E-Book, Deutsch, Band 2, 335 Seiten
Reihe: Aconite Institute
Radtke Matching Souls
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98690-831-7
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman | Aconite Institute, Band 2 - Dark Academia trifft Romantasy
E-Book, Deutsch, Band 2, 335 Seiten
Reihe: Aconite Institute
ISBN: 978-3-98690-831-7
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ria Radtke sieht im Schreiben die Magie unserer Zeit. Dieser Zauber geht auch von ihren erfolgreichen Fantasy- und Liebesromanen aus. Die Website der Autorin: riahellichten.de/ Die Autorin bei Facebook: Riahellichtenautorin/ Die Autorin auf Instagram: ria_schreibt/ Bei dotbooks veröffentlichte Ria Radtke ihre »Aconite Institute«-Reihe mit den Romanen »Spirit Dolls« und »Matching Souls«. Auch bei dotbooks erscheint ihre »Silver Lines«-Reihe zu denen die Bände »A Beautiful Flaw« und »A Beautiful Scandal« gehören. Die Romane sind auch als Printausgaben und Hörbücher bei SAGA Egmont erhältlich.
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Versprechen
RUNA
Im Gegensatz zu meinen Nächten, die immer zu kurz sind, ziehen sich die Tage auf Flat Holm endlos in die Länge. Heute ist Dienstag und trotz der schlimmen Kopfschmerzen, die mich seit der Nacht quälen, werde ich zum Einkaufen mit dem Boot nach Cardiff rüberfahren wie jeden Dienstag – das Highlight meiner Woche. Statt mich länger mit dem Geld meines verstorbenen Vaters – das genau genommen Kyril gehört – über Wasser zu halten, habe ich mein Sparbuch geplündert, das Mum in der Kommode im Wohnzimmer aufbewahrt. Sie wird es mir nachsehen müssen. Aber schon als ich aus dem Haus trete, wird mir klar, dass ich meine Pläne vergessen kann: Ich bin auf die Touristenboote angewiesen, die zwischen der Insel und dem Mermaid Quay in der Cardiff Bay verkehren, doch die See ist heute viel zu unruhig. Ich weiß, dass das Boot nicht kommen wird, trotzdem setze ich mich auf die Stufen der in die Klippen gehauenen Steintreppe, die unweit des Leuchtturms zum Strand hinunterführt, und schaue auf das Meer hinaus. Von hier aus kann ich das Festland sehen, das dennoch unerreichbar ist. Es kommt mir vor, als wollte das Schicksal mich verhöhnen. Wow, die Einsamkeit hat dich ganz schön zynisch gemacht, spottet meine innere Stimme. Sie hat recht; ich bin zynisch geworden – und verzweifelt.
Ich denke daran zurück, wie ich mich neulich sogar nach Cardiff teleportiert habe. Nachts natürlich, alles andere wäre zu riskant. Die Supermärkte hatten längst geschlossen, aber mein Ziel war ohnehin ein anderes: eine verlassene Straße im Furness Close. Hinter den Fenstern des schlichten Hauses mit verklinkerter Fassade brannte noch Licht. Ein Baby schrie und mir blieb beinahe das Herz stehen, als mir klar wurde, dass es tatsächlich Rose war. Kurz darauf trat Mum mit meiner Schwester auf dem Arm ans Fenster, ohne mich zu bemerken. Auch ich habe eilig weggesehen, allerdings nicht schnell genug.
Rose hat jetzt blonde Haare, genau wie Mum. Ob sie inzwischen krabbelt und vor sich hin brabbelt? Bestimmt sagt sie schon Dad oder Dada.
Tränen steigen mir in die Augen und ich verdränge die Erinnerung mit aller Kraft. Vielleicht kommt das Boot morgen wieder, sage ich mir. Aber in Wahrheit kommt es vielleicht auch erst nächste Woche. Frustriert ziehe ich die Kapuze meiner Wachsjacke tiefer ins Gesicht und beschließe, später im Cottage eine ganze Tafel Schokolade zu verdrücken. Ich habe mir einen Vorrat in Mums alter Speisekammer angelegt. Aber auch Schokolade kann nicht verhindern, dass ich unglücklich bin. Meine Gedanken kreisen immer nur darum, dass ich meine Zeit auf dieser Insel verschwende. Egal, wie vielen Menschen ich nachts helfe. Ich fühle mich wie eine Kerze, die langsam, aber sicher herunterbrennt. Die Buffy-DVDs stapeln sich in einem Regal in meinem Zimmer, aber ich kann sie nicht mehr ansehen, weil es zu sehr wehtut. Manchmal lasse ich den Soundtrack auf meinem Laptop laufen. Auch das tut weh, doch dieser Schmerz ist auszuhalten, er ist traurigschön.
Ich stoße die Haustür des Cottages auf, die ich nie abschließe, weil außer mir selten jemand hier ist, vor allem im Winter. Vielleicht auch, weil ich sowieso nichts zu verlieren habe.
Statt der Tafel Schokolade überwinde ich mich und ziehe mich um: Leggings, Trainingsjacke und Laufschuhe. Joggen ist, abgesehen vom Schwimmen, der einzige Sport, den man auf dieser verdammten Insel treiben kann. Leider richtet die frische Luft kaum etwas gegen meinen dröhnenden Schädel aus. Wahrscheinlich habe ich in der Nacht komisch gelegen und mir einen Nerv eingeklemmt oder mich irgendwo gestoßen.
Weil die grauweißen Heringsmöwen in den Süden gezogen sind und vor Ende des Monats nicht zurückkehren werden, ist es zu dieser Zeit des Jahres besonders still. Ich laufe an den Ruinen des alten Krankenhauses vorbei, das im vorletzten Jahrhundert als Quarantänestation für Cholerakranke diente. Dabei überkommt mich der vor Selbstmitleid triefende Gedanke, dass ich hier auch irgendwie in Quarantäne bin. So, als hätte ich im Herbst absichtlich meine Kommilitonen in Gefahr gebracht – meine Freunde und sogar den Menschen, der mir auf der Welt am wichtigsten ist.
Aber auch wenn es keine Absicht war, ist meine Strafe gerecht. Tris ist gestorben und es tröstet mich nicht, dass unzählige andere Leben gerettet werden konnten. Das Schlimmste ist, dass mir der Gedanke, dass ich nur bekommen habe, was ich verdiene, immer weniger abwegig erscheint, je länger ich darüber nachgrübele. Das liegt an der Einsamkeit, sie bringt mich über kurz oder lang um den Verstand. Doch was, wenn wirklich alles allein meine Schuld ist? Eine ungute Vorahnung schnürt mir die Kehle zu.
Die ewige Gedankenspirale, die immer nur abwärts führt, wird vom Klingeln eines Handys unterbrochen. Einem sonderbar schrillen Geräusch im Vergleich zu der eintönigen Windsinfonie meiner Heimat.
»Hey, Lali!« Der unerwartete Anruf meiner besten Freundin ist eine willkommene Abwechslung an diesem öden Tag.
»Runa? Du musst sofort nach Edinburgh zurückkommen.«
»Was? Wieso, was ist denn los?«
»Kyril ist verschwunden.«
Mit diesem einen Satz stürzt meine Welt wie ein Kartenhaus zusammen. Das Herz klopft mir bis zum Hals, so heftig, dass mir speiübel wird. »Was soll das heißen, verschwunden?«, wiederhole ich ungläubig.
»Er war doch mit den Studierenden unterwegs, wandern an der Küste. Sie sollten eigentlich gestern Abend zurückkommen, aber …« Lalis Stimme bricht. »Wir haben die Polizei verständigt.«
Plötzlich dreht sich die Welt um mich herum schwindelerregend schnell. Ich schwanke und schaffe es gerade noch, nicht auf dem Fels zu landen, sondern im Gras. Das darf nicht wahr sein.
»Bestimmt gibt es eine simple Erklärung, aber ich wollte trotzdem, dass du Bescheid weißt.«
Lalis Worte beruhigen mich nicht, im Gegenteil. Alle denkbaren Horrorszenarien spielen sich jetzt vor meinem inneren Auge ab – eines schrecklicher als das andere: Kyril könnte von einem Bergrutsch überrascht worden sein. Vielleicht ist er gestürzt, vielleicht ist er verletzt, vielleicht ist er … Nein, das hätte ich gespürt, oder nicht? Außerdem war er mit etlichen Studierenden unterwegs, sicher hätte jemand Hilfe geholt? So viele Menschen können doch nicht einfach wie vom Erdboden verschluckt sein?
»Runa?«, fragt Lali unsicher. »Bist du noch da?«
Ich räuspere mich, trotzdem ist mein Hals so wund, dass ich nicht weiß, wie ich auch nur ein einziges Wort herausbekommen soll. »Ja«, krächze ich. »Ich … was soll ich –«
»Du kannst wieder in unserem –«, sie korrigiert sich, »in meinem Zimmer schlafen, wenn du willst.«
»Ich will nicht, dass du wegen mir Ärger bekommst.« Lalis Vorschlag rührt mich, aber in dem Apartment lauern zu viele Erinnerungen. Außerdem hat Kieran Ironmonger mehr als deutlich gemacht, dass ich am Institut nicht mehr erwünscht bin, und ich bezweifle, dass sich daran etwas geändert hat. »Ich glaube, ich nehme mir irgendwo ein Hotel.«
»Kommt gar nicht infrage.« Mit einem Mal ist meine Freundin wieder so energisch wie eh und je. »Du steigst jetzt bestimmt nicht allein irgendwo ab, auch nicht, wenn Runa Davies ja immer alles mit sich selbst ausmacht.«
Dass Lali wieder spotten kann, erleichtert mich irgendwie ein bisschen.
»Wir sind für dich da. Du kannst bei Chelsea bleiben, okay? Sie wohnt über dem Dominion Cinema in der Newbattle Terrace, im Hinterhaus. Was sagst du?«
Darüber muss ich nicht nachdenken, ich würde auch auf einer Parkbank schlafen, um bei Lali und Chelsea zu sein. Bei Kyril, bei meiner Familie. »Okay, ich packe meine Sachen und komme so schnell ich kann.«
»Pass auf dich auf, Süße.«
Ich nicke, obwohl Lali das nicht sehen kann, und unterdrücke die Schluchzer, die sich ihren Weg meine Kehle hinauf bahnen wollen. Mit einem atemlosen ins Handy gehauchten Kuss beende ich den Anruf.
Die nächste Stunde zieht an mir vorbei wie im Traum. Rastlos irre ich durch das Cottage und suche Sachen zusammen, die ich brauchen könnte, wenn ich mich höchstpersönlich auf die Suche nach Kyril mache – was ich definitiv vorhabe. Meine Wanderstiefel, wetterfeste Kleidung, einen Verbandskasten, vielleicht Nadel und Faden? Und natürlich einen Vorrat an selbst gehäkelten Spirit Dolls; in letzter Zeit habe ich mit verschiedenen Techniken experimentiert und Modelle entwickelt, die den menschlichen Körper immer detailgetreuer abbilden.
Der Wind rüttelt an den Fensterläden und für einen Moment halte ich inne. Das ist doch absurd! Wahrscheinlich sollte ich mich beruhigen und lieber versuchen, ein bisschen zu schlafen, denn wenn Kyril tatsächlich etwas zugestoßen ist, erwarten mich heute Nacht doppelt so viele Aufträge. Aber Schlaf ist so ungefähr das Letzte, an das ich jetzt denken kann. Vielleicht reagiere ich auch gerade über und es wäre besser, die Sache der Polizei zu überlassen? Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmt, also kann ich nicht einfach tatenlos herumsitzen. Mein Rucksack ist inzwischen so voll, dass sich der Reißverschluss kaum noch schließen lässt. Ich halte inne und nehme mein Portemonnaie vom Nachttisch. Der Streifen mit den Fotos, die Kyril, Lali und ich an einem meiner ersten Tage in Edinburgh geschossen haben – in einem Automaten bei Boots – ist schon etwas ausgeblichen. Ich liebe ihn trotzdem: Lali strahlt, mein Gesichtsausdruck wirkt irgendwie unentschlossen und Kyril guckt zwar ziemlich missmutig in die Kamera, hat aber niedlicherweise ein paar Sconeskrümel in den Mundwinkeln.
Inzwischen weiß ich, wie dieses Gesicht aussieht, wenn es lächelt. Wenn...