Rabisch | Wir kennen uns nicht | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 206 Seiten

Rabisch Wir kennen uns nicht


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-946086-23-9
Verlag: Verlag duotincta GbR
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 206 Seiten

ISBN: 978-3-946086-23-9
Verlag: Verlag duotincta GbR
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Mutter und Tochter - eine oft konfliktreiche Beziehung, die seit der Antike nicht nur in der Literatur für Sprengstoff sorgt. Die Beziehung zwischen Lena und Ariane ist geprägt von der Unfähigkeit, sich in die Welt der jeweils anderen einzufühlen. Vieles bleibt unausgesprochen, beide lügen sich an und fühlen sich missverstanden im Labyrinth der gegenseitigen Täuschungen. Die Mutter Lena, eine ehemalige feministische Bestsellerautorin, lebt vereinsamt in ihrer großen Villa. Die Tochter Ariane fühlte sich als Kind von ihrer Mutter vernachlässigt und als leicht erkennbare Figur ihrer Romane bloßgestellt. Ariane arbeitet als Verhaltensforscherin über »Lügen und Tricksen unter Raben«. Mutter und Tochter erzählen von einer gemeinsamen Vergangenheit, die völlig unterschiedlich erlebt wurde und immer mehr auch ein Porträt des aktuellen Konfliktes zwischen der Generation 68 und ihren pragmatischeren Erben wird. Dabei vermengen sich gelebtes Leben und literarische Fiktion, während in der Gegenwart das Gespinst aus vermeintlichen Gewissheiten nach und nach zerlöchert wird.

Angaben zur Person: Birgit Rabisch, geb. am 9.1.53 in Hamburg, aufgewachsen in Wilster, 1972 Abitur in Uetersen, Studium Soziologie und Germanistik an der Universität Hamburg, 20 Jahre Dozentin für Deutsch als Fremdsprache an der VHS-Hamburg; lebt heute als freie Schriftstellerin in Hamburg; verheiratet, zwei Kinder. weniger anzeigen
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I


Sie kennen mich nicht
Sie kennen mich? Sie wissen alles über mich? Von meiner Geburt an? Warum so bescheiden? Ich bin sicher, Sie kennen mich schon seit meiner Zeugung, nein, seit ich noch ein Glanz in den Augen meiner Mutter war. Ich rede schwülstig? Pardon, ich dachte, das trifft Ihr Sprachniveau. Kein Wunder, wenn ich mir so Ihre Lieblingslektüre betrachte, oder? Ich unterschätze Sie und das auch noch gewaltig? Also bitte, ich formuliere es sachlich: Sie kennen mich, seit meine Mutter anfing, darüber nachzudenken, wie sie an eine anonyme Samenspende herankommen könnte. Das werden Sie nicht leugnen. Sie kannten meine Mutter ja schon, als sie noch nicht meine Mutter war, noch nicht mal meine mich planende Mutter. Sie kannten sie als die kleine Lara, naseweis und intelligenzbiestig, eine moderne Ausgabe der HanniNanni. Sie haben mit ihr in jener Phase des Heranwachsens, die so schrecklich ist wie ihr Name PU-BER-TÄT, den spießigmiefigpiefigen Eltern Zentimeter um Zentimeter des Minirocks abgerungen. Sie haben mit der Studentin Lara die Bürger runter vom Balkon locken wollen, um dem Vietcong zu helfen. Sie haben nicht mit ihr gelesen, analysiert und diskutiert, sondern sich nur von ihr erzählen lassen, wie anstrengendanregend es ist, zu lesen, zu analysieren, zu diskutieren. Sie haben sich amüsiert, als Lara gegen die sozialistischen Eminenzen aufbegehrte, bevor sie sich von einem ihrer Schwänze entjungfern ließ. Sie haben sich an ihre immer feministischer werdende Sprache gewöhnt, die patriarchalisch verhunzte Worte wie ablehnte, in der Schamlippen zu Venuslippen mutierten, zu wurde und GenossInnen sich genossen. Heute lächeln Sie darüber, wie auch Lara darüber lächelt. Ach ja, die gute alte Zeit. Sie verging im Sauseschritt und Sie schritten mit. Blickten in die unzähligen Beziehungskisten, die Lara ihnen öffnete, ergötzten sich an Laras Sex in allen möglichen Spielarten, Sex mit Männern, Sex mit Frauen, manchmal war es vielleicht auch Liebe oder doch nur ein Ansturm der Endorphine im Gehirn? Lara fabulierte wortreich, metapherngesättigt, auch ironisch und mit Distanz zum Erlebten. Motto: . Doch einer brachte sie ins Straucheln: Der . Er tarnte sich unter der Parole und gab ihr zu denken: Gehörte zu einem erfüllten Frauenleben nicht doch ein Kind? Schwangerschaft, Gebären, Stillen und die einzigartige Mutter-Kind-Symbiose, waren das nicht urweibliche Potenzen, die es auszukosten galt? Diese Überlegungen Laras kennen Sie gut, Sie haben sie gelesen im vierten Buch der Autorin Lena Löpersen. Pardon, der Bestsellerautorin Lena Löpersen, der . Lena Löpersens Ich-Erzählerin Lara ließ Sie in ihre Gehirnwindungen gucken und gab in farbigen inneren Monologen ungeschützt ihre geheimsten Gedanken preis. Die Sie, – geben Sie es doch zu! – für die Gedanken der Autorin hielten. Lena Löpersens Gedanken beschäftigten sich jedoch vor allem mit der leicht gesunkenen Auflage ihres dritten Buches. Das Interesse ihrer Leserinnen an Laras Liebesverwicklungen ließ nach. Etwas Neues musste her! Das Abenteuer Kind! Lena würde sich auf dieses Abenteuer einlassen, um hautnah von Laras Erleben erzählen zu können. Denn nichts schenkt der Literatur so viel Lebendigkeit wie das Leben. So wurde ich ein Glanz in den Augen meiner Mutter, der Glanz der guten Hoffnung auf höhere Auflagenzahlen. Und ihre Rechnung ging auf. Der Cliffhanger am Ende des vierten Buches ? hat Sie zuverlässig zum Kauf des fünften Buches von Lena Löpersen verführt, stimmt’s? Am Anfang waren Sie empört, als Sie lesen mussten, dass die Frage keine Antwort finden würde, weil Lara zwar ein Kind wollte, aber keinen Vater dazu. Auch fanden Sie die Passagen des Buches über die Jungfernzeugung in Biologie und Mythos langweilig und überflüssig, denn Lara war ja doch auf ein männliches angewiesen. Spannend zu lesen wurde es dann, wie es Lara gelang, einen befreundeten Gynäkologen zu überreden, ihr in seiner Praxis heimlich die Spermien eines anonymen Spenders . Spätestens da ließen Sie sich wieder vom Sog des gerühmten in die Story hineinziehen. Sie haben noch genau die Szene im Kopf, wie Lara auf dem berüchtigten Stuhl vor ihrem Gynäkologenfreund lag, mit gespreizten Beinen und klaffender Vulva, wie er die Spermien durch einen Katheter in ihre Gebärmutter spritzte, wie Sie von der grandiosen Vorstellung gepackt wurden, jetzt, genau jetzt passiert Es! ließ meine Mutter ihre Lara in diesem schicksalsträchtigen Moment denken. Sie selbst hat eigentlich nur leichten Ärger verspürt, als ich gezeugt wurde, weil sie im ungeheizten Behandlungszimmer fröstelte. Der Lebensspender im weißen Kittel sei unfähig gewesen, die automatische Temperaturdrosselung am Sonntag auszustellen, mokierte sie sich. Ich habe sie nur dieses eine Mal nach meiner Herkunft gefragt. Ich war vierzehn. Ich hatte angefangen, ihre Bücher zu lesen. Ich wollte die Frau kennenlernen, gegen die ich mit der ungezügelten Wut meiner jungen Jahre aufbegehrte. Auch ich war damals so naiv wie Sie und habe geglaubt, durch Lara könnte ich etwas über ihre Schöpferin Lena erfahren. Ich lernte Lara als eine Frau kennen, die trotz all ihrer Macken sympathisch war, und ich kann gut nachvollziehen, wie Sie sich damals mit ihr über den positiven Schwangerschaftstest gefreut haben. Sie lächeln? Sie gestehen, sich ganz mit ihr identifiziert zu haben? Natürlich, Sie haben zusammen mit ihr stolz den prallen Bauch der Welt entgegengestreckt, ihn provozierend in einen Lesben-Buchladen getragen, den angeblich gebärneidigen Männern von der neuen Mütterlichkeit vorgeschwärmt. Sie waren bei den Vorbereitungen für die Hausgeburt dabei, bei den Gesprächen mit der Hebamme, ausgebildet in den USA in , Sie haben bei Laras Wehen mitgeatmet, das buddhistische OM gesungen, lange, laut, immer wieder OOOOOOM, um das Kind auf die Welt zu locken. Aber es kam nicht, wollte nicht, blieb stecken. Notruf, Krankenwagen, Uniklinik, Kaiserschnitt.

Diana war da.

für die

Sie freuten sich auf diesen nächsten Band. Aber Sie mussten länger als gewöhnlich warten. Denn:

Ich war da.

Ich lag in den Armen meiner Mutter und kniff die Augen zu, weil der Arzt eine desinfizierende Lösung hineingeträufelt hatte. Kein Blickaustausch war möglich mit dem Neugeborenen, nein, der neu Geborenen, also auch kein , dieser Moment, in dem die unzerstörbare Mutterliebe entsteht, wie es die spirituellen Hebammenweisheiten verkündet hatten. Auch auf die Probleme mit dem Milchfluss, der ihren Brüsten nicht entströmen wollte, war sie nicht vorbereitet, schon gar nicht auf die schlaflosen Nächte mit einem schreienden Spuckling auf dem Arm, der ihr die Blusen versaute. Eigentlich hatte sie da schon genug vom , davon bin ich überzeugt. Ein furchtbares Kind sei ich gewesen, hat sie mir bei unseren späteren Fehden vorgeworfen, immer fordernd, nie zufrieden, jede, aber auch wirklich jede Kinderkrankheit hätte ich mir angelacht, meine Trotzanfälle seien zum Davonlaufen gewesen, mein Stottern im Grundschulalter geradezu peinlich für sie als eine Frau der Sprache.

Nein, da war Diana ganz anders. Natürlich schrie auch sie mal und Mama Lara war auch mal übermüdet und ungnädig. Aber das waren nur flüchtige Schatten zu dem Zweck, der Literatur Lena Löpersens die nötige Tiefenschärfe zu verleihen. Lara, die , durfte als durchaus auch widersprüchliche Gefühle gegenüber ihrem Kind haben. Da musste nichts mehr verdrängt werden, da konnte Lara ruhig den anderen Müttern in der Baby-Aktiv-Gruppe gestehen, dass sie ihre Tochter am liebsten würde, wenn die mal wieder einen angesichts der begehrten Lutscher an der Supermarktkasse veranstaltete. Das haben Sie bestimmt mit Erleichterung gelesen, weil es Ihnen mit Ihrem Sohn/Ihrer Tochter/Ihren Kindern nicht anders erging. Wie mutig von Lara, das auszusprechen! Wie fortschrittlich! Emanzipiert! Ja, eine wirkliche Hilfe für Frauen wie Sie, die das überkommene Mutterbild von der Glucke überwinden wollten, ohne eine Rabenmutter zu werden. Und Lara zeigte, dass es möglich war! Sie wurde eine berühmte Bildhauerin, wurde von aufregenden Männern geliebt und Töchterchen Diana entwickelte sich prächtig, wurde ein Wildfang, so herrlich ungestüm, aber auch so kindlich weise, dass ihr Kindermund viele Seiten bereicherte. Diana wickelte die Au-pair-Mädchen um den kleinen Finger, die auf sie aufpassten, aber ihre große Liebe war und blieb natürlich ihre Mutter, die jede freie Minute mit ihr verbrachte. Diana durfte im Atelier mit Farben rumschmieren, entzückte Lara später mit ihrem Zeichentalent, erfreute sie mit ihren guten Schulnoten und enttäuschte sie auch nicht, als sie sich gegen ein Kunst- und für ein Biologiestudium entschied. Diana ging ihren eigenen Weg, das musste so sein, da sprach Lara Ihnen wieder einmal aus dem Herzen. Diana wurde Schimpansenforscherin wie die berühmte Jane Goodall; ihre...


Rabisch, Birgit
Angaben zur Person: Birgit Rabisch, geb. am 9.1.53 in Hamburg, aufgewachsen in Wilster, 1972 Abitur in Uetersen, Studium Soziologie und Germanistik an der Universität Hamburg, 20 Jahre Dozentin für Deutsch als Fremdsprache an der VHS-Hamburg; lebt heute als freie Schriftstellerin in Hamburg; verheiratet, zwei Kinder.
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