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E-Book, Deutsch, 392 Seiten

Radetz Der Stärkere

Das Leben des Arbeitersportlers Werner Seelenbinder
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-88021-535-1
Verlag: Verlag Neuer Weg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Das Leben des Arbeitersportlers Werner Seelenbinder

E-Book, Deutsch, 392 Seiten

ISBN: 978-3-88021-535-1
Verlag: Verlag Neuer Weg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sport begeistert viele Menschen und ist ein wichtiges Mittel der Völkerverständigung. Dieses Buch ist ein besonderes Sportbuch. Der Roman spielt in der Weimarer Republik und zur Zeit des Hitlerfaschismus. Die Hauptperson ist Werner Seelenbinder.

Jung, gutaussehend, stark ein absoluter Spitzensportler im Schwergewichtsringen. Werner Seelenbinder ist fair, bescheiden, risikobereit und hat ein unbändiges Gerechtigkeitsgefühl. Diese Eigenschaften und seine persönlichen Erfahrungen als Arbeiter in der Wirklichkeit der Weimarer Republik und später auf Sportwettkämpfen in der sozialistischen Sowjetunion lassen ihn eine bürgerliche Sportlerkarriere ausschlagen. Er entscheidet sich zur Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei und versteht es, viele Menschen für den Arbeitersport und die sozialistische Idee zu begeistern. Werner Seelenbinder herausragenden sportlichen Fähigkeiten werden in der Zeit des Hitlerfaschismus zu einer wichtigen Möglichkeit, den Widerstand zu organisieren: Er nutzt Wettkämpfe im Ausland für Kontakte, arbeitet in bürgerlichen Sportvereinen usw.

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I. KAPITEL
1.DIE GLATZER STRASSE IN Berlin lag schon im Schatten der Nachmittagssonne. Aus der dunklen Toreinfahrt der Nummer sechs trat ein Junge. Schwarzes Haar fiel ihm über die Stirn. Er mochte dreizehn Jahre alt sein. Er war nicht groß, aber er hatte die breiten, stämmigen Schultern eines Siebzehnjährigen. In der Straße kannten ihn alle. Es war Werner Seelenbinder. Er blieb an der Toreinfahrt stehen und biß auf den Resten eines Brotkantens herum. Dabei bemühte er sich, nicht durch die Nase zu atmen. Der Rindertalg, den Großmutter auf den Kanten geschmiert hatte, roch ranzig nach Tran. Es war das einzige Fett, das sich im Hause befand. Butter hatte es seit drei Wochen nicht mehr gegeben. Noch während er an den letzten Brocken kaute, fischte er aus der Hosentasche ein Bonbon. Vorsichtig blies er den Staub von dem bunten Papier. Das Bonbon war weich und klebrig. Werner nahm es vorsichtig mit den Lippen vom Papier ab. Für einen Augenblick spürte seine Zunge Sand und Schmutzkrumen, dann aber füllte wohlige, langentbehrte Süßigkeit seinen Mund und spülte den penetranten Geschmack des Rindertalgs weg. Zufrieden schlenderte er die Glatzer Straße entlang, bog in die Boxhagener Straße ein, die schräg und etwas krumm durch das Viertel lief und es wie eine Diagonale teilte. Hinter dem Wismarplatz bestaunte er im Fenster einer Eckkneipe eine riesige verstaubte Schnapsflasche aus Pappmache. Ein Soldat in Landsturmuniform kam vorbei. Sein Körper pendelte zwischen zwei niedrigen Krücken, und sein Gesicht wippte bei jedem Pendelschlag weit nach vorn, als wolle es die Straße berühren. Der Landsturmmann hatte nur noch Beinstümpfe. Seine Uniform war schmutzverkrustet. Als er die Schnapsflasche im Fenster sah, zeigte er mit der Krücke darauf: „Bloß Attrappe und nischt drin“, sagte er. „Für unsereinen haben sie nicht mal mehr was zu saufen. Wenn sie uns schon nischt zu beißen geben können, wenigstens was zu saufen sollten sie rausrücken.“ Sein Gesicht war grau und verwüstet. Bläuliche Punkte bedeckten die rechte Gesichtshälfte wie Tintenspritzer. Pulververbrennungen oder Gas, dachte Werner. Der Mann musterte den Jungen, kniff die Augen zusammen und krächzte: „Wachs bloß nicht schneller, sonst holen sie dich auch noch. Drei Jahre geht der Scheißkrieg, und Schluß ist immer noch nicht. Paß bloß auf, daß sie dich nicht noch holen. Sie können nicht so viele neue Leute kriegen, wie draußen kaputtgehen.“ Dann pendelte er davon. Seine Krücken schnellten nach vorn, für einen Augenblick schwebte der kurze, zerstörte Körper über dem Gehsteigpflaster, die Beinstümpfe, an denen abgeschnittene Autoreifen befestigt waren, setzten hart auf die Steine auf, und die Krücken schnellten wieder nach vorn. Wenn das Vater passiert, dachte Werner erschrocken. Wenn Vater so nach Hause kommt! Dann kann er niemals wieder auf ein Baugerüst klettern. Vater war Maurer, Putzerpolier, aber jetzt stand er in Rumänien bei einer Artillerieeinheit. Vor zwei Jahren, im ersten Kriegsjahr, war die Mutter gestorben, und als Vater einrücken mußte, kam die Großmutter aus Stettin, um die Kinder zu versorgen. Werner hatte noch drei Geschwister. Irmgard, die Große, jetzt war sie fünfzehn; Erich, der zwei Jahre jüngere Bruder, und Käthe, die Kleinste. Sie ging das zweite Jahr zur Schule. Was soll mit uns nur werden, wenn Vater auch so aus dem Krieg kommt. In die Gedanken hinein plärrte jämmerliches Geschrei. Werner horchte, erst zögernd und unwillig, doch dann aufmerksamer, weil er plötzlich das Schreien in eine Verbindung mit dem Kriegskrüppel brachte. Aufgeregt rannte er bis zur nächsten Ecke. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig war eine Schlägerei im Gange. Drei große Bengel schlugen auf ein sechs- oder siebenjähriges schmächtiges Kerlchen ein, auf dessen Rücken ein abgeschabter Schulranzen klebte. Mit den Armen versuchte der Kleine seinen Kopf vor den pausenlos auf ihn einprasselnden Hieben zu schützen. Einer der Burschen zog ihm immer wieder die Arme herunter, und die anderen schlugen zu. Der Kleine brüllte. Er hatte kaum noch die Kraft, die Schläge abzuwehren. Da zerrte ihm ein Großer auch noch den Schulranzen vom Rücken; der Trägerriemen riß. Werner packte die Wut. Diese Feiglinge! Er jagte mit weiten Sprüngen über den Damm. Den ersten der Jungen riß er am Kragen zurück und schleuderte ihn zur Seite. Den zweiten packte er mit beiden Händen, hob ihn wie eine Holzpuppe hoch, drehte ihn in der Luft und legte ihn auf den Gehsteig. Indessen stürzte sich der dritte mit geballten Fäusten auf Werner. Ehe er jedoch zuschlagen konnte, ohrfeigte ihn Werner. Verwundert griff sich der Junge an die geschlagene Stelle. Es hatte nicht sehr weh getan, aber es war seltsam: eine Ohrfeige statt Faustschläge! Werner hatte ein Prinzip. Jungenehre! Jemanden, den er verachtete, schlug er nie mit der Faust. Ein Faustschlag war etwas Ehrenhaftes, ein Kampfmittel unter gleichen. Eine Ohrfeige dagegen drückte Verachtung aus. Sie brannte Schande in das Gesicht des Geschlagenen. Der Geohrfeigte allerdings legte Werners Rechtsempfinden als Schwäche aus. Er stürzte sich erneut auf ihn. Die beiden anderen kamen eilig zur Hilfe. Werner boxte auch jetzt nicht. Er duckte nur seinen Körper sprungbereit zusammen und wich geschickt den Schlägen aus. Dann packte er wieder die Jungen mit festem, zwingendem Griff, wirbelte sie herum, stieß sie weg. Zuschauer fanden sich ein und verfolgten den ungleichen Kampf. Aus dem ersten Stock des Hauses keifte eine Frau: „Aufhören, aufhören!“ aber niemand beachtete sie. Nach wenigen Minuten lagen die drei großen Jungen gleichzeitig auf dem Pflaster. Sie rappelten sich hoch und rannten davon. Auf dem Gehsteig blieb eine staubige Mütze zurück. Erst jetzt sah Werner sich nach dem Kleinen um. Er saß am Rinnstein. Der Schulranzen lag auf seinem Knie, das zerrissene Ende des Trägerriemens hielt er krampfhaft in der Hand. Seine schmalen Schultern zuckten. Er weinte bitterlich. Werner beugte sich zu ihm. „Warum weinst du denn? Tut es sehr weh? Wein nicht, jetzt sind sie weg.“ Er strich dem Kleinen beruhigend über die Schultern. Der Junge antwortete nicht, aber er hielt Werner die Rißstelle des Riemens entgegen. Auf seine Hand tropften Tränen. „Kriegst du Senge deswegen?“ Der Junge nickte. Werner fuhr sich nachdenklich durch die Haare. Der Kleine tat ihm leid. „Wenn du willst“, sagte er endlich, „dann gehen wir zu mir, und ich näh dir den Schaden zusammen. In zehn Minuten sind wir fertig, und deine Mutter merkt nicht mal was ...“ Er nahm den Jungen an die Hand und zog ihn nach Hause. Den Riemen flickte er, so gut er konnte. Die Rißstelle war kaum noch zu sehen. Die Tränen des Kleinen versiegten endgültig. Werner begleitete den Kleinen nach Hause und sagte zum Abschied: „Wenn sie dir noch mal was tun wollen, dann kommst du zu mir. Weißt ja, wo ich wohne!“ Er streckte ihm die Hand freundschaftlich entgegen. Der Kleine zögerte. Vorsichtig schaute er erst zu Werner hoch, dann griff er nach der Hand. „Du bist aber gut“, sagte er bewundernd, und als schäme er sich der Worte, rannte er rasch durch den dunklen Hausflur in den Hinterhof. 2.Es dämmerte bereits, als sich Werner wieder auf den Heimweg machte. „He, du! Schläfst wohl?“ sagte jemand neben ihm. Werner fuhr herum. In der Toreinfahrt vor der Straßenecke stand Erwin Droas. Werner kannte ihn, wie man eben Leute aus dem Kietz kennt. Er war ein Jahr älter als Werner, aber kaum größer und in den Schultern schmächtig wie ein Mädchen. „Was willst du?“ fragte Werner unwillig. Erwin stieß sich mit der Schulter von der Wand ab. „Hast die drei vorhin ganz schön verwamst“, sagte er anerkennend. „Allerhand! Du mußt ganz schön Kraft haben!“ Werner fühlte sich geschmeichelt, weil der ältere ihn lobte. „Es geht“, sagte er. „Du solltest in unseren Verein kommen!“ Werner schaute überrascht auf. „Was für ein Verein denn? Wohl ’n Verein für Mäusezüchter?“ „Für Schwerathleten!“ Werner fühlte sich verkohlt. „Du spinnst ja!“ sagte er, tippte sich an die Stirn und lief weiter. Erwin Droas rannte hinter ihm her. „Ich meine wirklich einen Schwerathletenverein“, sagte er. Werner musterte den Jungen. Er sah nicht nach einem Athleten aus. Seine Jacke, die ihm viel zu groß war, mußte einmal einen größeren, kräftigeren Besitzer gehabt haben. Sie hob die körperliche Dürftigkeit des jetzigen Trägers besonders hervor. Die Schulterpolster hingen auf die Oberarme herab, und der Rockschoß reichte fast an die Knie. Werner spottete: „Vielleicht bist du auch so ein Schwerathlet, und man sieht es bloß nicht.“ Der Junge senkte den Kopf. „Noch nicht“, sagte er verlegen. „Aber ich will ein Ringer werden.“ Ach du liebes bißchen, dachte Werner, der meint das ernst. So ein mickriger Hering will Ringer werden! „Na, sieh mal“, sagte Werner, „ringen mag ja eine feine Sache sein. Aber dazu gehören starke Leute. Du bist doch nicht stark.“ „O doch“, sagte Erwin sicher, „ein bißchen ...“ Der ist übergeschnappt, dachte Werner, hat sich da an einer Sache festgebissen, von der er überhaupt nichts versteht. Davon muß man ihn heilen. „Na, dann versteh ich dich nicht!“ spottete er. „Wenn du wirklich ein bißchen stark bist, warum hast du mir vorhin nicht geholfen gegen die drei?“ Erwin wandte den Kopf verlegen zur Seite. „Ich wollte ja“, sagte er traurig. „Ich hab dich vom Fenster aus gesehen, aber weil ich Geschirr waschen...


Der Autor Walter Radetz hat genaue Kenntnisse sowohl vom Sport - man erfährt vieles insbesondere über den Arbeitersport der damaligen Zeit, aber auch über die Sportart Ringen - als auch genaue Kenntnisse von der Arbeit der kommunistischen Partei. Radetz versteht es sehr konkret und dicht zu schreiben, ohne sich im Detail zu verlieren.



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