr Kleid war außerdem an der Naht unterhalb des Reißverschlusses im Rücken geplatzt, man konnte durch lange, glänzende Nylonfäden, die fast schon zerschlissen waren, ihr Kreuz sehen.
»Es interessiert mich nicht im Geringsten, wie gut Ihr Wasser ist«, sagte Frau Rudolf. »Das hier sind meine Treppen, meine und Frau Larsens. Ich weiß ja, dass Sie mich für eine Schlampe halten, aber ich putze immer erst nach dem Mittagessen, und wenn ich an der Reihe bin.«
Vielleicht würde ihr so ein Kleid auch passen, so übel sah sie ja eigentlich nicht aus. Aber natürlich eins in einer viel kleineren Größe.
»Ich halte Sie doch gar nicht für eine …«
»Aber warum müssen Sie ums Verrecken an allen möglichen anderen Orten putzen als dort, wo Sie das eben müssen?«
»Ich hatte nur gerade so gutes Wasser, ich wollte das nicht wegschütten«, sagte Frau Åsen.
Frau Rudolf musterte ihren krummen Rücken, den Abdruck des BH-Trägers, der sich ins Rückenfett bohrte.
»Sie können es doch einfach auskippen. Wasser ist Wasser. Oder vielleicht sollten Sie den Bürgersteig draußen putzen.«
»Den Bürgersteig putzen?«
»Ja. Der kann sicher auch ein bisschen gutes Wasser vertragen. Sie können zuerst putzen, und Ihr Mann kann danach mit Wasser nachspülen«, sagte Frau Rudolf und spürte die zusätzliche Irritation, die daraus entstand, dass sie ihr Gespräch mit einem wogenden Rücken führte, der die Treppe hinunter unterwegs war.
»Aber ich halte Sie wirklich nicht für eine …«
»Jetzt muss ich das Essen fertig machen. Und danach werde ich meine Treppe selber putzen«, sagte Frau Rudolf zu dem blaugemusterten Rücken, der langsam in Richtung Erdgeschoss verschwand. Es war unglaublich, mit wie viel Frechheit so manche Leute gesegnet waren. Als ob sie ihre beiden Treppen nicht selber rechtzeitig und zufriedenstellend putzen könnte.
Sie hörte Frau Åsen da unten übertrieben gründlich ihren Putzlappen ausspülen. Jetzt würde sie den Lappen fest um ihre Türmatte falten, und da würde er dann liegen und einige Stunden lang stolz und frisch gewaschen riechen, bis er Gott sei Dank wieder zu einem trockenen und ereignislosen Wischlappen würde.
Frau Rudolf sah ihren eigenen Wischlappen an, der als brauner, sandiger, verschmutzter Haufen auf der Fußmatte aus hellgrün geriffeltem Gummi lag. Sie zog wütend an ihrer Zigarette, musste husten, schnippte die Asche von der Mentholzigarette diesmal auf ihre oberste Treppenstufe, blieb stehen und lauschte auf das Echo von Frau Åsens Eingangstür, die geöffnet und geschlossen wurde, ehe sie selbst zum Mittagessen zurückkehrte. Sie wollte weiße Soße zum Kohl machen. Owe liebte Schmorkohl mit Muskat zu seinen Frikadellen, er behauptete, eigentlich gar keine Kartoffeln zu brauchen, wenn er nur Schmorkohl bekam.
Frau Åsen hob die Klobrille und goss das schmutzige Putzwasser in die Toilettenschüssel, ließ aus dem Hahn in der Badewanne einen Spritzer Wasser in den Eimer laufen und schüttelte es im Eimer so heftig herum, dass der feine Sand hochgewirbelt wurde. Dann kippte sie auch dieses Wasser in die Toilettenschüssel und zog ab. Sie holte ein wenig mehr Wasser, diesmal warm, und goss es in die Toilettenschüssel, zusammen mit einem Spritzer Chlorin und etwas Ata, und machte sich dann mit der Klobürste ans Werk. Immer im Kreis nach unten und an den Seiten der Kloschüssel nach oben, dann am Rand entlang und unter dem Rand, so weit sie mit der Bürste kam.
Das warme Wasser machte die Bürste weich und biegsam. Frau Åsen riss großzügige Mengen von rosa Klopapier ab, feuchtete es unter dem Hahn im Waschbecken an und rieb damit am Rand des Porzellans entlang, drehte es um und rubbelte sich einmal um das Klo herum. Sie holte noch mehr Papier, feuchtete es an und wischte bis zum Spülkasten und unter der Brille. Was für eine Vorstellung, so früh zu Mittag zu essen. Das taten aber alle, die Kinder hatten. Sie bückte sich und schnupperte am Nylonfell, das sie um den Klodeckel gebunden hatte. Noch roch es nicht unangenehm, sie hatte es ja erst in der vergangenen Woche gewaschen. Die Schnur auf der Unterseite, mit der es festgebunden wurde, roch nach einer Weile, weil Egil zum Pinkeln nicht immer die Brille hochklappte. Sie dachte an den Kohlgeruch aus Frau Rudolfs Wohnung, vielleicht machte die ja Kohlrouladen. Gute Idee, das würde sie auch bald kochen. Mit Preiselbeeren und weißer Soße mit Zwiebeln. Sie und Egil aßen immer zu den Fernsehnachrichten um halb acht mit den Tellern auf dem Schoß.
Im vergangenen Jahr zu Weihnachten hatte sie zwei Fernsehteller gekauft, viereckige Teller mit besonders hohem Rand und kleinen Stegen, die den Teller in drei Bereiche aufteilten: einen großen für Fleisch, Fisch oder Geflügel und zwei kleinere für Kartoffeln und Gemüse. Diese Fernsehteller waren eine phantastische Erfindung, denn damit riskierte man nicht mehr, sich die Knie zu verschmutzen, wenn die Nachrichten so umwerfend oder aufwühlend waren, dass man vergaß, die Teller gerade zu halten. Aber wenn man Kinder hatte, musste man das Mittagessen ja früh genug fertig haben, damit die kleinen Ungeheuer auch noch Abendessen in sich hineinstopfen konnten, ehe sie ins Bett mussten. Sie und Egil waren die Einzigen, die so spät aßen, oder vielleicht tat Peggy-Anita Foss das auch, auch sie hatte ja kein Kind....